Tödliche Buchstaben – Befreiende Wahrheit

Diesen Montag bei Maischberger: Es geht um christliche Sekten. Ein junger Mann erzählt von seiner Kindheit und Jugend in der obskuren Gruppe “Zwölf Stämme”. Regelmäßig, ja täglich sei er verprügelt worden. Wie das begründet wurde? Mit der Bibel! Konkret mit Sprüche 13, 24: “Wer seine Rute schont, hasst seinen Sohn; aber wer ihn lieb hat, züchtigt ihn beizeiten.” Der junge Mann wirkt total verstört. Mir dreht sich der Magen um.

Aber Moment. Betone ich hier nicht dauernd, man könne der Bibel rundum vertrauen? Wenn Gott so etwas sagt, dann muss es doch wohl stimmen. Oder aber die Bibel stimmt halt doch nicht, zumindest nicht immer. Genau das seien die Alternativen, erklärt dann auch der anwesende Sektenpfarrer: Entweder unter überkommenen Geboten leiden oder aber die Bibel nicht immer ganz ernst nehmen. Unnötig zu erwähnen, welche Alternative er für richtig hält. Aber gibt es wirklich nur diese Alternativen? Ist das Problem dieser Sektierer wirklich, dass sie die Bibel zu ernst nehmen? Führt Vertrauen in die göttliche Urheberschaft der Bibel zwangsläufig zu Enge, Gesetzlichkeit oder Schlimmerem?

Schauen wir doch mal, was die Bibel lehrt über den Unterschied zwischen dem neuen Bund (der durch Jesus kam) und dem alten Bund (der von Mose verkündigt wurde): “Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, … damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. … So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind.” (Galater 4, 4-7) Das heißt: Die Gesetze des alten Testaments sind geprägt von einem Verhältnis zwischen Gott und Menschen wie zwischen einem Herrn und seinen Knechten (Elberfelder übersetzt sogar mit “Sklaven”). Sie wollen zu unbedingtem Gehorsam erziehen. Wenn man bedenkt, welch katastrophale Folgen Ungehorsam für Israel hatte wird der o.g. Bibelvers (der offenbar speziell nur den Söhnen galt) im damaligen Kontext auch verständlicher. Im neuen Bund geht Gott mit uns aber nicht mehr wie mit Knechten sondern wie mit Kindern um, die er nicht knechten sondern zur Reife und Mündigkeit führen und letztlich zu Freunden machen will (mehr dazu ab S. 24 in Kapitel 2 im Aufatmen-Buch).

Christen leben im neuen Bund. Christliche Erziehung und Leiterschaft MUSS deshalb den Charakter des neuen Bundes wiederspiegeln. Wer Menschen (oder gar Kinder) mit Abschottung, Druck, Drohungen oder gar Gewalt zu christlichem Verhalten zwingen und abhängig statt mündig machen will hat die Bibel schlicht nicht verstanden. Hartmut Steeb hat deshalb absolut recht: Wir brauchen keine Rute zur Erziehung von Kindern!

Allein der Galaterbrief mit seinem leidenschaftlichen Kampf gegen Gesetzlichkeit schließt vollkommen aus, dass man gleichzeitig die Bibel ernst nehmen UND gesetzlich sein kann. Wenn wir lernen, die Bibel als Ganzes und vom Zentrum (=Jesus) her zu lesen kann das nur dazu führen, dass das menschenfreundliche, barmherzige, gnädige, geduldige und gütige Wesen des Vaters zum Vorschein kommt. Dann wird das Klischee vom gesetzlichen, engen, rechthaberischen Bibeltreuen bald vergessen sein. Paulus warnt uns ausdrücklich vor der arroganten Idee, im alleinigen Vollbesitz der Wahrheit zu sein. Wir können nur darauf hoffen, immer mehr von der Wahrheit ergriffen zu werden. Von der Wahrheit, die uns frei macht. Von der Wahrheit, die eine Person und kein kaltes Dogma ist. Von der Wahrheit, die sich aus Liebe aufopfert statt uns einzusperren.

Ich werde oft als “bibeltreu” bezeichnet. Das ist auch O.K. solange klar ist, dass ich keine blinde, hirn- und herzlose Bibeltreue befürworte. Was wir vielmehr brauchen ist eine mündige Liebe zur Bibel mit wachem Verstand und vor allem mit einer Liebe zum Autor der Bibel in dem Wissen, dass ER allein weiß, wie die Bibel wirklich zu verstehen ist. Ohne Geist wirkt der Buchstabe nun einmal tödlich. Das war bei Maischberger live mitzuerleben.

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