Ist die Bibel unfehlbar?

Was sagt die Bibel selbst dazu? Was dachten die Kirchenväter darüber? Was meint Unfehlbarkeit – und was nicht? Müssen wir die Bibel wörtlich nehmen? Und warum sind diese Fragen überhaupt wichtig?

Dieser Artikel ist auch als PDF verfügbar und kann hier herunter geladen werden.

In den letzten Monaten habe ich viele theologische Texte gelesen. Einige waren ziemlich anstrengend, viele aber auch sehr interessant, manche sogar herausragend gut. Trotzdem fiel mir immer wieder auf, wie grundlegend anders doch die Bibel ist. Wenn ich sie aufschlage ist es, als ob ich eine andere Welt betrete. Es fühlt sich an, wie wenn ich das knarzende alte Radio ausschalte und meine Ohren stattdessen vom brillianten Klang einer modernen Stereoanlage streicheln lasse. Der biblische „Klang der Wahrheit“ ist einfach nicht vergleichbar mit allen anderen noch so guten theologischen Überlegungen, die wir im Lauf der Kirchengeschichte angesammelt haben. Deshalb liebe ich die Bibel so.

Das schöne ist: In den letzten Monaten habe ich erfahren, dass ich nicht der erste bin, dem es so geht! Im Gegenteil: Schon die allerersten Christen haben genau die gleiche Erfahrung gemacht wie ich:

Was die Kirchenväter über die biblischen Schriften dachten

In den Schriften Martin Luthers findet sich eine äußerst interessante Passage über den grundlegenden Unterschied zwischen den biblischen Texten und den Schriften von Theologen:

Welch große Irrtümer sind schon in den Schriften aller Väter gefunden worden? Wie oft widerstreiten sie sich selbst?  Wie oft weichen sie voneinander ab? […] Niemand hat eine mit der Schrift gleichwertige Stellung erlangt […] Ich will […], dass allein die Schrift regiert […] Dafür habe ich als besonders klares Beispiel das des Augustinus, […] [der] in einem Brief an den Heiligen Hieronymus sagt: ‚Ich habe gelernt, allein diesen Büchern, welche die kanonischen heißen, Ehre zu erweisen, so dass ich fest glaube, dass keiner ihrer Schreiber sich geirrt hat.“ [1]

Das grundlegende Prinzip, das Luther hier erklärt, war ein zentraler Grundstein der Reformation. Man kann es ganz simpel so formulieren:

Alle Theologen irren! Aber die Autoren der Bibel irren niemals!

Aus diesem Grund sagte Luther: Wer mich von einer theologischen These überzeugen will, muss das aus der Bibel heraus beweisen. Alle anderen Aussagen, und seien sie vom Papst persönlich, sind kein Beweis. Genau das meinte Luther auch mit seinem Schlagwort: „Sola scriptura – Allein die Schrift“.

Mit seinem Hinweis auf den Kirchenvater Augustinus, der im 4. Jahrhundert lebte, zeigte Luther: Dieses Prinzip war nicht seine eigene Erfindung. Es galt schon zur Zeit der ersten Christen. Auch Ignatius von Antiochien sah schon zu Anfang des 2. Jahrhunderts einen grundlegenden Unterschied zwischen seiner eigenen theologischen Autorität und den „Weisungen des Herrn und der Apostel“, denen er sich bewusst untergeordnet hat: „Ich habe mich nicht so hoch eingeschätzt, dass ich … euch wie ein Apostel befehlen dürfte“.[2] Der Neutestamentler Prof. Theodor Zahn folgerte deshalb: Die Möglichkeit, „dass ein Apostel in seinen an die Gemeinden gerichteten Lehren und Anweisungen geirrt habe könnte, hat offenbar im Vorstellungskreis der nachapostolischen Generation keinen Raum gehabt.“ [3] Anders ausgedrückt: Die ersten Christen waren von der Unfehlbarkeit der Schriften der Apostel fest überzeugt was sich in den Schriften der apostolischen Väter auch vielfach nachweisen lässt.

Kein Wunder, dass die Unterscheidung zwischen irrtumslosen biblischen Autoren und irrenden Theologen bis zum Aufkommen der von der Aufklärung geprägten kritischen Theologie ab dem 18. Jahrhundert im Grunde Allgemeingut der Kirche war. Aber auch danach blieb der Glaube an die Unfehlbarkeit der Schrift nicht etwa eine fundamentalistische Sonderlehre. So lesen wir z.B. in der Lausanner Verpflichtung von 1974, die von Leitern aus zahllosen Kirchen der ganzen Welt beschlossen wurde, über die Autorität von Gottes Wort: „Es ist ohne Irrtum in allem, was es verkündigt.“ Jüngst freute sich auch die weltweite evangelische Allianz, dass sie mit der katholischen Kirche in Bezug auf die „Irrtumslosigkeit der Schrift“ völlig übereinstimmt.[4]

Mit anderen Worten: Wo die von der Aufklärung geprägte Bibelkritik sich nicht durchgesetzt hat, ist der Glaube an die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Schrift bis heute keine Außenseiterposition sondern Standard in der Weltchristenheit.

Nun sind Mehrheiten ja an sich kein Argument. Könnte es sein, dass die Christen übers Ziel hinausgeschossen sind? Haben sie den biblischen Texten in ihrer Begeisterung vielleicht Eigenschaften und Ansprüche zugeschrieben, die diese selbst nie für sich in Anspruch genommen haben? Anders gefragt:

Hält die Bibel sich selbst für unfehlbar?

