Schöpfung oder Evolution – ein klarer Fall?

Der Inhalt dieses Artikels kann auch als Podcast gehört werden in Folge 12 des AiGG-Podcasts Bibel-live: bibel-live.aigg.de/12-schoepfung-oder-evolution-ein-klarer-fall

Ein denk- und wissenschaftsfeindliches Christentum schießt sich selbst ins Abseits, weil es von denkenden Menschen schlicht nicht ernst genommen werden kann. Christen sollten deshalb endlich aufhören, gegen die erwiesene Tatsache der Evolution anzukämpfen – zumal sie doch dem christlichen Glauben in keiner Weise schadet.

Solche Aussagen höre ich inzwischen auch im evangelikalen Umfeld immer häufiger. Im Jahr 2021 ist ein Buch erschienen, das dieses Narrativ einem gründlichen Faktencheck unterzieht und sich der Frage stellt: Ist Evolution denn wirklich „ein klarer Fall“, wie es so oft behauptet wird? Ist man ein Feind der Wissenschaft und des redlichen Denkens, wenn man die Evolutionstheorie in Frage stellt?

Geschrieben wurde das Buch von Dr. Reinhard Junker von der Studiengemeinschaft Wort und Wissen. Ich habe Reinhard Junker erstmals als Teenager auf einem Schülerwochenende kennen gelernt. Was mich schon damals beeindruckt hat war seine Nüchternheit, Sachlichkeit und Ehrlichkeit. Natürlich hatte Reinhard Junker eine klare Überzeugung. Für ihn hat immer gegolten, was das Logo von Wort und Wissen zum Ausdruck bringt: Wort UND Wissen ist wichtig. Aber am Ende steht das Wort über dem Wissen. Die Aussagen der Bibel haben das letzte Wort.

Zugleich ist Reinhard Junker für mich ein geradezu mustergültiger Wissenschaftler. Ein favorisiertes Modell zu haben ist ja vollkommen normal in der Wissenschaft. Die Kunst eines seriösen Wissenschaftlers ist es, trotzdem ehrlich mit den Fakten umzugehen, sie nicht zu verbiegen, sondern sich offen und ehrlich auch den Fakten zu stellen, die dem eigenen Ansatz widersprechen. Genau das tut Reinhard Junker auch in seinem Buch.

Zwei Modelle zur Entstehung der Lebewesen

Junker stellt zunächst zwei mögliche Modelle zur Entstehung der Lebewesen vor:

  • Das Evolutionsmodell geht davon aus, dass es eine ununterbrochene Abstammungslinie gibt von der ersten Zelle bis hin zu uns Menschen.
  • Das Schöpfungsmodell nimmt hingegen an, dass am Anfang ein Schöpfer stand, der verschiedene „Grundtypen“ erschaffen hat. Diese Grundtypen hatten von Beginn an das Potenzial, sich durch „Mikroevolution“ an die Umwelt anzupassen und im Zuge dieser Anpassungsprozesse auch neue Arten zu bilden. Jedoch können solche Anpassungsprozesse niemals völlig neue Baupläne oder innovative biologische Konstruktionen hervorbringen. Es gibt in diesem Modell also keine sogenannte „Makroevolution“, die zu ganz neuen Tier- und Pflanzenfamilien führen würde.

Spurensuche statt Beobachtung und Experiment

Die Frage, welches Modell zutrifft, ist schon deshalb nicht so leicht zu beantworten, weil wir mangels Zeitmaschine nicht beobachten können, welcher Prozess tatsächlich zur heutigen Tier- und Pflanzenvielfalt geführt hat. Wir können diesen Prozess auch kaum experimentell nachstellen. Die Untersuchungsmethode der exakten Naturwissenschaft (Beobachtung und Experiment) steht bei der Ursprungsfrage also nicht direkt zur Verfügung. Somit können auch keine Beweise im naturwissenschaftlichen Sinn geführt werden.

Aber was wir tun können ist etwas Ähnliches wie das, was ein Kommissar bei einem Mordfall tut: Wir können die Spuren analysieren, die dieser Prozess hinterlassen hat. Aus der Deutung der Spuren können wir dann eine Theorie dazu entwickeln, was wohl tatsächlich passiert ist.

Aus der Kriminalistik weiß man jedoch: Spuren sprechen nicht immer eine klare Sprache. Sie können oft sehr unterschiedlich gedeutet werden und uns manchmal regelrecht auf die falsche Fährte führen. Viele Menschen sind aufgrund falscher Spurendeutungen schon zu Unrecht im Gefängnis gelandet. Und nicht selten ist es vorgekommen, dass nach vielen Jahren neue Spuren aufgetaucht sind, die die bisher bekannten Spuren in ein völlig anderes Licht getaucht haben.

Könnte es vielleicht sein, dass bei der Frage nach der Entstehung der Lebewesen etwas Ähnliches passiert? Reinhard Junker schreibt dazu in seinem Vorwort: „Ausgerechnet Evolutionsbiologen haben – ohne es zu wollen – in den letzten Jahrzehnten zunehmend Eigenschaften an den Lebewesen entdeckt, die Evolution stark in Frage stellen, aber problemlos zu Schöpfung passen. Es gibt daher aufgrund neuerer naturwissenschaftlicher Daten guten Grund, den Fall Schöpfung und Evolution neu aufzurollen!“ (S. 7)

Den Fall neu aufrollen – genau das hat Reinhard Junker in seinem Buch getan. Er hat die unterschiedlichen Spuren noch einmal gründlich analysiert und gefragt: Wie beweiskräftig sind diese Spuren eigentlich? Zu welchem Modell passen sie am besten? Wurden manche Spuren vielleicht voreilig überinterpretiert? Und gibt es vielleicht neue Spuren, die wir bisher vernachlässigt oder übersehen haben?

Gibt es „Schöpfungsindizien“ in der Natur?

Gleich zu Beginn beschreibt Junker einige sogenannte „Schöpfungsindizien“. Damit sind Merkmale in der Natur gemeint, die darauf hindeuten, dass hier ein kreativer Geist, ein Schöpfer tätig gewesen sein muss. Dazu gehört zum Beispiel das Phänomen der nicht reduzierbaren Komplexität. Damit sind biologische Systeme gemeint, die nur dann funktionieren, wenn sämtliche Teile des Systems vorhanden sind und funktional ineinandergreifen. Die Entstehung derartiger maschinenartiger Systeme ist nach allen bisherigen Beobachtungen nur durch ein zielgerichtetes Design erklärbar: „Ein Konstrukteur kann entsprechend planen und handeln, aber Zufallsmutationen und Auslese sind damit hoffnungslos überfordert.“ (S. 55) An diesem Befund können bislang auch Vorschläge zu einzelnen denkbaren Zwischenschritten nichts ändern.

