Das Manifest (2): Die Schöpfung beweist, dass es einen Schöpfer gibt, der unsere Verehrung verdient!

„Zugleich wird nämlich auch der Zorn Gottes offenbar. Er bricht vom Himmel her herein über alle Gottlosigkeit und alles Unrecht der Menschen. Denn durch dieses Unrecht unterdrücken sie die Wahrheit. Schließlich wissen sie ganz genau, was Menschen von Gott bekannt sein kann. Er selbst hat es ihnen ja vor Augen geführt. Denn sein unsichtbares Wesen ist seit der Erschaffung der Welt erkennbar geworden – und zwar an dem, was er geschaffen hat. Es ist seine ewige Macht und seine Göttlichkeit. Deshalb haben die Menschen keine Entschuldigung. Sie kennen Gott. Trotzdem ließen sie ihm nicht die Ehre und den Dank zuteilwerden, die Gott zustehen. Stattdessen verloren sie sich in Gedankenspielen, und ihr uneinsichtiges Herz hat sich verfinstert. Während sie vorgaben, weise zu sein, machten sie sich zum Narren. …  Sie verehrten die Schöpfung und beteten sie statt des Schöpfers an.“ (1,18-22+25b)

Die Argumentation von Paulus ist einfach bestechend – weil sie so bestechend einfach ist: Die Schöpfung beweist, dass es einen Schöpfer gibt. Und wenn es da wirklich jemand gibt, der uns geschaffen hat, dann hat er von uns als seinen Geschöpfen Beachtung und Verehrung verdient.

Wer ist hier ein Narr?

Wer das nicht anerkennen will, wird von Paulus als Narr bezeichnet, der sich in Gedankenspielen verloren hat. Heute ist es genau umgekehrt: Es werden gerade die als Narren bezeichnet, die der Argumentation von Paulus folgen und das komplexe Design der Lebewesen auf die Wirksamkeit eines Designers zurückführen. Generationen von Wissenschaftlern haben sich an dem Versuch abgearbeitet, den paulinischen Argumentationsstrang an der entscheidenden Stelle zu entkräften. Sie wollten beweisen, dass unsere vorgefundene Welt auch ohne einen Schöpfer entstehen konnte. Sie stellten dazu beispielsweise die These auf, dass…

… das Leben von selbst entstanden sei, z.B. in einer zufälligen Ansammlung organischer Gemische („Ursuppe“).

… vergleichsweise “einfache” biologische Baupläne durch wahllose Änderungen („Mutationen“) und die Durchsetzung der seltenen vorteilhaften Änderungen („Selektion“) sich von selbst zu noch komplexeren Bauplänen weiterentwickeln konnten.

… die extreme Feinabstimmung der Naturkonstanten dadurch erklärt werden könne, dass es zahllose Paralleluniversen mit zufällig gewählten Naturkonstanten gäbe („Multiversum“), so dass der extrem unwahrscheinliche Fall eines lebensfreundlichen Universums doch wahrscheinlich wird.

… komplex angeordnete Nervenzellen ein Selbst-Bewusstsein entwickeln, das über Gott und die Welt nachdenken kann.

Diese Thesen wurden und werden bis heute derart wuchtig vorgetragen, dass es sogar Theologen für erforderlich hielten, den paulinischen Rückschluss von der Schöpfung auf den Schöpfer zu vermeiden, um nicht aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden und um nicht eines Tages blamiert dazustehen, falls sich diese Thesen bestätigen sollten.

Argumente, die nicht tragen

Aber es war alles umsonst. Trotz der gewaltigen Anstrengungen hat sich bis heute keine dieser Thesen erhärten lassen. Niemand konnte selbst unter den besten Laborbedingungen Leben künstlich herstellen – geschweige denn Wege zeigen, wie Leben von selbst entstehen könnte. Im Gegenteil: Die neuesten Erkenntnisse zur Komplexität und Funktionalität des Lebens sind einfach ehrfurchterregend. Die Vorstellung, diese extrem effizienten, maschinenartigen Strukturen und ihre zugrundliegende Codierung könnten durch „Selbstorganisation“, also durch wahl- und ziellose Prozesse von selbst entstanden sein, erscheint mehr denn je absurd. Sie widerspricht allen Erfahrungen und wissenschaftlichen Ergebnissen zu der Frage, was ziellose Prozesse leisten können. Und allein die Existenz von wissenschaftlich völlig unprüfbaren Überlegungen wie das „Multiversum“ sind eher ein Hinweis darauf, wie groß die Verzweiflung unter Anhängern naturalistischer Weltentstehungsmodelle längst ist.

Vor wem beugen wir uns?

Früher sind die Menschen dem Schöpfer dadurch ausgewichen, dass sie statt des Schöpfers die Schöpfung selbst anbeteten. Sie beugten sich zum Beispiel vor der Sonne, vor selbstgemachten Statuen oder vor Menschen, die sich als Götter ausgaben. Heute gehen wir noch einen Schritt weiter: Wir verehren überhaupt nichts mehr. Wir wollen unsere Knie vor nichts und niemandem beugen. Und wir halten uns dabei für besonders klug und aufgeklärt.

Aber die Argumentation von Paulus steht bis heute unwiderlegt im Raum: Wer die Schöpfung sieht und dem Schöpfer trotzdem die Ehre verweigert, muss sich vorwerfen lassen, vor der offenkundigen Wahrheit davon gerannt zu sein. Wir haben bis heute allen Grund, uns von diesem simplen Argument provozieren, herausfordern und in Frage stellen zu lassen.


Zur Übersicht: 7 fundamentale Thesen des Römerbriefs

Das Manifest (1): Es gibt Wahrheit und Irrtum. Nur der Glaube an die Wahrheit rettet!

„Paulus, Diener von Christus Jesus, zum Apostel berufen und dazu bestimmt, Gottes Gute Nachricht zu verkünden. Gott hat sie ja durch seine Propheten in der Heiligen Schrift schon im Voraus angekündigt.“ (1,1+2)

Paulus leitet seinen Brief schon im ersten Vers mit einem extrem steilen Anspruch ein. Er sagt: Ich bin von Jesus Christus beauftragt. Und: Meine Botschaft ist nicht von dieser Welt. Es handelt sich um GOTTES Gute Nachricht, die Gott schon im Voraus angekündigt hatte.

