Warum verbirgt sich Gott?

Warum schreibt Gott nicht einfach an den Himmel, dass es ihn gibt? Nichtchristen nutzen diese Frage oft als Argument gegen den Glauben. Auch unter Christen hat die Rede vom „geheimnisvollen“ und „verborgenen“ Gott Konjunktur. Damit wird heutzutage oft gemeint: Gott sei nicht fassbar, weder mit Lehrsätzen und erst recht nicht mit rationaler Beweisführung. Entsprechend ist Apologetik – die theologische Disziplin zur Verteidigung des christlichen Glaubens mit rationalen Argumenten – aus der Mode gekommen. Aber ist Gott wirklich so geheimnisvoll, dass wir über sein Wesen und seine Existenz nichts Verlässliches wissen können?

Tatsächlich lesen wir in Jesaja 45, 15: „Es ist wahr, du bist ein geheimnisvoller Gott.“ Im Neuen Testament spricht auch Paulus vom verborgenen Geheimnis der Weisheit Gottes. Dazu ergänzt er aber: Für den Gläubigen wurde durch den Geist das Geheimnis enthüllt (1. Korinther 2, 7-10)! Gemäß ihrem Selbstzeugnis stellt die Bibel insgesamt eine Enthüllung bzw. Offenbarung Gottes dar (2. Timotheus 3, 16). Sie gibt uns viele Einsichten über das Wesen und Handeln Gottes. Und sie berichtet, dass wir nach Gottes Bild geschaffen wurden, dass er mit uns Menschen kommuniziert und mit uns in einer Beziehung stehen möchte. Demnach können wir also sehr wohl Dinge über Gott lernen und verstehen.

Menschen, die nicht an den Offenbarungscharakter der Bibel glauben und in keiner Gottesbeziehung stehen, hilft das aber natürlich nicht weiter. Hält Gott sich vor diesen Menschen völlig verborgen? Interessant ist, dass die Bibel diese Frage offen anspricht. Sie konfrontiert Menschen, die Gott distanziert gegenüberstehen, mit mehreren „Zeichen“ für die Existenz Gottes. Schon seit biblischen Zeiten versuchen zahllose Skeptiker, diese Zeichen zu entkräften. Das gilt vor allem für das offensichtlichste unter ihnen:

Römer 1, 20: Das Zeichen der Schöpfung

„Seit Erschaffung der Welt haben die Menschen die Erde und den Himmel und alles gesehen, was Gott erschaffen hat, und können daran ihn, den unsichtbaren Gott, in seiner ewigen Macht und seinem göttlichen Wesen klar erkennen. Deshalb haben sie keine Entschuldigung dafür, von Gott nichts gewusst zu haben.“

Der Gedankengang von Paulus ist simpel: Die sinnvoll geordnete Schöpfung zeigt, dass es einen Schöpfer geben muss. Spätestens seit Charles Darwin gab es gewaltige Anstrengungen, diese Schlussfolgerung zu widerlegen. Im 20. Jahrhundert wurde die populärwissenschaftliche Welt dominiert von triumphalen Berichten, dass man zur Welterklärung keinen Schöpfer mehr brauche. Von einer „Selbstorganisation der Materie“ war die Rede. Heute wissen wir, dass der Jubel verfrüht war. Die extreme Feinabstimmung des Universums, die außerordentlich komplexen molekularen Maschinen schon in den allereinfachsten Lebensformen, die phantastisch effizienten biologischen Baupläne, die Realität des selbst-bewusst denkenden menschlichen Geistes: Bei keinem dieser Phänomene können wir heute auch nur ansatzweise erklären, wie Materie so etwas von selbst hervorbringen könnte. Trotz dieser atemberaubenden Erkenntnisse halten eine Reihe von Menschen nach wie vor eisern an dem Glauben fest, man werde eines Tages doch noch naturalistische Antworten auf die Ursprungsfragen finden. Mir nötigt so viel Glaubensstärke Respekt ab. Aber der Trend und die Fakten zeigen doch klar in die gegenteilige Richtung. Noch nie wussten wir so viel über die Schöpfung. Noch nie war es so offensichtlich, dass die Entstehung unserer Welt vollkommen undenkbar ist ohne das Wirken eines ordnenden Geistes. Noch nie konnten wir so deutlich sehen, dass der Gedankengang von Paulus absolut berechtigt ist.

Jesaja 46, 8-10: Das Zeichen der erfüllten Vorhersagen

„Nehmt es zu Herzen, ihr, die ihr euch Gott widersetzt. Denkt zurück an das, was von Anfang an, von der Urzeit her, galt: Ich bin Gott – sonst gibt es keinen! Es gibt keinen wie mich. Ich habe von Anfang an das, was kommen wird, vorausgesagt, schon lange, bevor es Wirklichkeit wurde.“

Die Bibel besteht zu gut 30% aus prophetischen Texten, die sich unter anderem mit der Vorhersage zukünftiger Ereignisse beschäftigen. Zugleich warnt sie vor falschen Propheten, die man daran erkennt, dass ihre Vorhersagen nicht eintreffen (5. Mose 18, 22). Damit geht die Bibel ein gewaltiges Risiko ein. Würde die Erfüllung ihrer Vorhersagen ausbleiben, dann würde die Bibel vor sich selbst warnen. Wie steht es also heute um die Behauptung, Gott habe korrekte Vorhersagen gemacht?

Unbestritten ist, dass eine Reihe von biblischen Vorhersagen durchaus Übereinstimmungen mit realen historischen Ereignissen zeigen oder zumindest gut zu Berichten im Neuen Testament passen. Allerdings sind viele Vorhersagen unscharf und mehrdeutig formuliert, so dass die Zuordnung zu einem Ereignis willkürlich erscheinen kann. Dieses Argument gilt aber spätestens dann nicht mehr, wenn Namen von Personen oder Orten ins Spiel kommen, wie zum Beispiel Jesajas korrekte Ankündigung, dass ein Herrscher namens „Kyrus“ den Wiederaufbau des Tempels befehlen wird (Jesaja 44, 28) oder die Vorhersage Michas, dass der Messias aus der Stadt Betlehem kommen soll (Micha 5,1). In solchen Fällen wird oft behauptet, die Vorhersagen seien erst nach Eintritt der angekündigten Ereignisse aufgeschrieben worden. Oder man habe Ereignisse nachträglich erfunden, damit sie gut zu den alten Prophetien passen. Aber wie weit tragen diese Argumente? Kann man sich wirklich vorstellen, dass die Juden, die doch für ihre enorme Ehrfurcht und detailgetreue Überlieferung ihrer heiligen Texte berühmt sind, reihenweise Texte manipuliert haben? Und wie glaubwürdig ist es, dass die erste christliche Generation, in der es noch Augenzeugen gab, den Geburtsort Jesu nach Bethlehem verlegte und die Jungfrauengeburt erfand, damit es zu den prophetischen Ankündigungen passt? Warum sind keine widersprüchlichen Quellen bekannt? Warum ist keine dieser angeblichen Manipulationen je bewiesen worden? Manipulationen mögen in Einzelfällen gelingen. Aber es ist die große Menge an erfüllten Vorhersagen, die hohe Glaubwürdigkeit der Beteiligten und das Fehlen der Beweise für Manipulationen, die die Argumente der Skeptiker fragwürdig erscheinen lassen.

Das gilt besonders für die Vorhersagen, die die Neuzeit betreffen. Denken wir nur an die kühne Ankündigung der dauerhaften Bewahrung und weltweiten Verbreitung der Worte Jesu (Lukas 21,33, Matthäus 24,14). Wer konnte damals ahnen, dass die Worte eines Wanderpredigers, der mit wenig mehr als 30 Jahren umgebracht wurde und selbst kein einziges Wort aufgeschrieben hat, auch nach 2000 Jahren noch weltweit verbreitet werden? Oder denken wir an die Ankündigung der weltweiten Zerstreuung (5. Mose 28, 64-65), Verfolgung (3. Mose 26, 38) und erneuten Sammlung (z.B. Jesaja 43,5-6) der Juden. Welches andere Volk wurde zu allen Zeiten und in allen Kulturen so irrational gehasst? Welches andere Volk hat über Jahrtausende hinweg trotz weltweiter Zerstreuung seine Identität bewahrt und ist danach wieder in sein Ursprungsland zurückgekehrt? Wir haben es hier mit absoluten Einzelfällen der Weltgeschichte zu tun! Ich kenne keine befriedigende Erklärung für dieses Phänomen. Trotz aller Unschärfe und offenen Fragen im Detail: Tatsächlich gibt es in der Weltliteratur keine Sammlung von eingetretenen Vorhersagen, die auch nur annähernd mit der Bibel vergleichbar wäre.

Matthäus 12, 38+39: Das Zeichen der Auferstehung

„Eines Tages kamen einige Schriftgelehrte und Pharisäer zu Jesus und sagten: »Meister, bitte zeige uns ein Wunder, als Beweis dafür, dass du von Gott kommst.« Doch Jesus erwiderte: »Nur schlechte, treulose Menschen würden ein Wunder verlangen. Das einzige Zeichen, das ich ihnen geben will, ist das, was mit dem Propheten Jona geschah.“

Jesu barsche Reaktion ist verständlich. Schließlich berichtet Matthäus im gleichen Kapitel, wie Jesus vor den Augen der Phärisäer die Hand eines verkrüppelten Mannes (V. 1-14) und danach viele weitere Kranken heilte (V. 15+16) und schließlich noch aus einem blinden und stummen Mann einen Dämon austrieb, so dass er wieder sehen und sprechen konnte. (V. 22-28). Es hatte also schon Wunder zuhauf gegeben. Trotzdem wies Jesus auch gegenüber diesen hartnäckigen Skeptikern die Forderung nach einem Wunder als Ausweis für seine Messianität nicht komplett zurück. Stattdessen kündigt er das „Zeichen Jonas“ an: So wie Jona nach drei Tagen aus dem Fisch gekommen ist, werde er nach drei Tagen aus dem Grab herauskommen.

Seit Ostern haben zahllose Skeptiker versucht, die Entstehung des Osterglaubens, den durchschlagenden missionarischen Erfolg der Osterzeugen samt ihrer extremen Opferbereitschaft zu erklären. Warum fingen noch in der Zeit und Region der Augenzeugen plötzlich zahllose, streng monotheistisch geprägte Juden an, einen Menschen als Gott anzubeten – dazu noch einen Gekreuzigten, der nach dem mosaischen Gesetz als verflucht galt? Warum war sogar der leibliche Bruder Jesu bereit, für den Glauben an die Göttlichkeit Jesu in den Tod zu gehen, wie der nichtchristliche Historiker Josephus berichtet? Niemand weiß es. Das leere Grab wird von keiner antiken Quelle bestritten. Stattdessen blühen bis heute viele Theorien: Die Jünger hätten den Leichnam gestohlen. Jesus sei nur scheintot gewesen. Das Grab sei verwechselt worden. Die Jünger hätten Visionen gehabt… Keine dieser Theorien konnte sich je durchsetzen. Viel zu groß sind die Erklärungslücken. Wer nüchtern auf die Fakten schaut und die Auferstehung nicht schon von vornherein aufgrund seiner naturalistischen Weltanschauung ausschließt, der muss eingestehen: Für kaum ein Ereignis der Antike gibt es so viele direkte und indirekte Belege wie für die Auferstehung Jesu. Das Zeichen Jonas steht im Raum – bis heute.

Offenbar – und doch verborgen

Je mehr ich mich mit den biblischen Zeichen für die Existenz Gottes befasse, umso tiefer gelange ich zu der Überzeugung: Wer sich diesen Argumenten mit offenem Herzen stellt, kommt nicht an ihnen vorbei. Richtig ist aber auch: Diese Zeichen drängen sich nicht auf. Man muss sie mit offenem Herzen prüfen, um ihre Beweiskraft zu entdecken, so wie es zum Beispiel der Journalist Lee Strobel tat und dadurch zum Glauben kam. Aber kehren wir noch einmal zur Eingangsfrage zurück: Warum schreibt Gott nicht einfach seinen Namen an den Himmel, um die Menschen für sich zu gewinnen? Die Bibel gibt eine einfache Antwort: Weil auch untrügliche Machterweise Gottes das menschliche Herz nicht unbedingt dazu bewegen, Gott zu vertrauen und ihm die Ehre zu geben. Die Pharisäer, die von Jesus ein Zeichen gefordert hatten, blieben trotz all der Wunder verschlossen. Sowohl der Pharao Ägyptens als auch das Volk Israel hatten die Teilung des Meers erlebt. Der Pharao bekehrte sich trotzdem nicht. Und Israel goss sich schon kurz danach ein goldenes Kalb.

In der Offenbarung des Johannes wird angekündigt, dass Gott eines Tages seine Verborgenheit beendet. Aber das wird kein schöner Tag werden. Die Menschen werden Gott fürchten und vor ihm fliehen (Offenbarung 6, 15-16). Sie werden sich ihm trotz seiner Machterweise widersetzen (Offenbarung 16, 9+11+21). Wenn sich am Ende der Tage alle Knie vor Gott beugen, wird das nicht ohne Zwang geschehen sein. Deshalb wartet Gott lieber noch ab. Er hat die Menschen ja als Gegenüber erschaffen, um mit ihnen in einer liebevollen Beziehung zu stehen. Liebe und Zwang schließen sich gegenseitig aus. Gott möchte den Menschen so viel Zeit wie möglich lassen, damit sie sich gerne und freiwillig von ihm retten lassen (2. Petrus 3, 9+15). Bis zum Tag der machtvollen Offenbarung Gottes gilt deshalb die Ermutigung Jesu: „Sucht, und ihr werdet finden.“ (Matthäus 7,7) Gott ist (noch) so verborgen, dass niemand auf die Knie gezwungen wird. Aber er ist zugleich so offenbar, dass man ihn finden kann, wenn man ihn sucht.


Weiterführende Artikel zu den 3 biblischen “Zeichen”:

Warum sind Menschen böse?

Eine Wegscheide des Denkens und des Glaubens

In den letzten Wochen habe ich mich zum einen mit dem Theologen Eugen Drewermann befasst. Zum anderen habe ich im Buch Jeremia gelesen. Der Kontrast und der Widerspruch zwischen diesen beiden theologischen Welten könnte drastischer und grundsätzlicher kaum sein. Tatsächlich scheint mir, dass genau dieser Widerspruch eine grundlegende Wegscheide darstellt, aus der sich völlig unterschiedliche Denksysteme entwickeln mit völlig unterschiedlichen, ja gegensätzlichen weltanschaulichen Konsequenzen, die sich unvereinbar gegenüberstehen. Die zentrale Grundfrage, die in diesen beiden Denksystemen unterschiedlich beantwortet wird, lautet:

Warum sind Menschen böse?

Die unterschiedlichen Antworten sowie die daraus resultierenden gegensätzlichen Konsequenzen für das Denken und den Glauben zeigt die nachfolgende Tabelle:

Menschen handeln böse, weil sie…

… böse sind. … Opfer sind.
Der Mensch trägt selbst Verantwortung für seine bösen Handlungen. Der Mensch kann letztlich nichts für seine bösen Handlungen.
Der Mensch braucht Erlösung von seinem inneren Hang zum Bösen. Der Mensch braucht Erlösung von bösen Umständen.
Der Mensch ist das Problem. Er muss mit seinem falschen Verhalten und seiner Schuld konfrontiert werden: „Tut Buße!“ Die bösen Umstände sind das Problem. Die Verursacher dieser bösen Umstände müssen konfrontiert werden. Die Menschen dürfen die Umstände nicht länger akzeptieren: „Erhebt euch!“
Der Mensch muss sich seiner Schuld und seinem Versagen stellen und sich demütigen. Der Mensch muss sich lösen von dem demütigenden Gedanken, dass er selbst schuld wäre.
Es ist berechtigt, dass Gott auf Menschen zornig ist und dass er sie bestraft. Menschlicher Zorn auf die Umstände lenkt nur vom eigentlichen Problem ab, das im Herzen des Menschen liegt. Zorn über menschliches Verhalten und Strafe wäre unberechtigt und ungerecht. Ein gerechter Gott denkt ausschließlich gut über die Menschen und muss deshalb auch nicht versöhnt werden.
Die Botschaft des Alten Testaments entlarvt das Grundproblem der Menschheit, die sich trotz Gottes Geduld, Segensverheißungen, seinen Wundern und Strafandrohungen immer wieder für das Böse entscheidet. Das Alte Testament ist eine menschliche Fehlinterpretation Gottes und zudem Teil eines menschlichen Unterdrückungssystems, weil es Menschen durch angeblichen göttlichen Zorn und Strafandrohung einschüchtert, klein und gefügig hält.
Gesellschaftstransformation gelingt durch individuelle Umkehr und Erneuerung. Gesellschaftstransformation gelingt durch Schaffung gerechter gesellschaftlicher Verhältnisse.
Es braucht eine strafende Staatsmacht mit Gewaltmonopol, Justiz und Polizei, um das Böse einzudämmen und die Ordnung aufrecht zu erhalten. Eine strafende, drohende Ordnungsmacht ist kontraproduktiv, weil sie das eigentliche Problem nicht löst, Menschen ungerecht bestraft und die Unterdrückung verstärkt.
Es braucht Militär, um böse, aggressive Gesellschaftssysteme in Schach zu halten und notfalls aktiv zu bekämpfen. Militärische Bedrohungsszenarien verstärken nur die Ursachen des bösen Handelns. Militär ist deshalb grundsätzlich vom Übel.
Verheißungsvoll ist ein Gesellschaftssystem, in dem jeder kontrolliert wird (weil jeder dazu neigt, seine Macht zu missbrauchen), in dem individuelle Leistung belohnt wird (weil Menschen nun einmal zur Faulheit und zum Egoismus neigen) und in dem zugleich der Schwache geschützt wird (weil sonst die Starken die Schwachen ausbeuten) – also eine Demokratie als Herrschaft des Gesetzes mit Gewaltenteilung, gegenseitiger Kontrolle und sozialer Marktwirtschaft. Verheißungsvoll ist ein Gesellschaftssystem, in dem jeglicher Zwang und (Leistungs-)Druck entfernt wird, alle Ungerechtigkeit durch Umverteilung oder Vergesellschaftung beseitigt wird und Leistung allein aus Freiwilligkeit heraus erwächst – also alle Formen von Sozialismus, Kommunismus, Anarchie, bedingungsloses Grundeinkommen…

Wie sieht das die Bibel?

Die Antwort der Bibel erscheint mir durchgängig vollkommen eindeutig: Ja, der Mensch ist ein gutes Geschöpf Gottes mit einer unveräußerlichen Würde. Aber er ist zugleich unheilbar in Sünde verstrickt – von Jugend auf (1. Mose 8, 21). Auf diesem pessimistischen Menschenbild baut das ganze theologische System von Paulus im Römerbrief grundlegend auf (Römer 3, 9-18). Ausführlich legt er dar, dass wir Menschen Erlösung von unserem inneren Hang zum Bösen brauchen (Römer 6-8). Entsprechend sieht Paulus auch die Notwendigkeit zu einer staatlichen, strafenden Ordnungsmacht (Römer 13, 1-7). Besonders bemerkenswert ist bei diesem Thema zudem, was NICHT im Neuen Testament steht. Der Theologe Dr. Berthold Schwarz schrieb dazu auf Facebook:

„Wie viele Predigten, klare Hinweise in den Evangelien und in den Briefen haben wir von Jesus, den Aposteln oder apostolischen Mitarbeitern vorliegen, die z.B. gegen die politischen und gesetzlichen Maßnahmen und die oft desaströsen sozialen Missstände unter Kaiser Claudius, Kaiser Caligula, Kaiser Nero samt deren Bevollmächtigten gerichtet waren? Wie viele Briefe und Petitionen und Beschwerden von Christen gegen das soziale Chaos im Königshaus des Herodes für die Bevölkerung in Jerusalem oder gegen Pontius Pilatus und dessen Nachfolger als Statthalter finden wir als „Vorbild“ im NT?! Welche Despoten in Kreta, Italien, in Ephesus, Perge oder Galatien werden im NT wegen ihrer ungerechten und schrecklichen Lokalregierungsweise von christlichen Evangelisten, Aposteln und Predigern öffentlich gemahnt und zurechtgewiesen?!“

Der Befund ist eindeutig: Obwohl gerade die ersten Christen unter den damaligen staatlichen Systemen schwer zu leiden hatten, finden wir im gesamten Neuen Testament praktisch an keiner Stelle Kritik an den staatlichen Mächten, am System oder an den Umständen. Es geht stattdessen fast ausschließlich um den individuellen Ruf zur Buße, zur Umkehr, zur Annahme von Gottes Erlösung und zur Pflege des neuen Lebens, das aus Gottes Wort und dem Heiligen Geist erwächst. Und trotzdem hatte genau dieses Christentum zu allen Zeiten eine enorme gesellschaftstransformierende Kraft, weil es anders als alle politischen Maßnahmen bei der tatsächlichen Wurzel der gesellschaftlcihen Probleme ansetzt. Denn das Herz der Probleme ist das Problem des Herzens!