Sind „Ähnlichkeiten“ ein Beweis für Evolution?

Die Tatsache, dass es in der Tier- und Pflanzenwelt ein abgestuftes System von Ähnlichkeiten gibt, ist nur scheinbar ein Beweis für die Evolutionstheorie. Ähnlichkeiten sind ja auch dann zu erwarten, wenn ein Schöpfer verschiedene Dinge erschafft. Wenn Ingenieure oder Künstler unterschiedliche Werke hervorbringen, dann kommt es häufig vor, dass bestimmte Merkmale oder Bauteile immer wieder auftauchen. Ein kreativer Geist kann sich für seine Werke wie aus einem Baukasten bedienen und er ist frei, die Merkmale immer wieder anders zusammenzustellen.

Reinhard Junker berichtet: Genau dieses Baukastenprinzip finden wir tatsächlich auch in der Natur. Es gibt bestimmte Merkmale, die vollkommen unsystematisch in der Tier- und Pflanzenwelt verteilt sind. Dieser Befund ist im Rahmen eines Evolutionsmodells problematisch, denn dort würde man erwarten, dass sich ein bestimmtes komplexeres Merkmal oder ein Organ in der Regel nur EINMAL im Rahmen der Evolution entwickelt und dass dann nur die Nachkommen dieser Art dieses innovative Merkmal besitzen. Wenn aber ein Merkmal völlig unsystematisch über die unterschiedlichsten Organismengruppen verteilt ist, dann muss man im Rahmen eines Evolutionsmodells annehmen, dass es sich in manchen Fällen mehrere hundert Male unabhängig entwickelt hat. Aber wie können ziellose Prozesse immer wieder zum gleichen Ziel führen?

Junker zeigt zudem: Die Stammbäume, die aufgrund der Verteilung von äußerlichen Ähnlichkeiten entwickelt wurden, passen oft überhaupt nicht zu den Stammbäumen, die sich aus dem Vergleich des Erbguts der verschiedenen Tier- und Pflanzenarten ergeben. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Tier- und Pflanzenarten kein Beweis für die Evolutionstheorie darstellen.

Sprechen „Konstruktionsfehler“ gegen einen Schöpfer?

Im Anschluss geht Reinhard Junker der Behauptung nach, dass es in der Tier- und Pflanzenwelt Konstruktionsfehler gäbe. Diese werden oft als Argument gegen einen Schöpfer benutzt, weil man (theologisch!) annimmt: Wenn es wirklich einen Schöpfer gäbe, dann hätte er die Pflanzen und Tiere doch sicher perfekt gemacht.

Reinhard Junker zeigt aber: Viele angebliche Konstruktionsfehler haben sich bei genauerem Hinsehen gar nicht als solche bestätigt. So ist zum Beispiel der Wurmfortsatz des Blinddarms weder überflüssig noch sinnlos. Oft wurde behauptet, die Netzhaut des menschlichen Auges sei falsch herum eingebaut. Neuere Forschungen haben jedoch gezeigt: Die Konstruktion des menschlichen Auges ist absolut perfekt gestaltet für eine optimale Sehschärfe und Lichtausbeute. Auch hat sich mittlerweile das Gerücht als falsch erwiesen, dass das menschliche Erbgut voller überflüssiger Sequenzen („Junk-DNA“) wäre. Da inzwischen für die meisten Sequenzen Funktionen gefunden wurden, kann von „evolutionärem Abfall“ keine Rede mehr sein.

Natürlich ist die Schöpfung nicht perfekt. Auch die Bibel spricht seit dem Sündenfall von einer „gefallenen Schöpfung“. Und natürlich kann es im Zuge der Mikroevolution auch Rückbildungen geben. Aber das ist natürlich kein Beweis für Evolution.

Durchläuft der Embryo noch einmal seine Stammesentwicklung?

Völlig zerschlagen hat sich die langjährige Behauptung, dass der menschliche Embryo noch einmal seine Stammesentwicklung durchlaufen würde. Ich kann mich noch erinnern, dass es diese populäre These auch in mein Biologie-Schulbuch geschafft hatte. Da wurde behauptet, dass menschliche Embryonen zwischenzeitlich Ansätze von Kiemen, Schwimmhäuten, Schwänzen oder ein Fell entwickeln würden. Nichts davon ist bei genauerer Betrachtung übriggeblieben. Mit irgendwelchen Überresten von tierischen Vorfahren haben die Eigenschaften von menschlichen Embryonen rein gar nichts zu tun.

Beweisen die Fossilien eine allgemeine Evolution?

Etwas anders ist die Situation bei den Fossilien, also bei den versteinerten Überresten früherer Lebewesen. Tatsache ist, dass bestimmte Fossilienformen zumeist nur in bestimmten Erdschichten zu finden sind. Je jünger diese Erdschichten sind, umso ähnlicher sind tendenziell die Fossilien den heutigen Tieren und Pflanzen. Das widerspricht natürlich klar dem biblisch motivierten Schöpfungsmodell, in dem man erwarten würde, dass alle Tier- und Pflanzenarten von Beginn an auch in den ältesten Erdschichten auftauchen. Das gilt umso mehr, da die gängigen radiometrischen Altersdatierungen der Gesteine deutlich für ein Alter der Erde sprechen, das um Dimensionen höher ist als die rund 10.000 Jahre, die man aus der Bibel ableiten kann.

Was allerdings überhaupt nicht zum Evolutionsmodell passt, ist das sprunghafte Auftreten neuer Baupläne im Fossilienbericht. Statt einer langsamen, schrittweisen Entwicklung, wie sie das Evolutionsmodell vorhersagt, findet man im Fossilbericht immer wieder große Entwicklungssprünge. Ein Beispiel dafür ist die berühmte „kambrische Explosion“: Zu Beginn des Kambriums treten plötzlich praktisch alle grundlegenden tierischen Körperbaupläne auf, und zwar ohne irgendwelche Vorläufer. Die Tiere sind ganz plötzlich einfach da, obwohl man zur Bildung der sehr komplexen Baupläne lange Entwicklungszeiträume mit zahlreichen Übergangsformen zwingend erwarten müsste. Diese Sprunghaftigkeit beobachten wir auch bei der angenommenen Entwicklung des Menschen aus affenartigen Vorfahren. Reinhard Junker macht deutlich: Die in jüngerer Zeit vorgetragenen Lösungsvorschläge zur Erklärung der Sprunghaftigkeit des Fossilberichts beheben das eigentliche Kernproblem, nämlich das plötzliche Auftreten neuer komplexer Information, in keiner Weise.