Damit ist klar: Diese Botschaft will nicht einfach nur eine neue These oder Überlegung sein, die man diskutieren und mehr oder weniger gut finden kann. Nein: Diese Botschaft tritt mit dem Anspruch auf, absolut wahr zu sein, weil sie von Gott persönlich stammt. Und sie sieht das Grundproblem der Menschheit darin, dass es eine göttliche Wahrheit gibt, die die Menschen verworfen haben:

„Die Menschen tauschten die Wahrheit Gottes gegen die Lüge.“ (1,25a)

Diese Realität von Wahrheit und Irrtum bzw. Lüge ist für Paulus grundlegend für alle weiteren Überlegungen. Das gilt für ihn gerade auch im Blick auf sein eigenes jüdisches Volk:

„Ich kann bezeugen, dass sie sich wirklich für die Sache Gottes einsetzen. Nur haben sie nicht die rechte Erkenntnis. Sie verstehen nicht, worum es bei der Gerechtigkeit Gottes geht. Stattdessen streben sie nach dem, was sie selbst für Gerechtigkeit halten. Deshalb haben sie sich nicht der Gerechtigkeit untergeordnet, die Gott ihnen schenken will.“ (10,2-3)

Paulus sagt also: Guter Wille und gut gemeinter Einsatz für die Sache Gottes reicht nicht. Wer vor Gott als gerecht gelten möchte, braucht dazu die richtige Erkenntnis zu der Frage, was ER sich unter Gerechtigkeit vorstellt. Paulus scheut sich nicht, ganz klar zu sagen: Mein jüdisches Volk hat diese richtige Erkenntnis leider nicht. Stattdessen eifert es nur eigenen, falschen Vorstellungen nach.

Ungeheuerlich!

Gibt es in Glaubensfragen objektive Wahrheiten?

Paulus richtet damit einen klaren Kontrapunkt auf zu der These, die man heute fast überall hören kann und die es wohl auch damals schon gab: Jeder soll nach seiner eigenen Façon selig werden. Persönliche Religiosität ist O.K., solange sie nicht den Anspruch erhebt, dass Alle das Gleiche glauben müssen.

Die Postmoderne ging sogar noch einen Schritt weiter und entwickelte die Idee: Eigentlich gibt es in Glaubensfragen gar keine Wahrheiten, die für alle Menschen gelten. Wahrheit ist immer nur subjektiv, niemals objektiv. Wer die Existenz von allgemeingültigen Wahrheiten vertritt, die für alle Menschen bindend sein sollen, der überschätzt sich nicht nur selbst, der ist auch intolerant und gefährlich, weil er den gesellschaftlichen Frieden gefährdet. Allgemeingültige Wahrheit bzw. objektiver Irrtum gäbe es demnach in Glaubensdingen gar nicht oder sie wäre zumindest für uns Menschen nicht greifbar oder fassbar.

Mit dieser postmodernen Sicht wurde der ursprüngliche Toleranzbegriff („Ich respektiere Dich und stelle mich schützend vor Dich, auch wenn ich Deine Meinung für falsch halte bzw. Du meine Meinung für falsch hältst.“) umgedeutet in die Forderung, dass man generell darauf verzichten soll, von allgemeingültigen Wahrheiten für alle zu sprechen. In diesem Denken ist nur der tolerant, der sagt: Ich habe zwar eine Position. Aber die gilt nur für mich. Deine völlig andere Position kann für Dich genauso richtig sein. Dabei merkt man oft gar nicht, dass diese postmoderne Sichtweise sich selbst widerlegt. Denn wer behauptet, dass es keine objektiven, für alle gültigen Wahrheiten gibt, stellt damit ja selbst eine Behauptung mit allgemeingültigem Wahrheitsanspruch auf.

Wahrheit oder Irrtum – eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen

Die Position von Paulus ist dagegen vollkommen anders. Er sagt: Es gibt in den existenziellen Menschheitsfragen objektiv gültige, göttliche Wahrheiten, die in menschlichen Worten verkündbar, beschreibbar und begreifbar sind und die somit jeden Menschen vor die Wahl stellen, dieser Wahrheit entweder zu glauben oder sie zurückzuweisen. Dabei gilt laut Paulus: Nur diese Wahrheit rettet! Die Idee, dass ein anderer, selbst konstruierter Glaube im Leben und im Sterben tragfähig sein könnte, ist für ihn offenbar genauso absurd wie die Vorstellung, dass ein schwerkranker Patient sich selbst die Pille aussucht, die ihn heilen soll, weil sie ihm farblich und geschmacklich am meisten zusagt. Entscheidend für die Heilung sind aber nicht die Vorzüge des Patienten, sondern einzig und allein die Frage, ob die Pille genau den Wirkstoff enthält, der die tödliche Krankheit bekämpfen kann. Die Entscheidung für eine bestimmte Arznei oder Therapie hat deshalb weitreichende Konsequenzen. Sie kann letztlich über Leben und Tod entscheiden. Ein verantwortungsvoller Arzt muss sich deshalb unbedingt dafür einsetzen, dass sein Patient sich nicht auf eine falsche Therapie verlässt, die ihm nicht nur nicht helfen kann sondern die ihn womöglich auch noch von der wirklich rettenden Therapie abhält. Genauso wird bei Paulus in vielen seiner Briefe deutlich: Es ist trotz allen Unannehmlichkeiten unbedingt notwendig, sich für die Wahrheit einzusetzen und vor falscher Lehre deutlich zu warnen.

Verrückte, Lügner oder Propheten?

Der Anspruch von Paulus, objektiv gültige, göttliche Wahrheit zu verkündigen, zeigt den grundsätzlichen Unterschied der biblischen Schriften zu allen anderen theologischen Texten: Nur die biblischen Autoren können einen Wahrheitsanspruch erheben, der sich direkt auf Gottes Autorität beruft. Spätestens die Reformation hat klar gestellt: Das könnte und dürfte sich seither kein Theologe und kein kirchlicher Leiter mehr anmaßen. Mit ihrem einzigartigen Anspruch auf göttliche Wahrheit stellen uns die biblischen Autoren vor eine grundsätzliche Glaubensentscheidung: Entweder wir halten diese Leute für überspannt oder durchgeknallt. Oder wir halten sie für Lügner. Oder wir kommen zu dem Schluss, dass sie echte Propheten sind, denen man besser glauben sollte, wenn man sich nicht mit Gott selbst anlegen will.