Im Buch Jeremia wird die biblische Sichtweise auf den Menschen besonders deutlich. Ausführlich und düster beschreibt der Prophet das böse Verhalten der Israeliten:

„Sie sind allesamt Ehebrecher und Betrüger. Sie spannen ihre Zunge wie die Sehne eines Bogens und feuern Lügen ab wie Pfeile. Sie herrschen über das Land, indem sie betrügen. Die Wahrheit bedeutet ihnen nichts. … Jeder belügt und betrügt seinen Bruder, wo er kann. Selbst der beste Freund wird ohne Skrupel verleumdet. Sie überlisten sich gegenseitig, und nicht einer spricht die Wahrheit. Mit geübter Zunge verbreiten sie Lügen. Sie können schon gar nicht anders handeln als böse. Einer Gewalttat folgt die nächste, und eine Lüge bringt neue Lügen hervor. Aber von mir wollt ihr nichts wissen, spricht der HERR.“ (Jeremia 9, 1-5)

Was ist die Konsequenz, wenn Menschen in eine derartige gesamtgesellschaftlich gewachsene Verstrickung mit bösem Verhalten geraten sind, dass sie gar nicht mehr anders können, als böse zu handeln? Muss man diese Menschen bedauern? Gott stellt eine grundlegend andere Frage:

„Sollte ich so ein Verhalten nicht bestrafen?“ spricht der HERR. … “Sie wollten mein Gesetz nicht kennen und schon gar nicht danach leben. Lieber taten sie, was ihnen in den Sinn kam, und rannten den Baalsgötzen hinterher, genauso, wie ihre Vorfahren es schon getan hatten. Deshalb hört zu, was der HERR, der Allmächtige, der Gott Israels, spricht: Sie sollen bittere Speise essen und giftiges Wasser trinken. Ich will sie über die ganze Welt zerstreuen. Sie sollen unter Völkern leben, die ihnen und ihren Vorfahren bislang unbekannt waren. Mit dem Schwert will ich sie verfolgen, bis sie vollständig vernichtet sind.“ (Jeremia 9, 8a+12-15)

Die prophetischen Bücher sind randvoll mit vergleichbaren Aussagen. Gott sieht offenkundig allen Grund, zornig zu sein und Menschen für ihr Verhalten zur Verantwortung zu ziehen. Wer das abstreiten möchte, müsste wohl den größten Teil des Alten Testaments und viele Passagen im Neuen Testament für eine menschliche Fehldeutung oder gar eine bewusste Unterdrückungsmasche religiöser Herrscher halten. Genau so sieht es zumindest Eugen Drewermann. Und er zieht aus seiner Grundannahme, dass selbst Mörder letztlich nur Opfer sind, genau alle die Konsequenzen, die auf der rechten Seite der Tabelle aufgeführt werden.

Wie urteilt die Geschichte?

Neben dem klaren biblischen Befund spricht meines Erachtens auch die Geschichte ein eindeutiges Urteil: Alle Träume von sozialistischen, kommunistischen, anarchischen, radikalpazifistischen Systemen waren bislang nicht nur zum Scheitern verurteilt, sie haben dazu noch vielfach unfassbares Leid erzeugt. Die Träume von Marx und Lenin haben auf einen Pfad geführt, der am Ende die größten Massenmörder der Weltgeschichte hervorgebracht hat. Heute stehen wir vor den Trümmern Venezuelas, eines der rohstoffreichsten Länder der Erde. Wo immer Mauern aufgebaut wurden zwischen kommunistischen und „kapitalistischen“ Ländern, haben bislang die Menschen aus den kommunistischen Ländern zu fliehen versucht, nicht umgekehrt. Und nicht zuletzt: Der Umweltschutz war in den kommunistischen Systemen deutlich schlechter als im “kapitalistischen” Westen. Ich stehe deshalb einigermaßen fassungslos davor, dass selbst im reichen Deutschland, das mit Hilfe von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft mehr allgemeinen Wohlstand hervorgebracht hat als jedes andere System der Geschichte, heute wieder bis mitten in die SPD hinein offen vom Sozialismus geträumt wird und dass einige FFF-Aktivisten meinen, mit linksradikalen Ideen könnte man das Klima retten. Auf welcher geschichtlichen Erfahrung gründen sich diese Hoffnungen nur?

Und nicht zuletzt sollten wir Christen auch nicht übersehen, dass die Prophetie Jeremias in beeindruckender Weise in Erfüllung gegangen ist: Die Juden wurden tatsächlich über die ganze Welt zerstreut. Der jüdische Staat wurde für lange Zeit tatsächlich vollständig vernichtet. Schon deshalb halte ich es für höchst gefährlich, die Theologie Jeremias für einen überkommenen menschlichen Irrweg zu halten. Denn schließlich zählt am Ende nicht, wie unser Wunschgott aussieht. Es zählt allein, was die Wahrheit ist. Es zählt allein, wie Gott tatsächlich ist und handelt. Und da sehe ich jede Menge Gründe, den biblischen Beschreibungen über Gott mehr zu vertrauen als zeitgeistigen Vorstellungen, die die biblischen Schilderungen ins theologiegeschichtliche Museum stellen wollen.

Eine Grundentscheidung für jeden Menschen und jeden Verkündiger

Die biblische Botschaft stellt ausnahmslos jeden Menschen vor eine persönliche Grundentscheidung: Willst Du Dir eingestehen, dass Du selbst das zentrale Problem bist und nicht die Umstände? Kannst Du Gott um Erlösung bitten von Deinem eigenen, in Sünde verstrickten Wesen? Kannst Du Deinen alten Menschen mit Christus am Kreuz in den Tod geben? Dann öffnet sich für Dich die Tür zu Gottes unverdienter Gnade und zu neuem Leben aus dem Heiligen Geist. Dann kannst Du einen Gott erleben, der Dir nicht gibt, was Du verdient hast sondern der Dich überreich beschenkt, obwohl Du es nicht verdient hast. Dann kannst Du ausbrechen aus allem religiösen Leistungsdenken, aus allem Moralismus und allen Selbsterlösungsversuchen. Dann kannst Du Gott getrost die Zügel Deines Lebens überlassen, weil Du vertrauen kannst, dass er besser weiß als Du selbst, was gut für Dich ist. Ich muss offen sagen: Nur diese Art des Glaubens, des Beschenktwerdens aus unverdienter Gnade, des Erneuertwerdens durch den Heiligen Geist, des Unterordnens unter Gottes Herrschaft, empfinde ich als kraftvoll und attraktiv. Alles andere erscheint mir wie ein Trostpflaster auf einer Wunde mit Blutvergiftung: Es sieht tröstlich aus, hält uns aber nur davon ab, wirksam gegen die schleichende Krankheit vorzugehen. Und wenn ich meine siechende Kirche sehe, dann wächst in mir der Eindruck, dass die meisten Menschen spüren: Eine Botschaft der billigen Gnade, der Vergebung ohne Buße, ist ein nettes Trostpflaster, das aber kaum jemand wirklich hilft und das deshalb auch kaum jemand wirklich braucht, für das gleich gar niemand Opfer bringt, leidenschaftlich missioniert und Gemeinde baut.

Allerdings war es auch noch nie populär, die Menschen damit zu konfrontieren, dass sie selbst das Problem sind, ganz im Gegenteil: Diese Botschaft wurde zu allen Zeiten bekämpft, ausgegrenzt und verfolgt, so wie Jesus es in der Rückschau auf die Propheten festgestellt (Matth. 5, 12) und für seine Nachfolger vorausgesagt hat (Johannes 15, 18-20). Aber wenn wir der Bibel glauben, dann ist diese unattraktive, provozierende Botschaft nun einmal die einzig wahre Diagnose, die zur einzig wirksamen Therapie führt. Und die Kirchengeschichte zeigt: Diese raue, kantige Botschaft war schon immer so kraftvoll und attraktiv, dass die Kirche Jesu sogar inmitten übelster Verfolgung bestehen, wachsen und gedeihen konnte.

Die große Frage ist deshalb an jeden von uns persönlich: Werden wir uns dieser Botschaft stellen, uns am Kreuz demütigen und uns dort mit Gottes Vergebung und unverdienter Gnade beschenken lassen? Oder bleiben wir auf unserem hohen Ross der Selbstgerechtigkeit sitzen und erregen uns lieber über die Umstände, die angeblich an unseren Problemen schuld sind?

Und die große Frage an die kirchlichen Verkündiger ist: Werden wir die Menschen darin beruhigen, dass in Gottes Augen alles gut ist und wir uns einfach nur geliebt und bestätigt fühlen dürfen? Oder werden wir sie neben der Botschaft der Liebe Gottes auch mit der unangenehmen Wahrheit konfrontieren, dass wir alle schuldig sind, dass wir Sünder sind, dass wir Vergebung, Erlösung und Erneuerung brauchen? Werden wir am Ärgernis des Kreuzes (1. Korinther 1, 23) festhalten?

Das erscheint mir eine grundlegende Wegscheide des Denkens und des Glaubens zu sein, an der sich für uns persönlich und für die Kirche Jesu viel mehr entscheidet, als vielen Christen bewusst ist.


Zum besseren Verständnis dieses Artikels empfehle ich den Worthausvortrag von Dr. Eugen Drewermann “Jesus aus Nazareth – Von Krieg zu Frieden”: https://worthaus.org/worthausmedien/jesus-aus-nazareth-von-krieg-zu-frieden-10-1-2/

Im Blog Daniel-Option habe ich diesen Vortrag ausführlich kommentiert: https://danieloption.ch/weltanschauuung/ist-angst-das-grundproblem-der-menschheit/

Weiterführend dazu:

  • Das 2-Reiche-Missverständnis – Warum man die Bibel grundsätzlich missverstanden hat, wenn man vom Staat Pazifismus nach den Regeln der Bergpredigt verlangt.

Was sagt Lukas über liberale Theologie?

In Lukas 24, 36-44 schreibt Lukas:

„Als sie aber davon redeten, trat er selbst mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Seht meine Hände und meine Füße, ich bin’s selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe. Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und Füße. Da sie es aber noch nicht glauben konnten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. Und er nahm’s und aß vor ihnen. Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen.“

Bei diesen Worten könnte man glatt meinen, dass Lukas sich in moderne theologische Debatten einmischen möchte. Mit wenigen Worten antwortet er auf einige der Hauptanfragen aus der liberalen Theologie, von denen ich lange Zeit gedacht hatte, dass diese Themen nur moderne Menschen umtreiben. Aber Lukas zeigt: Schon die Jünger haben mit genau den gleichen Fragen gekämpft. Die Antworten von Lukas sind überraschend deutlich:

War der auferstandene Jesus nur ein Gedanke, eine Erscheinung, eine Vision oder ein Geist?

Lukas berichtet: Das haben die Jünger auch gedacht. Selbst als sie den auferstandenen Jesus sahen, waren sie immer noch genauso skeptisch wie viele heutige Theologen. Aber Jesus nimmt sich ausführlich Zeit, um zu zeigen: Er ist zwar verwandelt. Aber das Grab ist leer. Jesus hat immer noch diesen Leib mit den Narben, die ihm am Kreuz zugefügt wurden. Jesus bittet extra um etwas zu essen, weil es ihm wichtig ist, klarzustellen: Ich lebe! Und zwar nicht nur in eurer Predigt, in euren Herzen oder in einer vergeistigten Form sondern physisch, aus „Fleisch und Knochen“, anfassbar und ganz real!

Ist der nachösterliche Christus nur eine frühchristliche Deutung des historischen Menschen Jesus von Nazareth?

Lukas berichtet: Genau wie in der heutigen Theologie war die Verunsicherung bei den Jüngern groß, wer Jesus eigentlich war. Jesus selbst stellt deshalb klar: Ich wusste schon vorher, dass ich sterben und auferstehen werde. Erinnert euch: Ich hatte es euch vorher schon angekündigt! Jesus wurde also nicht nachträglich als “Christus” (griechisch für “Messias”) gedeutet, sondern er selbst war sich schon lange vor Ostern immer bewusst gewesen: Ich werde mein Leben opfern und den Tod besiegen. Ich bin der Erlöser der Welt und der König des kommenden Gottesreichs.

Spricht das Alte Testament von Jesus? Gibt es vorhersagende Prophetie? Hat das Alte Testament Offenbarungscharakter? Ist die Bibel widersprüchlich?

Auch die Jünger Jesu hatten noch nicht durchschaut, dass ihre Erlebnisse mit Jesus mit den Texten des Alten Testaments eng zusammen hängen. Deshalb nahm Jesus sich (zuvor auch schon bei den Emmausjüngern) viel Zeit, um deutlich zu machen: Das gesamte Alte Testament dreht sich um ihn! Es ist voller Vorhersagen, die sich erfüllt haben. Es ist voller Wissen darüber, dass ER kommen wird, was ER tun wird und was mit ihm geschehen wird – Wissen, das kein Mensch aus sich heraus haben kann und das deshalb den Offenbarungscharakter des Alten Testaments beweist. Jesus betont zudem: Diese Vorhersagen MUSSTEN sich erfüllen – weil es ja Worte Gottes sind! Ausdrücklich verleiht Jesus dem kompletten Kanon diesen Offenbarungscharakter: Mose, Propheten und Psalmen. Damit wird auch deutlich: AT und NT bilden eine Einheit. Sie erzählen gemeinsam die eine Geschichte von Jesus Christus.

Wem glauben wir?

Nun kann man den Aussagen und Schilderungen von Lukas natürlich glauben oder auch nicht. Aber eines kann man nicht: Liberale Theologie mit der Aussageabsicht von Lukas und seiner Darstellung der Aussagen Jesu harmonisieren. Wir müssen uns schon ehrlich machen:

  • Entweder haben liberale Theologen Recht. Dann liegt Lukas grundfalsch und ist damit als Zeuge unglaubwürdig.
  • Oder Lukas hat Recht. Dann ist liberale Theologie ein grandioser Irrtum.

Beides zugleich geht nicht. Wir müssen uns entscheiden.

Meine Kirche scheint sich entschieden zu haben. Sie lässt ihr Führungspersonal überwiegend von Menschen ausbilden, die einer liberalen Theologie folgen. Leider hat sie damit Lukas als glaubwürdigen Botschafter verloren. Ich frage mich: Glaubt meine Kirche denn wirklich, Menschen stattdessen für die Botschaft moderner Theologen gewinnen zu können? Falls ja: Welche Botschaft ist das? Moderne Theologen sind sich doch eher selten über etwas einig.

Ich für meinen Teil werde mich lieber auf Lukas verlassen. Seine Botschaft trägt – im Leben und im Sterben.

Die 5 häufigsten Strohmannargumente gegen ein konservatives Bibelverständnis

Strohmannargumente widerlegen ein Argument eines Gegners, das dieser gar nicht vorgebracht hat. Sie schüren den Eindruck, dass es offenbar relativ viele Menschen mit einer ganz falschen Sichtweise gibt. Da die unterstellte Sichtweise meistens grob vereinfacht ist, kann man auf Strohmänner relativ leicht und effektvoll eindreschen. Am Ende gewinnt man mit ihnen aber nichts außer Selbstrechtfertigung auf Kosten von Verletzungen, Vorurteilen und einer Vertiefung der Gräben. Um der besseren Verständigung willen ist es deshalb wichtig, sie aufzudecken.

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Leider werden Strohmannargumente auch unter Christen eingesetzt. Natürlich springen sie uns immer dann besonders ins Auge, wenn sie sich gegen die eigene Position richten. Dieser Artikel beschreibt 5 Stroh­männer, die immer wieder als Argument gegen ein konservatives Bibelverständnis ins Feld geführt werden. Selbstverständlich gibt es auch Strohmänner, die in die andere Richtung zielen, denn Vorurteile gibt es in allen christlichen Lagern – wie das Buch „Zeit des Umbruchs“ in Kapitel 3 beschreibt.

Einleitend will ich betonen: Die 5 Aussagen, die in diesem Artikel untersucht werden, sind zumeist vollkommen richtig. Es spricht deshalb meist nichts dagegen, sie zu verwenden. Die Frage ist nur: Wen hat man im Blick, wenn man diese Aussagen macht? Ist es angemessen, diese Aussagen mehr oder weniger subtil im Blick auf konservative Christen und ihr Schrift­verständnis zu betonen, so als ob man das dort dringend noch begreifen müsste?

Schon beim ersten häufig verwendeten Strohmann­argument wird hoffentlich noch deutlicher, was ich damit meine:

1. „Die Bibel will kein naturwissen­schaftliches Lehrbuch sein“

Diese vollkommen richtige Aussage begegnet mir immer wieder als Argument gegen die Vertreter einer (teilweise) historischen Lesart biblischer Wunder­geschichten oder der biblischen Urgeschichte. Wer diese Aussage so einsetzt, impliziert damit gewollt oder ungewollt: Wer in diesen Texten mehr sieht als ein Gleichnis und als metaphorische Redeweise, der hat nicht verstanden, dass man beim Bibellesen unterschied­liche Textgattungen unterscheiden muss. Der kann nicht unterscheiden zwischen der objektiven Betrachtungsweise eines Naturwissenschaftlers und der subjektiven Sichtweise eines biblischen Erzählers. Der überträgt leichtfertig seine von der modernen Wissenschaft geprägte Denkweise auf die antike Denkweise des biblischen Autors.

Damit tut man aber nach meiner Beobachtung den allermeisten konservativen Bibelauslegern unrecht. Denn auch in sehr konservativen Kreisen ist mir noch niemand begegnet, der die Bibel für ein naturwissen­schaftliches Lehrbuch hält. Auch an sehr konservativen theologischen Schulen wird nach der Textgattung gefragt, nach dem historischen und kulturellen Umfeld und nach der tatsächlichen Aussageabsicht des Autors im damaligen Kontext. Dass die biblischen Autoren nicht als nüchterne Naturwissenschaftler sondern aus einer subjektiven, theologisch motivierten Beobachter­sicht heraus geschrieben und dabei oft auch bildhafte Sprache verwendet haben, das ist nach meiner Erfahrung selbst den konservativsten Auslegern absolut bewusst. Wer ihnen mit diesem Argument entgegen­tritt, führt also eine Scheindebatte.

Das gilt umso mehr, wenn übergangen wird, dass gerade bei der Urgeschichte die Frage nach der Textgattung gar nicht so einfach zu beantworten ist. Der Theologe Timothy Keller behauptet sogar: „1. Mose 2 und 3 lassen keine Anzeichen für das Genre … Dichtung erkennen. Der Text liest sich als Bericht über wirkliche Geschehnisse; er sieht aus wie ein Geschichtsdokument.“ [1] Das heißt: Auch wenn man den Fragen nach Textgattung, Erzähl­perspektive und historischem Erzählhintergrund intensiv nachgeht, muss man keinesfalls zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass es sich bei der Urgeschichte um rein metaphorisch gemeinte Texte handelt. Das gilt noch viel mehr für die biblischen Wundergeschichten.

Wie auch immer die Debatte um die Aussageabsicht der Urgeschichte und der Wunder­geschichten endet: Der tatsächliche Konflikt dreht sich nicht um die Frage, ob die Bibel ein naturwissen­schaftliches Lehrbuch ist. Das ist sie definitiv nicht. Es geht vielmehr um die Frage: Wie gehen wir mit biblischen Aussagen um, deren Aussageabsicht nach kritischer Unterscheidung ihrer Gattung, Erzählart, Perspektive und ihres kulturellen Hintergrunds immer noch im Widerspruch zu vorherrschenden wissen­schaftlichen Sichtweisen stehen? Steht im Konfliktfall der heutige wissen­schaftliche Kenntnisstand über der Schrift? Oder steht die Aussageabsicht der Schrift über der derzeit vorherrschenden wissenschaftlichen Sichtweise? Passen wir unsere Schriftauslegung an den aktuellen Stand der akademischen Wissenschaften an oder bleiben wir dabei, dass das aktuelle „Weltwissen“ bei der Schriftauslegung zwar berücksichtigt werden muss, dass die Schrift aber das letzte Wort hat und sich letztlich selbst auslegen muss, auch wenn das mit dominanten wissenschaftlichen Sichtweisen kollidiert? Über diese zentrale Frage sollten wir tatsächlich dringend diskutieren!