Überraschende Befunde zum Alter der Erde

Neben den bekannten Argumenten für eine sehr alte Erde finden sich in diesem Buch durchaus auch einige Befunde, die überhaupt nicht zum hohen Alter der Erde passen wollen. Reinhard Junker berichtet zum Beispiel von dem faszinierenden Phänomen, dass vor einigen Jahren aus Dinosaurierknochen noch dehnbares Dinosauriergewebe isoliert werden konnte. Das dürfte es eigentlich nicht mehr geben, wenn diese Knochen schon viele Millionen Jahre alt wären. Sehr überraschend ist auch, dass aus mehr als 200 Millionen Jahre alten Gesteinen einzellige Organismen wiederbelebt werden konnten. Zudem gibt es gut bezeugte Steinwerkzeuge aus Gesteinsschichten, in denen es noch gar keine Menschen gegeben haben dürfte. Betrachtungen zum Bevölkerungswachstum sprechen viel eher für eine junge statt für eine alte Menschheit. Wie aussagekräftig diese interessanten Befunde sind, wird sich allerdings erst noch erweisen müssen.

Das Wunder der Entstehung des Lebens

Besonders eindrücklich war für mich das Kapitel über die Frage nach dem Anfang des Lebens. Noch nie wussten wir so viel darüber, wie unfassbar komplex und hochfunktionell bereits die einfachst denkbaren einzelligen Lebewesen sind. Damit eine Zelle funktioniert, braucht es wenigstens 300 funktionell programmierte Gene. Dazu braucht es einen hochkomplexen Übersetzungsapparat, der biologische Information in biologisches Material umwandeln kann. Unverzichtbar für das Leben sind darüber hinaus eine Reihe von hochfunktionellen molekularen Maschinen. Es gibt bis heute keine Hinweise darauf, dass eine derartige Maschinerie ganz von selbst entstehen kann. Reinhard Junker verweist dabei auf einen Trend: Jede neue spektakuläre Entdeckung zur Funktionsweise lebender Zellen macht die Frage nach ihrer Entstehung noch brisanter. Noch nie waren wir so weit weg von einer naturalistischen Erklärung zur Entstehung des Lebens, wie wir es heute sind.

Schöpfung oder Evolution – keine Randfrage für Christen

Schließlich erläutert Reinhard Junker: Die Frage nach Schöpfung und Evolution ist für Christen keine Nebensächlichkeit. Es steht viel auf dem Spiel, weil die Frage nach unserer Herkunft großen Einfluss hat auf unser Weltbild, unser Gottesbild und unser Menschenbild.

Umso dankbarer bin ich, dass Reinhard Junker diesen Fall noch einmal neu aufgerollt hat. Er hat das auf eine fachlich sehr fundierte Art und Weise getan, nüchtern und differenziert, aber zugleich in einer Sprache, die auch Nichtbiologen und Laien gut verstehen können.

Dank dieses Buches kann nun jeder selbst einen differenzierten Blick auf die Fakten werfen und sich eine eigene Meinung bilden zu der Frage: Woher kommen wir? Wie ist die Pflanzen- und Tierwelt entstanden? Ist das Evolutionsmodell überzeugender? Oder passt das Schöpfungsmodell besser zu den Fakten?

Fest steht jedenfalls: Evolution ist ganz eindeutig KEIN klarer Fall! Es ist längst nicht ausgemacht, dass wir Menschen von einer Zelle aus einer „Ursuppe“ oder von affenartigen Wesen abstammen. Viele Spuren sprechen ganz im Gegenteil stark dafür, dass wir eben kein Produkt von ziellosen Auswahlprozessen sind, sondern dass wir ganz gezielt erschaffen wurden. Es hat deshalb überhaupt nichts mit Denk- oder Wissenschaftsfeindlichkeit zu tun, wenn Christen an der biblischen Schöpfungsgeschichte ganz bewusst festhalten.

Ich kann dieses großartige Buch von Dr. Reinhard Junker nur von Herzen jedem empfehlen und wünsche ihm größtmögliche Verbreitung. Bestellen kann man das Buch am besten direkt im Webshop von Wort und Wissen: https://www.wort-und-wissen.org/produkt/soe_klarer-fall/

Eine gute Möglichkeit, sich mit der Thematik vertraut zu machen, bietet zudem die in Produktion befindliche Videoserie zum Buch. Die ersten Folgen stehen bereits online: https://www.youtube.com/playlist?list=PLcczs-iQ_Ik5IsBmQ3rcBCH019uOhLhAK

Lässt sich die Evolutionstheorie mit der Bibel vereinbaren?

Diese Frage beschäftigt mich seit langem. Deshalb war ich gespannt, ob der US-amerikanische Philosoph Matthew Nelson Hill in seinem aktuellen Buch „Und Gott schuf die Evolution“ dazu neue Argumente liefern kann?

Diese Rezension kann hier auch als PDF heruntergeladen werden.

Hill’s Buch plädiert für eine „evolutionäre Schöpfung“, also Schöpfung durch Evolution. Gemäß dem Buchtitel ist für Hill der Evolutionsprozess selbst ein Schöpfungswerk Gottes. Die Idee ist nicht neu. Ebenso bekannt sind die Probleme dieses Ansatzes. Hill spricht einige davon selbst offen an – ohne Antworten dazu anzubieten:

  • „Diese Aussage ist schwer zu verkraften, aber der Tod ist nicht die Folge der Sünde, sondern die Voraussetzung für das Leben.“ (S. 76)
  • „Die Grausamkeiten im Tierreich als notwendiger Teil der Evolution lassen sich besonders schlecht mit der Bibel und der überlieferten Lehre vereinbaren.“ (S. 77)
  • „Es ist kein schöner Gedanke, dass die Evolution oft als Folge eines Massenaussterbens an Fahrt aufnimmt – als ob der Tod notwendig wäre, um neues Leben hervorzubringen. Meines Erachtens ist das eine der schwierigsten Stellen für Christen, die sich mit dem Konzept der Evolution anfreunden wollen.“ (S. 108)

Eine derart erfrischende Ehrlichkeit in Bezug auf die Schwächen des eigenen Ansatzes ist leider eher selten. Dabei wäre die Fähigkeit zur Selbstkritik auf allen Seiten angebracht. Ich kenne kein Ursprungsmodell, das nicht unter enormen Schwierigkeiten leidet. Es spricht für die Glaubwürdigkeit des Autors, dass er hier mit gutem Beispiel vorangeht.

