Anmerkungen zum idea Streitgespräch

4. Juli, 11.00 Uhr, Frankfurt am Main. Der Termin in meinem Kalender bedeutete ein kleines Abenteuer für mich. Nach meiner Rezension zum neuen Buch von Prof. Thorsten Dietz “Weiterglauben”und seiner Antwort im Blog von Tobias Faix hatte sich Karsten Huhn von idea gemeldet und uns eingeladen zum „idea-Streitgespräch“, das in der Ausgabe Nr. 29/30 am 18.07.2018 veröffentlicht wurde. Ich als Laie in einer öffentlichen Diskussion mit einem derart profilierten Theologen? Kann das gut gehen?

Die Begrüßung war jedenfalls schon einmal sehr herzlich, geradezu fröhlich. Herr Dietz und Herr Huhn sind zwei überaus sympathische Menschen. Als Herr Huhn nach gut 1 Stunde Gespräch das Mikro abschaltete packte mich aber erst einmal der Frust. Ich hatte mir doch so viele Argumente zurechtgelegt. Viele davon hatte ich gar nicht anbringen können. Aber logisch: In dieser kurzen Zeit kann man solche anspruchsvollen Themen unmöglich fundiert zu Ende diskutieren. Das meiste wird zwangsläufig nur angerissen.

Umso mehr freue ich mich, dass Sie hier in meinem Blog vorbeischauen! Denn ein paar der Aussagen aus dem Gespräch würde ich gerne noch ein wenig erläutern. Z.B. diese hier:

„Der Versuch, den Ursprung aller Dinge rein naturalistisch zu erklären, ist bislang kra­chend gescheitert.“

Herr Dietz hält das für Dogmatik, da sich die offenen Fragen in der Entstehung der Lebewesen ja vielleicht zukünftig noch klären könnten. Nun, das ist natürlich denkbar. Aber der Trend scheint mir dagegen zu sprechen. Denn soweit ich es sehe, sind die offenen Fragen in den letzten 150 Jahren eben nicht kleiner sondern stetig größer geworden. Noch nie wussten wir so viel über die unfassbare Komplexität selbst der einfachst denkbaren Lebensformen und über die enormen Schwierigkeiten, das Evolutionsmodell mit den vorhandenen Fakten in Einklang zu bringen, wie ich in dem Artikel „Evolution – ein Welterklärungsmodell am Abgrund?“ berichte. Und in “4 Dinge, für die ich Atheisten bewundere“ werden die 4 wichtigsten Gründe zusammengefast, warum ich den Versuch, die Entstehung der Welt ohne Gott erklären zu wollen, für sehr kühn, letztlich für unmöglich halte.

Nicht wirklich beantwortet habe ich im Streitgespräch die folgende Frage von Herrn Dietz:

Wie kriegen Sie es hin, dass die biblische Frühgeschichte in nur 6.000 Jah­ren Platz findet? Sehen Sie dafür auch nur eine Denkmög­lichkeit?

Wie gesagt: Da gibt es natürlich viele offene Fragen. Ich möchte hier aber wenigstens darauf hinweisen, dass es neben den innerbiblischen Argumenten für eine Historizität der Urgeschichte durchaus auch außerbiblische Argumente gibt. Einige erstaunliche Fakten habe ich im Artikel „Geschichten, die die Welt bewegen“ kurz angerissen. Dazu gibt es auf der Seite von Wort und Wissen eine gute Zusammenfassung von Fakten, die durchaus gut zur Annahme einer jungen Erde passen. Allerdings möchte ich auch noch einmal wiederholen: Ich kann durchaus auch damit leben, wenn einige Theologen wie Johannes Hartl oder Timothy Keller nicht zwingend von einer historischen biblischen Urgeschichte ausgehen, solange sie ihre Position aus der Bibel heraus begründen und damit nicht auch die theologischen Aussagen der Urgeschichte über Bord werfen (was ich allerdings angesichts des biblischen Zusammenhangs zwischen Adam und Christus und der biblischen Lehre, dass der Tod eine Folge der Sünde ist (Röm. 5, 12-21; 1. Kor. 15, 21-22) gar nicht so einfach finde).