2. „Gott ist nicht gegen den Gebrauch von Vernunft und Verstand“

Diese vollkommen richtige Aussage begegnet mir immer wieder als Schutzargument zur Verteidigung bibelkritischer Methoden gegen konservative Kritik. Wer dieses Argument so verwendet, impliziert damit gewollt oder ungewollt: Wer die modernen bibelkritischen Methoden kritisiert, lehnt die Verwendung rationaler wissenschaftlicher Methoden bei der Erforschung der Bibel ab. Der verdrängt relevante Fakten, die ein vernunftbegabter Mensch im Umgang mit der Bibel zwingend berücksichtigen muss. Der hat eine aufklärungs- und verstandesfeindliche Tendenz und verlangt, den Intellekt und die Vernunft beim Bibellesen mehr oder weniger auszu­schalten.

Damit tut man aber nach meiner Beobachtung den meisten konservativen Bibelauslegern und vor allem den weltweit zahlreichen evangelikalen Theologen und Bibelwissenschaftlern unrecht. Auch die meisten konservativen Evangelikalen begrüßen rationale Methoden, um die Eigenschaften eines biblischen Textes sowie seine Aussageabsicht vor dem Hintergrund des damaligen sozialen, kulturellen und linguistischen Umfeldes zu erschließen oder um den genauen Urtext zu ermitteln. Ich kenne niemanden, der  dafür ist, den Verstand beim Bibellesen auszuschalten und die Probleme eines konservativen Bibelverständ­nisses einfach zu verdrängen. Wer Konser­vativen eine generelle Ablehnung wissenschaft­licher Methoden, eine bewusste und verstandesfeindliche Verdrängung von Fakten und die Selbstbeschränkung auf blinden Glauben vorwirft, führt also eine Scheindebatte.

Der tatsächliche Konflikt dreht sich nicht um die Frage, ob wissenschaftliche Methoden, die sich offen allen relevanten Fakten stellen, bei der Erforschung der Bibel helfen können. Das können sie definitiv. Die wirklich heiße Frage ist vielmehr: Sind Methoden zur Erforschung der Bibel nur dann wissenschaftlich, wenn sie auf der heute in der akademischen Welt weit verbreiteten Denkvoraussetzung beruhen, dass die Bibel ein fehlerhaftes menschliches Buch wie jedes andere ist, und wenn die Bibel so untersucht wird, „als ob es Gott nicht gäbe“? Oder kann nicht doch auch ein Ansatz hochvernünftig und wissenschaftlich sein, der davon ausgeht, dass der biblische Urtext nicht nur Menschenwort sondern zugleich auch offenbartes Gotteswort darstellt?

Evangelikale sind hier der Meinung: Wenn die Bibel tatsächlich gemäß ihrer Selbstaussage offenbartes Wort Gottes ist, dann ist dieser Ansatz sogar der einzige, der dem Forschungsgegenstand gerecht wird. Jede andere Methode würde dann aufgrund der falschen Denkvoraussetzung und dem falschen Blick auf den Forschungsgegenstand zwangsläufig zu fehler­haften Ergebnissen führen.[2] Gerade bei diesem Thema geht es um viel. Deshalb sollten wir darüber tatsächlich dringend diskutieren.

3. „Die Wahrheit der Bibel kann und muss nicht bewiesen werden“

Diese vollkommen richtige Aussage begegnet mir immer wieder als Argument gegen den Versuch, vernünftige Gründe und rationale Argumente für die Wahrheit der Bibel ins Feld zu führen (was man im Allgemeinen als „Apologetik“ bezeichnet). Wer diese Aussage so einsetzt, impliziert damit gewollt oder ungewollt: Wer Apologetik betreibt scheint einen schwachen Glauben zu haben, sonst müsste er nicht krampfhaft Beweise für die Wahrheit der Bibel konstruieren – schließlich hat die Bibel und ein gesunder Glaube das doch gar nicht nötig. Außerdem scheinen die Apologeten nicht zu verstehen, wie wissenschaftliche Beweisführung funktioniert. Sonst würden sie verstehen, dass rationale Argumente zur Verteidigung der Bibel grundsätzlich keine Beweise sein können.

Damit tut man aber nach meiner Beobachtung den meisten konservativen Apologeten unrecht. Auch sie wissen, dass Beweisführung im natur­wissenschaft­lichen Sinn im Bereich der historischen (Bibel-)Forschung nur äußerst eingeschränkt möglich ist und dass man deshalb auch mit den besten rationalen Argumenten die Wahrheit der Bibel nicht „beweisen“ kann. Einer der bekanntesten Apologeten unserer Tage, William L. Craig, vertritt zudem die Meinung, „dass apologetische Argumente und Indizien nicht notwendig sind, damit der christliche Glaube rational ist“, weil „der Glaube an Christus unmittelbar durch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes begründet sein kann (Röm 8,14-16; 1. Joh 2,27; 5,6-10), sodass Argumente und Indizien nicht notwendig sind.“ [3] Craig sagt also: Die entscheidende Stütze für den Glauben ist der Heilige Geist. Wer konservativen Apologeten vorwirft, ihren Glauben einseitig auf Scheinbeweisen aufzubauen, führt also eine Scheindebatte.

Die Frage ist also nicht, ob wir die Wahrheit der Bibel beweisen müssen. Das müssen wir definitiv nicht. Vielmehr geht es darum: Können gute apologetische Argumente eine Ermutigung für Christen (bzw. für solche, die es werden wollen) sein, weil sie gängige Argumente gegen den Glauben entkräften und weil sie die Glaubwürdigkeit biblischer Aussagen stützen? Viele Studien deuten darauf hin, dass es gerade auch intellektuelle Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Bibel sind, die bei vielen Menschen den Glauben ins Wanken bringen. Zeigt das nicht, dass wir dringend wieder mehr hochwertige Apologetik brauchen und dass die Vernachlässigung bzw. die immer wieder zu hörende grundsätzliche Ablehnung von Apologetik ein schwerer Fehler ist? Über diese zentrale Frage sollten wir tatsächlich dringend diskutieren.

4. „Christen haben kein islamisches Schriftverständnis“

Diese vollkommen richtige Aussage begegnet mir immer wieder als Argument gegen ein Bibelverständnis, in dem der biblische Text unmittelbar als offenbartes Gotteswort betrachtet wird. Kombiniert wird dieser Strohmann oft mit der Aussage, dass für Christen – anders als für Muslime – nicht die Bibel sondern Christus als die höchste Offenbarung gilt. Wer diese Tatsache in der Diskussion mit konservativen Christen betont, impliziert damit gewollt oder ungewollt: Ihr stellt die Bibel über Christus, so wie im Islam der Koran über dem Propheten steht.

Damit tut man aber nach meiner Beobachtung den allermeisten konservativen Christen unrecht. So betont z.B. der evangelikale Theologe Thomas Schirrmacher, der u.a. die Übersetzung der als besonders konservativ geltenden „Chicago-Erklärung“ herausgegeben hat: Während im traditionellen christlichen Schriftverständnis die Bibel zugleich ganz Gotteswort und ganz Menschenwort ist, wird der Koran im Islam so gut wie ausschließlich als Gotteswort betrachtet. Zur Stellung der Bibel schreibt Schirrmacher: „Im Christentum steht der Religionsstifter Jesus über der Heiligen Schrift. Sie erhält ihre Bedeutung von ihm. … Im Islam steht der Religionsstifter Muhammad unter der heiligen Schrift. Er erhält seine Bedeutung von der Schrift, da er ihr Empfänger und Verkündiger ist.“ [4] Der Theologe Armin Baum kommentiert: „Um im evangelikalen Lager Theologen ausfindig zu machen, die … den Vorrang Jesu vor der Bibel bestreiten, muss man sicherlich sehr lange suchen.“ [5] Wer Konservative vor einem islamischen oder gar „salafistischen“ Schriftverständnis warnt, führt also eine Scheindebatte.

Die Frage ist also nicht, ob Jesus Vorrang vor der Bibel hat. Das hat er definitiv. Der tatsächliche Konflikt dreht sich um die Frage: Ist die Bibel trotz dieser Vorrangstellung ganz und gar von Gottes Geist eingehaucht (2.Tim.3,16) und somit offenbartes Wort Gottes? Über diese zentrale Frage sollten wir tatsächlich dringend diskutieren.

5. „Wir glauben nicht an die Bibel sondern an Jesus Christus“

Dieses besonders häufig verwendete Argument taucht manchmal auch in einer anderen Variante auf: „Wir sind nicht einem Buch treu sondern der Person Jesus Christus.“ Wer sich so im Hinblick auf ein konservatives Bibelverständnis äußert, impliziert damit gewollt oder ungewollt: Viele konservative Christen können nicht unterscheiden zwischen dem Vertrauen und der Treue gegenüber einer Person (Jesus Christus) und gegenüber einer Sache (Bibel). Besonders schlagkräftig wird dieses Argument durch den Vorwurf, konservative Christen würden aus der Dreieinigkeit Gottes eine Viereinigkeit machen: Vater, Sohn, Heiliger Geist und Bibel.

Damit tut man aber nach meiner Beobachtung den allermeisten konservativen Christen unrecht. Auch in sehr konservativen Kreisen ist mir noch niemand begegnet, der zur Bibel betet oder Lieder singt. Auch den konservativsten Christen ist sehr bewusst, dass der vertrauensvolle Glaube an Gott etwas kategorial anderes ist als der vertrauensvolle Glaube an die Verlässlichkeit der biblischen Texte. Wer ihnen mit diesem Argument entgegentritt, führt deshalb eine Scheindebatte.

Natürlich gibt es tatsächlich die Gefahr, dass die Beschäftigung mit der Bibel zum Selbstzweck wird. Wo sich das Bibelstudium löst von der gelebten Gottesbeziehung und wo es primär zur Rechtfertigung des eigenen Standpunkts dient, da wird es tatsächlich schräg. Aber diese Gefahr gibt es erstens in allen christlichen Lagern. Und zweitens sind sich nach meiner Beobachtung auch sehr konservative Christen dieser Gefahr durchaus bewusst.

Der tatsächliche Streit dreht sich nicht um den prinzipiellen Unterschied zwischen Gottesbeziehung und Schriftvertrauen. Den gibt es definitiv. Der Streit dreht sich vielmehr um zwei andere zentrale Fragen:

  • Sollten wir biblischen Aussagen auch dann noch glauben und treu vertrauen, wenn sie uns in schmerzhafte Widersprüche mit gesellschaftlichen Trends und vorherrschenden Meinungen führen? Oder flüchten wir uns dann in Alternativdeutungen, die uns zwar den Konflikt mit heutigen Sichtweisen ersparen, die aber – wenn wir ehrlich sind – letztlich vom erwünschten Ergebnis und nicht von der biblischen Aussageabsicht getrieben sind?
  • Welche Konsequenzen hat es für unseren Glauben an Jesus Christus, wenn wir den Glauben an die Verlässlichkeit und die unbedingte Autorität der Schrift verlieren? Schließlich wissen wir letztlich nichts Verlässliches über Gott und über Jesus Christus außer das, was uns in der Bibel offenbart wird. Wie können wir einem Gott vertrauen, über den wir nichts Verlässliches wissen? Ist es somit nicht eine grundsätzlich falsche Alternative, den Glauben an Christus gegen den Glauben an die Verlässlichkeit der Bibel auszuspielen?

Über diese zentralen Fragen sollten wir tatsächlich dringend diskutieren.

Debatten über zentrale Fragen des Glaubens gehörten schon immer zum Christentum dazu, wie man auch im Neuen Testament vielfach nachlesen kann. Wir sollten sie deshalb nicht umgehen. Aber wir sollten sie unbedingt ehrlich führen und uns gut darüber informieren, welche Sichtweisen Christen mit anderer Prägung tatsächlich haben, anstatt ihnen Positionen unterzuschieben, die sie selbst nie vertreten haben. Nur dann ist ein respektvoller Dialog möglich. Nur wenn wir Scheindebatten vermeiden und über die tatsächlichen heißen Themen diskutieren, kann der Dialog fruchtbar werden.


Weiterführend zu diesem Thema sind auf blog.aigg.de auch folgende Artikel erschienen:

Um Strohmannargumente und viele weitere Probleme in De­batten zwischen unter­schied­lich geprägten Christen geht es auch im Buch „Zeit des Umbruchs“, das im September 2019 bei SCM R. Brockhaus erschie­nen ist. Informationen, Leseproben, Stimmen und Rezensionen zum Buch gibt es unter zeitdesumbruchs.aigg.de.


[1] Timothy Keller: Adam, Eva und die Evolution. Wie Bibel und Wissenschaft zusammenpassen, Gießen 2018, S. 29 ff. Siehe dazu auch den AiGG-Artikel „Streit um das biblische Geschichtsverständnis

[2] Siehe dazu den AiGG-Artikel: „Stolz und Vorurteil – Wie wissenschaftlich ist die Bibelwissenschaft?“

[3] William L. Craig in: “Christliche Apologetik: Wer braucht sie?

[4] Th. Schirrmacher, Koran und Bibel. Die größten Religionen im Vergleich, Holzgerlingen 2008, bes. 11-57

[5] Armin Baum in: „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? Fortsetzung eines schwierigen Gesprächs

Was soll ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?

Renaissance einer Frage

Scheinbar bewegt sie heute niemand mehr: Die Frage nach dem ewigen Leben, die Jesus z.B. in Markus 10, 17 gestellt wurde. Zu Luthers Zeiten war sie noch hoch aktuell. Heute hingegen sind die Menschen diesseits- statt jenseitsorientiert. Die Hölle ist – wenn schon – eine Hölle auf Erden, in die man als Opfer hineingeraten kann, aber nicht wegen eigener böser Taten. Himmel ist, wenn man ein gutes Eis genießt oder einen schönen Urlaub erlebt. Aber mit dem Jenseits haben diese Begriffe nichts mehr zu tun.

Den großen Trend zur Diesseitsorientierung schildert der Theologe Patrick Becker in seinem Worthaus-Vortrag „Das vergessene Jenseits“. Er zeichnet dabei ein düsteres Bild von der Entwicklung der großen Kirchen, denen er vorhält, selbst an ihrem Relevanzverlust, ja sogar an ihrer Abschaffung beteiligt zu sein (ab Minute 36:50):

„Man kann eine Selbstmarginalisierung der Jenseitsvorstellungen in den Religionen darstellen. Und das versuche ich unter Aufgreifen des Historikers Thomas Großbölting ein bisschen zu verdeutlichen: Der hat vor ein paar Jahren ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „Der verlorene Himmel“ geschrieben. … Er stellt fest, dass die Religionsgemeinschaften nach wie vor in Deutschland sehr stark präsent sind. … Wenn man mal mit nichtchristlicher Brille durch die Stadt läuft wird man erstaunt sein, wie viele christliche Symbole man schon allein architektonisch präsentiert bekommt. … Die Zahl der Kirchgänger ist zugleich sehr klein und weiterhin stark schrumpfend. … Das geht damit einher, dass die Kirchen zwar sehr stark politisch aktiv und einflussreich sind, aber wenig Zugriff auf das Individuum haben. … Manche Kirchen scheinen deshalb auf die Idee zu kommen, dass es klug wäre, sich auf genau diese äußeren Vorgänge zu konzentrieren … als moralische, kulturtragende Instanz, soziale Arbeit, moralische Stimme in bestimmten Gremien und eben vom Orgelkonzert bis was auch immer im Kulturbereich aktiv zu machen. Das kommt auch an. … Die Zeit ist vorbei wo der Mainstream, die Masse sich quasi an der Kirche abarbeiten würde, wo sie noch wirklich überhaupt etwas wüsste, woran sie sich abarbeiten könnte. Also man nimmt die Kirche eigentlich nur noch von außenstehend wahr und sagt dann: Ja, es ist gut, dass es Kirchen gibt. Die soll eben genau das tun: Moral und Kultur. Aber ich selbst brauch sie nicht. … Das ist ein bisschen beruhigend, weil die Kirchen dann ihren Ort haben. Aber Sie werden es erahnen, meine Grundaussage hier ist: Damit verfehlen die Kirchen exakt ihre Pointe und machen sich überflüssig. Weil Moral und Kultur tragen, dazu brauche ich nicht religiös zu sein. … Die Pointe von Religion ist eine Andere: Die Sinnstiftung. Und die funktioniert im religiösen Kontext immer unter Bezugnahme auf ein Jenseits. Und hier kommt eben diese These raus, dass die Christenheit in Deutschland … tatsächlich selbst beteiligt ist an ihrer quasi Abschaffung, an ihrem Relevanzverlust. Das sagt Thomas Großbölting … genau in der Mitte seines Buchs … : Zentral an allen diesen historischen Prozessen … ist „der Wandel des Gottesbildes und der damit verbundenen Jenseitsvorstellungen.“ … Rein historisch betrachtet – wenn er an den Beginn des 20. Jahrhunderts geht – stößt er dort auf eine Jenseitspredigt, die den strafenden Gott in den Vordergrund stellt, wo die Hölle eine reale Erwartung gepredigt wird und wo der Himmel mit einer Exklusivität ausgestattet ist. Also die Botschaft ist: Jeder Einzelne muss in seinem Leben genau aufpassen und wenn er nicht so lebt wie es eben den religiösen Vorstellungen entspricht – also moralisch – dann erwartet ihn am Ende ein dramatisches Schicksal. Um das zu verhindern muss man das irdische Leben schon danach ausrichten, was eben sich am Jenseits orientiert. … Das war so negativ belastet, dass die christliche Predigt – um überhaupt noch gehört zu werden – … genau ins andere Extrem umgeschwenkt ist: Zum lieben Gott. Es gibt dann quasi nur noch den liebenden Gott. Der Himmel ist quasi geschenkt. Das finden Sie auch in den theologischen Eschatologien als Standardaussage: Eigentlich kommt jeder Mensch in den Himmel. Es wird immer dazu gesagt: Die Hölle ist eine Denkmöglichkeit, die real sein muss, weil sonst die Freiheit des Menschen nicht ernst genommen wäre. Aber eigentlich gehen wir davon aus, dass alle Menschen im Himmel landen werden. Und wenn der Himmel quasi so automatisch geschenkt, uns zugesagt ist, dann ist er auch nicht mehr relevant. Also was ich sowieso in der Tasche habe, darum brauche ich mich nicht mehr zu bemühen.“

Patrick Becker ist in seiner gesellschaftlichen Analyse ohne Zweifel zuzustimmen. Richtig ist auch, dass der Jenseitsverlust ein wichtiger Grund ist für den Abwärtsstrudel der Kirchen. Was er allerdings nicht erwähnt ist der tiefere Hintergrund für diesen Jenseitsverlust: Der Verlust der Schriftautorität! Denn Fakt ist nun einmal: Man kann nur dann Antworten auf Fragen zu transzendenten Themen geben, wenn man aus einer transzendenten Quelle schöpft. Menschen interessieren sich nicht für Spekulationen von Theologen. Sie wissen: Kein Mensch weiß etwas darüber, was nach dem Tod geschieht. Gott allein kann das wissen. Wenn aber der Text der Bibel nur noch zeitbedingtes Menschenwort statt geistinspiriertes Gotteswort ist, dann kann auch die Bibel keine Auskunft mehr über das Jenseits geben. Das gilt umso mehr, wenn es in der Theologie keinerlei Einheit mehr über Jenseitsfragen gibt.

Um das Jenseits wieder glaubwürdig ins Spiel bringen zu können ist deshalb auch eine Umkehr in unserer Haltung zur Heiligen Schrift alternativlos. Damit verbietet es sich dann allerdings auch, die Botschaft dieser Heiligen Schrift nach unserem eigenen Geschmack zu verbiegen. Die Menschen spüren nun einmal sofort, ob die Kirche aus einer Quelle schöpft, die außerhalb ihrer selbst liegt und deren Botschafter sie ist, oder ob sie sich eine eigene Botschaft konstruiert, mit der sie den Menschen nach dem Mund redet.

Wenn wir der Schrift folgen können wir klarstellen, dass weder die eine noch die andere von Thomas Großbölting geschilderten Jenseitspredigten der Wahrheit entspricht. Moralisches Leben bringt uns nicht in den Himmel. Niemals. Trotzdem ist der Himmel auch keine Selbstverständlichkeit, um die wir uns nicht kümmern müssten. Die Hölle ist viel mehr als eine theoretische „Denkmöglichkeit“. Jesus hat häufig über sie gesprochen und intensiv vor ihr gewarnt. Wir sind zum Glück nicht in der Position des Richters, somit müssen und dürfen wir auch nicht entscheiden, wer in die Hölle kommt. Aber wir dürfen und müssen die einzige gute Botschaft weitergeben, die uns sicher zum Vater und zum ewigen Leben führt. Das geht eben nicht durch moralische Werke oder durch irgendetwas, was wir Menschen tun könnten. „Bei den Menschen ist’s unmöglich“ sagte Jesus. Allein das feste Vertrauen auf Jesus und sein Erlösungshandeln am Kreuz hilft uns weiter: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Johannes 3, 16) Das ist das Herz des Evangeliums.