Wie passt ein planvoller Schöpfer zum planlosen Evolutionsgeschehen?

Jedoch hat die Vorstellung einer „evolutionären Schöpfung“ natürlich noch weitaus mehr Schwierigkeiten. Diese können beim aufmerksamen Lesen des Buchs zwar durchaus auffallen, aber Hill thematisiert sie nicht explizit. Das gilt zum Beispiel für den grundlegenden Widerspruch zwischen einem planvollen Schöpferhandeln und dem planlosen Evolutionsgeschehen. Hill bekennt sich zwar immer wieder dazu, dass Gott der Schöpfer ist, der den Menschen nach seinem Bild erschaffen hat. Zugleich schreibt er aber auch: „Mir gefällt es nicht, wenn man das Gefühl bekommt, die Evolution würde ein bestimmtes Ziel verfolgen.“ (S. 84) Hill unterwirft sich also dem heute vorherrschenden Paradigma, dass auch in der Ursprungsforschung ausschließlich mit ziellosen, materiell erklärbaren Prozessen gerechnet werden dürfe. Wo und wie dann aber noch Raum für die Wirksamkeit eines zielorientierten Schöpfers bleiben soll, bleibt offen.

Ein kritikloser Blick auf die Evolutionstheorie

Auch diskutiert Hill mit keinem Wort die Sinnhaftigkeit dieses außerwissenschaftlichen Paradigmas, das zur Folge hat, dass heutzutage selbst die offenkundigsten Designmerkmale in der Natur schlicht ignoriert werden. Mit keinem Wort geht er darauf ein, dass die Fragen nach der Entstehung von Information, komplexen biologischen Bauplänen, Schönheit, Moral und Geist durch ziellose, materielle Prozesse bislang weitgehend unbeantwortet sind. Stattdessen übernimmt er kritiklos selbst so waghalsige Annahmen wie z.B. die Vorstellung, die erste Zelle könne in Tiefseeschloten von selbst entstanden sein oder das Leben sei vielleicht durch einen Meteoriten auf die Erde „gesät“ worden. Und er schreibt: „Auf jeden Fall hat das Leben ganz einfach angefangen, darin ist man sich einig.“ (S. 104) Das Leben hat „ganz einfach“ angefangen? Da frage ich mich: Weiß der Autor denn nichts darüber, wie unfassbar komplex und hoch organisiert selbst die einfachst denkbaren lebenden Zellen sind mit ihren phantastischen molekularen Maschinen und mit dem koordinierten Zusammenspiel von mindestens 300 Genen? Wie auch immer das Leben angefangen hat – “einfach” war es jedenfalls zu keiner Zeit.

Bibelverständnis: Klischees und blinde Flecken

In seinen Erläuterungen zum Umgang mit der Bibel macht Hill die typisch klischeehafte Alternative auf zwischen historischem und „wörtlichem“ Bibelverständnis – so als ob eine konservativ-bibelorientierte Herangehensweise nicht ebenso vor Augen hätte, dass bei jedem Text natürlich die Textgattung und das historische Umfeld beachtet werden muss. Hill behauptet zudem ganz einfach, die Bibel sei kein Geschichtsbuch (S. 63+73), ohne auf die vielen biblischen Texteigenschaften wie Ahnentafeln, Orts- Zeit- und Maßangaben einzugehen, die auch schon der biblischen Urgeschichte durchaus einen historischen Charakter verleihen. Wie sind diese Angaben zu verstehen, wenn die Texte keine wirkliche Geschichte erzählen wollen?

Woher kommen unsere sündigen Triebe?

Im zweiten Teil des Buchs möchte Hill den Gedanken vermitteln: Wenn wir unser evolutionäres Erbe verstehen, dann können wir besser lernen, unsere Triebe zu beherrschen und dadurch einen geheiligteren Lebensstil entwickeln. Unser Kampf ist es laut Hill, „die Laster zu überwinden, die uns von Natur aus anhaften.“ (S. 203) Hills Gedanken zur Heiligung stimme ich weitgehend zu, sie unterscheiden sich nur wenig von klassisch evangelikalen Sichtweisen. Dabei geht aber das grundlegendste Problem des Buchs weitgehend unter: Wenn Gott die Evolution geschaffen hat, dann stammt natürlich auch unser sündiger Lebensstil von Gott. Denn dann hat ja der Schöpfer selbst uns im Zuge der Evolution unter anderem mit einem „Reptiliengehirn“ ausgestattet, das uns „nur mit Fragen der Sicherheit, der Suche nach Nahrung und dem Verlangen nach Sex beschäftigt. Dieser Gehirnteil hat uns aber über unzählige Generationen hinweg am Leben erhalten und eine Weiterentwicklung möglich gemacht.“ (S. 153/154) Es ist dann also auch das Werk des Schöpfers, dass „die fortschreitenden Entwicklungen des Gehirns einerseits eine große Verbesserung, andererseits aber auch der Beginn von Manipulation, Nötigung und Lüge“ waren. (S. 155)

Unsere sündigen Verhaltensweisen sind in Hills Ansatz also nicht ein Ergebnis des Sündenfalls, sondern ein wichtiger Evolutionsmotor und damit ein wichtiges Element im göttlichen Schöpfungsprozess. Wenn wir Christen heute einen maßvollen Lebensstil entwickeln und sexuelle Treue bzw. Enthaltsamkeit im außerehelichen Bereich leben wollen, dann kämpfen wir somit gegen genau die Triebe an, die Gott selbst benutzt hat, um uns zu erschaffen:

  • „Es ist nicht ohne Bedeutung, dass unsere männlichen Jäger- und Sammler-Vorfahren häufig Sex hatten und auf der Suche nach mehr Partnerinnen ihre Familien verließen.“ (S. 144/145)
  • „Viele unserer Triebe, von der Lust aufs Essen bis zum Verlangen nach Sex, waren für unsere Vorfahren überlebenswichtig.“ (S. 145)
  • „Lebewesen, die früher nicht dadurch auffielen, dass sie ständig essen und Sex haben wollten, sind ausgestorben.“ (S. 146)

Wir Menschen sind demnach also die Sieger eines rücksichtslosen, animalischen evolutionären Verdrängungskampfes, den Gott selbst so auf den Weg gebracht hat. Und zu diesem Schöpfungswerk sagt Gott, dass wir „sehr gut“ und nach Gottes Ebenbild geschaffen sind?