Dazu stellt der Theologe Prof. Thorsten Dietz zunächst einmal nüchtern fest: „Die neutestamentlichen Autoren haben ganz offensichtlich die Schriften des Alten Testaments als Gottes Wort gelesen, genauso wie die allermeisten Christen in der Kirchengeschichte.“[5] Eindrücklich sind dazu die Worte Jesu: „Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen“ (Matth. 5, 18). Mit dem „Gesetz“ meinten die Juden die Tora, die 5 Bücher Mose. Die „Propheten“ und die übrigen Schriften waren ihnen ebenso heilig. Niemals hätten sie von Irrtümern in diesen Büchern gesprochen.

Soweit, so klar. Aber was ist mit dem Neuen Testament? Das lag zur Zeit seiner Abfassung ja noch gar nicht vor! Kann es also überhaupt irgendetwas über seine Eigenschaften sagen?

Ja, sogar sehr viel! Denn was wir im Neuen Testament vorfinden ist ja gemäß den Aussagen der biblischen Autoren nichts anderes als die Lehre Jesu und der von ihm bevollmächtigten Apostel, sorgfältig recherchiert auf Basis von Augenzeugenberichten (Lukas 1, 1-4; Joh. 21, 24; 2. Petr. 1, 16). Der Apostel Paulus sagte über sich selbst, dass seine Lehre nicht menschlich sondern göttlich ist (Gal. 1,11-12). Er freute sich, dass die Thessalonischer seine Lehre nicht als Menschenwort sondern als Gottes Worte aufgenommen hatten, was sie seiner Meinung nach tatsächlich sind (1. Thess. 2, 13). Entsprechend stellte Petrus die Briefe des Paulus auf die gleiche Stufe wie die anderen heiligen „Schriften“ und warnte: Wer ihren Sinn verdreht muss mit Gottes Gericht rechnen (2. Petr. 3, 15b-16). Natürlich waren die Apostel an sich weder sünd- noch irrtumslos. Aber die in ihren Schriften festgehaltene Lehre hat für die Kirche absolute Autorität. Das gilt für die von den Evangelisten festgehaltenen Überlieferungen von Jesus natürlich erst recht.

Prof. Armin Baum stellt in seiner ausführlichen Analyse[6] daher fest: Ja, die Irrtumslosigkeit der ganzen Schrift ist tatsächlich ein neutestamentliches Konzept! Es gibt ein biblisches Bibelverständnis, das fest davon ausgeht, dass die Bibeltexte Gottes offenbarte Worte sind.

Allerdings müssen wir dabei ein paar Einschränkungen beachten: Fragen zur Textkritik (also zum exakten Wortlaut des Urtextes), zum Kanon (also z.B. zur Gültigkeit des langen Markusschlusses, der in vielen alten Handschriften fehlt), zur Entstehung der neutestamentlichen Bücher (also z.B. die Frage nach dem Autor) und natürlich zur richtigen Auslegung unterliegen dieser Irrtumslosigkeit nicht. Um Antworten auf diese Fragen zu finden brauchen wir fundierte bibelwissenschaftliche Arbeit. Wir können dankbar sein, dass es solche Wissenschaftler gibt.

Nachdem wir geklärt haben, dass die Unfehlbarkeit der biblischen Texte sowohl für die biblischen Autoren als auch für die Kirchenväter feststand, stellt sich nun als nächstes die wichtige und unter Theologen vieldiskutierte Frage:

Was ist mit der Unfehlbarkeit der Schrift gemeint – und was nicht?

An dieser Stelle wird es richtig spannend. Denn selbst die oft als „fundamentalistisch“ geltende sogenannte „Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Schrift“ macht zur Unfehlbarkeit der Bibel jede Menge Einschränkungen: Das Fehlen an moderner technischer Präzision, Unregelmäßigkeiten bei der Grammatik oder der Rechtschreibung, die Beschreibung der Natur aus einem subjektiven Blickwinkel, gerundete Zahlen, die thematische statt chronologische Anordnung eines Stoffs, die Verwendung freier Zitate: All das spricht laut dieser Erklärung nicht gegen die Irrtumslosigkeit der Bibel.[7] Wie kann das sein? Müsste eine unfehlbare Schrift nicht in jeder denkbaren Hinsicht vollkommen korrekt sein?

Nein. Denn bei der Verwendung des Begriffs „unfehlbar“ oder „irrtumslos“ müssen wir unbedingt das folgende Grundprinzip beachten:

Die Bibel ist unfehlbar in dem, was sie aussagen will!
Sie ist irrtumslos in Bezug auf ihre Aussageabsicht!