Ich bin überzeugt: Mehr Menschen als wir glauben, machen sich sehr wohl Gedanken darüber, wie es nach dem Tod weitergeht. Die Kirche hat dazu eine phantastische Botschaft aus einer einzigartigen Quelle. Denn dieser Jesus hat nicht nur geredet. Er ist auch nicht nur am Kreuz gestorben. Er hat selbst den Tod besiegt! Zahllose Zeitgenossen Jesu gaben ihr Leben aus lauter Begeisterung darüber, dass dieser Jesus tatsächlich von den Toten auferstanden ist. Die Botschaft von der Auferstehung hat quer durch die Zeiten und Kulturen Menschen inspiriert, getröstet und verändert. Nur dieser Jesus weiß, wie wir über den Tod hinaus leben können. Nur bei ihm sind wir richtig mit der Frage aller Fragen: Wie bekomme ich das ewige Leben?

Lassen wir uns nicht irritieren davon, dass das Jenseits scheinbar aus der Mode gekommen ist. Tragen wir vielmehr alle gemeinsam dazu bei, dass die Frage nach dem ewigen Leben wieder ganz neu gestellt wird. Und vor allem: Verbreiten wir die lebensspendende Antwort unseres Herrn, bis sie wieder zu hören ist in jedem Winkel unseres Landes!

Wie Vorannahmen die (Bibel-)Wissenschaft beeinflussen

– und warum sie von jedem Menschen auf Augenhöhe beurteilt werden können

In seinem Buch „Glaube, Wissenschaft und die Bibel“ befasst sich der finnische Professor Tapio Puolimatka mit der Frage: Wie beeinflussen die Grundüberzeugungen eines Menschen seine Denkergebnisse? Puolimatka zeigt, dass Forscher unumgänglich zu ganz anderen Ergebnissen kommen, wenn man die Existenz Gottes außer Acht lässt, wie auch manche moderne Bibelforscher dies tun. Wie C. S. Lewis kommt er zu dem ernüchternden Ergebnis, dass Gelehrtheit kein Garant ist für Urteilsvermögen.

Puolimatka unterscheidet drei unterschiedliche Grundüberzeugungen:

(Der nachfolgende Rest dieses Artikels setzt sich aus Auszügen aus dem Buch von T. Puolimatka zusammen, die Überschriften sind nachträglich eingefügt, die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.)

Nach der naturalistischen Herangehensweise kann man nur natürliche Gründe als Erklärung historischer Ereignisse anbringen. Übernatürliches gibt es nicht. Zumindest kann es den Gang der Geschichte nicht beeinflussen. Gott kann sich nicht selber den Menschen durch historische Ereignisse offenbaren. Die übernatürlichen Wundererzählungen der Bibel kann man als solche nicht als wahre Beschreibungen wirklicher geschichtlicher Ereignisse akzeptieren, sondern man muss eine natürliche Erklärung für sie finden. Nach der naturalistischen Auffassung müssen die Methoden, die Wissenschaft anwendet, „atheistisch“ sein. „Sie schließen Gott von Anfang an aus allen wissenschaftlichen Erklärungsmodellen aus.“ (Laato (1994), S. 7)

Neben dem weltanschaulich bindenden starken Naturalismus wird die Forschung beeinflusst durch den schwachen bzw. methodischen Naturalismus, der die Fragen nach Gottes Existenz und der Möglichkeit von Wundern offen lässt. Bei dieser Herangehensweise werden die Existenz Gottes, Jesu Göttlichkeit oder die Möglichkeit von Gottes Offenbarung weder bejaht noch verneint. In Kreisen wissenschaftlicher Forschung sind nur solche Annahmen statthaft, die alle Forscher akzeptieren können.

Nach dem Supernaturalismus kann man einen Ausgangspunkt , der sich auf die Offenbarung Gottes gründet, nicht mit guten Gründen aus dem Bereich der Wissenschaft ausschließen, da die beste Erklärung für alles Existierende aus Gott und seiner Offenbarung kommt. Nach der Auffassung des Supernaturalismus ist wissenschaftliche Forschung niemals neutral – im Hintergrund stehen immer Annahmen, die man weltanschaulich oder religiös klassifizieren kann.

Grundlegende Überzeugungen sind nicht immer bewusst, da sie häufig unter Wissenschaftlern einen Status der Selbstverständlichkeit haben. Vorweg-Annahmen sind wie Brillengläser, durch die man die Wirklichkeit betrachtet. Dem Menschen fällt es schwer, selbstkritisch auf seine eigenen vorgefassten Annahmen zu blicken, da er diese Annahmen durch dieselben Brillengläser betrachtet.

Forscher haben kein Sonderwissen im Hinblick auf diese Grundannahmen. Vergleicht man die Grundannahmen, so hat jeder beliebige Mensch die Voraussetzungen, die Überzeugungskraft von humanwissenschaftlichen und theologischen Forschungsergebnissen zu beurteilen.

Der Naturalismus beeinflusst die Bibelwissenschaft

Der Streit zwischen Naturalismus und Supernaturalismus nimmt in der Bibelkritik eine feste Form an in der Frage, ob Gott sich im Wort offenbart hat. Konnte Gott beispielsweise auf übernatürliche Weise die Entstehung der Texte der Bibel so steuern, dass man sie „Gottes Wort“ nennen kann? So mancher Forscher, der auf die wissenschaftliche Erforschung der Bibel spezialisiert ist, hat als Basis seiner Forschung die naturalistische Grundannahme verinnerlicht. Gott könne sich nicht auf übernatürliche Weise in historischen Ereignissen und im biblischen Wort offenbaren, oder zumindest könne man eine solche Offenbarung nicht als Ausgangspunkt der Forschung heranziehen. „Er erforscht die Bibel als menschliches Dokument, als würde Gott nicht existieren.“ (Laato 1994) Der Naturalismus (in seiner starken und schwachen Form) der die Kultur unserer Zeit und die Wissenschaft prägt, lässt den Gedanken an einen Gott hinter sich, der sich in den Ereignissen der Geschichte und im Wort der Bibel kundtut. Auch dann, wenn man die Möglichkeit eines solchen Gottes grundsätzlich bejaht (schwacher Naturalismus), gehört er doch nach dieser Anschauung nicht in den Bereich der Wissenschaft.

Theologen akzeptieren diese Herangehensweise, da der Naturalismus in der breiten wissenschaftlichen Öffentlichkeit eine Vormachtstellung einnimmt, und sie rechtfertigen sie damit, dass eine Auseinandersetzung zwischen Menschen mit verschiedenen Sichtweisen erst dadurch ermöglicht würde, dass man sich in der Wissenschaft auf solche Grundannahmen beschränke, die alle akzeptieren können. Wenn Theologen zum Ausgangspunkt ihrer Forschung nehmen würden, dass Gott gesprochen habe und dass man Gottes Sprechen erkennen und verstehen könne, dann würden sie in einen Konflikt mit der breiten wissenschaftlichen Öffentlichkeit geraten.

Es mag zu vereinfachend erscheinen, die Bibelkritik hauptsächlich aus der Perspektive zweier Herangehensweisen zu behandeln, des Supernaturalismus und des Naturalismus. Dies ist dennoch nicht so vereinfachend, wie man es anfangs meinen könnte. Nach Edward Craig (Craig, 2004) existieren nämlich nur zwei grundlegende Weltanschauungen oder Wirklichkeitsbegriffe, und alle anderen Auffassungen, Philosophien und Theorien bilden sich in Abhängigkeit von ihnen oder als ihre Variation heraus. Einerseits gibt es die supernaturalistische Vorstellung, nach der Gott der Ursprung der Wirklichkeit ist und der Mensch ein nach Gottes Bild geschaffenes Wesen, das in der von Gott geschaffenen Welt lebt. Andererseits gibt es die naturalistische Vorstellung, nach der die gesamte Wirklichkeit aus natürlichen Faktoren zu erklären ist. Für Craig ist es Selbstbetrug zu denken, dass es irgendeine neutrale Herangehensweise gebe, mithilfe derer es möglich sei, diese beiden Vorstellungen neutral zu untersuchen, ohne bei den Untersuchungen zu einer der beiden angebotenen Grundannahmen zu tendieren.

Warum in Bezug auf die Grundannahmen jeder Laie auf Augenhöhe mitreden kann

Die Frage, ob Gottes Offenbarung im Wort möglich ist, ist nach C.S. Lewis keine Sache, in der ein Forscher mehr Sachkenntnis oder Ansehen hätte als irgendein beliebiger Mensch. Es gibt keine eindeutige wissenschaftliche Antwort auf die Frage, ob Gott sich offenbaren kann. Hierzu nimmt man, bevor man zu forschen beginnt, eine Position ein, die auf Glauben beruht, und die eigene Position beeinflusst die Art und Weise, wie geforscht wird und die erzielten Ergebnisse. Nicht ein einziger Forscher ist Experte in grundlegenden Fragen der Existenz. „Hier (in der Frage nach der Möglichkeit des Übernatürlichen – Anm. des Übers.) reden sie einfach als Menschen; als Menschen, die vom Geist des Zeitalters, in dem sie aufwuchsen, offensichtlich beeinflusst und ihm gegenüber vielleicht zu unkritisch sind.“ (Lewis 1986)

Das besondere Können eines Forschers konzentriert sich auf ein sehr enges Sondergebiet. Was seine in die Forschungstätigkeit einfließenden Grundannahmen betrifft, ist er gezwungen, in gleicher Weise in Abhängigkeit von menschlichen Grunderfahrungen und Selbsterkenntnis zu handeln wie jeder beliebige Mensch. Daher kann jeder Mensch auch mit guten Gründen die in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit dominierenden Denkvoraussetzungen beurteilen und seiner Kritik unterwerfen.

In vielen hervorragenden exegetischen Kommentaren kristallisiert sich eine große Menge an für den Bibelforscher nützlichem Wissen heraus. Das bedeutet aber nicht, dass man blind den Ergebnissen der exegetischen Forschung glauben kann. Denn die Forschung ist so stark an die vorausgehenden Annahmen und grundlegenden Grundüberzeugungen des Forschers gebunden; aus welchem Blickwinkel der Forscher die Dinge betrachtet und welche Fakten er von seinem Standpunkt der Interpretation aus für bedeutungsvoll erachtet und auswählt, bestimmt die Auslegung.

Daher kann ein gewöhnlicher Bibelleser, der das Alte Testament gut kennt, dem Text mehr gerecht werden als ein auf Auslegung spezialisierter Exeget, der den Schlüssel zur Interpretation in der griechisch-römischen Kultur zu finden glaubt.


Das Buch „Glaube, Wissenschaft und die Bibel“ von Prof. Tapio Puolimatka in der Übersetzung von Beile Ratut ist 2018 im Ruhland-Verlag erschienen. Es ist hochaktuell und grundlegend, indem es den Einfluss von Grundüberzeugungen auf das Leben, die Wissenschaften und insbesondere die Theologie untersucht. In Finnland mit seinen nur 5 Mio. Einwohnern gingen 6.000 Exemplare dieses Buchs über den Ladentisch.

Der Kampf ums Bibelverständnis

Wegweisende Erkenntnisse aus dem Buch „Biblische Hermeneutik“ von Prof. Gerhard Maier

„Biblische Hermeneutik“: Dieses Buch von Prof. Gerhard Maier hätte ich am liebsten jedem Theologen zu Weihnachten unter den Baum gelegt. Der Autor ist mir schon lange ein Begriff, schließlich war er 4 Jahre lang Landesbischof meiner württembergischen Landeskirche. Dass er zugleich ein herausragender Theologe ist, war mir auch schon zu Ohren gekommen. Tatsächlich ist sein Buch „Biblische Hermeneutik“ nichts weniger als ein grundlegender Ruf zur Umkehr in der Theologie. Maier setzt sich intensiv mit der sogenannten „historisch kritischen Methode“ (HKM) auseinander, die aktuell eine fast uneingeschränkte Dominanz besitzt:

„Die Meinung, „dahinter können wir nicht mehr zurück“, ist eine der am weitesten verbreiteten, auch im Kreise sog. „evangelikaler“ Theologen. … Noch 1971 konnte Richter schreiben: „Das Recht, die historisch-kritische Methode anzuwenden, ist heute … in der Theologie unbestritten“. Dabei ist allen klar, dass die „Kritik“ nicht nur die (selbstverständliche!) Aufgabe des Unterscheidens wahrnimmt, sondern ein „kritisches“ Beurteilen der biblischen Aussagen, ihre Bejahung oder Verwerfung, kurz: die Sachkritik an der Bibel, einschließt.“ (S. 214)

Eben diese Sachkritik ist für Maier das entscheidende Problem bei der HKM, denn: „Jede Sachkritik an der Bibel gibt … Teile ihres Inhalts preis. … Die zahllosen Schwankungen, denen innerhalb der letzten 300 Jahre die Sachkritik unterworfen war, widerlegen eindrucksvoll die Behauptung, die Schrift ermögliche aus sich selbst heraus eine solche Sachkritik.“ (S. 266)

Sachkritik bedingt immer, dass es einen menschlichen Kritiker geben muss: „Was sich … durch die ganze Geschichte der historischen Kritik hindurchzieht, das ist die Anschauung, dass der Mensch über den Wahrheitsgehalt der Offenbarung zu entscheiden habe.“ (S. 259) Der Bibel wird damit eine zweite Autoritätsinstanz beigestellt: „Das katholische Lehramt ist evangelischerseits im Laufe der Zeit durch Vernunft und Wissenschaftlichkeit, deren Inhalte umstritten blieben, ersetzt worden. … Wahrhaftigkeit und modernes Weltverständnis sind hier ethische und intellektuelle Verstehensvoraussetzungen, die in ihrer Kombination zu einer zweiten Instanz neben der Schrift führen.“ (S. 142) Somit ist die reformatorische Formel „Sola scriptura“ preisgegeben, die bis zum Pietismus noch galt. (S. 302)

Die zentrale Weichenstellung: Trennung von Text und Offenbarung

Grundsätzlich möglich wird die Bibelkritik der HKM durch folgende zentrale Weichenstellung: „Grundlegend für die historisch-kritische Arbeitsweise ist die Trennung von Schrift und Offenbarung bzw. von Bibel und Wort Gottes. Keinesfalls besteht hier eine Identität.“ (S. 262) Beispielhaft zeigt Maier das an der „dreifachen Gestalt des Wortes Gottes“ von Karl Barth, in der u.a. zwischen dem schriftlichen und dem offenbarten Wort Gottes unterschieden wird, wobei das schriftliche Wort (die Bibel) nicht die eigentliche Offenbarung ist. Die Bibel bezeugt sie nur. Maier begründet, warum er sich mit dieser Lehre nicht befreunden kann: „Sie zerbricht die Theopneustie („göttliche Eingebung“, „Durchhauchtsein mit dem Geist“, 2. Tim. 3, 16) an der entscheidenden Stelle, nämlich dort, wo gerade die Schrift als das final gemeinte Wort des Heiligen Geistes Gestalt gewinnen soll … indem sie uns letztlich an ein unkonkretes, zeitloses „Dahinter“ bindet. Und sie widerspricht auch der Position Luthers und der Reformatoren, für die das biblische Wort der eigentliche Wille Gottes war.“ (S. 104)

Erst durch diese Trennung zwischen biblischem Wort und Offenbarung ist es möglich, kritisch an das biblische Wort mit dem Prinzip des wissenschaftlichen Zweifels heranzutreten. Das ist für ihn die eigentliche „Innovation“ der historisch kritischen Methode: „Nicht die Entdeckung neuer, bisher unbekannter Arbeitsschritte oder methodischer Einzelverfahren war das Entscheidende. Sondern der prinzipiell vom Zweifel geprägte Umgang mit der Heiligen Schrift.“ (S. 221)

Deutlich wird dieser Zweifel zum Beispiel im Umgang mit den geschichtlichen Aussagen der Bibel. Das ist aus seiner Sicht besonders tragisch, denn: „Der biblische Glaube hängt tatsächlich aufs engste mit der wirklichen Geschichte zusammen. … Entzieht man ihm die geschichtliche Basis, auf die er aufgebaut ist, dann hat man ihn prinzipiell widerlegt. … Der Glaube hängt an seiner Geschichtlichkeit.“ (S. 181)

Hinzu kommt in der HKM die bis heute nicht überwundene allgemeine Skepsis gegen Wunder und Prophetie: „Im Grunde teilt das ganze 19. Jh., soweit es die historisch-kritische Forschung in Deutschland betrifft, das Urteil, dass wir heute an Wunder nicht mehr glauben können. … Ja selbst in unserem Jahrhundert noch wird die historische Kritik von dem Gedanken beherrscht, dass Wunder ungeschichtlich seien.“ (S. 196)

Daran zeigt sich, wie wenig die historisch kritische Methode ihren eigenen Anspruch einlöst, „wissenschaftlich“ und „objektiv“ zu sein: „Es besteht … unter den Anhängern der historischen Kritik eine erstaunliche Übereinstimmung darüber, dass sie „ein Kind der Aufklärung“ darstellt. … Damit ist die dominierende Rolle der Vernunft ausgesagt. … Hier erhält also … der Mensch einen absoluten Vorrang. … Auf der anderen Seite wird deutlich, dass diese „Vernunft“ keine weltanschauliche Neutralität besitzt. Im Gegenteil, sie ist eine religiös determinierte Größe. Um noch einmal Picht zu zitieren: „Die Vernunft des europäischen Denkens ist als Projektion des Gottes der griechischen Philosophie bis in ihre innersten Elemente vom Mythos durchtränkt. Es ist ein Zeichen mangelnder Aufklärung, wenn wir das nicht wissen. Von hier aus fällt ein neues Licht auf die Spannung zwischen Glauben und Vernunft, aber auch auf die unglückliche Liebe der Theologen zu dieser selben Vernunft.“ Das heißt, die Berührung der Theologie mit der Philosophie der Aufklärung und die Entwicklung einer vernunftverantwortlichen Bibelwissenschaft war eben kein Methodenproblem im neutralen Sinne, sondern eine religiöse Kontamination. … Die neue Situation, die durch eine solche Anwendung von Kritik entstand, muss eindeutig als ein Bruch mit der vorangehenden christlichen Geschichte bezeichnet werden.“ (S. 236/237)

Das Bibelverständnis muss aus der Bibel kommen!

Angesichts dieser grundsätzlichen Dramatik stellt sich nun umso drängender die Frage: Wie begegnet Gerhard Maier nun der HKM? Im ganzen Buch findet sich dazu immer das gleiche Prinzip: Maier setzt den Sichtweisen der HKM nicht einfach seinen eigenen Ansatz gegenüber. Zwar ist er sich zwar bewusst, dass „eine voraussetzungslose Auslegung ein Phantom, eine Selbsttäuschung darstellt. Doch gerade unsere Voraussetzungen will die Bibel in Frage stellen, korrigieren und teilweise zerstören.“ (S. 15) Prof. Maier betont also: Wir können unsere Denkvoraussetzungen beim Auslegen der Bibel nicht beliebig wählen. Die Bibel hat eine Meinung dazu, wie sie korrekt gelesen und ausgelegt werden will! Deshalb befragt Maier immer wieder den biblischen Text, den er durchweg als „Offenbarung“ bezeichnet. Er will sich sein Schriftverständnis von der Bibel selbst vorgeben lassen, denn: „Wahrscheinlich ist die wichtigste hermeneutische Entscheidung diejenige, ob wir den Ausgangspunkt bei der Offenbarung selbst oder beim Menschen nehmen.“ (S. 19) Er wendet damit vorbildlich das reformatorische Prinzip an, dass die Schrift sich selbst auslegen muss. Im Zentrum steht für Prof. Maier deshalb die Frage:

Welches Bibelverständnis gibt uns die Bibel vor?