Ist der Mensch gottesebenbildlich und einzigartig?

Damit sind wir bei einem weiteren schwerwiegenden Problem in Hills Modell. Für ihn ist klar: „Obwohl Homo sapiens erst relativ kurz auf der Erde existiert, haben wir uns in rasantem Tempo entwickelt und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.“ (S. 117) Wenn der Evolutionsprozess des Menschen demnach immer noch weiterläuft, dann wirft das Fragen auf: Gibt es dann heute schon Menschen, die höher entwickelt sind als andere? Sind denn nicht alle Menschen gleich? Werden zukünftige Menschen auf Jesus zurückschauen und in ihm einen unterentwickelten Vormenschen sehen? Was bedeutet das für die biblische Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und für die Wiederkunft Jesu?

Und inwiefern ist der Mensch noch einzigartig, wenn er eigentlich nur ein weiterentwickeltes Tier ist? Hill schreibt dazu: „Aber da wir Menschen gemeinsame Vorfahren mit den höherentwickelten Tieren haben, wurde Jesus nicht nur Mensch, er wurde auch ein Tier – wodurch alle Tiere etwas ganz Besonderes sind, denn Gott wurde einer von ihnen. … Jesus betrat die Erde auch nicht als irgendein Tier, sondern als menschliches Tier.“ (S. 202) Hill möchte also die Tiere aufwerten, indem er zwischen Mensch und Tier nur graduelle statt prinzipielle Unterschiede sieht. Aber wird damit der Mensch nicht zwangsläufig auch abgewertet? Und wollte Jesus sich wirklich auch mit den Tieren identifizieren?

In der Bibel ist Jesus zwar tatsächlich der Löwe von Juda und das geschlachtete Lamm. Aber mit diesen Bildern wollte die Bibel sicher nicht sagen, dass Jesus und wir Menschen letztlich nur höher entwickelte Formen innerhalb des Tierreichs sind. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen mit allen Konsequenzen für seine unveräußerliche Würde und für seine einzigartige Verantwortung, für die er im Gericht zur Rechenschaft gezogen wird, ist in der Bibel ausschließlich dem Menschen vorbehalten.

Ist der Glaube an die Evolution eine Befreiung?

Das Buch enthält ein Nachwort der Übersetzerin, in dem sie schildert, wie sie aufgrund ihres christlich-konservativen Hintergrunds zunächst mit dem Inhalt des Buchs gefremdelt hat. Dann aber wurde sie „in eine neue Freiheit geführt“ (S. 205), die es ihr jetzt ermögliche, auch Widersprüche zwischen der Bibel und wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie innerbiblische Widersprüche fröhlich stehen zu lassen, ohne dass ihr Glaube beeinträchtigt werde. Dabei seien ihr Publikationen und Vorträge von Worthaus, Siegfried Zimmer, Thorsten Dietz und anderen eine große Hilfe gewesen.

Mir ging es nach der Lektüre des Buchs genau umgekehrt. Deutlicher als je zuvor stand mir vor Augen, in welch grundlegende Widersprüche und Schwierigkeiten man gerät, wenn man die Evolutionstheorie mit der Bibel vereinbaren will. Angesichts der gewaltigen Probleme, unter denen die Evolutionstheorie insgesamt leidet, kann ich auch nicht erkennen, inwiefern denn die Übernahme des Evolutionsmodells ins christliche Weltbild eine Befreiung sein soll? Wovon werde ich denn da befreit?

Richtig ist natürlich: Glaube und Wissenschaft können und sollen Hand in Hand gehen. Wir Christen sollten uns ehrlich den wissenschaftlichen Fakten stellen und intellektuell redlich mit ihnen umgehen. Faktenresistenz und Wissenschaftsfeindlichkeit kann keine christliche Antwort sein. Es waren ja vielfach tiefgläubige Christen, die die Erfolgsgeschichte der modernen Wissenschaft vorangetrieben haben. Aber eine undifferenzierte Wissenschaftsgläubigkeit, die blind ist gegenüber den offenkundigen Problemen der Evolutionstheorie und die auch nicht die philosophischen Paradigmen kennt, die die heutige Dominanz des Evolutionsmodells verursachen, kann ganz sicher auch kein Weg sein, den wir Christen beschreiten sollten.

Angesichts der vielen ungeklärten Fragen in der Ursprungsforschung empfinde ich es als befreiend, mein Weltbild nicht allein von unserem vorläufigen und sich rasch wandelnden Weltwissen abhängig machen zu müssen. Vielmehr darf ich aus guten Gründen und guten Gewissens der Schrift das letzte Wort geben, wenn es um die existenziellen Fragen nach dem „woher“ und „wohin“ des Menschen geht.

Das Buch „Und Gott schuf die Evolution“ von Matthew Nelson Hill ist bei Gerth Medien erschienen und kann hier bestellt werden.

Eine Kurzversion dieser Rezension ist in IDEA 11.2022 erschienen.

Weiterführende Hinweise:

Können Christen heute noch an Adam, Eva und die Arche glauben?

Ist es angesichts der modernen wissenschaftlichen Er­kennt­nisse nicht vernunfts- und wissenschaftsfeindlich, die Erzählungen der biblischen Urgeschichte für historisch zu halten?

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Wer heute noch an Adam, Eva und die Arche glaubt, gilt inzwischen auch in vielen christlichen Kreisen im besten Fall als skurril, im schlechtesten Fall als ein Feind von Vernunft und Wissenschaft. Tatsächlich gibt es Beispiele von erschreckender Wissenschaftsfeindlichkeit unter Christen. Neulich schrieb mir jemand: In seiner Gemeinde sei gelehrt worden, dass der Teufel die Dino-Knochen vergraben habe, um den Menschen den Glauben an die Bibel zu vermiesen. Zum Glück ist derart schräger Unfug selten. Relativ weit verbreitet ist aber leider die Praxis, solche Fragen totzuschweigen. Die Folge ist am langen Ende, dass Menschen unsere Gemeinden und Gemeinschaften verlassen, weil sie diese Fragen nicht unter den frommen Teppich kehren wollen oder können.

Deshalb müssen wir uns dringend dieser Frage stellen: Wie sollen moderne, aufgeklärte Christen umgehen mit den teils krassen Unterschieden zwischen den biblischen Berichten zur Urgeschichte und den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft, wenn Sachkritik an der Bibel[1] aus Glaubensgründen nicht in Frage kommt?