Bevor Du Dich für eine dieser Optionen entscheidest: Schau Dir doch zunächst einmal an, welche Inhalte Paulus für objektiv wahr und gottgegeben hält. Dazu lege ich Dir die folgenden Artikel zu den 6 weiteren Thesen des Römerbriefs ans Herz:


Übersicht und Einleitung: Das Manifest – 7 fundamentale Thesen des Römerbriefs

Die Artikel zu den weiteren Thesen erscheinen in Kürze.

Das Manifest: 7 fundamentale Thesen des Römerbriefs

Das Leben des Paulus ist von einem seltsamen Widerspruch geprägt: Einerseits war es seine Mission, allen Menschen eine überaus gute Nachricht zu bringen, für die er sich nach eigener Aussage nicht zu schämen brauchte:

„Denn ich schäme mich nicht für die Gute Nachricht. Sie ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt.“ (Römer 1,16)

Andererseits war sein Leben geprägt von heftigstem Widerstand und schwerer Verfolgung, die ihn am Ende sogar das Leben kostete. Seither haben zahllose Christen in der ganzen Welt erlebt: Die gute Nachricht („Evangelium“) des Paulus löst nicht nur Begeisterung sondern auch Verachtung, Widerspruch oder sogar Verfolgung aus. Die große Frage ist:

Warum führt eine gute Nachricht so oft zu solch unguten Reaktionen?

Wer sich den Römerbrief aufmerksam durchliest, begreift rasch den Grund: Mit seiner Botschaft hat Paulus einen Stachel ins Fleisch der Menschheit getrieben. Seit 2000 Jahren reizt er die Menschen entweder zum empörten Widerspruch oder zur Umkehr zu Gott. Dazwischen lässt Paulus wenig Spielraum – es sei denn, man jagt seine Botschaft so oft durch den theologischen Weichspüler, bis nichts mehr von ihr übrig ist.

7 Artikel zu 7 Thesen des Römerbriefs

Diese kleine Artikelserie hat sich vorgenommen, Paulus möglichst ungezähmt zu Wort kommen zu lassen. Sie beleuchtet seine Botschaft anhand von 7 fundamentalen Thesen des Römerbriefs. Thesen, die letztlich nichts anderes sind als ein Frontalangriff auf die Autonomie des Menschen. Thesen, die uns konfrontieren mit unangenehmen Wahrheiten und uns vor weitreichende Entscheidungen stellen. Thesen, die bis heute Widerspruch auslösen und verächtlich gemacht werden. Thesen, an der jede Theologie Maß nehmen muss, wenn sie wirklich das paulinische Evangelium wiedergeben will, statt es zu verzerren oder zu verdrehen – und ihm damit seine rettende, menschen- und weltverändernde Kraft zu rauben. Thesen, die laut Paulus jeder Mensch kennen sollte, weil an ihnen das Leben hängt.

Ich lade Dich ein, ganz neu und ungeschminkt diese revolutionäre „Gute Nachricht“ kennen zu lernen, die wie keine andere gehasst und geliebt wurde, die seit 2000 Jahren die Welt erobert, die schon zahllose Herzen erneuert und ganze Nationen verändert hat.


Die 7 Thesen im Überblick:

These 1: Es gibt Wahrheit und Irrtum. Nur der Glaube an die Wahrheit rettet!

These 2: Die Schöpfung beweist, dass es einen Schöpfer gibt, der unsere Verehrung verdient!

These 3: Es kommt ein Tag, an dem alles noch einmal auf den Tisch kommt!

These 4: Wir selbst sind der Kern unserer Probleme!

These 5: Wir können uns nicht selbst erlösen. Allein aus Gnade werden wir gerettet!

These 6: Wir brauchen Erneuerung statt Veränderung!

These 7: Jesus ist Herr! Freiheit und Gehorsam gehören zusammen!

Fazit: Auch wenn die Antithesen populärer sind – bitte predigt genau dieses Evangelium!

Wer ist Gott?

Eine göttliche Visitenkarte

Wir Menschen können über Gott nur dann etwas herausfinden, wenn er sich uns offenbart. Ohne Offenbarung bleibt alles Reden von Gott pure Spekulation. Wie gut, dass die Bibel diesen ganz besonderen Anspruch hat, genau das zu sein: Eine Selbstoffenbarung Gottes. Und wie gut, dass es im Fall der Bibel tatsächlich viele vernünftige Gründe gibt, diesen Selbstanspruch für gut begründet und glaubwürdig zu halten.

Umso mehr lohnt sich die Frage: Wie stellt sich uns dieser Gott denn in der Bibel vor? Was sagt er uns über sich selbst, sein Wesen und sein Handeln? In Jesaja 42, 24 – Jesaja 44,5 finden wir etwas ganz Besonderes: In wenigen Versen fasst Gott in einer ungewöhnlich verdichteten Form wesentliche Merkmale seines Wesens sowie die Grundprinzipien seines Handelns zusammen. Man könnte sagen: Der Abschnitt ist eine Art „göttliche Visitenkarte“.

Willst Du wissen, wer und wie Gott ist? Dann lies Dir seine Visitenkarte durch. Sie kann Dir helfen, auch viele andere biblische Texte zu verstehen und richtig einzuordnen. Und vor allem: Sie kann Dir helfen, diesen Gott besser zu verstehen und ihm tiefer zu vertrauen.

So ist unser Gott:

Der einzige und der souveräne Gott

»Es gibt keinen Gott, der vor mir erschaffen worden wäre und auch nach mir wird es keinen geben. Ich allein bin der Herr, es gibt keinen anderen Retter. Ich habe es selbst verkündigt und es euch wissen lassen. Dies kann man von dem fremden Gott, den ihr bei euch habt, nicht behaupten. Ihr seid meine Zeugen, dass ich der einzige Gott bin«, spricht der Herr. »Das bin ich auch weiterhin. Keiner kann aus meiner Hand entkommen. Ich wirke und niemand kann mich hindern.« (43, 10b-13)

Lange Zeit glaubten die meisten Menschen, es gäbe eine Vielzahl an Göttern, die sich gegenseitig in die Quere kommen. Mit diesem Gerücht räumt Gott hier vollständig auf. Er sagt: Es gibt nur mich! Und ich handle und entscheide absolut souverän!