Kommen wir deshalb zu den wichtigeren Themen der Diskussion, vor allem zur Frage der Unfehlbarkeit der Schrift und meiner Aussage:

„Das Verständnis der Bibel als irrtumsloses, unfehlbares Wort Gottes erscheint mir wichtig“

Dazu möchte ich Ihnen gerne meinen neuen Artikel „Ist die Bibel unfehlbar?“ ans Herz legen, in dem ich diese Aussage ausführlich begründe. Dazu habe ich unter der Überschrift „10 Gründe, warum es auch heute noch vernünftig ist, der Bibel zu vertrauen“ dargelegt, warum der Glaube an die Unfehlbarkeit der Schrift nicht einfach nur naiv ist oder gar ein Rückfall hinter die Aufklärung darstellt sondern dass es auch gute, rationale Argumente für diese Haltung gibt.

Manche fragen sich vielleicht: Warum streitet der Till um solche Fragen? Ist das nicht kleinkariert? Ich finde nicht. Gerade in den letzten Monaten wurde mir deutlich, wie sehr und wie schnell es ans Eingemachte des christlichen Glaubens geht, wenn die Unfehlbarkeit der Schrift in Frage gestellt wird. Die immer wieder gehörte Aussage, dass die Christen unabhängig von ihrem Bibelverständnis sich doch in den wesentlichen Dingen alle einig seien, ist leider ein hohles Versprechen. Am meisten schmerzt mich, dass auch in der evangelikalen Christenheit ganz offensichtlich inzwischen eine große Verwirrung über die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu herrscht, wie ich in meinem Artikel „Das Kreuz – Stolperstein der Theologie“ nachgezeichnet habe. Und das Kreuz ist nun einmal DAS Innerste des Inneren des christlichen Glaubens.

Dazu werden in den Vorträgen der Worthaus-Kollegen von Herrn Dietz noch viel mehr grundlegende christliche Glaubenssätze in Frage gestellt, wie ich in meiner Analyse von Worthaus-Vorträgen („Worthaus – Universitätstheologie für Evangelikale?“) dokumentiert habe. Der Artikel hat offenbar einen Nerv getroffen. Er ist der mit Abstand meistgelesene Artikel meines Blogs und wurde inzwischen mehrfach nachgedruckt. Ganz offensichtlich ist hier eine Entwicklung im Gange, die im evangelikalen Bereich Viele umtreibt. Mir scheint deshalb: Wir müssen reden in „Evangelikalien“. Es ist dringend notwendig, diese Themen offen anzusprechen.

Kommen wir deshalb zur wohl kontroversesten Aussage im Streitgespräch:

„Herr Dietz verwirft die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift.“

Herr Dietz kontert meine These im Gespräch ja mit der Aussage: „Ich schreibe an keiner Stelle „Die Schrift irrt!“ Das stimmt. In seinem Buch gibt es aber gleich mehrere Passagen, die ich nun einmal so verstanden habe, z.B. wenn Herr Dietz folgende Extreme als Negativbeispiele einander gegenüberstellt: „Das ist auf der einen Seite die Irrtumslosigkeit der Bibel und auf der anderen Seite die […] Vorstellung, dass der Historiker über ganz klare Maßstäbe verfüge und von vornherein ausschließen könne, dass Gott redet und tote Menschen auferweckt werden.“ (S. 94) Die Position der Irrtumslosigkeit wird hier mit dem Begriff „Fundamentalismus“ verknüpft und in verschiedener Hinsicht negativ dargestellt.

Aber könnte es vielleicht sein, dass es sich nur um ein großes Missverständnis handelt? Hat Herr Dietz vielleicht gar nicht die Irrtumslosigkeit der Schrift an sich verworfen sondern nur Kritik daran geübt, der Bibel ein aus seiner Sicht falsches, modern rationalistisches Wahrheitsverständnis überzustülpen?