Der Glaube an eine „junge Erde“: Die Faktenlage

Etwa 1800 Jahre lang hat praktisch die gesamte Kirche Jesu den biblischen Bericht über die Entstehung der Erde „wörtlich“[2] ernst genommen und geglaubt, dass sich die Geschichten von Adam, Eva, dem Sündenfall, der weltweiten Sintflut und der babylonischen Sprachverwirrung tatsächlich in etwa so ereignet haben. Weltweit gesehen gilt das auch heute noch für die Mehrheit der Christen. Vielen ist dabei durchaus bewusst, wie problematisch es ist, die gesamte Weltgeschichte, Archäologie und Geologie in einen Zeitraum von etwa 6.000 bis 10.000 Jahren zu pressen. Zwar gibt es eine Reihe von historischen Indizien, die durchaus für eine Historizität der biblischen Urgeschichte sprechen.[3] Auch in der Biologie und Geologie gibt es Fakten, die im Modell einer „jungen Erde“ sogar deutlich besser erklärt werden können (z.B. das Phänomen der „lebenden Fossilien“ oder der wiederbelebbaren Sporen in uralten Fossilien, in denen längst alle biologischen Materialen hätten zerfallen sein müssen). Richtig ist auch, dass es für einige geologische Phänomene, denen man früher eine Dauer von Jahrmillionen zuschrieb, inzwischen sehr überzeugende Kurzzeitmodelle gibt.[4] Andererseits deuten einige Fakten auch klar auf ein deutlich höheres Alter der Erde hin: Die radiometrischen Datierungen, die Entfernung der Sterne im Universum (deren Licht dann noch gar nicht bei uns angelangt sein dürfte) und einige geologische Phänomene, für die es bislang keine befriedigende Kurzzeitmodelle gibt.

Das naturhistorische Standardmodell: Nicht weniger problematisch

Fakt ist aber auch: Mit dem Problem schwerwiegender ungelöster Fragen sind die Anhänger einer jungen Erde keinesfalls allein. Ich kenne kein einziges Modell zur Entstehung des Kosmos, der Erde und der Organismenvielfalt, das nicht mit vergleichbar schwerwiegenden und grundlegenden Problemen zu kämpfen hätte. Das gilt gerade auch für das naturhistorische Standardmodell, in dem das Eingreifen eines wie auch immer gearteten Schöpfers oder Designers von vornherein aus Prinzip grundsätzlich ausgeschlossen wird. Die Probleme dieses Modells, das die Entstehung komplexer physikalischer und biologischer Systeme bis hin zum menschlichen Bewusstsein ausschließlich durch ungerichtete, absichtslose und somit letztlich zufällige Prozesse erklären möchte, sind in den letzten 150 Jahren nicht kleiner sondern im Gegenteil stetig größer geworden.[5] Noch nie wussten wir so viel darüber, wie unfassbar komplex und fein aufeinander abgestimmt die Elemente des Universums und des Lebens sind. Entsprechend groß ist die Ratlosigkeit in Bezug auf die Frage, wie diese hochkomplexen Systeme entstehen konnten.[6]

Die oft geäußerte Annahme, dass sich diese offenen Fragen in der Zukunft schon noch klären und die Erklärungslücken immer kleiner werden, entspricht seit Jahrzehnten nicht der wissenschaftlichen Realität. Durch Wissenszuwachs werden diese „Lücken“ größer, weil der Erklärungsbedarf einerseits zunimmt, andererseits die Defizite erklärender Evolutionstheorien immer offenkundiger werden. Und Tatsache ist natürlich auch: Mit der Behauptung, dass zukünftige Erkenntnisse die Probleme meines Welterklärungsmodells schon noch lösen werden, könnte man schlichtweg JEDES Modell zur Entstehung der Welt verteidigen und gegen JEDE Kritik immun machen. Dieses Pseudoargument trägt daher zum wissenschaftlichen Wettbewerb der verschiedenen Modelle absolut nichts bei, im Gegenteil: Es blockiert den Dialog und das ehrliche, offene Argumentieren.

Theistische Evolution: Ist der Mix aus Schöpfung und Evolution die Antwort?

Nicht wenige Christen wollen sich heute nicht entscheiden zwischen Schöpfung und Evolution. Stattdessen vertreten sie einen Mix aus beiden Modellen und bezeichnen dies als „theistische Evolution“. Dabei wird angenommen, dass Gott die Evolutionsprozesse benutzt habe, um die Organismenvielfalt zu erschaffen. Wie diese göttlichen Eingriffe in den Evolutionsprozess genau vonstatten gegangen sein sollen, wird dabei meist nicht näher erklärt.

Vertreter dieses Modells glauben oft, auf diese Weise Glaube und Naturwissenschaft versöhnen zu können. Dabei scheint ihnen nicht immer bewusst, dass sie mit dieser Sichtweise in der „Scientific Community“, also der akademischen naturwissenschaftlichen Welt, letztlich genauso im Abseits stehen wie die Anhänger einer Schöpfung ohne Evolution. Denn der akademische Wissenschaftsbetrieb ist nun einmal strikt naturalistisch ausgerichtet. Egal ob mit oder ohne Evolution: Wer mit göttlichen Eingriffen rechnet wird immer vom gleichen Schicksal heimgesucht: Keine Publikationen, keine Fördergelder, keine Vorträge an wissenschaftlichen Symposien, somit auch keine wissenschaftliche Karriere und kein Einfluss auf die wissenschaftliche Diskussion.[7] Kein Wunder, dass einige Vertreter der theistischen Evolution das Schöpfungshandeln Gottes inzwischen gänzlich auf die Zeit des Urknalls oder auf quantenphysikalische und somit äußerlich nicht fassbare Prozesse beschränken und behaupten: Gott habe nicht zielgerichtete Prozesse gebraucht, um sein Ziel der Erschaffung des Menschen zu erreichen – ein innerer Widerspruch und ein Dilemma, das letztlich nicht schlüssig aufgelöst werden kann. Reinhard Junker hat zudem in Anlehnung an J. G. West dargelegt, dass diese Denkweise das Modell der theistischen Evolution letztlich in eine frappierende Nähe zu gnostischen Lehren bringt.[8]