Ein Gott, der in der Geschichte handelt

So spricht der Herr, der einen Weg durch das Meer bahnte, einen trockenen Pfad durch mächtige Fluten. Ich rief Streitwagen und Pferde, Heer und Befehlshaber herbei und ließ sie umkommen, damit sie nie mehr aufstehen. Sie wurden ausgelöscht und sind wie ein Docht verglommen. (43, 16-17)

Dieser Gott identifiziert sich nicht nur mit bestimmten Personen („der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“) sondern ausdrücklich auch mit biblischen Ereignissen, von denen er sagt: Das war ich! Dieses Wunder habe ich vollbracht! Er ist also nicht nur ein ferner Gott jenseits von Raum und Zeit sondern ein naher Gott, der ganz real und konkret mit Menschen und Völkern Geschichte schreibt und jederzeit kraftvoll eingreifen kann.

Ein Gott, der die Weltgeschichte lenkt

Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir. Ich werde deine Kinder aus dem Osten holen und dich aus dem Westen sammeln. Zum Norden sage ich: `Gib her!´ Und zum Süden: `Halte niemanden zurück!´ Bring meine Söhne aus der Ferne, meine Töchter aus allen Winkeln der Erde – alle, die nach meinem Namen benannt sind, die ich zu meiner Ehre gemacht habe, die ich gebildet und erschaffen habe.« Bringt das Volk her, das blind ist, obwohl es Augen hat. Holt diejenigen herbei, die taub sind, obwohl sie Ohren haben. (43, 5-8)

Was Gott mit diesen Worten vor 2700 Jahren angekündigt hat, geschieht gerade jetzt live vor unseren Augen: Gott holt sein Volk Israel aus allen Himmelsrichtungen und aus allen Winkeln der Erde zurück und sammelt es in dem Land, das er Israel verheißen hat – ein absolut einmaliger Vorgang, für den es in der Weltgeschichte keine Parallele gibt! Bemerkenswert an dieser Vorhersage ist zudem das Detail, dass das Volk zum Zeitpunkt seiner Sammlung noch „blind“ und „taub“ ist. Das heißt vor allem: Es hat seinen Messias noch nicht erkannt (siehe dazu Römer 9 – 11, v.a. 11, 8). Umso mehr ist diese Passage ein starker Beweis dafür, dass dieser Gott die Zukunft kennt, dass er wirklich regiert und dass die Weltgeschichte tatsächlich auf das Ziel zuläuft, das dieser Gott festgelegt hat.

Ein richtender und zorniger Gott

Wer hat denn zugelassen, dass Jakob geplündert und Israel ausgeraubt wurde? War es nicht der Herr, gegen den wir gesündigt hatten? Das Volk wollte seinem Weg nicht folgen und gehorchte seinem Gesetz nicht. Deshalb hat er es seinen Zorn spüren lassen und in schreckliche Kriegsnot kommen lassen. Es brannte ringsherum, aber niemand begriff. Er setzte es in Brand, doch niemand nahm es sich zu Herzen. (42, 24-25)

Dieser Gott lässt keinen Zweifel daran, dass ihn unser menschliches Verhalten in keiner Weise kalt lässt. Eigentlich ist das kein Wunder, wenn man darüber nachdenkt, was für himmelschreiende Grausamkeiten sich dieser Gott permanent mit anschauen muss. Ein Gott, der die Liebe in Person ist (1. Johannes 4, 16), kann unmöglich kühl und distanziert bleiben, wenn seinen geliebten Geschöpften unfassbares Leid zugefügt wird, weil wir Menschen Gottes guten Geboten für ein gesundes Miteinander nicht folgen wollen. Auch wenn es heute kaum jemand hören will: Dieser Gott kann tatsächlich zornig werden. Er sorgt selbst dafür, dass unser menschliches Handeln (manchmal knallharte) Konsequenzen hat. Es ist weise und es gibt berechtigten Grund, diesen Gott zu fürchten (Psalm 111, 10).

Ein treuer Bündnis-Gott

Doch nun spricht der Herr, der dich, Jakob, geschaffen hat und der dich, Israel, gebildet hat: »Hab keine Angst, ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du gehörst mir. Wenn du durch Wasser gehst, werde ich bei dir sein. Ströme sollen dich nicht überfluten! Wenn du durch Feuer gehst, wirst du nicht verbrennen; die Flammen werden dich nicht verzehren! Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. (43, 1-3a)

Dieser Gott geht verbindliche Bündnisse mit Menschen ein und erweist sich darin als absolut treu. Selbst wenn solch ein Bündnis wie im Falle Israels durch schwere Krisen geht und selbst wenn wir Menschen unseren Bund mit Gott vergessen: Dieser Gott ist treu. Er benennt sich selbst trotz unserer Untreue und Fehlerhaftigkeit nach den Menschen, mit denen er den Bund geschlossen hat („Ich bin der Heilige Israels“). Zugleich ist er ein “Heiland”, ein Erretter. Er sorgt dafür, dass das Heil die Oberhand behält und der Bund bestehen bleibt. Wie gut, das zu wissen – vor allem, wenn ich auf mein eigenes wankelmütiges Herz schaue.

Ein Erlöser-Gott

Doch du hast mich nicht gerufen, Jakob. Um mich hast du dich nicht bemüht, Israel! Du hast mir keine Lämmer als Brandopfer gebracht und hast mich nicht mit Schlachtopfern geehrt. Ich habe dich nicht zu Speiseopfern gezwungen oder dir auferlegt, mir Weihrauch zu bringen. Du hast keine Gewürze für mich gekauft, hast mich nicht mit dem Fett von Opfertieren erfreut, nein, du hast mich mit deinen Sünden bedrängt und mich mit deinen bösen Taten ermüdet. Ich – ich allein – bin es, der deine Übertretungen um meiner selbst willen tilgt und nicht mehr an deine Sünden denkt. (43, 22-25)

In wenigen Worten fasst Gott hier das Drama der Menschheit und den göttlichen Erlösungsplan zusammen: Wir Menschen sind in einem Zustand, aus dem heraus wir Gott überhaupt nichts bringen können – außer unserer Sünde, die Gott schwer zu schaffen macht. Er selbst und er allein ist es, der unsere Sünden um seiner selbst willen tilgt. In Christus hat er am Kreuz genau das getan: Er ist stellvertretend für unsere Schuld gestorben, um unsere Sünden tilgen (und vergessen) zu können, und zwar nicht nur, um uns Menschen mit Gott zu versöhnen sondern auch „um seiner selbst willen“, das heißt um seinem eigenen Wesen, seiner Gnade und seiner Gerechtigkeit Genüge zu tun.