Maier stellt zum einen fest, dass die Bibel die menschliche Vernunft als oberste Autoritätsinstanz für vollkommen ungeeignet hält: „Die Offenbarung kennt den „autonomen“ Menschen nur als den „verlorenen“ Menschen. … Seine Autonomie war von Anfang an eine Utopie und ein Weg in die Sklaverei, ja zum Rande des Untergangs.“ (S. 242/243)

Das biblische Bibelverständnis stellt sich für Maier nach ausführlicher Analyse der biblischen Aussagen wie folgt dar: „Diese Offenbarung beansprucht, aus Gottes Geist hervorgegangen zu sein. Sie ist … Anrede Gottes an uns. Wer sie hört, hört in erster Linie nicht die menschlichen Verfasser und Glaubenszeugen, sondern den dreieinigen ewigen Gott. … Als einzigartiges Reden Gottes hat sie eine einzigartige, unvergleichliche Autorität. An dieses Wort hat sich Gott gebunden. Er hat es zum Ort der Begegnung mit uns bestimmt. Er wird dieses Wort bis ins letzte hinein wahr machen und erfüllen. Die Schriftautorität ist im Grunde die Personenautorität des hier begegnenden Gottes.“ (S. 151)

Wichtig ist Prof. Maier dabei der Begriff der „Inspiration“. Nicht nur die biblischen Autoren waren von Gottes Geist inspiriert („Personalinspiration“), nein: Der Text selbst ist von Gottes Geist inspiriert („Verbalinspiration“), und zwar der vollständige Bibeltext aller kanonischer Bücher im endgültig vorliegenden Urtext („Ganzinspiration“). Genau das nimmt laut Maier auch der biblische Text für sich selbst in Anspruch: „Die weitaus meisten Schriften des Neuen Testaments sind nach der Selbstaussage des NT inspiriert … oder lassen den indirekten Anspruch erkennen, inspirierte Schrift zu sein. … Wenn später die Kirche … die Inspiration aller neutestamentlichen Schriften anerkannte, dann stand sie auf einem guten historischen Boden und darüber hinaus im Einklang mit der Offenbarung selbst.“ (S. 88)

Darüber hinaus beansprucht der Bibeltext noch folgende Eigenschaften für sich: „Die Offenbarung schreibt dem Worte Gottes vor allem vier Eigenschaften zu: Erstens: Es ist verlässlich. … Zweitens: Es ist wirksam. … Drittens: Es zeigt den Willen Gottes auf und damit den Weg zum Heil. … Viertens: Es ist verbindlich. … Man kann also beobachten, dass Begriffe wie „Irrtumslosigkeit“, „Fehlerlosigkeit“ oder „Unfehlbarkeit“ in der Bibel nicht gebraucht werden. Aber noch weniger spricht die Bibel von „Fehlern“ oder dergleichen.“ Ein bibelnaher Begriff für den Selbstanspruch der Bibel ist aus der Sicht von Maier: „Vollkommene Verlässlichkeit.“ (S. 122). Dazu erläutert er: „Das zur Schrift gewordene Wort Gottes ist vollkommen verlässlich und fehlerlos im Sinne seiner göttlichen Zwecke, also von Gott her betrachtet.“ (S. 125)

Mit Jesus die Bibel kritisieren? Die Einheit und Klarheit der Schrift

Aus der Urheberschaft Gottes folgt für Maier auch die Einheit der Schrift: „Die Einheit der Schrift wird am stärksten begründet durch den einen Urheber, den sie hat, Gott. … In der Tat ist die Behauptung einer Widersprüchlichkeit davon abhängig, dass man die menschlichen Glaubenszeugen zu den maßgeblichen Autoren der Schrift ernennt und den göttlichen Autor verdrängt.“ (S. 164) „Erst seit der Aufklärung ging die Überzeugung von der Einheit der Schrift in weiten christlichen Kreisen verloren.“ (S. 160) Das ist dramatisch, denn: „Wo man die Einheit der Schrift verliert, verliert man auch das Mittel, gegen die Häresie zu kämpfen. … Bezeichnenderweise gab es seit der Aufklärung zwar noch eine Kirchenzucht, aber im Grunde keine Lehrzucht mehr. … Damit wird jedoch das NT auf den Kopf gestellt.“ (S. 165)

Aber widerspricht sich die Bibel nicht selbst? Können bzw. müssen wir nicht mit Jesus andere Teile der Bibel kritisieren? Diesen Ansatz verwirft Maier aufs Schärfste: „Die Schrift war für Jesus wie für seine jüdischen Gesprächspartner die letzte Entscheidungsinstanz. … Es kann überhaupt kein Zweifel daran sein, dass den heiligen Schriften in den Augen Jesu eine unvergleichliche Autorität zukommt. Wer bei ihm „Kritik“ am AT finden will, muss alles auf den Kopf stellen.“ (S. 149) „Eine Anleitung aus der Schrift, Schrift mit Schrift abzulehnen (was ja der Begriff der „Sachkritik“ impliziert), gibt es nirgends.“ (S. 265)

Kritisch sieht Maier deshalb auch den Versuch, eine „Mitte der Schrift“ zu konstruieren: „Die „Mitte der Schrift“ wurde praktisch zum Ersatz für die verlorengegangene „Einheit der Schrift“. … Wird aus der Christusmitte ein Christusprinzip, dann wird die Schrift entleert und ihrer Fülle beraubt. … Es kann sich nur um eine personale Mitte handeln. … Jeder Versuch, diese Mitte als ein isolierbares Etwas herauszulösen oder in Form eines Lehrgesetzes zu formulieren, zersprengt die Kontinuität der heilsgeschichtlichen Offenbarung.“ (S. 174-176).

Dazu verteidigt Maier die „Klarheit der Schrift“: „Die Autorität der Schrift kann sich praktisch nur durchsetzen, wenn jeder schlichte Christ in der Lage ist, einen klaren Begriff vom Inhalt der Schrift zu gewinnen. … Jesus konnte die wiederholte Frage: „Habt ihr nicht gelesen?“ nur stellen, wenn er von der Klarheit der Heiligen Schrift überzeugt war. … Die schriftgewordene Offenbarung behauptet, für jedermann zugänglich und eindeutig genug zu sein.“ (S. 155/156)

Konsequenzen der HKM: Ethisierung, Subjektivierung, Individualisierung, Erfahrungstheologie

Gerhard Maier ist als ehemaliger Landesbischof nicht nur Theologe sondern auch Gemeindepraktiker. Vor diesem Hintergrund sollte man umso aufmerksamer hinhören, wenn er die negativen Folgen der historisch kritischen Methode wie folgt beschreibt: „Der Inhalt, von dem die Neologie (d.h. die aus der Aufklärung resultierende Lehre) den Offenbarungsbegriff entleert, ist der historische; der Inhalt, den sie neu einfüllt, ein rationaler. Sobald aber die Geschichte durch das Rationale ersetzt wird, wird die Bibel zum Lehrgesetz. Deshalb ist es überhaupt nicht erstaunlich, dass in der Aufklärung die sittliche Vernunft zum dogmatischen Kriterium wird, … und eine „Ethisierung des Christentums“ eintritt.“ (S. 170) Außerdem wächst für Maier „den subjektiven Faktoren eine beherrschende Rolle zu.“ (S. 9)  Und: „Mit dem Vernunftglauben ist der Individualismus einer der stärksten Motive der historischen Kritik.“ (S. 240) „Wir entdecken, dass die Trennung von Schrift und Offenbarung … einen ganz andersartigen Raum schaffen kann: dem Empfinden … Wie will die gemäßigte Kritik, gefangen im Zwei-Instanzen- und im Widersprüchlichkeits-Denken, den Umschlag in eine solche Erfahrungstheologie verhindern?“ (S. 331)

Ist „gemäßigte Kritik“ die Lösung?

Mit „gemäßigter Kritik“ meint Maier den theologischen Versuch, die historisch-kritische Herangehensweise mit konservativen theologischen Positionen zu verbinden. Diesem Versuch erteilt Maier eine Absage, denn: „Sie begnügt sich als Vermittlungstheologie … wo ein grundsätzlicher Neuanfang erforderlich wäre. Statt die Schrift als inspiriert zu betrachten lässt sie nur eine Inspiration der biblischen Schriftsteller gelten. Sie bleibt darin der Aufklärung verhaftet, dass sie neben die Schrift eine zweite Instanz stellen muss, vor der sich der Ausleger zu verantworten hat. Sie kann infolgedessen die reformatorische Sicht von der Bibel als der einzigen norma normans nicht durchhalten. Sie fordert die Sachkritik an der Bibel. Ohne Sachkritik gibt es für sie keine Theologie als Wissenschaft. Die Einheit der Schrift wird von ihr preisgegeben. Schrift und Offenbarung bleiben bei ihr verschiedene, sich nur teilweise deckende Größen. Deshalb folgt sie dem Trend, das Eigentliche jenseits der Schrift zu suchen. Indem sie Schrift und Offenbarung voneinander trennt und nur bestimmte Aussagedimensionen als Gottes Wort anerkennt, fördert sie den Hang zur Erfahrungstheologie.“ (S. 331)

Vertrauen und Offenheit statt „wissenschaftlicher Zweifel“

Grundsätzlich notwendig ist für Maier eine klare Absage an das Prinzip des „wissenschaftlichen Zweifels“, denn: „Eine Begegnung mit der Offenbarung, die Skepsis und Zweifel zum Prinzip macht, bedeutet ein brüskes Nein zu ihrer Vertrauensbemühung. Man kann den Ausleger psychologisch und existenziell in keine schroffere Gegenposition versetzen, als indem man ihm den Zweifel vorschreibt.“ (S. 247). Stattdessen fordert er einen theologischen Wissenschaftlichkeitsbegriff, der dem Forschungsgegenstand gerecht wird: „Ein prinzipieller Zweifel ist … das unangemessenste Verfahren für den Umgang mit der Bibel.“ (S. 14) „Jede Wissenschaft richtet sich nach ihrem Gegenstand. Biblische Wissenschaft müsste sich demnach aus dem Reden Gottes aufbauen. Sie müsste bereit sein, sich ihre Erkenntnisse und Positionen aus der Offenbarung selbst geben zu lassen.“ (S. 268) „Unter dieser Voraussetzung ist die Theologie samt ihrer Hermeneutik eine Wissenschaft. Allerdings eine Wissenschaft sui generis (eigener Art), die sich von allen anderen durch ihre Offenbarungsgebundenheit und ihren Glaubensbezug unterscheidet.“ (S. 34)

Entsprechend charakterisiert Maier die angemessene Haltung des Auslegers gegenüber dem biblischen Text wie folgt: „Nirgends ist uns die Unfehlbarkeit des Verständnisses versprochen (vgl. 1 Kor 13,9). Doch wird den Ausleger … ein Urvertrauen zur Bibel als der schriftgewordenen Offenbarung begleiten. … Dieses Urvertrauen schlägt sich nieder in dem Vertrauensvorschuss, der der Bibel gewährt wird.“ (S. 49) „Seine Grundhaltung ist das erwartungsvolle Gebet und die demütige Offenheit.“ (S. 339)

Ich kann meiner Kirche mit ihren theologischen Fakultäten nur von Herzen wünschen, dass sie auf Prof. Maier hört. Längst ist sein Ruf zur Umkehr auch in den Freikirchen und in der evangelikalen Bewegung insgesamt dringend notwendig, denn die Trennung zwischen Schrift und Offenbarung ist auch dort weit verbreitet.


Das Buch ist 1990 im SCM R.Brockhaus-Verlag erschienen (zuletzt 2017 in der 13. Auflage) und kann hier bestellt werden.

Streit um das biblische Geschichtsverständnis

Sind die biblischen Erzählungen theologisch lehrreiche Legenden? Oder wollen sie reale geschichtliche Ereignisse beschreiben? Und warum ist diese Frage überhaupt wichtig?

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Vor allem in der universitären Theologie gibt es seit längerem mehrheitlich die Auffassung, dass viele der in der Bibel geschilderten Ereignisse nie stattgefunden haben. So äußerte zum Beispiel schon vor fast 20 Jahren  der einflussreiche evangelische Theologe Andreas Lindemann in einem Spiegel-Interview: “Dass es sich bei den Evangelien um Lebensbeschreibungen Jesu handelt […] wird seit Jahrzehnten von keinem ernst zu nehmenden Exegeten mehr behauptet.“ Hätte er recht, hieße das: Nicht nur die Wunder und die Auferstehung sind in Frage gestellt. Ganz grundsätzlich wären in den Evangelien keine historisch verlässlichen Beschreibungen des Lebens und der Lehre Jesu zu finden.

In noch deutlich stärkerem Maße gilt diese Skepsis für die Erzählungen des Alten Testaments, und dort vor allem für die die biblische Urgeschichte in 1. Mose 1-11. Auch der deutlich konservativere Theologe Prof. Thorsten Dietz von der Evangelischen Hochschule Tabor äußert dazu: Die Ansicht, dass der Sintflutbericht historisch verstanden werden wolle „schiebt dem Bibeltext eine Bedeutungsabsicht zu, die er nach allem, was wir über altorientalische Geschichtsschreibung wissen, nicht gehabt hat. […] Wir können den Autoren kein Geschichtsverständnis unterstellen, wie wir es heute kennen. Wir sollten die Autoren der Bibel nicht auf Fragen festnageln, die sich ihnen nie gestellt haben. Damit verfehlen wir den Sinn der Texte. […] Althistoriker zeigen, dass es in der Antike erst allmählich zu einer klaren Unterscheidung von geschichtlich, vorgeschichtlich, legendarisch etc. gekommen ist.“ [1]

Noch schärfer formuliert Prof. Siegfried Zimmer, wenn er behauptet, dass das „historische Denken“ überhaupt erst im 18. und 19. Jahrhundert in Europa entstanden sei, da erst zu dieser Zeit deutlich wurde, „wie umfassend das Leben und Denken des Menschen einem geschichtlichen Wandel unterliegt.“[2] Und weiter: „Wer die Behauptung aufstellt, die Bibel verstehe “Adam und Eva” als geschichtliche Personen, verteidigt nicht die Bibel. Er verteidigt etwas Anderes: sein eigenes, falsches Bild der Bibel und seine eigenen Missverständnisse und Vorurteile. […] In fundamentalistischen Kreisen gibt es Christen, die mit einem ungeheuren naturwissenschaftlichen Aufwand und Scharfsinn beweisen wollen, dass es in den Anfangskapiteln der Bibel um historische Ereignisse und um historische Personen geht. Diese Christen wollen etwas beweisen, was die Bibel gar nicht behauptet! Das ist tragisch und absurd.“ [3]

Gottes Wort als solches ernst nehmen hieße demnach also: Erkennen, dass zumindest die Geschichten in 1. Mose 1-11 rein symbolisch oder metaphorisch gemeint sind, keinesfalls aber tatsächliche Ereignisse beschreiben wollen. Wer das anders sieht, stülpt den biblischen Autoren demnach ein falsches Geschichtsverständnis über, das sie gar nicht gehabt hatten (bzw. haben konnten) und produziert damit ohne Not unlösbare Probleme, die es naturwissenschaftlich aufgeklärten Menschen unnötig schwer oder gar unmöglich machen, der Bibel zu vertrauen. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf. Wer will schon den Menschen den Weg zum Glauben verbauen?

Richtig ist natürlich: Die Bibel ist kein naturwissenschaftliches Lehrbuch. Ich kenne persönlich auch niemanden, der das behauptet. Denn es ist ja offenkundig: Die biblischen Autoren schreiben meist aus der Beobachterperspektive. Sie ordnen den Stoff oft thematisch oder literarisch statt streng chronologisch an. Sie legen keinen Wert auf Vollständigkeit und Detailtiefe. Ihre Schilderungen sind häufig geprägt von theologischen Fragestellungen (was natürlich per se nicht gegen ihren historischen Anspruch spricht[4]). Und natürlich kennen sie die modernen wissenschaftlichen Definitionen nicht. Deshalb können z.B. Hasen als Wiederkäuer bezeichnet werden, was nach der modernen Taxonomie zwar falsch ist, aber auf der richtigen Beobachtung fußt, dass Hasen tatsächlich ihren Blinddarmkot erneut aufnehmen.

Richtig ist auch: Wenn die Aussageabsicht der biblischen Autoren nichts mit Geschichtsschreibung zu tun hatte, dann wäre es tatsächlich sträflich, diese Texte in einem falschen Sinne „wörtlich“ zu lesen. Das wäre dann in etwa so, wie wenn jemand in Neuseeland nach den Spuren des Landes „Mittelerde“ aus dem Roman ‚Herr der Ringe‘ sucht, und dann an der Glaubwürdigkeit des Autors J.R.R. Tolkien zweifelt, weil er nichts als ein paar billige Filmkulissen gefunden hat.

Die große Frage ist: Könnte es tatsächlich sein, dass die Christenheit 1800 Jahre lang in diesen Fragen einem derart fatalen Missverständnis aufgesessen ist, weil sie Geschichte und Gleichnis verwechselt hat?

Um Licht in diesen Themenkomplex zu bringen geht dieser Artikel folgenden 2 Fragen nach:

  1. Warum ist die Frage nach der historischen Wahrheit überhaupt wichtig? Reicht es nicht, einfach nur die theologische Aussage ernst zu nehmen? Spielt es überhaupt eine Rolle, ob die Ereignisse sich tatsächlich ereignet haben?
  2. Konnten und wollten die antiken Autoren überhaupt unterscheiden zwischen Geschichte, Legende und Metapher? Hat sich diese Unterscheidung nicht erst in der Moderne durchgesetzt?

Beginnen wir mit Frage Nummer 1:


Warum ist die Frage nach der historischen Wahrheit überhaupt wichtig? Reicht es nicht, einfach nur die theologische Aussage ernst zu nehmen? Spielt es überhaupt eine Rolle, ob die Ereignisse sich wirklich ereignet haben?


Warum ist die gesellschaftliche Situation in Deutschland so, wie sie ist? Ganz einfach: Der Zustand unseres Landes ist auch ein Produkt seiner Geschichte. Geistliche und geistige Strömungen, Kriege und Konflikte, Machtkämpfe und Umwälzungen haben unser Land mit geprägt. Wer die Dynamiken der Gegenwart verstehen möchte, muss deshalb die Geschichte kennen. Kein Historiker würde jemals auf die absurde Idee kommen zu sagen: Es spielt für das Verständnis unserer Gesellschaft keine Rolle, ob sich die Teilung unseres Landes, der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung wirklich ereignet haben. Denn ohne diese geschichtliche Wirklichkeit könnten wir viele heute bestehenden Ungleichheiten zwischen Ost und West niemals richtig verstehen und sachgerecht mit ihnen umgehen.

Genau das gleiche Verständnis von der grundlegenden Bedeutung historischer Ereignisse finden wir quer durch die ganze Bibel. Die Autoren der Evangelien wollten gerade nicht primär eine neue Theologie verbreiten, sondern berichten, was die Augenzeugen gehört und gesehen haben (Lukas 1, 1-4). Der bekannte US-ameri­kanische Theologe Timothy Keller schreibt dazu: „Das christliche Evangelium ist kein gut gemeinter Rat, sondern es ist gute Nachricht. Es ist keine Handlungsanleitung, was wir tun sollten, um uns selbst zu retten, sondern vielmehr eine Verlautbarung, was bereits für unser Heil getan wurde. Das Evangelium sagt: Jesus hat in der Geschichte etwas für uns getan, damit wir, wenn wir im Glauben mit ihm verbunden sind, Anteil an dem bekommen, was er getan hat, und so gerettet werden.“ [5]

Genau das gleiche Prinzip gilt für die biblische Urgeschichte. Die Ereignisse rund um den „Sündenfall“ in 1. Mose 2 und 3 gelten quer durch die ganze Bibel als grundlegender Schlüssel für das Verständnis der Situation des Menschen und der heutigen Welt. So schreibt z.B. Reinhard Junker: „Selbst wenn Prof. Zimmer recht damit hätte, dass die Antike Geschichte als unbedeutend ansah, würden die Verfasser der Texte des Alten und Neuen Testaments gerade dieser Sicht klar und aus­drücklich widersprechen. Denn die biblischen Autoren betonen genau das Gegenteil dessen, was Zimmer be­hauptet, nämlich dass es große Ver­änderungen mit nachhaltiger Wirkung gab und diese zum Verständnis der Gegenwart wesentlich sind. […] Die Geschichte erklärt, warum die Menschheit so ist, wie sie ist: eines Retters aus Sünde und Tod bedürftig. […] Die Israeliten hatten ein lineares Zeitgeschichtsbild und Gottes Handeln in Zeit und Raum war für sie von grundlegender Bedeutung. Daher sollten sie sich an die großen Taten erinnern, die Gott unter ihnen getan hatte (5. Mose 6,20-25). Dazu gehört selbstverständlich auch die Urgeschichte. Die Geschichte erklärt die jeweilige Gegenwart.“ [6]

Das Neue Testament liest das Alte Testament historisch

Dazu passt, dass die Autoren des Neuen Testaments ganz offensichtlich fest davon ausgingen, dass sich die Geschichten des Alten Testaments wirklich ereignet haben:

  • Für den Evangelisten Lukas waren Adam und Noah in gleicher Weise geschichtliche Personen wie David, Josef und Jesus, wie sein Stammbaum Jesu zeigt (Lukas 3, 23-37).
  • Für Petrus waren Noah und die Sintflut ganz selbstverständlich geschichtliche Realitäten (1. Petr. 3, 20; 2. Petr. 2, 5)
  • In Römer 5, 12-21 und 1. Kor. 15, 20-22 hält Paulus Adam für ebenso geschichtlich wie Jesus.[7] Diese Geschichtlichkeit ist sogar ein grundlegender Bestandteil seiner Theologie, wie Timothy Keller betont: „Wenn Adam nicht historisch ist, ist die ganze Argumentation von Paulus hinfällig. … Wer nicht glaubt, was Paulus über Adam glaubt, lehnt das Herzstück paulinischer Theologie ab.“ [8]
  • Für Jesus, dessen Lehre für alle Christen letzte Autorität hat, war Noah und die Sintflut ebenso real wie sein Wiederkommen (Matth. 24, 37-38; Lukas 17, 26-27).