Das würde mich natürlich freuen. Aber diese Frage müsste Herr Dietz letztlich selbst beantworten. Auf meine Erwähnung der Aussagen von Prof. Zimmer, dass die Evangelis­ten Markus, Matthäus und Lukas die Gleichnisse Jesu falsch verstanden hätten (genau gesagt lehrt er, sie hätten ihm eine von Jesus nicht beabsichtigte allegorische Deutung des Gleichnisses vom Sämann nachträglich in den Mund gelegt, siehe dazu dieser Worthausvortrag), hat Herr Dietz im Streitgespräch leider nicht reagiert – obwohl das ja ein klarer Irrtum der Schrift wäre, der laut Prof. Zimmer die gesamte Kirche 1800 Jahre lang auf eine falsche Fährte geführt hat. Stattdessen äußert er, dass inzwischen auch evangelikale Theologen davon reden würden, dass z.B. im Johannesevangelium nicht alle Jesusworte original von Jesus stammen sondern „nach Ostern weiter entfaltet wurden“. Sind also einige der Jesuszitate im NT gar nicht von Jesus selbst sondern ein Resultat nachträglicher „Gemeindebildung“? Ich habe noch einmal nachgeschaut: In seiner “Einleitung in das Neue Testament” erläutert der evangelikale Theologieprofessor Armin Baum ausführlich, dass auch im damaligen Wahrheitsverständnis von Autoren verlangt wurde, dass bei der Wiedergabe direkter Rede zwar nicht der Wortlaut, sehr wohl aber der Inhalt dem Original entsprechen musste. Außerdem arbeitet Baum heraus, dass die Unterschiede zwischen den Synoptikern (Matthäus, Markus und Lukas) und dem Johannesevangelium zwar den Wortlaut und die Häufigkeit bestimmter Begriffe betreffen, dass die Christologie aber im wesentlichen identisch ist.

Begibt sich Herr Dietz hier auf den gleichen Pfad wie der Worthausreferent Prof. Stefan Schreiber, der in seinem Vortrag zwischen einem „historischen“ und einem „urchristlichen“ Jesus sowie zwischen echten und nachträglich in den Mund gelegten Aussagen Jesu unterscheiden möchte? Diese Position hat mich stark an klassisch bibelkritische Ansätze erinnert, wie ich sie im unter Theologiestudenten weit verbreiteten „Arbeitsbuch zum Neuen Testament“ von Conzelmann & Lindemann gefunden habe. Im Artikel „Stolz und Vorurteil? Wie wissenschaftlich ist die Bibelwissenschaft?“ habe ich diese theologische Verwandtschaft beschrieben. Darin findet sich auch der Hinweis auf das von mir im Streitgespräch erwähnte Interview, das der evangelische Theologe Andreas Lindemann 1999 dem Spiegel gab und in dem er äußert, dass die starken Vorbehalte gegenüber dem Wahrheitsgehalt der Evangelien unter Bibelauslegern weit verbreitet sind und noch zuneh­men. Wörtlich sagt er darin sogar: “Dass es sich bei den Evangelien um Lebensbeschreibungen Jesu handelt […] wird seit Jahrzehnten von keinem ernst zu nehmenden Exegeten mehr behauptet.“

Theologen, die die Evangelien für historische Berichte halten, werden an den theologischen Fakultäten also gar nicht ernst genommen? Das lässt meinen Optimismus in Bezug auf die Universitätstheologie natürlich nicht gerade wachsen. Aber, ihr lieben Theologen: Bitte berichtet mir, wenn sich das Blatt an den Universitäten tatsächlich wenden sollte. Ich bin der erste, der diese gute Nachricht begeistert weiter verbreitet. Bis dahin bleibt meine Sorge, dass durch Formate wie Worthaus nicht etwa die Universitätstheologie evangelikaler sondern die evangelikale Christenheit bibelkritischer wird. Zu dem Ziel, den Evangelikalen die Universitätstheologie näher zu bringen, hat sich Prof. Dietz ja gleich auf der ersten Seite seines Vorworts von „Weiterglauben“ erneut ausdrücklich bekannt (im Buch auf S. 9). Ich bleibe dabei: Angesichts der Auswirkungen der Universitätstheologie auf meine evangelische Kirche, für die ich mich ehrenamtlich stark engagiere, kann ich davor nur leidenschaftlich warnen.