So schrieb der Theologe Prof. Gerhard Maier zur oben bereits zitierten Lausanner Erklärung:

„Ähnlich hat die Lausanner Verpflichtung in ihrem Artikel 2 formuliert, das Wort Gottes „sei ohne Irrtum in allem, was es verkündigt“ – präzisieren wir: was es verkünden will. Es muss durchaus noch festgestellt werden, welche historischen Auskünfte die Heilige Schrift zu geben beabsichtigt.“ [8]

Diese Ergänzung ist in der Tat wichtig. Das erleben wir auch in unserer normalen Alltagskommunikation. Wenn z.B. ein Meteorologe im Wetterbericht sagt: „Um 7.46 Uhr geht die Sonne auf“, dann ist das naturwissenschaftlich gesehen natürlich völliger Unsinn. Die Sonne geht nicht auf! Vielmehr dreht sich die Erde, so dass die Sonne wieder sichtbar wird. Trotzdem würde wegen dieser Formulierung niemand den Bildungsgrad des Meteorologen in Frage stellen. Denn jeder weiß ja: Von einem Sonnenaufgang zu sprechen ist zwar objektiv falsch, aber subjektiv, d.h. aus der Sicht eines menschlichen Beobachters, völlig richtig. Genau dieses Prinzip müssen wir auch bei der Bibel beachten und die Frage stellen: Was wollte der Autor sagen? Welche Perspektive, welches Wahrheitsverständnis hat der Autor seiner Aussage zugrunde gelegt? Welche Erwartungen hatten die damaligen Leser, um die Aussagen als wahr einzustufen?

Wenn wir Zitate im Neuen Testament analysieren merken wir zum Beispiel schnell: Ein Zitat musste damals nicht wörtlich exakt sein, um als wahr zu gelten. Aber es musste inhaltlich stimmen! Ein frei erfundenes Zitat hätte man auch damals schon als Fake-News eingestuft. Irrtumslosigkeit der Schrift heißt vor diesem Hintergrund also: Jesus hat nicht unbedingt jeden Satz Wort für Wort genau so gesagt, wie wir es in der Bibel lesen (das geht ja auch schon deshalb nicht, weil er in einer anderen Sprache redete als das Neue Testament abgefasst wurde). Aber wir können gemäß dem Selbstzeugnis der biblischen Autoren (Lukas 1,3; Johannes 21, 24) sicher sein: Jesus hat inhaltlich genau das gesagt, was uns das Neue Testament berichtet!

Natürlich müssen wir beim Lesen eines Bibeltexts immer auch beachten, in welche Situation, in welches kulturelle Umfeld und in welche heilsgeschichtliche Zeit (alter oder neuer Bund?) ein Text hineingesprochen wurde. Und wir müssen klären, welche Textgattung vorliegt: Hat der Text den Anspruch, eine Geschichte zu erzählen, die wirklich in Raum und Zeit passiert ist? Oder handelt es sich um symbolische Redeweise? Das ist z.B. beim Buch Hiob gar nicht so leicht zu klären und muss daher bibelwissenschaftlich ergebnisoffen untersucht und diskutiert werden. Wenn wir diese Punkte sauber beachten klärt sich die nächste Frage, die in diesem Zusammenhang oft gestellt wird, fast schon von selbst:

Müssen wir die Bibel wörtlich nehmen?

Ich habe extra noch einmal nachgeschaut. Und tatsächlich: In meiner Bibel gibt es ausschließlich Wörter. Es sind keine Bilder drin! Ich kann also gar nicht anders, als die Bibel Wort für Wort beim Wort zu nehmen. Anders als wörtlich ist die Bibel nicht zu haben. Nur: Was heißt das praktisch?

Wenn mein Chef mir heute sagt: „Herr Till, ich habe Ihnen schon 1000 mal gesagt, dass Sie nicht zu spät kommen sollen!“ dann würde ich ihn nicht beim Wort nehmen, wenn ich ihm antworten würde: „Stimmt nicht, Chef, ich hab mitgezählt: Es waren nur 18-mal!“ Genauso wenig nehmen wir Jesus beim Wort, wenn wir seine Aussage, dass wir 7 mal 70 mal vergeben sollen (Matthäus 18, 21-22) als Aufforderung verstehen, eine Strichliste anzulegen. Jesus wörtlich nehmen heißt hier: Die tiefe Symbolik verstehen, die hinter diesen Zahlen steckt.

Auch dieses Beispiel unterstreicht: Die Irrtumslosigkeit der Schrift hängt untrennbar mit ihrer jeweiligen Aussageabsicht zusammen. Der Glaube an die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit wird dann schräg, wenn er der Bibel eine falsche Aussageabsicht und einen falschen Wahrheitsbegriff überstülpt.[9] Es ist die Aufgabe der historischen Bibelwissenschaft, die jeweilige Aussageabsicht vorurteilsfrei zu erforschen und herauszuarbeiten.

Dabei muss allerdings darauf geachtet werden, bibelfremde von bibeleigenen Kriterien zu unterscheiden. Bibelfremde Kriterien wären zum Beispiel:

  • Wunder sind aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht möglich.
  • Erkenntnisse der modernen Geologie sprechen dagegen, der Sintflutgeschichte einen historischen Wert beizumessen.

Solche Aussagen, die sich aus den aktuellen Ansichten der heutigen Welterkenntnisse speisen, fließen natürlich immer auch in unsere Analyse der Bibel mit ein. Und das ist auch gut so! Wissen, Vernunft, Erfahrungen, kirchliche Bekenntnisse, Auslegungen wichtiger Theologen oder die Frage nach der Frucht einer bestimmten Auslegung („Wirkungsgeschichte“) dürfen und sollen bei jeder Bibelauslegung berücksichtigt werden. Sie können helfen, die Bibel besser zu verstehen. Das reformatorische „Sola scriptura“ besteht jedoch darauf: Über all dem muss letztlich die Schrift regieren! Sie hat das letzte Wort! Sie muss sich selbst auslegen! Nur die bibeleigenen Kriterien und Aussagen dürfen (nach gründlicher Klärung ihrer Aussageabsicht) für eine theologisch saubere Beweisführung verwendet werden.