Wenig bekannt scheint unter den Anhängern einer theistischen Evolution auch zu sein, dass die Faktenlage in der Fossilienforschung („Paläontologie“) gerade nicht zur These einer schrittweisen Höherentwicklung der Lebewesen passt und somit auch einer theistischen Evolution widerspricht. So berichtet der Paläontologe Dr. Günter Bechly, dass die Baupläne der unterschiedlichen Tiergattungen im Fossilienbericht fast immer plötzlich und explosionsartig auftauchen.[9] Um diesem Befund gerecht zu werden müsste man eher von abschnittsweisen, über Jahrmillionen verteilten Schöpfungsakten ausgehen. Stimmt der biblische Schöpfungsbericht aus 1. Mose 1 also doch, nur dass (vielleicht in Anlehnung an 2. Petrus 3, 8) die „Tage“ nicht 24 Stunden sondern Jahrmillionen dauerten? Was auf den ersten Blick verlockend klingt, wirft aus biblischer und ethischer Perspektive eine ganze Reihe schwieriger Fragen auf[10]:

  • Wie passt dieses Modell zur biblischen Lehre, dass der Tod nicht Teil von Gottes guter Schöpfung sondern Folge der Sünde des Menschen ist (Römer 5, 12; Römer 8, 20ff.; 1. Korinther 15, 20ff.)? Wie kann dann noch der Zusammenhang zwischen Adam und Christus aufrecht erhalten werden, der für die Theologie von Paulus so zentral ist?
  • Warum sind viele der geschaffenen Tier- und Pflanzenformen längst schon wieder ausgestorben, bevor die Schöpfung zu ihrem „sehr guten“ Abschluss kam? Was sagt es über den Charakter Gottes, wenn Gott die Überproduktion von Nachkommen und ihren Tod durch Auslese der Schwächeren geradezu als Schöpfungsmethode verwendet?
  • Warum beginnt und endet Gottes Geschichte mit den Menschen in einem vergleichsweise winzigen Zeitabschnitt der gesamten Schöpfungs- und Menschheitsgeschichte?
  • Gibt es gar keine klare, grundsätzliche Abgrenzung zwischen Mensch und Tier, da beide doch nahe verwandt sind? Befindet sich der Mensch in einer Höherentwicklung? Sind wir selbst die „Neandertaler der Zukunft“? Gibt es Menschen, die höher entwickelt sind als andere? Wie passt das zur biblischen Lehre, dass alle Menschen gleichermaßen als Gottes Ebenbild geschaffen wurden?

Mischformen und Abwandlungen

Zwischen den geschilderten drei Erklärungsansätzen zur Entstehung unserer Welt gibt es noch zahlreiche Abwandlungen und Mischformen.[11] So geht zum Beispiel der bekannte Theologe Timothy Keller davon aus, dass Adam und Eva tatsächlich das historisch erste Menschenpaar nach dem Ebenbild Gottes waren, dass sie aber gleichzeitig das letzte Glied einer langen evolutionären Entwicklung darstellten.[12] Aufgrund bestimmter textlicher Eigenschaften des ersten Schöpfungsberichts in 1. Mose 1 argumentiert Keller dafür, dass die Aussageabsicht dieses Textes anders als die nachfolgenden Kapitel metaphorisch sei und nicht historisch. Daher sieht er auch Möglichkeiten, die Annahme einer „alten Erde“ mit der Aussageabsicht der biblischen Autoren zu vereinbaren und gleichzeitig an Adam und Eva als reale geschichtliche Personen zu glauben.

Auch wenn dieser Ansatz verschiedene neue Fragen und Probleme aufwirft[13] zeigt sich daran: Es gibt Theologen, die sowohl der Aussageabsicht der Schrift vertrauen und trotzdem in Bezug auf die tatsächlich abgelaufene Erdgeschichte zu unterschiedlichen Sichtweisen gelangen. Welches Modell am Ende sowohl mit der Aussageabsicht der Bibel als auch mit den Spuren aus der Entstehungsgeschichte der Erde am besten vereinbar ist, das kann, soll und wird auch unter Bibeltreuen weiter engagiert diskutiert werden.

Außerwissenschaftliche Vorurteile: ALLE müssen sich ehrlich machen!

Das geht aber nur auf Basis einer nüchternen, ehrlichen Bewertung aller Fakten. Und es geht nur, indem jede Seite sich offen und ehrlich den Tatsachen stellt – gerade auch denen, die dem eigenen Weltbild entgegenstehen (wie es nach meiner Erfahrung z.B. die Studiengemeinschaft Wort und Wissen seit vielen Jahren in vorbildlicher Weise tut). Und das geht nur, wenn man andere Sichtweisen nicht von vornherein lächerlich macht, wie es Kritiker der vorherrschenden naturalistischen Ursprungsforschung leider oft erleben müssen.[14]

Für eine faire Debatte wäre es außerdem wichtig, ehrlich die außerwissenschaftlichen Vorent­scheidungen offen zu legen, die letztlich  in jedem Modell zur Entstehung unserer Welt eine erhebliche Rolle spielen:

  • Bibeltreue Christen haben sich zum Beispiel entschieden, der Aussageabsicht der Bibel vorbehaltlos zu vertrauen. Wenn ein Bibeltext historisch gemeint ist, dann wird er auch dann historisch ernst genommen, wenn wissenschaftliche Fakten aktuell dieser Annahme entgegenstehen.
  • Der akademische Wissenschaftsbetrieb hat sich entschieden, grundsätzlich ausschließlich natürliche Ursachen für die Entstehung unserer Welt in Erwägung zu ziehen. An diesem wissenschaftlich nicht begründ- und belegbaren Ausschluss göttlichen Wirkens hält man fest, selbst wenn wissenschaftliche Fakten aktuell dieser Annahme entgegenstehen.[15]

Außerwissenschaftliche Vorurteile sind also keine Spezialität bibeltreuer Christen. Sie sind auch im Wissenschaftsbetrieb ganz normal und für sich genommen überhaupt kein Grund, jemanden als vernunfts- oder wissenschaftsfeindlich zu diskreditieren. Wichtig ist nur, sich offen, ehrlich und vorurteilsfrei den Fakten und dem wissenschaftlichen Diskurs zu stellen, sich ergebnisoffen an der Erforschung der Ursprungsfragen zu beteiligen und dabei eigene außerwissenschaftliche Denkvoraussetzungen ehrlich offen zu legen. Es wäre schön, wenn dies auf allen Seiten gleichermaßen geschehen würde.