Ein sich offenbarender Gott

Denn ich werde Wasser auf Durstige ausschütten und das trockene Land mit Bächen bewässern. Ich werde meinen Geist auf deine Nachkommen und meinen Segen über deinen Kindern ausgießen. Sie werden wachsen wie Gras am Ufer, wie Weiden am Fluss. Manche werden von sich sagen: `Ich gehöre dem Herrn.´ Andere werden sich nach Jakob nennen. Wieder andere werden sich `Eigentum des Herrn´ auf die Hände schreiben und den Ehrennamen Israel annehmen. (44, 3-5)

Gott möchte, dass wir Menschen uns entscheiden, ganz zu ihm gehören zu wollen. Aber das tun wir Menschen nur dann, wenn Gott sich uns durch seinen Geist offenbart. Wo sein Geist ausgegossen wird, da wächst gute Frucht in Form von Menschen, die sich ganz bewusst der Herrschaft Gottes unterordnen und sich zu seinem Volk zählen. Seit Pfingsten geschieht das in der ganzen Welt. Und Paulus hat bestätigt, dass Gott das eines Tages auch in Israel tun wird (Römer 11, 25-27, vgl. Sacharja 12, 10!).

Ein berufender und erwählender Gott

Doch nun hör mir zu, Jakob, mein Diener, und Israel, mein Erwählter. So spricht der Herr, der dich geschaffen und gebildet hat und dir vom Mutterleib an beisteht: »Hab keine Angst, Jakob, mein Diener. Jeschurun[1], den ich erwählt habe. (44, 1-2)

Warum hat Gott ausgerechnet Abraham, Isaak und Jakob erwählt, um mit ihnen eine unfassbar spannende Geschichte zu starten? Warum hat er aus allen Nationen gerade das Volk Israel ausgesucht? Warum wurden gerade diese 12 Apostel ausgewählt, um die Kirchengeschichte zu beginnen? Wir wissen es nicht. Es gehört zur notwendigen Ehrfurcht vor diesem Gott, seine souveränen Entscheidungen dankbar anzuerkennen. Heute ist es unsere Aufgabe, unsere Berufung als Nachfolger Jesu anzunehmen und zugleich für das erwählte Volk Israel zu beten und es zu segnen (1. Mose 12, 3).

Ein Gott der unscheinbaren Neuanfänge

Seht hin; ich mache etwas Neues; schon keimt es auf. Seht ihr es nicht? Ich bahne einen Weg durch die Wüste und lasse Flüsse in der Einöde entstehen. Die wilden Tiere auf den Feldern werden mir danken, ebenso die Schakale und Strauße, weil ich meinem erwählten Volk Wasser in der Wüste und Ströme in der Einöde schaffe, damit es zu trinken hat. Ja, ich will in der Wüste Quellen entspringen lassen, damit mein auserwähltes Volk sich erfrischen kann. Es ist das Volk, das ich mir dazu erschaffen habe, von meinem Ruhm zu erzählen. (43, 19-21)

Abraham, Isaak, Jakob, Israel, David, Petrus, Paulus, Jesus: Die wichtigsten Player in Gottes Heilsgeschichte waren in den Augen der Welt unbekannte Nobodys in bedeutungslosen Provinzgegenden. Zur Zeit der Entstehung des Christentums hießen die wirklich bedeutenden Leute Cäsar und Nero. Aber heute nennen wir unsere Hunde nach den damaligen Weltstars und unsere Kinder Peter und Paul nach den christlichen Aposteln. Dieser Gott liebt es, seinen Ruhm dadurch deutlich werden zu lassen, dass er das Unscheinbare, das für Menschen kaum Sichtbare benutzt, um letztlich ganze Wüsten in erfrischende Quellorte zu verwandeln. Wir dürfen aus gutem Grund auch heute hoffen, dass aus kleinen Anfängen Großes erwachsen kann.

Was für ein unglaublicher Gott ist es doch, der sich uns in der Bibel vorstellt! Ich finde: Das ist ein Gott, in den man sich zurecht verlieben kann. Das ist ein Gott, dem zurecht unsere Hingabe und unsere Anbetung gebührt.

„Wo ist ein Gott wie du, der die Sünden vergibt und die Missetaten seines Volkes verzeiht? Der nicht für immer an seinem Zorn festhält, sondern der sich freut, wenn er barmherzig sein kann? Er wird sich wieder über uns erbarmen, alle unsere Sünden zertreten und alle unsere Verfehlungen ins tiefe Meer werfen!“ (Micha 7, 18-19)


[1] Eine poetische Variante des Namens Israel oder ein Kose- bzw. Ehrenname Israels

Wie wahre Weisheit wächst

Ja, es stimmt: Christsein ist Herzenssache. Aber nicht nur! Die Bibel kennt auch eine hohe Wertschätzung der Vernunft und des Verstandes. Besonders deutlich wird das im Buch der Sprüche. Die herausragende Bedeutung von Einsicht, Klugheit, Erkenntnis, Verstand, Vernunft und Weisheit begegnet dem Leser dort auf Schritt und Tritt. Dazu kommt die fast schon penetrante Aufforderung: Sei offen für guten Rat und Ermahnung! Profitiere von der Klugheit der Anderen! Mit diesem Denken legte die Bibel die Grundlage für Philosophie und Wissenschaft. Es ist kein Zufall, dass Kirchen und Klöster früher Brutstätten des Wissens und der Technik waren, aus denen sich auch Schulen und Universitäten entwickelt haben. Ein denkfeindliches Christentum, das vor allem auf subjektiven Gefühlen und Erfahrungen beruht, kann sich nicht auf die Bibel berufen.