Wenn wir dieses Prinzip auf die Erzähltexte im Neuen Testament anwenden wird klar: Diese Berichte (und gerade auch die Wundergeschichten) sind nicht nur symbolisch sondern ganz eindeutig auch historisch gemeint. Denn das ist ausdrücklich ihr eigener Anspruch, wie z.B. der Theologe Armin D. Baum nachgewiesen hat![10] Die Apostel wollten ganz bewusst keine abstrakten theologischen Ideen verbreiten sondern berichten, was sie gehört und gesehen hatten! Gottes reales und oft auch wunderwirkendes Handeln in Raum und Zeit war ein entscheidender Bestandteil ihrer theologischen Botschaft. Deshalb gilt: Wer die Ereignisse und Wunder des Neuen Testaments in Frage stellt, stellt den Kern des Christentums in Frage. Wenn wir die Bibel an Philosophien wie z.B. den Naturalismus (der Glaube, dass Wunder grundsätzlich niemals vorkommen), an Erfahrungen oder an Aussagen eines kirchlichen Lehramts anpassen, dann hebeln wir das „Sola scriptura“ aus und erheben menschliche Vorstellungen zum obersten Richter über die Aussagen der Bibel – mit gravierenden Folgen, wie der letzte Abschnitt dieses Artikels zeigen soll:

Warum ist die Frage nach der Unfehlbarkeit überhaupt wichtig?

Sind Diskussionen um solche Fragen nicht wieder mal so ein überflüssiges theologisches Gezänk, das nichts als Streit unter Christen verursacht? Warum sollen wir uns überhaupt damit befassen?

In seinem vielbeachteten Grundsatztext zu einer neuen „Hermeneutik der Demut“ schrieb der Theologe Prof. Heinzpeter Hempelmann:

Die Bibel ist unfehlbar. […] Die Bibel ist als Gottes Wort Wesensäußerung Gottes. Als solche hat sie teil am Wesen Gottes und d.h. an seiner Wahrheit, Treue, Zuverlässigkeit. Gott macht keine Fehler. […] Sowohl philosophische wie theologische Gründe machen es unmöglich, von Fehlern in der Bibel zu sprechen. Mit einem Urteil über Fehler in der Bibel würden wir uns über die Bibel stellen und eine bibelkritische Position einnehmen.“ […]  Das „machte eine Auslegung der Heiligen Schrift als solche sinn-, zweck- und ergebnislos. […] Es maßte sich ja einen „Gottesstandpunkt“ an, wer in ihr unterscheiden wollte zwischen Gottes- und Menschenwort, zeitbedingt und zeitlos gültig. Eine Hermeneutik der Demut steht nicht auf der Schrift, schon gar nicht über ihr.“ [11]

Damit ist der Kern des Problems angesprochen, der sich bei diesem Thema ergibt. Wenn es in der Bibel Fehler, Irrtümer, Widersprüche und eine „Vielfalt theologischer Meinungen“ [12] gibt, wenn sie nur Gottesworte enthält statt ganz und gar Gottes Wort zu sein, dann ergeben sich zwangsläufig eine ganze Reihe schwerwiegender Fragen: Wer unterscheidet dann zwischen Menschenwort und Gotteswort, zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen richtig und fehlerhaft, zwischen Widerspruch und sich ergänzendem Paradox? Nach welchen Kriterien? Auf welcher Basis können wir dann noch gesichert theologisch argumentieren? Welche theologischen Ergebnisse können dann als gesicherte Glaubensgrundlage der Kirche gelten?

Die Geschichte der Theologie der letzten 2 Jahrhunderte zeigt eindrücklich: Niemand, der sich von der Irrtumslosigkeit der Schrift verabschiedet hat, konnte diese Fragen jemals beantworten. Kein menschliches Kriterium konnte sich zur Unterscheidung zwischen richtig und falsch in der Bibel jemals durchsetzen. Im Gegenteil: Die Aufgabe des Grundsatzes, dass die Bibel die irrtumslosen Stimmen der Apostel und Propheten überliefert, hatte katastrophale Folgen für die Kirche. Prof. Armin Baum hat darauf hingewiesen, dass inzwischen „mit bibelwissenschaftlichen Argumenten nahezu jede Aussage des Apostolischen Glaubensbekenntnisses bestritten worden“ ist.[13] Das ist auch kein Wunder! Denn wenn die Bibel Irrtümer enthält, dann ist auch der „Schriftbeweis“ in der Theologie außer Kraft gesetzt. Schon Jesus hatte theologische Diskussionen mit der Frage entschieden: „Habt ihr nicht gelesen?“ (z.B. Matthäus 12, 3). Die Einwohner Beröas haben durch Forschen in der Schrift geprüft, ob der Apostel Paulus die Wahrheit lehrt (Apg. 17, 11). Wenn der Schriftbeweis aber nicht mehr verlässlich gilt, weil die biblischen Autoren sich ja geirrt haben könnten, dann muss er durch menschengemachte Kriterien ersetzt werden. Dann wird Theologie zwangsläufig subjektiv und zeitgeistabhängig. Dann…

  • gibt es keine verbindlichen gemeinsamen Glaubensgrundlagen und -gewissheiten mehr.
  • wird die Einheit der Kirche von innen ausgehöhlt.
  • verliert die Kirche ihre Botschaft, ihre Glaubwürdigkeit und ihre missionarische Kraft (Jo­hannes 17, 21-23).