Warum ich Naturwissenschaft genial finde UND der Bibel vertraue

Ich bin ein großer Naturwissenschaftsfan! Ich bin tief beeindruckt von den gewaltigen naturwissenschaftlichen Erfolgen der letzten Jahrhunderte. Als Bibelleser bin ich von diesen Erfolgen auch nicht wirklich überrascht. Es war ja gerade das Christentum, das durch die biblische Trennung zwischen Schöpfer und Schöpfung wegbereitend für die Entstehung der modernen Naturwissenschaft war[16]. Speziell bei den Ursprungsfragen sehe ich die Festlegung auf den Naturalismus allerdings kritisch – und somit natürlich auch die Theorien, die auf der Basis dieses außerwissenschaftlichen Vorurteils entstanden sind. Die Naturwissenschaft ist zwar ungeheuer erfolgreich bei der Frage, WIE die Welt FUNKTIONIERT. Äußerst mager sehen ihre Erfolge aber aus bei der Frage, WOHER sie kommt und wie sie ENTSTANDEN ist. Gerade bei den Fragen nach dem Woher und Wohin finde ich es sehr vernünftig, die Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit besonders gut im Blick zu behalten. Wir wären nicht die erste Generation, die bei diesen Themen breit akzeptierte wissenschaftliche Sichtweisen gründlich revidieren muss. Günter Bechly hat diesbezüglich jüngst darauf hingewiesen, dass gerade die Evolutionsforschung aktuell in einer grundlegenden Krise steckt, die hinter den Kulissen und zum Teil sogar schon ganz offen diskutiert wird.[17]

Können Christen heute noch an Adam, Eva und die Arche glauben? Ja, natürlich! Und zwar ohne ihren Verstand an der Kirchengarderobe abgeben zu müssen. Es gibt so viele gute Gründe, warum es auch heute noch absolut vernünftig ist, den Aussageabsichten der Bibel vollständig zu vertrauen.[18] Deshalb können natürlich auch aufgeklärte Christen zu dem begründeten Schluss kommen, dass ein realer historischer Hintergrund hinter den biblischen Erzählungen in 1. Mose 1-11 den biblischen Texten und den wissenschaftlichen Fakten insgesamt am besten gerecht wird. Wer solche Christen lächerlich macht oder ihnen von vornherein Vernunfts- oder gar Wissenschaftsfeindlichkeit unterstellt ist nicht nur respekt- und lieblos, sondern offenbart auch ein trauriges Halbwissen in Bezug auf die heutige Sach- und Faktenlage.


Buchempfehlung: Im von Reinhard Junker herausgegebenen Sammelband “Genesis, Schöpfung und Evolution” finden sich eine Reihe von qualitativ hochwertigen Artikeln zu Themen rund um die biblische Urgeschichte – sachlich, fundiert und trotzdem zumeist auch für Laien verständlich. Bezogen werden kann das Buch hier beim SCM-Verlag.

Anmerkungen:

[1] Also z.B. die Ablehnung der Historizität biblischer Texte, obwohl sie aufgrund ihrer Texteigenschaften und ihres Kontexts von den biblischen Autoren offenkundig historisch gemeint sind und auch von anderen biblischen Autoren historisch gelesen werden – siehe dazu der AiGG-Artikel „Streit um das biblische Geschichtsverständnis“

[2] Zur Definition des Begriffs „wörtlich“ im Zusammenhang mit Bibelauslegung siehe der AiGG-Artikel „Ist die Bibel unfehlbar“?

[3] Siehe dazu der AiGG-Artikel: „Geschichten, die die Welt bewegen“

[4] Übersichtlich zusammengestellt von Manfred Stephan in „Einige Befunde aus verschiedenen Wissenschaften, die zu einer kürzeren Erdgeschichte passen oder der Aktualismus in Frage stellen“ W+W-Disk.-Beitr. 4/08; vgl. auch die Artikelsammlung zu „Gültigkeit und Grenzen geologischer Zeitbestimmung“

[5] Einige der zentralen Probleme wurden im AiGG-Artikel „4 Dinge, für die ich Atheisten bewundere“ kurz dargestellt.

[6] Dazu äußerte der US-amerikanische Chemiker Prof. James M. Tour im Jahr 2016: „Diejenigen die denken, dass die Wissenschaft die Details des Ursprungs des Lebens verstanden hätte, sind vollständig uninformiert. Niemand versteht es. … Die Basis, auf der wir als Wissenschaftler stehen, ist so wackelig, dass es das Beste wäre, die Situation ganz offen als das zu bezeichnen, was es ist: Ein Rätsel.“ (ab 1:07:13 im Vortrag: The Origin of Life: An inside story“, 2016)

[7] Den ideologischen Charakter des Gottesausschlusses in der universitären Ursprungsforschung und die massiven Folgen für wissenschaftliche Karrieren belegt der äußerst sehenswerte und Film „Expelled – Intelligenz streng verboten“ sowie der persönliche Erfahrungsbericht des Paläontologen Günter Bechly

[8] Reinhard Junker (2011) in Theistische Evolution und moderne Theologie: „Nichts Neues unter der Sonne“

[9] Näheres dazu im AiGG-Artikel „Evolution – ein Welterklärungsmodell am Abgrund?“

[10] Eine ausführliche Kritik des Konzepts „theistische Evolution“ findet sich im Buch „Leben durch Sterben? Reinhard Junker 1994. Eine detaillierte kritische Betrachtung moderner Konzepte von theistischer Evolution findet sich im Artikel „Theistische Evolution nach Denis Alexander und nach BioLogos“ von Reinhard Junker (2012) aus: Junker, R. (Hrsg.) Genesis, Schöpfung und Evolution. Studium Integrale. Holzgerlingen, 3. Auflage 2017 (so auch Text aus Anm. 8)

[11] Eine Übersicht gibt dazu das Video von Stephan Lange „Wie alt ist die Erde: 6000 oder 4,6 Milliarden Jahre?“

[12] Dargelegt in seinem Buch „Adam, Eva und die Evolution“, 2018

[13] siehe dazu die Rezension des Buchs „Adam, Eva und die Evolution“ von Dr. Reinhard Junker

[14] So erzählt Dr. Günter Bechly im äußerst empfehlenswerten 30-minütigen Interview, wie er aufgrund seines wachsenden Zweifels an der vorherrschenden naturalistischen Erklärung zur Entstehung der Welt letztlich seinen Job am Naturkundemuseum in Stuttgart verlor.

[15] Von besonderer Bedeutung ist dazu die oft scharf und emotional geführte Diskussion um das Design-Argument, ausführlich diskutiert von Markus Widenmeyer & Reinhard Junker unter „Der Kern des Design-Arguments in der Biologie und warum die Kritiker daran scheitern“ 12 / 2016

[16] Siehe dazu der AiGG-Artikel „Das bestätigte Weltbild“

[17] Siehe dazu der AiGG-Artikel „Evolution – Welterklärungsmodell am Abgrund?“

[18] Siehe dazu der AiGG-Artikel „10 Gründe, warum es auch heute noch vernünftig ist, der Bibel zu vertrauen“