Im 11. Kapitel des Hebräerbriefs wird das Wesen des Glaubens anhand von Glaubenswagnissen alttestamentlicher Personen erklärt. Kain, Abel, Henoch und Noah werden dabei genau in der gleichen Weise betrachtet wie Abraham, Isaak, Jakob, Samuel und David. Könnte es sich trotzdem bei manchen dieser Personen um Figuren aus Gleichnisgeschichten handeln? Hätte der Hebräerbriefschreiber somit in seine Aufzählung von Glaubenshelden auch den barmherzigen Samariter einreihen können? Wohl kaum. Denn über den barmherzigen Samariter hätte er sicher nicht so wie über Abel geschrieben: „Durch den Glauben redet er noch, obgleich er gestorben ist.“ (Hebräer 11,4) Der barmherzige Samariter ist nicht gestorben – weil er nie gelebt hat.

Die Historizität ist essenziell für die theologische Aussage

Texte wie Hebräer 11 zeigen eindrücklich: Das konkrete, reale Handeln Gottes mit den Menschen in Raum und Zeit ist ein fundamentaler Bestandteil der biblischen Botschaft und wesentliche Grundlage ihrer Theologie. Die Propheten sagten voraus, dass Gott nach dem Exil sein Volk wieder zurück in die Heimat führen wird, wie er es bereits beim Exodus aus Ägypten getan hat (Jeremia 16, 14). Wie hätte diese Botschaft eine Ermutigung sein können, wenn es diesen Exodus nie gegeben hätte?

Im Johannesevangelium lesen wir über die zeichenhaften Wunder Jesu: „Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“ (Johannes 20, 31). Wenn die beschriebenen Wunder in Wahrheit gar nicht geschehen sind, wie hätten diese Erzählungen dann das Vertrauen der Leser stärken sollen, dass Jesus wirklich der Christus und der Messias ist?

Alle diese Beispiele unterstreichen: Es erscheint äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, die theologischen Aussagen der Bibel von ihren Aussagen zur Geschichte zu trennen. Eine Exegese, die trotz dieser engen Verwobenheit meint, dass hinter den Erzählungen kein tatsächliches, reales Handeln Gottes in der Geschichte steht, steht immer in der großen Gefahr, auch theologisch an Substanz und Glaubwürdigkeit zu verlieren und damit die Botschaft der Kirche zu schwächen.

Damit kommen wir zur 2. Frage:


Konnten und wollten die antiken Autoren überhaupt unterscheiden zwischen Geschichte, Legende und Metapher? Hat sich diese Unterscheidung nicht erst in der Moderne durchgesetzt?


Anders ausgedrückt: Ist der Glaube, dass die biblischen Autoren von geschichtlichen Ereignissen ausgingen, vielleicht nur eine moderne „optische Täuschung“, weil wir die Bibel mit der Brille unseres modernen Geschichtsverständnisses lesen?

Das Geschichtsverständnis zur Zeit des Neuen Testaments

Fakt ist, dass in der Zeit der Entstehung des Neuen Testaments klar zwischen Geschichte und Mythos, zwischen Fakt und Fiktion unterschieden wurde. So grenzte sich z.B. der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus im 1. Jahrhundert bei der Darstellung geschichtlicher Ereignisse ganz bewusst vom Hang zur Übertreibung ab.[9] Der Philosoph Porphyrios kritisierte die Christen im 3. Jahrhundert mit der Behauptung, dass die Prophetien im Buch Daniel erst nach den Ereignissen aufgeschrieben wurden. Fragen nach Historizität und Datierung waren für ihn also völlig normal.[10] In seiner „Einleitung in das Neue Testament“ weist der Neutestamentler Armin D. Baum ausführlich nach, dass bereits in der Antike „die drei Erzählgattungen Epos, Geschichtsschreibung und „Roman“ […] anhand ihres Realitätsbezugs (wirklich oder fiktiv) und ihrer sprachlichen Form (Verse oder Prosa) voneinander unterschieden“ wurden.[11]

In Bezug auf das Lukasevangelium kommt er zu dem Schluss: „Die Prologe des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte unterscheiden sich so stark von den Anfängen antiker Epen, sind so eng mit den Prologen der antiken Geschichtsschreibung verwandt und inhaltlich so eindeutig historisch orientiert, dass an der Intention des Autors, Geschichte zu schreiben, nicht gezweifelt werden kann. Im lukanischen Doppelwerk erzählt kein von den Musen inspirierter Künstler, sondern ein sich auf Augenzeugen berufender Historiker (Lukas 1, 2).“[12] Auch Petrus legt ausdrücklich Wert auf die Unterscheidung zwischen erdachten Geschichten und tatsächlichen Begebenheiten: „Wir sind nicht irgendwelchen klug ausgedachten Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft Jesu Christi, unseres Herrn, verkündeten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Macht und Größe.“ (2. Petrus 1,16)

Das Geschichtsverständnis zur Zeit des Alten Testaments

Aber gilt dieser Sachverhalt auch für die Schriften des Alten Testaments und die biblische Urgeschichte? Dazu schreibt Timothy Keller: „1. Mose 2 und 3 lassen keine Anzeichen für das Genre … Dichtung erkennen. Der Text liest sich als Bericht über wirkliche Geschehnisse; er sieht aus wie ein Geschichtsdokument. Das heißt nicht, dass 1. Mose (oder sonst ein biblischer Text) Geschichte im modernen […] Sinn ist. Die antiken Autoren, die historische Geschehnisse aufzeichneten, nahmen sich die Freiheit, die Chronologie zu verändern und Zeitabläufe zu komprimieren – und jede Menge an Information wegzulassen, die ein moderner Historiker als wesentlich dafür erachten würde, ein “Gesamtbild” zu erhalten. Aber auch die antiken Geschichtsschreiber waren überzeugt, dass die Ereignisse, die sie beschreiben, tatsächlich geschehen sind. […] Manche sagen, man müsse 1. Mose 2 bis 11 im Licht anderer Schöpfungsmythen des Nahen Ostens aus dieser Zeit lesen. Andere Kulturen schufen ihre Mythen über die Entstehung der Welt und die große Flut, so wird gesagt, und wir müssen erkennen, dass der Verfasser von 1. Mose 2 und 3 wahrscheinlich dasselbe tat. Nach dieser Auffassung hätte der Verfasser von 1. Mose 2 und 3 einfach eine hebräische Version des Mythos von Schöpfung und Flut geschaffen. Er mag sogar geglaubt haben, dass dies historische Ereignisse waren, aber darin war er dann eben nur ein Kind seiner Zeit. Gegen diese Sicht hat Kenneth Kitchen begründete Einwände erhoben. Der bekannte Ägyptologe und evangelikale Christ antwortet auf die These, dass die Sintfluterzählung (1. Mose 9) wie die Fluterzählungen anderer Kulturen als Mythos […] gelesen werden sollte, Folgendes:

‚(Es) ist auch darauf hinzuweisen, dass im alten Nahen Osten Mythen NICHT historisiert wurden (d.h. als imaginäre ‚Geschichte‘ verstanden), sondern vielmehr die Tendenz bestand, Geschichtsereignisse und Personen mythologisch zu überhöhen …‘

Mit anderen Worten: Es ist belegt, dass die ‚Mythen‘ des antiken Nahen Ostens nicht im Lauf der Zeit zu historischen Ereignissen wurden, sondern vielmehr umgekehrt historische Berichte sich allmählich in eher mythologische Geschichten verwandelten. Kitchen argumentiert: Wenn man 1. Mose 2-11 im Licht dessen liest, wie die alte Literatur des Nahen Ostens funktioniert, würde man, wenn überhaupt, schließen dass 1. Mose 2-11 Ereignisse berichten, die tatsächlich gesehen sind – und das in einer “Hochform” mit viel bildhafter Sprache und chronologischer Verdichtung. Zusammenfassend sieht es also so aus, als sei es zu verantworten, 1. Mose 2-3 als Bericht eines tatsächlichen historischen Ereignisses zu verstehen.“ [13]

Außerbiblische Beispiele

In antiken Quellen finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass dieses historische Geschichtsverständnis nicht nur in der Bibel, sondern auch bei vielen außerbiblischen Autoren sehr wohl vorhanden war. Dazu schreibt der Historiker Axel Schwaiger, der sich ausführlich mit historischem Geschichtsdenken befasst hat: „Von allen antiken Geschichtstexten zu behaupten, sie könnten zwischen historisch und mythisch, Bericht und Legende nicht unterscheiden und wollten das auch gar nicht, offenbart eine sträfliche Unkenntnis antiker Historiographie. Natürlich gibt es solche Texte, aber man tut Männern wie Herodot (um 490-430 v.Chr.), Thukydides (ca. 460-399 v.Chr.) oder Hekataios von Milet (vor 550 v.Chr.) mit solchen pauschalen Abwertungen doch schon sehr Unrecht, da gerade sie ausdrücklich angetreten waren, die Geschichte von Legenden, Sagen und Mythen zu entschlacken und nach konkreten Gründen und Ursachen historischer Entwicklungen zu fragen. Hekataios‘ ‚Erdbeschreibung‘, Thukydides‘ ‚Peloponne­sischer Krieg‘ und Herodots ‚Historien‘ erzählen zwar auch von Mythen der Völker, aber eben deutlich unterscheidend als deren Mythen – oft in Verbindung mit rationalen oder historischen Erklärungen dafür. So unterzog Hekataios beispielsweise die bis dahin vorherrschende sagenhafte epische Tradition einer radikalen rationalen Kritik und ging damit bereits im 6. vorchristlichen Jahrhundert einen entscheidenden Schritt in Richtung auf ein historisches Bewusstsein, das man heute allzu gerne ausschließlich für die Neuzeit reklamiert. Die Unterscheidung zwischen Mythen und tatsächlichem Geschehen, zwischen Legenden, Übertreibungen und echter Historie und das Fragen nach tatsächlicher Kausalität macht ihren hohen historiographischen Wert aus. Nicht von ungefähr gilt Herodot bereits in der Antike als ‚Vater der Geschichtsschreibung‘. Seine Methoden reichen von Quellenstudium und persönlichen Gesprächen über ausgedehnte Reisen und Nachforschungen vor Ort bis hin zu kritischer Reflexion und auf Wahrscheinlichkeit gegründete Vermutungen. Die Vorstellung, antike Autoren verarbeiteten ausschließlich eine ‚literarische Erzählkultur‘, die Historie und Mythos unreflektiert miteinander verband und – im Gegensatz zur modernen Geschichts­wissenschaft – kein echtes Bewusstsein für die eigene Historizität und die der berichteten Geschehnisse hatte, kann so nicht mehr aufrechterhalten werden.“ [14]

Eine schwierige Alternative

Nun kann dieser Artikel keine ausführliche, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Analyse des antiken Geschichtsverständnisses liefern. Aber die hier aufgeführten Zitate zeigen: Das weit verbreitete und oft leider unreflektiert und ohne genauere Begründung weitergegebene Narrativ vom fehlenden Geschichtsbewusstsein und von der mangelhaften Unterscheidung von Geschichte und Legende in der Antike ist in dieser generellen Form nicht haltbar – erst recht nicht in Bezug auf die biblischen Texte. Es gab auch in der damaligen Zeit Autoren, die klar unterscheiden wollten und konnten zwischen Geschichte und Mythos, zwischen Fakt und Fiktion. Sie machten diese Unterscheidung in ihren Schriften deutlich und legten Wert auf den Unterschied.

Wer Berichten des Alten und Neuen Testaments trotzdem die historische Glaubwürdigkeit abspricht, steht damit zwangsläufig vor folgender Alternative:

  1. Die Argumente für eine historische Aussageabsicht müssten durch andere Argumente entkräftet werden. Es müsste aus dem jeweiligen Text heraus begründet werden, warum der biblische Autor keine reale Geschichte schildern wollte, obwohl der Text keinen dichterischen Charakter hat, sondern viele Merkmale historisch gemeinter Texte enthält wie z.B. Ahnentafeln, Maßangaben, Naturbeschreibungen, Zeit- und Jahresangaben. Der emeritierte Schiffsbauprofessor Jan Hartmann hat jüngst sogar nachgewiesen, dass die in der Bibel dokumentierten Angaben zu den Maßen und der Beschaffenheit der Arche die Anforderungen an Längsfestigkeit, Querfestigkeit, Torsion, Stabilität und Seeverhalten optimal erfüllt. Obwohl er sich selbst unsicher ist, ob und inwieweit es tatsächlich eine Arche gab, lässt ihn dieses Ergebnis davon ausgehen, dass der biblische „Bericht einen Hintergrund hat, der weit über die Art eines Mythos hinausgeht.“[15] Auch dazu müssten die Verfechter einer rein metaphorischen Aussageabsicht Erklärungen finden.
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  2. Andernfalls müsste man ehrlicherweise offen von Fehlern der biblischen Autoren sprechen, denn sie hätten sich dann in ihrer historischen Aussageabsicht geirrt. Das gilt sowohl für die Autoren der biblischen Erzählungen selbst als auch für die neutestamentlichen Autoren, die diesen Texten einen historischen Wert beigemessen haben. Und wichtig ist dabei: Diese Fehler wären eben nicht nur historischer, sondern auch theologischer Art, weil – wie oben dargelegt – die Geschichtlichkeit ein wichtiger Bestandteil ihrer Theologie darstellt. Das traditionelle Verständnis von der Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit der Schrift wäre damit aufgelöst. Stattdessen müssten außerbiblische Kriterien definiert werden, um unterscheiden zu können, welche Teile der Schrift in welchem Sinn noch als wahres Gotteswort gelten können – ein oft unternommener Versuch, der bislang allerdings nie zu einem tragfähigen, breit akzeptierten Ergebnis geführt hat.

Warum die Kirche der Aussageabsicht der Bibel vertrauen sollte

Wer keine dieser beiden Alternativen für tragfähig hält, dem bleibt letztlich nur, der Schrift auch in ihren historisch gemeinten Aussagen zu vertrauen. Diese Position hat die kirchliche Theologie 1800 Jahre lang weitgehend dominiert. In großen Teilen der weltweiten Kirche gilt dieses Bibelverständnis bis heute ganz selbstverständlich. Man ist also alles andere als ein Exot, wenn man sich zu diesem Weg bekennt, zumal es für diese Sichtweise auch aus den Wissenschaften durchaus viele ermutigende Signale gibt. So schrieb der britische Archäologe und Ägyptologe Kenneth A. Kitchen: „Die biblischen Texte sind in hohem Maße historisch zuverlässig. Dies lässt sich in Bezug auf das geteilte Reich, das Exil und die Rückkehr […] sehr gut zeigen. Dort, wo sich passende Daten miteinander vergleichen lassen, kann man dies konkret feststellen. Dieses Faktum sollte jeder zugestehen, egal von welcher Stelle er persönlich ausgeht.“ [16]

In dem beeindruckenden Film „Patterns of evidence“ berichten zahlreiche Experten über die vielfältigen Fakten, die die oft bezweifelte biblische Geschichtsschreibung stützen. Selbst der sonst so religionskritische Spiegel berichtet in seiner Osterausgabe 2018 von zahlreichen neuen Indizien, die die Historizität der biblischen Passionsberichte so sehr stützen, dass dies „Skeptikern kaum gefallen“ kann[17].

Und Axel Schwaiger schreibt: „Es gibt durchaus Indizien und Belege dafür, dass die Menschen damals die Flut völlig selbstverständlich als echtes Geschehen voraussetzten. Dazu gehören nicht nur älteste sumerische Königslisten, die die Könige „vor der Flut“ von denen „nach der Flut“ unterscheiden (wie das ‚Weld-Blundell-Prisma‘ um 2100 v.Chr.), oder die ältesten Epen, in denen die Flut den Erzählhintergrund bildet (z.B. Atrachais- und Gilgamesch-Epos). Dazu gehören auch vorliegende Keilschriften altorientalischer Herrscher, die (wie selbstverständlich) auf die Flut als historisches Geschehen Bezug nehmen. So z.B. Assurbanipal: „Ich verstehe die rätselhaften, in Stein gemeißelten Worte aus den Tagen vor der Flut“, oder auf einem Tonzylinder des Nebukadnezar: „Die Menschen hatten das Werk [des Turmbaus] verlassen seit den Tagen der Flut“. Auch Textstellen in der „Babyloniaká“ des babylonischen Priesters Berossus (um 290 v.Chr.) sprechen noch fast beiläufig von Geschehnissen rund um die Flut, so dass dem (vorsintflutlichen) König Xisthros befohlen worden war, Schriften in Sippara zu vergraben und sie nach der Flut wieder auszugraben und dass „man noch heute auf dem Gebirge der Kordyäer in Armenien Reste von dem Schiffe sieht und das abgekratzte Pech als Heilmittel dient.“ Auch die mehr als 260 Sintflutberichte, die Heinrich Lüken Mitte des 19. Jahrhunderts zusammentrug[18]‚ machen deutlich, dass in vielen Stämmen und Völkern die Erinnerung an eine weltweite große Flut bewahrt worden ist, freilich oft mit Änderungen, die jeweils auf das spezifische Lebensumfeld der Volksgruppe zugeschnitten sind. Dass mit diesen Erinnerungen später unterschiedliche theologische Intentionen verbunden wurden, ist sehr wahrscheinlich, aber sie heben die Historizität des eigentlichen Erzählkerns nicht auf.“ [19]

Es gibt also auch heute für Christen keinen Grund, sich vom reformatorischen Prinzip des „Sola scriptura“ zu verabschieden. Wir dürfen fröhlich daran festhalten, dass nach Berücksichtigung von Vernunft, Wissenschaft, Erfahrung, Auslegungstradition und Wirkungsgeschichte am Ende die Schrift selbst das letzte Wort für das richtige Verständnis ihrer Texte haben muss. Die Bibel muss sich selbst auslegen und selbst entscheiden, wie sie zu verstehen ist.[20] Oder, wie es Timothy Keller ausdrückt: „Wenn wir die Autorität der biblischen Autoren respektieren wollen, dann müssen wir sie so verstehen, wie sie verstanden werden wollen.“[21] Denn es bleibt nun einmal nicht ohne Konsequenzen, wenn man die Geschichtlichkeit der historisch gemeinten biblischen Texte in Frage stellt: „Paulus […] wollte definitiv sagen, dass Adam und Eva historische Personen sind. Und wenn man sich weigert, einen biblischen Autor wörtlich zu verstehen, obwohl er ganz klar so verstanden werden will, entfernt man sich vom traditionellen Verständnis von biblischer Autorität. Wie schon gesagt heißt das nicht, dass man nicht trotzdem einen starken und lebendigen Glauben haben kann. Aber ich bin überzeugt, dass ein solche Position sich für die Kirche als ganze schädlich auswirken kann und ganz sicher bei vielen Christen zu Verwirrung führt.“[22] Die Geschichte der Theologie der letzten 2 Jahrhunderte, ihre Verwirrung in Bezug auf praktisch alle zentralen Glaubensinhalte des Christentums[23] sowie das weltweite Schrumpfen aller von liberaler Theologie geprägten Kirchen, die die historische Glaubwürdigkeit der Schrift verworfen haben, unterstreichen die These Kellers eindrücklich. Es ist deshalb höchste Zeit, dass eine verantwortungsvolle Theologie der Bibel auch in ihren historisch gemeinten Aussagen wieder neu vertraut.


Herzlichen Dank für alle Mithilfe sowie Hinweise und vielfältige Anregungen zur Verbesserung dieses Artikels an:


Aber wird die Verwirrung nicht noch viel größer, wenn man von wissenschaftlich aufgeklärten Menschen verlangt, sie müssten an Adam, Eva und die Arche glauben? Ist das angesichts der modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse aus Biologie, Geologie und anderen Disziplinen nicht vernunfts- und wissenschaftsfeindlich? Diesen Fragen widmet sich die Fortsetzung dieses Artikels unter dem Titel: “Können Christen heute noch an Adam, Eva und die Arche glauben?”


[1] Prof. Thorsten Dietz im „idea-Streitgespräch“, idea 2018 Nr. 29/30

[2] Prof. Siegfried Zimmer in „Haben Adam und Eva wirklich gelebt“ S. 2

[3] Prof. Siegfried Zimmer in „Haben Adam und Eva wirklich gelebt“ S. 22

[4] Entsprechend hält auch Papst Benedikt XVI. in seinem Buch „Jesus von Nazareth Band III“ (2012) die Geburts- und Kindheitsgeschichten Jesu zwar für „im Glauben gedeutete Geschichte“, aber eben doch auch für Geschichte.