All das muss ich in meiner evangelischen Kirche heute leider live und leidvoll beobachten. Die Diskussion um die Unfehlbarkeit der Bibel ist deshalb alles andere als ein kleinliches Gezänk von theologisch interessierten Spezialisten oder von Leuten, die ihr Sicherheitsbedürfnis durch eine klar definierte Dogmatik befriedigen müssen. Bei diesem Thema geht es für die Kirche ans Eingemachte!

Der Apostel Paulus schrieb einst: „Wir sind sein Haus, das auf dem Fundament der Apostel und Propheten erbaut ist mit Christus Jesus selbst als Eckstein.“ (Epheser 2, 20) Damit wird klar: Wer die Autorität der Apostel und Propheten untergräbt, deren Stimme wir heute in der Bibel vernehmen können, der untergräbt letztlich das Fundament der ganzen Kirche. Das massive Schrumpfen sämtlicher liberaler Kirchen in der westlichen Welt demonstriert das eindrücklich.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns wieder neu und leidenschaftlich dazu bekennen: Die Bibel ist zwar ganz Menschenwort, aber eben auch ganz Gotteswort! Alle Theologen irren. Aber die Autoren der Bibel irren niemals! Die Bibel muss die Bibel auslegen.[14] Nur sie ist die „Königin“[15], die „norma normans“, die eine maßgebende Norm, an der sich Alles orientieren muss. Einen anderen Maßstab für Erkenntnisse über Gott, Jesus, das Evangelium, unsere Herkunft, unsere Zukunft und das Leben nach dem Tod haben wir Menschen nicht. Wenn wir diesen Maßstab aufgeben sind wir verloren.

Ich bin überzeugt: Die Kirche der Zukunft wird eine Kirche sein, die die Bibel mit Leidenschaft und brennendem Herzen liest. Sie wird sich vor den Worten der Bibel beugen statt die Bibel durch die Weisheit dieser Welt in die Knie zu zwingen. Fehler und Widersprüche wird sie nicht in der Bibel sondern mit Hilfe der Bibel in ihrem Herzen finden. So war es in Erweckungszeiten immer gewesen. Beten und arbeiten wir dafür, dass wir eine solche Kirche zur Ehre Gottes bald schon wieder sehen dürfen.


Danke an Martin Till für die Anregungen zu diesem Artikel!

Leseempfehlung: Is new testament inerrancy a new testament concept? A traditional and therefore open-minded answer Eine fundierte Analyse von Prof. Armin D. Baum in JETS 57/2 (2014) S. 265-80

[1] Aus „Assertio omnium articulorum“, 1520

[2] Ignatius an die Magnesier 13,1; zitiert von Armin D. Baum in „Der Kanon des neuen Testaments“ 2018

[3] Th. Zahn, Geschichte des neutestamentlichen Kanons. 2 Bde. Erlangen: Deichert, 1888/92, I/2, 805; zitiert von Armin D. Baum in „Der Kanon des neuen Testaments“ 2018

[4] Im „Bericht der internationalen Konsultation der katholischen Kirche und der Weltweiten Evangelischen Allianz“ S. 9, siehe dazu auch der ausführliche kirchengeschichtliche Überblick von John Woodbridge “Did Fundamentalists invent Inerrancy?”

[5] in „Weiterglauben“, Brendow 2018, S. 80

[6] Armin D. Baum: Is new testament inerrancy a new testament concept? JETS 57/2 (2014) 265-80; siehe dazu auch der AiGG-Artikel über “Das biblische Bibelverständnis”

[7] Siehe dazu Artikel 13 der Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Schrift

[8] Im Vortrag „Konkrete Alternativen zur historisch-kritischen Methode“ 1980, Hervorhebung nachträglich

[9] Genau vor diesem Hintergrund verwirft auch Prof. Heinzpeter Hempelmann einen Irrtumslosigkeitsbegriff, der von einem aus seiner Sicht falschen „heidnischen“ „mathematisch-rationalen“ statt „hebräisch-biblischen“ Wahrheitsbegriff ausgeht. Er fordert: „Ich unterwerfe die Bibel nicht meinem Wahrheitsdenken, sondern lasse mir in der Begegnung mit Gottes Wort mein Bewertungsverhalten umkehren.“ In: „Plädoyer für eine Hermeneutik der Demut“ von Heinzpeter Hempelmann, Abschnitt 3.3 + 3.4

[10] „Die Prologe des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte unterscheiden sich so stark von den Anfängen antiker Epen, sind so eng mit den Prologen der antiken Geschichtsschreibung verwandt und inhaltlich so eindeutig historisch orientiert, dass an der Intention des Autors, Geschichte zu schreiben, nicht gezweifelt werden kann. Im lukanischen Doppelwerk erzählt kein von den Musen inspirierter Künstler, sondern ein sich auf Augenzeugen berufender Historiker (Lk 1,2).“ (Prof. Dr. Armin D. Baum in „Einleitung in das Neue Testament“ S. 311-312)

[11] Aus „Plädoyer für eine Hermeneutik der Demut“ von Heinzpeter Hempelmann, Abschnitt 3.2 bzw. 2.5

[12] H. Conzelmann & A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 3

[13] Prof. Armin D. Baum in: „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? Eine Rückmeldung an Siegfried Zimmer.“ (Ichthys 46, 2008, S. 86)

[14] „Sacra scriptura sui ipsius interpres“

[15] So schrieb Martin Luther in seiner „Assertio omnium articulorum“ von 1520: „Ich will, dass die Schrift allein Königin sei.“

8 Gedanken zu „Ist die Bibel unfehlbar?“

  1. “Deshalb gilt: Wer die Ereignisse und Wunder des Neuen Testaments in Frage stellt, stellt den Kern des Christentums in Frage. Wenn wir die Bibel an Philosophien wie z.B. den Naturalismus (der Glaube, dass Wunder grundsätzlich niemals vorkommen), an Erfahrungen oder an Aussagen eines kirchlichen Lehramts anpassen, dann hebeln wir das „Sola scriptura“ aus (…)”

    Da gehe ich nicht mit. Für mich gilt: Wo die Bibel der Physik widerspricht, stimmt sie nicht.