Allerdings macht die Bibel dabei eines deutlich: Das menschliche Denken muss „geeicht“ werden. Es braucht eine Grundlage, die ihm eine gesunde Ausrichtung und Orientierung verleiht. Tatsächlich ist die Geschichte voll von faszinierenden und beeindruckenden menschlichen Gedankengebäuden, die Tod und Unheil brachten, weil sie auf falschen Fundamenten aufgebaut wurden. Gerade das zurückliegende 20. Jahrhundert ist dafür ein fürchterliches und hoffentlich bleibend mahnendes Zeugnis.

Deshalb heißt es in den Sprüchen:

„Die Ehrfurcht vor dem Herrn ist der Anfang der Erkenntnis.“ (Spr. 1, 7)

Wir verrennen uns, wenn wir die menschliche Vernunft an die oberste Stelle setzen. Wir verheben uns, wenn wir Gott einsperren in die Grenzen unseres Denkens. Immer, wenn wir uns vom demütigen Bewusstsein lösen, dass wir nur abhängige, begrenzte Geschöpfe sind, da nimmt unser Denken irgendwann zerstörerische Formen an.

Einsicht, Klugheit, Erkenntnis, Verstand, Vernunft, Weisheit und guter Rat wird heute dringender denn je gebraucht. Es beginnt damit, dass wir unsere Knie vor unserem Schöpfer beugen und sein Wort unser Denken prägen lassen. Gesunde Ehrfurcht vor Gottes heiligem Wort ist der gute Boden, auf dem wahre Klugheit, Weisheit und Vernunft gedeiht.

Der frustrierend gnädige Gott

Wie passen die Gerichtsandrohungen der Propheten zu dem Gott, der die Liebe in Person ist?

„Ninive wird in 40 Tagen zerstört werden!“ (Jona 3,4b) Harte Gerichtsandrohungen wie diese finden sich vielfach in den prophetischen Büchern der Bibel. Und nicht selten trifft dieses Gericht auch tatsächlich in voller Härte ein. Wie passt das zu dem Gott des Neuen Testaments? Wie kann ein Gott, der doch die Liebe in Person ist (1. Joh. 4,8), derart gewaltvolle Drohungen aussprechen und dann auch noch umsetzen? Diese Frage treibt viele Christen um. Eine Antwort darauf findet sich in einem kleinen, aber berühmten prophetischen Buch, das ziemlich aus dem Rahmen fällt.

Mitten unter den 12 sogenannten „kleinen Propheten“ findet sich das Buch Jona. Während in den anderen 11 Büchern im Wesentlichen die Botschaften der Propheten dokumentiert werden, wird hier eine abenteuerliche Geschichte erzählt. Die Story kenne ich seit meinen Kinderkirchtagen: Anstatt Ninive vor dem bevorstehenden Gericht zu warnen flieht Jona auf ein Schiff. Im Sturm wird er von den Seeleuten ins Meer geworfen – und von einem großen Fisch gerettet. Danach geht Jona doch noch nach Ninive. Seine Botschaft wird positiv aufgenommen, weswegen Gott seine Gerichtspläne fallen lässt – eine Wendung, die Jona überhaupt nicht schmeckt.

Das Buch Jona fasziniert mich. Auf mich wirkt es so, als hätte Gott dieses Buch ganz bewusst in der Mitte der prophetischen Bücher platziert, um unsere Perspektive auf die Botschaften der Propheten ins rechte Licht zu rücken. Gerade für uns Menschen des 21. Jahrhunderts scheint mir das auch bitter nötig zu sein. Denn mein modern geprägtes Hirn denkt beim Lesen vieler prophetischer Texte immer wieder: Wie kann Gott nur so hart sein? Ist der Gott des Alten Testaments denn – anders als Jesus – nur ein knallharter, strafender Richter?

Genau auf diese Frage gibt das Buch Jona eine überraschende Antwort. Es zeigt mir: Meine moderne Perspektive und mein daraus resultierendes Vorurteil gegenüber dem Gott des Alten Testaments ist kurzsichtig und voreingenommen. Deutlich wurde mir das zum ersten Mal, als ich intensiver über folgende Frage nachdachte:

Warum ist Jona eigentlich vor Gott geflohen?

Lange Zeit dachte ich, Jona hätte ganz einfach Angst gehabt, Gottes Gerichtsbotschaft in Ninive zu predigen. Umso überraschter war ich, als mir auffiel, dass ich mit meiner Annahme vollkommen falsch lag. Der tatsächliche Grund für Jonas Flucht findet sich in Jona 4,2-3, einer Schlüsselstelle des gesamten Buchs:

„Ach Herr, habe ich das nicht schon gesagt, bevor ich von zu Hause aufbrach? Deshalb bin ich ja fortgelaufen nach Tarsis! Ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, dass du geduldig und voller Gnade bist, weil du das Unheil bedauerst. So mach nun meinem Leben ein Ende, Herr! Ich will lieber sterben, als zu leben.“

Das hat mich nun wirklich verblüfft. Jona schimpft hier also sinngemäß: Ich hab es doch gleich geahnt, dass Du immer so wahnsinnig gnädig und barmherzig bist! Und am Ende kneifst Du dann wieder… Die Gnade und Barmherzigkeit Gottes ist für Jona nicht etwa Grund zur Freude, ganz im Gegenteil: Jona fürchtete sie regelrecht. Sie war für ihn ein Anlass, Gottes Befehl zu verweigern, vor Gott davonzulaufen, ihn wütend anzuklagen und in existenzielle Depressionen zu verfallen. Wie kann das sein? War Jona etwa ein Sadist, der unbedingt Blut sehen wollte?