[5] In Timothy Keller „Adam, Eva und die Evolution“, Giessen 2018, S. 33

[6] Reinhard Junker in „Entmythologisierung für Evangelikale: Haben Adam und Eva wirklich nicht gelebt?“ Veröffentlicht in „Genesis, Schöpfung und Evolution“ Hrsg. Reinhard Junker, Holzgerlingen 2015, S. 244

[7] So schreibt N.T. Wright in seinem Kommentar zum Römerbrief: „Paulus glaubte offensichtlich, dass es ein erstes Menschenpaar gegeben hat, dessen männlichem Vertreter, Adam, ein Gebot gegeben worden war, das er brach. Paulus war sich, davon können wir ausgehen, auch der Aspekte der Geschichte bewusst, die wir mythisch oder metaphorisch nennen könnten. Aber diese Aspekte hätten für ihn keinen Zweifel an der Existenz und der Ursünde des ersten geschichtlichen Menschenpaars aufkommen lassen.“ In „Romans“ in: The New Interpreter’s Bible, Bd. X, 526, zitiert in T. Keller, 2018, S. 31

[8] In Timothy Keller „Adam, Eva und die Evolution“, Giessen 2018, S. 35

[9] “Diejenigen, welche sich der Geschichtsschreibung befleißigen, tun dies nicht aus ein und denselben, sondern aus vielfachen, meist unter sich verschiedenen Beweggründen. Denn einige gehen an diese Art Arbeit, um ihre Redegewandtheit leuchten zu lassen und dadurch berühmt zu werden, andere, um denen zu gefallen, über die sie schreiben. […] Wieder andere treibt ein gewisser Zwang, die Ereignisse, deren Zeugen sie waren, schriftlich vor Vergessenheit zu bewahren; viele auch veranlasst die Erhabenheit wichtiger, im Dunkel verborgener Tatsachen, diese zum allgemeinen Besten zu erzählen. Von den genannten Beweggründen sind für mich die zwei letzten in Betracht gekommen.” Josephus, Ant I 1-3 (= Prooem.); übers. Heinrich Clementz

[10] Porphyrius in „Gegen die Christen“ Buch XII

[11] Armin D. Baum in „Einleitung in das Neue Testament“ S. 307

[12] Armin D. Baum in „Einleitung in das Neue Testament“ S. 311-312

[13] In Timothy Keller „Adam, Eva und die Evolution“, Giessen 2018, S. 29 ff.

[14] Aus einer persönlich übermittelten aktuellen Stellungnahme zum Buch „Weiterglauben“ sowie zum „idea-Streitgespräch“ in idea 2018 Nr. 29/30; vgl. dazu u.a. Klaus E. Müller: Geschichte der antiken Ethnologien, Hamburg 1997; Volker Reinhardt: Hauptwerke der Geschichtsschreibung, Stuttgart 1997; Wolfgang Will: Herodot und Thukydides. Die Geburt der Geschichte, München 2015

[15] Jan Hartmann in „Arche Noah 2017 – Ein Beitrag zur Technikgeschichte“ 2017, S. 16

[16] Kenneth A. Kitchen, Das Alte Testament und der Vordere Orient. Zur historischen Zuverlässigkeit biblischer Geschichte, Gießen 2008, S. 648

[17] In: „Erforscht: Die letzten Tage des Jesus von Nazareth“ Der Spiegel, Ausgabe Nr. 14 / 31.3.2018

[18] Heinrich Lüken „Die Traditionen des Menschengeschlechts oder die Uroffenbarung unter den Heiden“, Münster 1869

[19] Aus einer persönlich übermittelten aktuellen Stellungnahme zum Buch „Weiterglauben“ sowie zum „idea-Streitgespräch“ in idea 2018 Nr. 29/30

[20] Dieses Prinzip wird ausführlich erläutert im Artikel „Ist die Bibel unfehlbar?“

[21] In Timothy Keller „Adam, Eva und die Evolution“, Giessen 2018, S. 16

[22] In Timothy Keller „Adam, Eva und die Evolution“, Giessen 2018, S. 32

[23] Der Artikel „Das Kreuz – Stolperstein der Theologie“ dokumentiert, wie diese Verwirrung auch den innersten Kern der christlichen Botschaft betrifft

Ist die Bibel unfehlbar?

Was sagt die Bibel selbst dazu? Was dachten die Kirchenväter darüber? Was meint Unfehlbarkeit – und was nicht? Müssen wir die Bibel wörtlich nehmen? Und warum sind diese Fragen überhaupt wichtig?

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In den letzten Monaten habe ich viele theologische Texte gelesen. Einige waren ziemlich anstrengend, viele aber auch sehr interessant, manche sogar herausragend gut. Trotzdem fiel mir immer wieder auf, wie grundlegend anders doch die Bibel ist. Wenn ich sie aufschlage ist es, als ob ich eine andere Welt betrete. Es fühlt sich an, wie wenn ich das knarzende alte Radio ausschalte und meine Ohren stattdessen vom brillianten Klang einer modernen Stereoanlage streicheln lasse. Der biblische „Klang der Wahrheit“ ist einfach nicht vergleichbar mit allen anderen noch so guten theologischen Überlegungen, die wir im Lauf der Kirchengeschichte angesammelt haben. Deshalb liebe ich die Bibel so.

Das schöne ist: In den letzten Monaten habe ich erfahren, dass ich nicht der erste bin, dem es so geht! Im Gegenteil: Schon die allerersten Christen haben genau die gleiche Erfahrung gemacht wie ich:

Was die Kirchenväter über die biblischen Schriften dachten

In den Schriften Martin Luthers findet sich eine äußerst interessante Passage über den grundlegenden Unterschied zwischen den biblischen Texten und den Schriften von Theologen:

Welch große Irrtümer sind schon in den Schriften aller Väter gefunden worden? Wie oft widerstreiten sie sich selbst?  Wie oft weichen sie voneinander ab? […] Niemand hat eine mit der Schrift gleichwertige Stellung erlangt […] Ich will […], dass allein die Schrift regiert […] Dafür habe ich als besonders klares Beispiel das des Augustinus, […] [der] in einem Brief an den Heiligen Hieronymus sagt: ‚Ich habe gelernt, allein diesen Büchern, welche die kanonischen heißen, Ehre zu erweisen, so dass ich fest glaube, dass keiner ihrer Schreiber sich geirrt hat.“ [1]

Das grundlegende Prinzip, das Luther hier erklärt, war ein zentraler Grundstein der Reformation. Man kann es ganz simpel so formulieren:

Alle Theologen irren! Aber die Autoren der Bibel irren niemals!

Aus diesem Grund sagte Luther: Wer mich von einer theologischen These überzeugen will, muss das aus der Bibel heraus beweisen. Alle anderen Aussagen, und seien sie vom Papst persönlich, sind kein Beweis. Genau das meinte Luther auch mit seinem Schlagwort: „Sola scriptura – Allein die Schrift“.

Mit seinem Hinweis auf den Kirchenvater Augustinus, der im 4. Jahrhundert lebte, zeigte Luther: Dieses Prinzip war nicht seine eigene Erfindung. Es galt schon zur Zeit der ersten Christen. Auch Ignatius von Antiochien sah schon zu Anfang des 2. Jahrhunderts einen grundlegenden Unterschied zwischen seiner eigenen theologischen Autorität und den „Weisungen des Herrn und der Apostel“, denen er sich bewusst untergeordnet hat: „Ich habe mich nicht so hoch eingeschätzt, dass ich … euch wie ein Apostel befehlen dürfte“.[2] Der Neutestamentler Prof. Theodor Zahn folgerte deshalb: Die Möglichkeit, „dass ein Apostel in seinen an die Gemeinden gerichteten Lehren und Anweisungen geirrt habe könnte, hat offenbar im Vorstellungskreis der nachapostolischen Generation keinen Raum gehabt.“ [3] Anders ausgedrückt: Die ersten Christen waren von der Unfehlbarkeit der Schriften der Apostel fest überzeugt was sich in den Schriften der apostolischen Väter auch vielfach nachweisen lässt.

Kein Wunder, dass die Unterscheidung zwischen irrtumslosen biblischen Autoren und irrenden Theologen bis zum Aufkommen der von der Aufklärung geprägten kritischen Theologie ab dem 18. Jahrhundert im Grunde Allgemeingut der Kirche war. Aber auch danach blieb der Glaube an die Unfehlbarkeit der Schrift nicht etwa eine fundamentalistische Sonderlehre. So lesen wir z.B. in der Lausanner Verpflichtung von 1974, die von Leitern aus zahllosen Kirchen der ganzen Welt beschlossen wurde, über die Autorität von Gottes Wort: „Es ist ohne Irrtum in allem, was es verkündigt.“ Jüngst freute sich auch die weltweite evangelische Allianz, dass sie mit der katholischen Kirche in Bezug auf die „Irrtumslosigkeit der Schrift“ völlig übereinstimmt.[4]

Mit anderen Worten: Wo die von der Aufklärung geprägte Bibelkritik sich nicht durchgesetzt hat, ist der Glaube an die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Schrift bis heute keine Außenseiterposition sondern Standard in der Weltchristenheit.

Nun sind Mehrheiten ja an sich kein Argument. Könnte es sein, dass die Christen übers Ziel hinausgeschossen sind? Haben sie den biblischen Texten in ihrer Begeisterung vielleicht Eigenschaften und Ansprüche zugeschrieben, die diese selbst nie für sich in Anspruch genommen haben? Anders gefragt:

Hält die Bibel sich selbst für unfehlbar?

Dazu stellt der Theologe Prof. Thorsten Dietz zunächst einmal nüchtern fest: „Die neutestamentlichen Autoren haben ganz offensichtlich die Schriften des Alten Testaments als Gottes Wort gelesen, genauso wie die allermeisten Christen in der Kirchengeschichte.“[5] Eindrücklich sind dazu die Worte Jesu: „Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen“ (Matth. 5, 18). Mit dem „Gesetz“ meinten die Juden die Tora, die 5 Bücher Mose. Die „Propheten“ und die übrigen Schriften waren ihnen ebenso heilig. Niemals hätten sie von Irrtümern in diesen Büchern gesprochen.

Soweit, so klar. Aber was ist mit dem Neuen Testament? Das lag zur Zeit seiner Abfassung ja noch gar nicht vor! Kann es also überhaupt irgendetwas über seine Eigenschaften sagen?

Ja, sogar sehr viel! Denn was wir im Neuen Testament vorfinden ist ja gemäß den Aussagen der biblischen Autoren nichts anderes als die Lehre Jesu und der von ihm bevollmächtigten Apostel, sorgfältig recherchiert auf Basis von Augenzeugenberichten (Lukas 1, 1-4; Joh. 21, 24; 2. Petr. 1, 16). Der Apostel Paulus sagte über sich selbst, dass seine Lehre nicht menschlich sondern göttlich ist (Gal. 1,11-12). Er freute sich, dass die Thessalonischer seine Lehre nicht als Menschenwort sondern als Gottes Worte aufgenommen hatten, was sie seiner Meinung nach tatsächlich sind (1. Thess. 2, 13). Entsprechend stellte Petrus die Briefe des Paulus auf die gleiche Stufe wie die anderen heiligen „Schriften“ und warnte: Wer ihren Sinn verdreht muss mit Gottes Gericht rechnen (2. Petr. 3, 15b-16). Natürlich waren die Apostel an sich weder sünd- noch irrtumslos. Aber die in ihren Schriften festgehaltene Lehre hat für die Kirche absolute Autorität. Das gilt für die von den Evangelisten festgehaltenen Überlieferungen von Jesus natürlich erst recht.

Prof. Armin Baum stellt in seiner ausführlichen Analyse[6] daher fest: Ja, die Irrtumslosigkeit der ganzen Schrift ist tatsächlich ein neutestamentliches Konzept! Es gibt ein biblisches Bibelverständnis, das fest davon ausgeht, dass die Bibeltexte Gottes offenbarte Worte sind.

Allerdings müssen wir dabei ein paar Einschränkungen beachten: Fragen zur Textkritik (also zum exakten Wortlaut des Urtextes), zum Kanon (also z.B. zur Gültigkeit des langen Markusschlusses, der in vielen alten Handschriften fehlt), zur Entstehung der neutestamentlichen Bücher (also z.B. die Frage nach dem Autor) und natürlich zur richtigen Auslegung unterliegen dieser Irrtumslosigkeit nicht. Um Antworten auf diese Fragen zu finden brauchen wir fundierte bibelwissenschaftliche Arbeit. Wir können dankbar sein, dass es solche Wissenschaftler gibt.

Nachdem wir geklärt haben, dass die Unfehlbarkeit der biblischen Texte sowohl für die biblischen Autoren als auch für die Kirchenväter feststand, stellt sich nun als nächstes die wichtige und unter Theologen vieldiskutierte Frage:

Was ist mit der Unfehlbarkeit der Schrift gemeint – und was nicht?

An dieser Stelle wird es richtig spannend. Denn selbst die oft als „fundamentalistisch“ geltende sogenannte „Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Schrift“ macht zur Unfehlbarkeit der Bibel jede Menge Einschränkungen: Das Fehlen an moderner technischer Präzision, Unregelmäßigkeiten bei der Grammatik oder der Rechtschreibung, die Beschreibung der Natur aus einem subjektiven Blickwinkel, gerundete Zahlen, die thematische statt chronologische Anordnung eines Stoffs, die Verwendung freier Zitate: All das spricht laut dieser Erklärung nicht gegen die Irrtumslosigkeit der Bibel.[7] Wie kann das sein? Müsste eine unfehlbare Schrift nicht in jeder denkbaren Hinsicht vollkommen korrekt sein?

Nein. Denn bei der Verwendung des Begriffs „unfehlbar“ oder „irrtumslos“ müssen wir unbedingt das folgende Grundprinzip beachten:

Die Bibel ist unfehlbar in dem, was sie aussagen will!
Sie ist irrtumslos in Bezug auf ihre Aussageabsicht!

So schrieb der Theologe Prof. Gerhard Maier zur oben bereits zitierten Lausanner Erklärung:

„Ähnlich hat die Lausanner Verpflichtung in ihrem Artikel 2 formuliert, das Wort Gottes „sei ohne Irrtum in allem, was es verkündigt“ – präzisieren wir: was es verkünden will. Es muss durchaus noch festgestellt werden, welche historischen Auskünfte die Heilige Schrift zu geben beabsichtigt.“ [8]

Diese Ergänzung ist in der Tat wichtig. Das erleben wir auch in unserer normalen Alltagskommunikation. Wenn z.B. ein Meteorologe im Wetterbericht sagt: „Um 7.46 Uhr geht die Sonne auf“, dann ist das naturwissenschaftlich gesehen natürlich völliger Unsinn. Die Sonne geht nicht auf! Vielmehr dreht sich die Erde, so dass die Sonne wieder sichtbar wird. Trotzdem würde wegen dieser Formulierung niemand den Bildungsgrad des Meteorologen in Frage stellen. Denn jeder weiß ja: Von einem Sonnenaufgang zu sprechen ist zwar objektiv falsch, aber subjektiv, d.h. aus der Sicht eines menschlichen Beobachters, völlig richtig. Genau dieses Prinzip müssen wir auch bei der Bibel beachten und die Frage stellen: Was wollte der Autor sagen? Welche Perspektive, welches Wahrheitsverständnis hat der Autor seiner Aussage zugrunde gelegt? Welche Erwartungen hatten die damaligen Leser, um die Aussagen als wahr einzustufen?

Wenn wir Zitate im Neuen Testament analysieren merken wir zum Beispiel schnell: Ein Zitat musste damals nicht wörtlich exakt sein, um als wahr zu gelten. Aber es musste inhaltlich stimmen! Ein frei erfundenes Zitat hätte man auch damals schon als Fake-News eingestuft. Irrtumslosigkeit der Schrift heißt vor diesem Hintergrund also: Jesus hat nicht unbedingt jeden Satz Wort für Wort genau so gesagt, wie wir es in der Bibel lesen (das geht ja auch schon deshalb nicht, weil er in einer anderen Sprache redete als das Neue Testament abgefasst wurde). Aber wir können gemäß dem Selbstzeugnis der biblischen Autoren (Lukas 1,3; Johannes 21, 24) sicher sein: Jesus hat inhaltlich genau das gesagt, was uns das Neue Testament berichtet!

Natürlich müssen wir beim Lesen eines Bibeltexts immer auch beachten, in welche Situation, in welches kulturelle Umfeld und in welche heilsgeschichtliche Zeit (alter oder neuer Bund?) ein Text hineingesprochen wurde. Und wir müssen klären, welche Textgattung vorliegt: Hat der Text den Anspruch, eine Geschichte zu erzählen, die wirklich in Raum und Zeit passiert ist? Oder handelt es sich um symbolische Redeweise? Das ist z.B. beim Buch Hiob gar nicht so leicht zu klären und muss daher bibelwissenschaftlich ergebnisoffen untersucht und diskutiert werden. Wenn wir diese Punkte sauber beachten klärt sich die nächste Frage, die in diesem Zusammenhang oft gestellt wird, fast schon von selbst:

Müssen wir die Bibel wörtlich nehmen?

Ich habe extra noch einmal nachgeschaut. Und tatsächlich: In meiner Bibel gibt es ausschließlich Wörter. Es sind keine Bilder drin! Ich kann also gar nicht anders, als die Bibel Wort für Wort beim Wort zu nehmen. Anders als wörtlich ist die Bibel nicht zu haben. Nur: Was heißt das praktisch?

Wenn mein Chef mir heute sagt: „Herr Till, ich habe Ihnen schon 1000 mal gesagt, dass Sie nicht zu spät kommen sollen!“ dann würde ich ihn nicht beim Wort nehmen, wenn ich ihm antworten würde: „Stimmt nicht, Chef, ich hab mitgezählt: Es waren nur 18-mal!“ Genauso wenig nehmen wir Jesus beim Wort, wenn wir seine Aussage, dass wir 7 mal 70 mal vergeben sollen (Matthäus 18, 21-22) als Aufforderung verstehen, eine Strichliste anzulegen. Jesus wörtlich nehmen heißt hier: Die tiefe Symbolik verstehen, die hinter diesen Zahlen steckt.

Auch dieses Beispiel unterstreicht: Die Irrtumslosigkeit der Schrift hängt untrennbar mit ihrer jeweiligen Aussageabsicht zusammen. Der Glaube an die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit wird dann schräg, wenn er der Bibel eine falsche Aussageabsicht und einen falschen Wahrheitsbegriff überstülpt.[9] Es ist die Aufgabe der historischen Bibelwissenschaft, die jeweilige Aussageabsicht vorurteilsfrei zu erforschen und herauszuarbeiten.

Dabei muss allerdings darauf geachtet werden, bibelfremde von bibeleigenen Kriterien zu unterscheiden. Bibelfremde Kriterien wären zum Beispiel:

  • Wunder sind aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht möglich.
  • Erkenntnisse der modernen Geologie sprechen dagegen, der Sintflutgeschichte einen historischen Wert beizumessen.

Solche Aussagen, die sich aus den aktuellen Ansichten der heutigen Welterkenntnisse speisen, fließen natürlich immer auch in unsere Analyse der Bibel mit ein. Und das ist auch gut so! Wissen, Vernunft, Erfahrungen, kirchliche Bekenntnisse, Auslegungen wichtiger Theologen oder die Frage nach der Frucht einer bestimmten Auslegung („Wirkungsgeschichte“) dürfen und sollen bei jeder Bibelauslegung berücksichtigt werden. Sie können helfen, die Bibel besser zu verstehen. Das reformatorische „Sola scriptura“ besteht jedoch darauf: Über all dem muss letztlich die Schrift regieren! Sie hat das letzte Wort! Sie muss sich selbst auslegen! Nur die bibeleigenen Kriterien und Aussagen dürfen (nach gründlicher Klärung ihrer Aussageabsicht) für eine theologisch saubere Beweisführung verwendet werden.