    Ich rede hier nicht von High-End-Physik, sondern von Wunderberichten wie dem Stillstand der Sonne bei Josua, die mit Grundlagen der Mechanik nicht zusammenpassen. Wenn ich behaupten muss, so etwas das für wahr zu halten, um als Christ anerkannt zu werden, dann muss ich auf die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Gläubigen leider verzichten.

    Antworten
    • Das mit der Physik ist ein guter Punkt, wie ich finde. Bei solchen Stellen wie der Schöpfungsgeschichte oder auch der Josua-Geschichte muss man natürlich (wie auch sonst immer) den Text (und auch den historischen Zusammenhang) sorgfältig befragen, wie der Text zu verstehen ist. Das ist oben ja schon sehr schön zur Sprache gekommen. Zu den konkreten Beispielen: bei der Schöpfungsgeschichte neige ich dazu, zu sagen, er erhebe selbst nicht den Anspruch ein historischer Text zu sein (Bericht schon gar nicht, denn er ist rückblendende Prophetie). Aber die Josua-Geschichte scheint mir klar ein geschichtlicher Bericht sein zu wollen. Wie soll so ein globales Ereignis erklärt werden? Die Antwort ist klar: es geht nicht. Wenn ich versuchen wollte, es inkonsequent unter der Annahme der Geltung aller physikalischen Gesetze zu „glauben“, ergibt sich ein ziemlich lustiges Bild: Gott bremst also die Erdrotation in sehr kurzer Zeit auf Null ab. Alle mit der Erde mit rotierenden Gegenstände, alle Menschen, alle Meere, bewegen sich aufgrund der Massenträgheit plötzlich mit einer vom Breitengrad abhängigen Relativgeschwindigkeit von bis zu 1700 Stundenkilometern über die Erdoberfläche … da haben wir den Salat. Das war’s dann also mit dem Wunder – falls den Israeliten nicht auch noch die ganze Erdkruste um die Ohren fliegt, wer weiß es schon? Aber von all dem Chaos berichtet das Buch Josua erstaunlicherweise nichts. Merkwürdig.
      Ich möchte einige meiner grundsätzlichen Gedanken über das Verhältnis zwischen Wahrheit in der Physik und Wahrheit in der Bibel an dieser Stelle zur Debatte stellen. Möglicherweise steht auch in diesem Blog schon etwas darüber, ich hoffe, ich wiederhole nichts unnötig. Ich muss aber etwas weiter ausholen.
      „Der Geist des Menschen ist eine Leuchte des HERRN, durchforschend alle Kammern des Leibes.“ (Spr 20,17) (RevElbGB)
      Ist das vielleicht (als Nebeninformation) auch ein Auftrag, sich selbst auf die Reise zu machen? Selbst nach den Dingen zu suchen, die unsere Materie zusammenhalten? Der Mensch kann die Natur beobachten, Zusammenhänge erkennen, deuten. Die physikalische (ich meine damit die raumzeitliche) Wirklichkeit ist dem Menschen im Grundsatz zugänglich. Weil der Mensch die Fähigkeit hat, soll er sich auch befleißigen, beobachten, forschen, modellieren, rechnen – Physik betreiben (bitte nicht als Gebot für jedes Menschenkind verstehen! ).
      Was ist der Anspruch der Physik (oder der Naturwissenschaften allgemein – ich schränke mich gern auf die Physik ein, weil das mein Fach ist)? Grundsätzlich sei bemerkt, das ein Teil des physikalischen Selbstverständnisses in der Populärwissenschaft nach meiner Beobachtung fast immer unterschlagen wird: die Physik als Wissenschaft ist nicht äquivalent zur physikalischen Wirklichkeit (schon gar nicht identisch). Die Physik als Wissenschaft beschreibt die physikalische Wirklichkeit. Das zu bemerken ist ebenso wichtig, wie die Tatsache, dass die Bibel nicht äquivalent zu Gott ist, sondern Gott beschreibt. Vielleicht kann das Verhältnis von Wissenschaft und Wirklichkeit als (halbwegs zutreffende) Veranschaulichung für das Verhältnis von Bibel und Gott herhalten.
      Die Aufgabe des Physikers ist es, die Vorgänge der physikalischen Wirklichkeit zu beobachten und zu beschreiben. Als kleine Geschichte: Der Physiker guckt und weil er Mathe mag, versucht er das, was er sieht, mathematisch zu beschreiben. Was für ein irrsinniger Einfall! Eine blank theoretische, logische Kopfgeburt namens Mathematik soll irgendetwas physikalisch Wirkliches gut beschreiben können? Doch der Physiker ist gläubig. Er glaubt an Ordnung. Und Mathematik ist sehr ordentlich, deswegen versucht er es einfach. Und siehe da, er findet eine Theorie, wie die Wirklichkeit funktionieren könnte, ein Modell, eine mathematische Formel. Nun probiert er aus. Er führt Versuche mit der zu beschreibenden physikalischen Wirklichkeit aus. Und bei allen Versuchen zeigt sich, dass er mit seiner mathematischen Formel das Verhalten der physikalischen Wirklichkeit vorhersagen kann. Es läuft immer ähnlich ab. Es läuft gesetzmäßig ab. Und er hat ein Modell gefunden, welches diese Gesetzmäßigkeit beschreibt. Ein Tag zum Feiern! Stolz nimmt er seine mathematische Formel, schreibt in Sonntagsschrift „Physikalisches Gesetz“ (oder Modell oder Theorie) drüber und rahmt es ein. Dieses Gesetz wird von nun an bei all seinen Freunden und bei allen interessierten Physiklaien gelten, bis einer seiner Freunde es durch ein Gegenbeispiel in der physikalischen Wirklichkeit widerlegt.