Zurück zum Termin am 4. Juli: Der Abschied nach unserem Gespräch und einem guten gemeinsamen Mittagessen beim Thailänder war ebenso herzlich wie die Begrüßung. Ich denke immer noch gerne an diese schöne und spannende Begegnung zurück. Ich hoffe, wir treffen uns wieder – zum fröhlichen Diskutieren und dann vielleicht auch zum gemeinsamen Gebet. Das wäre schön.

Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Dietz, dass er meine laienhaften Gedanken so ernst genommen hat und sich offen dem kritischen Dialog stellt. Das ist alles andere als selbstverständlich! Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Theologen sich der Diskussion auch mit “nervigen Laien” stellen. Und ich bedanke mich vor allem auch bei Karsten Huhn und idea-Spektrum für deren wertvolle Arbeit, die ich hier einmal live und hautnah miterleben durfte.

1 Gedanke zu „Anmerkungen zum idea Streitgespräch“

  1. Nichts unbedingt Neues hat die weitere Diskussion auf idea gebracht. https://www.idea.de/glaube/detail/dietz-die-bibel-ist-nicht-in-allen-historischen-fragen-irrtumslos-106018.html
    Interessant waren aber wiedermal die Kommentare vom Universitätsdozenten SiegfriedSchneebrenner. Nach meinem Wissen ist das sein Pseudonym, unter dem er auch einen Leserbrief in der Printausgabe von idea geschrieben hat. Das zeigt für mich, welches Klima an den theologischen Unis herrscht und wie groß die Angst ist, dort gemobbt oder beruflich kaltgestellt zu werden, wenn man die falsche Meinung vertritt.

    Dabei waren die Schlüsselsätze für mich: “Diese Probleme ergeben sich beim heutigen Kenntnisstand von Geologie und Biologie – aber von einem anderen Kenntnisstand können wir heute nicht ausgehen. Abwägen heißt nun anzuerkennen, dass die Annahme, die Sintflut sei Geschichte, viele Probleme schafft, aber kein einziges löst.” Wer mit einem “wissenschaftlichen” Maßstab an die Bibel herangeht, kann zu keinen anderen Ergebnissen kommen.
    Wer mit solchen Maßstäben an die Auferstehung herangeht, der kommt zum gleichen Ergebnis. Das tut SiegfriedSchneebrenner zwar inkonsequenterweise nicht, doch dürften das wohl sehr viele seiner Kollegen tun. SiegfriedSchneebrenner schreibt bezeichnenderweise von einer “gottlosen Uni-Theologie” und “unendlich viel Gottlosigkeit in der Universitätstheologie”.

    Daß das Vertrauen in die Aussagen der Bibel wegen der vielen identifizierten “Mythen” dabei auf der Strecke bleiben kann – was solls. Ein Problem scheint das für SiegfriedSchneebrenner offenbar nicht zu sein. Er sieht nur die Probleme, die sich aus einem “fundamentalistischen” Glauben ergeben könnten und argumentiert und agitiert daher so gut er kann gegen diesen.

    Nur was werden denn junge Christen um das Konfirmationsalter herum denken, wenn ihnen langsam klar wird, daß das AT quasi nur eine Aneinanderreihung von Mythen, also besseren Märchen, sein soll?

    Zur Arche Noah gibt es relativ neue spannende Forschungsergebnisse und erstaunlich ist auch die Parallele von Sintflutbericht (statt Sintflutgeschichte)/Schöpfung und chinesischen Schriftzeichen, wonach sich beide auf gleiche Ereignisse beziehen: http://www.morgenster.org/zeichen.htm https://www.derbibelvertrauen.de/der-bibel-vertrauen/bibellesen-aber-wie/289-bibel-lesen-und-die-welt-verstehen/985-031-sintflutgeschichten-in-der-ganzen-welt.html http://www.noahsark.site/html/150122_pilgerziel_noahberg.html

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