Wenn wir dieses Prinzip auf die Erzähltexte im Neuen Testament anwenden wird klar: Diese Berichte (und gerade auch die Wundergeschichten) sind nicht nur symbolisch sondern ganz eindeutig auch historisch gemeint. Denn das ist ausdrücklich ihr eigener Anspruch, wie z.B. der Theologe Armin D. Baum nachgewiesen hat![10] Die Apostel wollten ganz bewusst keine abstrakten theologischen Ideen verbreiten sondern berichten, was sie gehört und gesehen hatten! Gottes reales und oft auch wunderwirkendes Handeln in Raum und Zeit war ein entscheidender Bestandteil ihrer theologischen Botschaft. Deshalb gilt: Wer die Ereignisse und Wunder des Neuen Testaments in Frage stellt, stellt den Kern des Christentums in Frage. Wenn wir die Bibel an Philosophien wie z.B. den Naturalismus (der Glaube, dass Wunder grundsätzlich niemals vorkommen), an Erfahrungen oder an Aussagen eines kirchlichen Lehramts anpassen, dann hebeln wir das „Sola scriptura“ aus und erheben menschliche Vorstellungen zum obersten Richter über die Aussagen der Bibel – mit gravierenden Folgen, wie der letzte Abschnitt dieses Artikels zeigen soll:

Warum ist die Frage nach der Unfehlbarkeit überhaupt wichtig?

Sind Diskussionen um solche Fragen nicht wieder mal so ein überflüssiges theologisches Gezänk, das nichts als Streit unter Christen verursacht? Warum sollen wir uns überhaupt damit befassen?

In seinem vielbeachteten Grundsatztext zu einer neuen „Hermeneutik der Demut“ schrieb der Theologe Prof. Heinzpeter Hempelmann:

Die Bibel ist unfehlbar. […] Die Bibel ist als Gottes Wort Wesensäußerung Gottes. Als solche hat sie teil am Wesen Gottes und d.h. an seiner Wahrheit, Treue, Zuverlässigkeit. Gott macht keine Fehler. […] Sowohl philosophische wie theologische Gründe machen es unmöglich, von Fehlern in der Bibel zu sprechen. Mit einem Urteil über Fehler in der Bibel würden wir uns über die Bibel stellen und eine bibelkritische Position einnehmen.“ […]  Das „machte eine Auslegung der Heiligen Schrift als solche sinn-, zweck- und ergebnislos. […] Es maßte sich ja einen „Gottesstandpunkt“ an, wer in ihr unterscheiden wollte zwischen Gottes- und Menschenwort, zeitbedingt und zeitlos gültig. Eine Hermeneutik der Demut steht nicht auf der Schrift, schon gar nicht über ihr.“ [11]

Damit ist der Kern des Problems angesprochen, der sich bei diesem Thema ergibt. Wenn es in der Bibel Fehler, Irrtümer, Widersprüche und eine „Vielfalt theologischer Meinungen“ [12] gibt, wenn sie nur Gottesworte enthält statt ganz und gar Gottes Wort zu sein, dann ergeben sich zwangsläufig eine ganze Reihe schwerwiegender Fragen: Wer unterscheidet dann zwischen Menschenwort und Gotteswort, zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen richtig und fehlerhaft, zwischen Widerspruch und sich ergänzendem Paradox? Nach welchen Kriterien? Auf welcher Basis können wir dann noch gesichert theologisch argumentieren? Welche theologischen Ergebnisse können dann als gesicherte Glaubensgrundlage der Kirche gelten?

Die Geschichte der Theologie der letzten 2 Jahrhunderte zeigt eindrücklich: Niemand, der sich von der Irrtumslosigkeit der Schrift verabschiedet hat, konnte diese Fragen jemals beantworten. Kein menschliches Kriterium konnte sich zur Unterscheidung zwischen richtig und falsch in der Bibel jemals durchsetzen. Im Gegenteil: Die Aufgabe des Grundsatzes, dass die Bibel die irrtumslosen Stimmen der Apostel und Propheten überliefert, hatte katastrophale Folgen für die Kirche. Prof. Armin Baum hat darauf hingewiesen, dass inzwischen „mit bibelwissenschaftlichen Argumenten nahezu jede Aussage des Apostolischen Glaubensbekenntnisses bestritten worden“ ist.[13] Das ist auch kein Wunder! Denn wenn die Bibel Irrtümer enthält, dann ist auch der „Schriftbeweis“ in der Theologie außer Kraft gesetzt. Schon Jesus hatte theologische Diskussionen mit der Frage entschieden: „Habt ihr nicht gelesen?“ (z.B. Matthäus 12, 3). Die Einwohner Beröas haben durch Forschen in der Schrift geprüft, ob der Apostel Paulus die Wahrheit lehrt (Apg. 17, 11). Wenn der Schriftbeweis aber nicht mehr verlässlich gilt, weil die biblischen Autoren sich ja geirrt haben könnten, dann muss er durch menschengemachte Kriterien ersetzt werden. Dann wird Theologie zwangsläufig subjektiv und zeitgeistabhängig. Dann…

  • gibt es keine verbindlichen gemeinsamen Glaubensgrundlagen und -gewissheiten mehr.
  • wird die Einheit der Kirche von innen ausgehöhlt.
  • verliert die Kirche ihre Botschaft, ihre Glaubwürdigkeit und ihre missionarische Kraft (Jo­hannes 17, 21-23).

All das muss ich in meiner evangelischen Kirche heute leider live und leidvoll beobachten. Die Diskussion um die Unfehlbarkeit der Bibel ist deshalb alles andere als ein kleinliches Gezänk von theologisch interessierten Spezialisten oder von Leuten, die ihr Sicherheitsbedürfnis durch eine klar definierte Dogmatik befriedigen müssen. Bei diesem Thema geht es für die Kirche ans Eingemachte!

Der Apostel Paulus schrieb einst: „Wir sind sein Haus, das auf dem Fundament der Apostel und Propheten erbaut ist mit Christus Jesus selbst als Eckstein.“ (Epheser 2, 20) Damit wird klar: Wer die Autorität der Apostel und Propheten untergräbt, deren Stimme wir heute in der Bibel vernehmen können, der untergräbt letztlich das Fundament der ganzen Kirche. Das massive Schrumpfen sämtlicher liberaler Kirchen in der westlichen Welt demonstriert das eindrücklich.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns wieder neu und leidenschaftlich dazu bekennen: Die Bibel ist zwar ganz Menschenwort, aber eben auch ganz Gotteswort! Alle Theologen irren. Aber die Autoren der Bibel irren niemals! Die Bibel muss die Bibel auslegen.[14] Nur sie ist die „Königin“[15], die „norma normans“, die eine maßgebende Norm, an der sich Alles orientieren muss. Einen anderen Maßstab für Erkenntnisse über Gott, Jesus, das Evangelium, unsere Herkunft, unsere Zukunft und das Leben nach dem Tod haben wir Menschen nicht. Wenn wir diesen Maßstab aufgeben sind wir verloren.

Ich bin überzeugt: Die Kirche der Zukunft wird eine Kirche sein, die die Bibel mit Leidenschaft und brennendem Herzen liest. Sie wird sich vor den Worten der Bibel beugen statt die Bibel durch die Weisheit dieser Welt in die Knie zu zwingen. Fehler und Widersprüche wird sie nicht in der Bibel sondern mit Hilfe der Bibel in ihrem Herzen finden. So war es in Erweckungszeiten immer gewesen. Beten und arbeiten wir dafür, dass wir eine solche Kirche zur Ehre Gottes bald schon wieder sehen dürfen.


Danke an Martin Till für die Anregungen zu diesem Artikel!

Leseempfehlung: Is new testament inerrancy a new testament concept? A traditional and therefore open-minded answer Eine fundierte Analyse von Prof. Armin D. Baum in JETS 57/2 (2014) S. 265-80

[1] Aus „Assertio omnium articulorum“, 1520

[2] Ignatius an die Magnesier 13,1; zitiert von Armin D. Baum in „Der Kanon des neuen Testaments“ 2018

[3] Th. Zahn, Geschichte des neutestamentlichen Kanons. 2 Bde. Erlangen: Deichert, 1888/92, I/2, 805; zitiert von Armin D. Baum in „Der Kanon des neuen Testaments“ 2018

[4] Im „Bericht der internationalen Konsultation der katholischen Kirche und der Weltweiten Evangelischen Allianz“ S. 9, siehe dazu auch der ausführliche kirchengeschichtliche Überblick von John Woodbridge “Did Fundamentalists invent Inerrancy?”

[5] in „Weiterglauben“, Brendow 2018, S. 80

[6] Armin D. Baum: Is new testament inerrancy a new testament concept? JETS 57/2 (2014) 265-80; siehe dazu auch der AiGG-Artikel über “Das biblische Bibelverständnis”

[7] Siehe dazu Artikel 13 der Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Schrift

[8] Im Vortrag „Konkrete Alternativen zur historisch-kritischen Methode“ 1980, Hervorhebung nachträglich

[9] Genau vor diesem Hintergrund verwirft auch Prof. Heinzpeter Hempelmann einen Irrtumslosigkeitsbegriff, der von einem aus seiner Sicht falschen „heidnischen“ „mathematisch-rationalen“ statt „hebräisch-biblischen“ Wahrheitsbegriff ausgeht. Er fordert: „Ich unterwerfe die Bibel nicht meinem Wahrheitsdenken, sondern lasse mir in der Begegnung mit Gottes Wort mein Bewertungsverhalten umkehren.“ In: „Plädoyer für eine Hermeneutik der Demut“ von Heinzpeter Hempelmann, Abschnitt 3.3 + 3.4

[10] „Die Prologe des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte unterscheiden sich so stark von den Anfängen antiker Epen, sind so eng mit den Prologen der antiken Geschichtsschreibung verwandt und inhaltlich so eindeutig historisch orientiert, dass an der Intention des Autors, Geschichte zu schreiben, nicht gezweifelt werden kann. Im lukanischen Doppelwerk erzählt kein von den Musen inspirierter Künstler, sondern ein sich auf Augenzeugen berufender Historiker (Lk 1,2).“ (Prof. Dr. Armin D. Baum in „Einleitung in das Neue Testament“ S. 311-312)

[11] Aus „Plädoyer für eine Hermeneutik der Demut“ von Heinzpeter Hempelmann, Abschnitt 3.2 bzw. 2.5

[12] H. Conzelmann & A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 3

[13] Prof. Armin D. Baum in: „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? Eine Rückmeldung an Siegfried Zimmer.“ (Ichthys 46, 2008, S. 86)

[14] „Sacra scriptura sui ipsius interpres“

[15] So schrieb Martin Luther in seiner „Assertio omnium articulorum“ von 1520: „Ich will, dass die Schrift allein Königin sei.“

Andere Fragen – anderes Evangelium?

„Wie kann meine Sünde vergeben werden?“ „Wie finde ich Gnade vor Gott?“ „Wie komme ich in den Himmel?“ Zur Zeit Martin Luthers waren das brandheiße Fragen, die viele Menschen beschäftigten – so sehr, dass sie sogar bereit waren, Geld für Ablassbriefe zu bezahlen, um Vergebung, Gnade und den Himmel zu finden. Martin Luthers Lehre, dass allein der Glaube uns rettet und Vergebung bringt, war eine phantastische Antwort auf die brennenden Fragen der damaligen Zeit. Luther hat für die damaligen Menschen eine Brücke gebaut über einen reißenden Strom von weit verbreiteten Ängsten vor den Folgen ihrer Schuld, den die Kirche mit ihrem Ablasshandel zusätzlich geschürt hat.

Der reißende Strom von damals ist heute höchstens noch ein kleines Rinnsal, für das kein Mensch mehr eine Brücke braucht. Sünde beschäftigt die Menschen höchstens noch in Bezug auf falsche Ernährung. Außerdem steht für die meisten Menschen fest: Falls es Gott gibt, dann ist es in jedem Fall ein lieber Gott, der mich niemals in die Hölle schmeißen würde.

Der Fluss der Fragen und Ängste fließt heutzutage anderswo. Da geht es um die Suche nach Identität, nach Selbstannahme, nach Sinn, nach Orientierung und nach tragfähigen Beziehungen. Statt unter ihrer Schuld leiden die Menschen unter Scham und Angst vor Ablehnung, die durch das ständige Vergleichen mit Anderen in den sozialen Netzwerken gefördert wird. Brauchen diese neuen Fragen und Nöte also ganz neue Antworten? Müssen wir vielleicht ganz neue Brücken bauen statt die alte Brücke der Reformationszeit zu renovieren und zu modernisieren? Braucht unsere heutige Gesellschaft ein anderes oder zumindest ein anders formuliertes Evangelium als die Gesellschaft Martin Luthers?

Tatsächlich lesen wir bei Paulus, dass es ihm auf seinen Missionsreisen äußerst wichtig war, genau darauf zu achten, welche Fragen die Menschen bewegen und womit sie sich beschäftigen. Er suchte nach guten Anknüpfungspunkten, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen (Apostelgeschichte 17, 23). Das zeigt: Die Orientierung an den Fragen der Menschen ist in der Tat wichtig für unsere missionarische Arbeit. Und auch in Deutschland sind wir ja längst wieder in einer Missionssituation, die sich von der Situation des Paulus kaum unterscheidet.

Trotzdem scheint mir die Frage nach gelingender Kommunikation und nach passenden Antworten für die Bedürfnisse der Menschen nicht im Mittelpunkt des Neuen Testaments zu stehen. Denn die Frage ist ja: Warum war denn die erste Generation der Christen eigentlich so erfolgreich? Warum wächst heute das Evangelium wie verrückt in absolut christenfeindlichen Gesellschaften wie z.B. dem Iran oder China? Mein Eindruck ist: Ganz bestimmt nicht deshalb, weil dort das Evangelium eine passende Antwort auf vorherrschende menschliche Bedürfnisse bietet. Gerade in der Verfolgungssituation entzieht das Evangelium Sicherheit, statt Sicherheit zu geben. Es entzieht Gemeinschaft, statt Gemeinschaft zu geben. Wenn die neuen Christen aus ihren Familien ausgestoßen und gesellschaftlich geächtet werden entzieht das Evangelium Schutz und Annahme statt Schutz und Annahme zu geben. Es bringt gesellschaftliche Schande über die Menschen statt ihnen die Scham zu nehmen.

Schauen wir uns doch einmal die Schlüsselsätze aus den extrem erfolgreichen Botschaften der Apostel an: „In keinem anderen Namen ist das Heil!“ (Apg. 4, 12) „Kehrt um!“ (Apg. 2, 38) Dieser Absolutheits- und Wahrheitsanspruch, der dem damaligen gesellschaftlichen Konsens komplett widersprach, sowie das grundlegende Infragestellen des bisherigen Lebensstils der Menschen – all das war noch nie populär. Das war noch nie Antwort auf die Fragen der Menschen. Das war im Gegenteil schon immer ein provokatives und polarisierendes Ärgernis, das nur deshalb so erfolgreich war, weil die Zeugnisgeber eine so enorme Ausstrahlung hatten und so glaub-würdig waren.

Das Evangelium stellt ja gerade nicht den Menschen mit seinen Bedürfnissen, Ideen, Ängsten und Fragen in den Mittelpunkt sondern den gekreuzigten Christus und die Botschaft, dass wir mit Christus am Kreuz sterben müssen, damit Erneuerung möglich wird. Erst durch diese Erneuerung, diese Neugeburt durch Taufe und Heiliger Geist, beginnt das Evangelium, auch Bedürfnisse nach Annahme, Liebe, Versorgung, Gemeinschaft, Identität, Zukunft, Sicherheit, Selbstwert usw. zu stillen. Aber ohne diese Erneuerung bleiben alle Versprechen nach Bedürfnisstillung theologische Kopfgeburten und leere Versprechen, mit denen man gerade in der Verfolgungssituation erst gar nicht zu kommen braucht.

Zudem sehe ich, dass gerade bei uns so viele Gemeinden daran leiden, dass immer mehr Gemeindeglieder die Erwartung haben, dass die Gemeinde ihre Bedürfnisse stillen soll. Das führt zwangsläufig zu unrealistischen Erwartungen und zu einer Überforderung der Gemeindemitarbeiter. Solange unsere Gemeinden nur Konsumenten hervorbringen und keine geistlichen Selbstversorger, die ihre Bedürfnisse aus einem eigenen authentischen geistlichen Leben heraus stillen können, bleibt Gemeindearbeit ein zähes Geschäft, in dem die einen unzufrieden sind und die anderen in den Burnout getrieben werden.

Das Evangelium stellt ja gerade nicht den Menschen mit seinen Bedürfnissen, Ideen, Ängsten und Fragen in den Mittelpunkt sondern den gekreuzigten Christus und die Botschaft, dass wir mit Christus am Kreuz sterben müssen, damit Erneuerung möglich wird.

Deshalb bin ich überzeugt davon: Unsere lahmende Kirche kann nur dann erfolgreich werden, wenn Sie das Geheimnis der Erneuerung in Christus durch das Kreuz und den Heiligen Geist wieder entdeckt und wenn daraus authentische, glaubwürdige Gläubige und schließlich auch Gemeinschaften wachsen, in denen die Menschen so sichtbar verändert und erneuert werden, dass sogar die Esoteriker neidisch werden (Apg. 8, 18). Um im Bild vom Fluss und der Brücke zu bleiben: Der entscheidende Fluss, den das Evangelium überbrückt, hat sich nie verändert und er wird sich nie verändern, bis Jesus wiederkommt: Das ist die Sündhaftigkeit des Menschen, der es aus eigener Kraft eben niemals schafft, Solidarität, Liebe, Gemeinschaft, Selbstlosigkeit, Freiheit usw. zu leben. Deshalb ist auch die Brücke des Evangeliums im Kern seit 2.000 Jahren in aller Welt und in allen Kulturen die gleiche: Jesus erlöst uns aus unserem alten Leben der Verstrickung in die weltlichen Denk- und Verhaltensmuster, indem wir unser Leben in den Tod geben (Taufe!), um uns aus Gnade mit Vergebung beschenken und durch den Heiligen Geist erneuern zu lassen. Die Erlösung von Scham, die Zusicherung des Angenommenseins und die Erneuerung der Identität und des Selbstwerts ist in der Bibel immer Folge der Erlösung von unserer Schuld, die im Kern in unserem ichbezogenen Leben besteht, das Gott und seinen Herrschaftsanspruch ignoriert. Wenn wir zu ihm umkehren und unsere Sünden waschen im Blut des Lammes, dann können wir ohne Scham und Angst vor dem Thron Gottes stehen (1.Joh.1,7; Offb.7,14) und in seiner Liebe Annahme und Selbstwert finden.

Der entscheidende Fluss, den das Evangelium überbrückt, hat sich nie verändert und er wird sich nie verändern bis Jesus wiederkommt: Das ist die Sündhaftigkeit des Menschen, der es aus eigener Kraft eben niemals schafft, Solidarität, Liebe, Gemeinschaft, Selbstlosigkeit, Freiheit usw. zu leben.

Den schwersten Schaden nimmt die Kirche immer dann, wenn sie das Ärgernis des Kreuzes beseitigt, weil sie den Lebensstil der Menschen nicht mehr in Frage stellen will, und wenn sie stattdessen ihre verloren gegangene Kraft und Ausstrahlung mit dem Versuch kompensieren will, das Evangelium mit den säkularen Strömungen kompatibel zu machen. Das kann niemals funktionieren. Gerade für die Klugen und Intellektuellen ist das Evangelium doch die größte Provokation (1. Kor. 1, 20), weil es die Weisheit dieser Welt und den dahinter stehenden menschlichen Stolz komplett in Frage stellt. Bevor wir uns also ausgiebig mit Soziologie und Kommunikationsstrategien befassen, steht die Kirche zunächst vor einer anderen Aufgabe: Wie können wir zurückkehren zu unserer ersten Liebe zu Christus? (Offb. 3, 5) Wie können wir Anbetung, Gebet und Hören auf Gottes Wort neu beleben, damit unser Glaube wieder lebendiger, leidenschaftlicher, dadurch auch authentischer und glaub-würdiger wird? Denn eine Botschaft, die wir nicht existenziell leben, wird gerade in der heutigen Zeit niemals nachhaltigen Eindruck bei den Menschen hinterlassen.

Bevor wir uns also ausgiebig mit Kommunikationsstrategien befassen steht die Kirche zunächst vor einer anderen Aufgabe: Wie können wir zurückkehren zu unserer ersten Liebe zu Christus?

Jesus hat zudem zum Ausdruck gebracht, dass unsere Einheit miteinander der entscheidende Schlüssel ist, dass die Welt glaubt (Joh. 17, 21). Ich habe es so oft erlebt: Wo Christus die gelebte Mitte ist, da wächst Einheit wie von selbst (Kol. 2, 19). Nur authentisches Christsein und geistgewirkte Einheit gibt unserem Zeugnis in der Welt die notwendige Glaubwürdigkeit.

Wenn die Kirche sich auf diese Punkte konzentriert und dann zusätzlich noch über kluge Kommunikation und Anknüpfungspunkte in der konkreten Missionssituation nachdenkt, dann ist das ein gutes i-Tüpfelchen zu der Frage, wie wir unsere Gesellschaft mit dem Evangelium erreichen können. Wenn die Kirche sich aber auf das i-Tüpfelchen konzentriert, dann sehe ich wenig Chancen auf echte missionarische Aufbrüche.