      Welcher Grundannahme gibt sich dieser liebenswerte Herr Physiker hin? Er glaubt, dass die physikalische Wirklichkeit sich gesetzmäßig verhält. Hätte er es nicht geglaubt, hätte die Arbeit an seinem Gesetz nicht angefangen. Allein aber die Gesetzmäßigkeit der Natur und die mathematische Beschreibbarkeit derselben ist für den Physiker vielleicht das größte und unglaublichste Wunder. Vielleicht glaubt er deshalb auch an irgendeinen Gesetzgeber, auch wenn er nichts Näheres über ihn (oder es) weiß? Ich weiß es nicht. Da müsst ihr ihn selbst fragen.
      Welcher Grundannahme gibt sich ein bibeltreuer, christusgläubiger Physiker hin? Weil er der Bibel unbedingt glaubt, geht er davon aus, dass der an sich unphysikalisch-raumlos-zeitlose Schöpfergott die physikalische Wirklichkeit durchwaltet: „er [Christus] ist vor allen, und alle Dinge bestehen durch ihn“ (Kol 1,17) (RevElbGB). Auch wenn dies im Bezug auf die physikalische Wirklichkeit eher eine Nebenaussage im Zusammenhang des Kolosserbriefes ist, tue ich dem Text meines Erachtens keine Gewalt an, wenn ich hier sage: die augenscheinliche Ordnung der physikalischen Wirklichkeit ist ohne Christus als Schöpfungsmittler (z.B. Kol 1,16) und einzigen Grund der Schöpfungserhaltung undenkbar. Anders gesagt: die physikalischen Gesetze funktionieren, weil Christus die Welt nicht aufgegeben hat. Zugegeben, das mag eine sonderbare, vielleicht steile These sein. Ich werde sie an dieser Stelle aber trotzdem nicht weiter begründen – bin überdies selbst noch nicht fertig bin mit dem Denken .
      Damit bin ich aber auch endlich beim Kern meiner Ausführung: der Teil der physikalischen Wirklichkeit, die der Physiker mit seinen physikalischen Theorien (=Modellen) treffend beschreiben kann oder theoretisch mit aller zu erlangenden wissenschaftlichen Erkenntnis gesetzmäßig beschreiben könnte, ist in Bezug auf Gott physikalisch-normales (d.h. gesetzmäßiges) Wirken Gottes. Der Teil der physikalischen Wirklichkeit, die für den Physiker nicht erschließbar ist und sein kann (falls ein solcher Teil existiert), ist physikalisch-anormales (d.h. nicht-gesetzmäßiges) Wirken Gottes (wobei man hier auch vom „Handeln“ sprechen kann).
      Folgerung: Falls der dargestellte gläubige Physiker ein physikalisch-anormales Wirken Gottes nicht als Gottes unwürdig oder als ihm wesensfremd oder, oder, oder … ansieht, wird er in aller (!) wissenschaftlicher Redlichkeit, logisch einwandfrei und ohne jegliche Vergewaltigung seiner Vernunft an Wunder glauben können. Und zwar völlig unabhängig von ihrem Ausmaß. Ich betone: völlig unabhängig von ihrem Ausmaß. Meint er aber, Gott regiere ausnahmslos durch physikalisch-normales Wirken, so wird er Wunder leugnen müssen. Und damit die Glaubwürdigkeit der Bibel – vorausgesetzt er sieht ein, dass ihre Schriften sich selbst höher einschätzen als er es tut.
      Voraussetzung der physikalischen Wissenschaft ist das gesetzmäßige Verhalten der physikalischen Wirklichkeit. Das schließt nicht aus, dass sich der Physiker Gedanken über die Möglichkeit von nicht-gesetzmäßigem Verhalten der physikalischen Wirklichkeit oder gar über die Existens einer gänzlich nichtphysikalischen Wirklichkeit (und/oder Wahrheit) macht. Aber es ist eben nicht die Aufgabe der Physik.
      Was ich damit zu verdeutlichen versucht habe: nicht die Logik zwingt den Physiker zur Ablehnung von Wundergeschichten in der Bibel. Vielmehr veranlasst ihn etwa sein Erfahrungsglaube (z.B. dass die Natur sich immer gesetzmäßig verhält) dazu. Es handelt sich im Kern um eine weltanschauliche Frage, weniger um eine physikalische und noch viel weniger um eine logische.
      Conclusio: Sie stellen mit ihrer Aussage „Wo die Bibel der Physik widerspricht, stimmt sie nicht“ logisch betrachtet eine falsche Alternative auf.
      Nebenbei: für mich ist es deshalb völlig schlüssig, dass Gott den Bibelschreibern z.B. in der Schöpfungsgeschichte nicht den physikalischen Befund offenbart hat. Zum einen hätten sie selbst (und vielleicht auch wir heute?!) gar nichts davon begriffen. Die Heilige Schrift erzählt uns mit der Schöpfungsgeschichte eine grundsätzliche Wahrheit, auf die wir in derartiger Tiefe und Gründlichkeit von allein nie gekommen wären (These ohne Begründung). Gott sagt uns das, was wir brauchen und auf eigene Faust (erkenntnistheoretisch) nicht wissen können. Was wir von uns aus erkennen können, das überlässt er offenbar gern uns – sonst wäre die Bibel vielleicht ein Physikbuch. Für unsere Neugierde sind da Tür und Tor offen, nach einer physikalischen Theorie zu suchen, die die physikalische Wirklichkeit gut beschreibt.
      Gruß aus dem Münsterland!
      D. Schellenberg
      P.S.: Ich habe das alles so geschrieben, wie ich es einigermaßen begründet für richtig halte. Dabei bleibe ich solange, bis ich eines Besseren belehrt werde