Der historische Hintergrund: Ein grausamer und blutrünstiger Feind

Bevor wir Jona für seine Haltung verurteilen sollten wir uns zuerst einmal ein wenig mit dem historischen Hintergrund des Buchs Jona beschäftigen. Die Stadt Ninive war eine wichtige Provinzhauptstadt des assyrischen Reichs, das damals eine aggressive Expansionspolitik betrieb. Auch Israel war von den Kriegszügen Assyriens betroffen. Vom späteren Propheten Nahum wird Ninive als „Stadt des Blutvergießens“ (Nah.3,1) bezeichnet, die ihren Reichtum aus Beuteraubzügen speist (Nah.2,13-14). Assyrien und Ninive waren in den Augen der Israeliten also höchst aggressive und existenziell bedrohliche Feinde. Wir machen uns heute kaum noch eine Vorstellung davon, was das damals konkret bedeutet hat. In diesen Kriegen ging es oft menschenverachtend grausam zu. Die Assyrer mussten in den Augen der Israeliten damals ähnlich furchteinflößend gewirkt haben, wie grausame IS-Horden in den Augen von Jesiden und Christen im Nahen Osten heutzutage. Die Aussicht auf ein zerstörerisches göttliches Gericht über diesem hochaggressiven Volk war aus der Sicht Jonas deshalb ein Hoffnungsschimmer, denn es würde Israel von der Angst vor Krieg und Terror erlösen.

Ist der Gott des Alten Testaments ein strengerer Richter als wir es an seiner Stelle wären?

Diese Perspektive wirft ein völlig anderes Licht auf die Gerichtsandrohungen Gottes in der Bibel. Könnte es sein, dass es an unserem fehlenden Hintergrundwissen liegt, wenn Gottes Strafandrohungen auf uns hart und unangemessen wirken? Unser menschliches Urteilen ist ja zu einem erheblichen Maß emotionsgesteuert. Ich beobachte das an mir selbst, wenn ich mir einen Actionfilm anschaue. In „Herr der Ringe 3 (Die Rückkehr des Königs)“ freue ich mich darüber, wenn endlich die feindlichen Armeen niedergemetzelt werden, obwohl Teile dieser Armeen zuvor als recht menschlich präsentiert wurden. Aber meine Emotionen als Zuschauer werden im Film primär auf das Mitgefühl mit den Bewohnern der Stadt Minas Tirith programmiert, die von diesen Armeen brutal und rücksichtslos angegriffen werden. Wenn uns die grausamen Auswirkungen des menschlichen Handelns plastisch vor Augen geführt werden, dann setzen auch wir modernen Menschen uns gerne und schnell auf den Richterstuhl. Und das Buch Jona macht klar: Jona würde auf diesem Richterstuhl sehr viel härter und drastischer agieren als der Gott des Alten Testaments! Denn Gott tat genau das, was Jona schon vor seiner Flucht befürchtet hatte: Er lässt sich von Mitleid leiten und schont die zahlreichen Menschen, „die nicht zwischen links und rechts unterscheiden können, ganz zu schweigen von den vielen Tieren.“ (Jona 4,11) Gott vergab den Menschen, die zwar zu einem „Tätervolk“ gehörten, aber vielfach nicht wussten, was sie taten. Das erinnert mich an Jesus, der sogar noch mitten Leiden betet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Luk.23,34)

Jona hatte dafür keinerlei Verständnis. Im Gegenteil. Er war wütend und frustriert. Gott war ihm viel zu nachsichtig, viel zu gnädig, viel zu barmherzig. Jona hatte also genau das umgekehrte Problem mit Gott wie wir modernen Menschen. Das mag auch daran liegen, dass wir im Gegensatz zu Jona als Nachkriegsgeneration noch nie am eigenen Leib spüren mussten, was Krieg und Kriegsgefahr wirklich bedeutet. Kein Wunder, dass wir zu einem naiven Pazifismus neigen, der allzu leicht ausblendet und verdrängt, dass Gewalt manchmal nur mit Gewalt gestoppt werden kann und muss. Umso mehr sollten wir uns selbstkritisch der Frage stellen: Glauben wir wirklich, dass wir unter dem Einfluss von realer Kriegsgefahr immer noch so pazifistisch denken würden? Ist es nicht arrogant und anmaßend zu denken, dass wir gnädiger und barmherziger wären als Jona, wenn wir Angst um unser Leben und das Leben unserer Familien und Kinder haben müssten?

Nach dem Studium des Buchs Jona bin ich mir sicherer denn je: Es ist keine Floskel, wenn die Bibel Gott immer wieder als barmherzig, geduldig und gnädig beschreibt. Gott lässt sich zwar nicht von naivem Pazifismus leiten, aber eben auch nicht von der durchaus verständlichen Gerichtssehnsucht Jonas. Die Größe der Barmherzigkeit Gottes wird noch durch 2 weitere erstaunliche Tatsachen im Buch Jona unterstrichen:

  • Gott berücksichtigt in seinem Gerichtshandeln nicht nur die Schuld des Kollektivs sondern er sieht das Schicksal der einzelnen Menschen und sogar der Tiere (Jona 4,11, siehe oben). Das ist schon erstaunlich in einer Zeit, in der man vom modernen Individualismus und erst recht von Tierschutz noch nichts wusste.
  • „Gott, der Herr, tut nichts, ohne sein Geheimnis vorher seinen Dienern, den Propheten, anvertraut zu haben.“ (Amos 3,7) Gottes Gericht kommt nicht unangekündigt. Gott versucht, vorher zu warnen. Er gibt den Menschen Zeit, um umkehren zu können. Das gilt bis heute. Gott wartet nun schon 2000 Jahre mit seiner Wiederkehr „weil er Geduld mit uns hat. Denn er möchte nicht, dass auch nur ein Mensch verloren geht, sondern dass alle Buße tun und zu ihm umkehren.“ (2. Petr.3,9)

Einmal mehr kann ich nicht erkennen, dass es zwischen dem Gott des Alten und des Neuen Testaments einen grundlegenden Unterschied gäbe.

Wie soll man so einer Geschichte heute noch glauben?

Trotz dieser erhellenden Botschaft gilt das Buch Jona heute vielen Menschen als ein Paradebeispiel dafür, dass man der Bibel als moderner, aufgeklärter Mensch nicht mehr trauen kann. Ein Mensch, der 3 Tage im Bauch eines großen Fischs überlebt: Das klingt doch zu märchenhaft in unseren modernen Ohren.