      Antworten
  2. Apropos Physik. Da fällt mir gerade ein Wort Jesu ein, als es in der Diskussion mit den Sadduzäern um die Möglichkeit der Auferstehung der Menschen ging:
    “Irrt ihr nicht deshalb, weil ihr weder die Schriften (des AT) noch die Kraft Gottes kennt?” (Mk 12,24).
    In der ganzen Diskussion fällt mir auf, dass sehr viel über die Bibel gesprochen wird, aber die Bibel selbst vielleicht doch zu wenig zur Sprache kommt. War es nicht der Grundsatz für jede Schriftauslegung: Sacra Scriptura sui ipsius interpres = Die Heilige Schrift legt sich selbst aus?
    Das Geheimnis von Billy Graham soll gewesen sein: “The bible says”. Und dann zitierte er die Schrift wörtlich. Er bezeugte, dass gerade die ausgesprochenen Schriftworte eine starke Kraft auf die Zuhörer ausübten. Dass die zitierten Schriftworte interpretiert werden müssen, versteht sich wohl von selbst. Aber doch zuerst auch, wenn möglich, mit der Bibel. Vor allen kontextuellen und hermeneutischen Überlegungen steht das Gebet und die Exegese, das geistliche Durchdringen der Texte selbst. Das Hören auf den Heiligen Geist, wie er uns die Schrift auslegt. Zuletzt geht es doch um die Durchschlagskraft des Wortes Gottes, dass wir dafür Platz schaffen.
    Luther schrieb 1518 als Professor an die Lehrer und Prediger:
    „Dass man die Heilige Schrift nicht mit Studium und Talent durchdringen kann, ist ganz sicher. Darum ist eure erste Pflicht, mit Gebet anzufangen und darum zu flehen, dass es Gott gefallen möge, etwas zu seiner Ehre zu vollbringen – er kann euch in großer Gnade wahres Verständnis seines Wortes schenken.“ Luther weiter: „Ihr müsst daher ganz und gar an eurem Eifer und an eurer Tüchtigkeit verzweifeln und euch allein auf die Inspiration des Heiligen Geistes verlassen.“ Und noch einmal Luther: „Weil die Heilige Schrift in Furcht und Demut behandelt sein will und eher durch Studium unter ehrfürchtigem Gebet durchdrungen sein wird als durch Schärfe des Verstands, ist es für solche, die sich nur auf ihren Verstand verlassen und in der Schrift mit schmutzigen Füßen eindringen wie Schweine, als sei die Heilige Schrift nichts als eine Art menschlicher Erkenntnis, unmöglich, nicht sich selbst zu schaden und alle, die sie unterweisen.“
    Ergo: Wahre Schrifterkenntnis wächst auf dem Boden der eigenen eingestandenen Unwissenheit, des Zweifels an sich selbst und der Zuflucht zu Gott, der Ehrfurcht vor ihm und dem kindlichen Vertrauen im flehenden Gebet um Erkenntnis Gottes, dass der himmlische Vater sein Kind mit der nötigen Erleuchtung durch den Heiligen Geist beim Schriftstudium versorgt.

    Antworten
  3. Lieber Markus,
    gerne gebe ich Dir (oaky?) die Stellenangaben. Sie fand ich in dem Büchlein von John Piper: Überwältigt von Gnade, in dem er speziell auf Augustin, Luther und Calvin eingeht.
    Die Zitate habe ich aus dem Abschnitt über Luther: Heilige Studien (ab S. 109). Meine Zitate sind dort auf den Seiten 147-148 zu finden. Die Quellenangaben von Piper entstammen ausschließlich englischsprachiger Literatur (siehe: Anmerkungen ab S. 154).
    Wäre schön, wenn wir uns mal treffen könnten. Martin und Ingeborg kenne ich ja schon lange. Wir waren vielen Jahre zusammen in der Gemeinschaft in Marburg-Süd.

    So verbleibe ich mit herzlichen Grüßen mit Judas 1,3!
    Helmut Blatt

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu D. Schellenberg Antworten abbrechen