Nun würde ja auch ich gerne glauben wollen, dass diese Geschichte nur ein großes Gleichnis ist – wenn denn die Bibel diese Sichtweise bestätigen würde. Aber sie lässt zumindest keinen Zweifel daran, dass Jona eine historische Figur war: In 2. Könige 14, 25 wird erwähnt, dass genau dieser Jona die Landgewinne Israels unter Jerobeam II. (781 bis 742 v. Chr.) vorausgesagt hatte. Auch Jesus bezog sich in seinen Predigten auf das Buch Jona: Er verglich die Zeit zwischen Kreuz und Auferstehung mit der Zeit des Jona im Bauch des Fischs. Und er verglich seine Predigten mit der Predigt Jonas in Ninive und tadelte die Israeliten, weil sie nicht so wie die Einwohner Ninives mit Buße und Umkehr darauf reagierten (Matth. 12, 38-41; Luk. 11, 29-30). Ganz offenkundig hielt Jesus diese Geschichte im Wesentlichen für historisch. Denn mit welchem Recht könnte Jesus die Israeliten durch den Hinweis auf Ninive kritisieren, wenn die Erzählung von der Umkehr Ninives nur ein frommes Märchen ist? Auch hier gilt: Die Historizität der Geschichte ist ein entscheidender Teil ihrer theologischen Botschaft! Man kann sie nicht einfach streichen, ohne die Botschaft zu beschädigen.

Aber können aufgeklärte Menschen noch daran glauben, dass ein Mensch 3 Tage lang im Bauch eines Fisches überlebt hat? Gegenfrage: Warum sollte das für einen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, ein Problem darstellen? Dass es sich dabei um ein natürlich nicht erklärbares Wunder handelt, war auch dem Autor des Buchs Jona schon bewusst. Schließlich ist ausdrücklich die Rede davon, dass Gott selbst diesen Fisch gesteuert hat (Jona 2,1+11). Jona betet aus dem Fisch: „Ich schrie aus dem Rachen des Todes.“ Auch ihm war also klar: Seine Situation ist ein Todesurteil, wenn Gott nicht wundersam eingreift. Jesus bestätigt diese Sichtweise, wenn er Jonas Aufenthalt im Bauch des Fisches mit seiner Zeit zwischen Kreuz und Auferstehung vergleicht. Wer glauben kann, dass Jesus 3 Tage nach seinem Kreuzestod wieder das Grab verlassen konnte, der sollte eigentlich auch kein Problem damit haben, dass Gott Jona nach 3 Tagen wieder aus einem Fisch herauskommen lassen kann. Ich sehe deshalb keinen Grund, warum diese Geschichte, selbst wenn sie in Teilen poetisch erzählt und gemeint sein mag, nicht zumindest einen großen historischen Kern enthalten sollte – so groß, dass wir die Wucht der Botschaft dieser Geschichte nicht zu schmälern brauchen, indem wir ihr die historische Tatsächlichkeit von vornherein absprechen. Auch heute noch dürfen wir in diesem Buch ein bewegendes Zeugnis sehen für diesen heiligen und richtenden, zugleich aber auch liebenden, barmherzigen, geduldigen und gnädigen Gott, der uns quer durch die ganze Bibel immer wieder in gleicher Weise vor Augen geführt wird.

Siehe auch:

Maleachi: Das teure Evangelium

Was ist eigentlich „das Evangelium“? Das erstaunliche ist: Es ist so simpel, dass man es in einem kurzen Satz zusammenfassen kann:

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen sondern das ewige Leben haben.“ (Johannes 3, 16)

Doch um sich der Größe und Tiefe dieser Botschaft zu nähern, braucht man die komplette Bibel – und man lernt dabei sein Leben lang nicht aus.

Wichtig ist dabei gerade auch das Alte Testament, denn es bildet den notwendigen Hintergrund, vor dem das Evangelium erst seine Strahlkraft und seinen revolutionären Charakter gewinnt. Ohne diesen Hintergrund verkommt es zum billigen Abklatsch. Besonders deutlich wird das im letzten Buch des Alten Testaments: Die Schrift des Propheten Maleachi liest sich wie ein Fazit des Alten Bundes und wie ein Cliffhanger, der dem Evangelium den Boden bereitet. Deshalb lohnt es sich, intensiv das Bild zu betrachten, das der Prophet Maleachi vom Menschen und seinem Verhalten zeichnet.

Das Buch Maleachi: 5 Ansagen von einem genervten Gott?

Wenn jemand genervt ist, dann lässt das meist tief blicken. Unmut legt tiefe emotionale Schichten frei. Bei den Ansprachen Gottes im Buch Maleachi gewinnt man fast den Eindruck: Gott ist genervt. Er lässt seinem Unmut freien Lauf – und er erlaubt uns dadurch einen tiefen Blick in sein Herz und in die Abgründe unseres menschlichen Daseins.

5 Punkte wirft Gott dem Volk Israel vor:

  1. „Ihr verachtet mich.“ (1,6)
  2. „Ihr jammert.“ (2,13)
  3. „Ihr werdet lästig.“ (2, 17)
  4. „Ihr habt mich betrogen.“ (3,8)
  5. „Ihr habt mich beleidigt.“ (3,13)

Ganz schön harter Tobak! Aber was steckt hinter diesen Vorwürfen? Da Gott mit dieser Rückfrage rechnet, stellt er sie bei jedem Vorwurf immer gleich selbst. Bei den Antworten wird es dann so richtig interessant…

„Ihr verachtet mich“: Pseudoopfer und Verfälschung von Gottes Botschaft

Gott bemängelt, dass die Menschen ihm Opfertiere bringen, die krank und verletzt sind – und deshalb ohnehin geschlachtet werden müssten. Ein Pseudoopfer also. Entlarvend ist Vers 8: „Bringt doch einmal eurem Statthalter solche Gaben! Wird er euch dann etwa noch freundlich und wohlwollend begegnen?“ Ein herausfordernder Vergleich, der sagt: Ihr habt faktisch vor Gott weniger Respekt als vor Menschen. Da frage ich mich: Wie ist das mit mir und meinem Gottes-Dienst? Was fürchte ich mehr: Das Urteil von Menschen oder von Gott? Und wie viel Zeit und Aufmerksamkeit schenke ich Gott? Gebe ich ihm die beste Zeit meines Tages oder schiebe ich ihn – wenn überhaupt – irgendwo rein, wenn ich sowieso gerade „tote Zeit“ überbrücken muss? Was würde mein Partner oder ein guter Freund sagen, wenn wir ihm so viel (oder wenig) Aufmerksamkeit schenken würden?

Den Vorwurf der Verachtung richtet Gott aber vor allem auch an geistliche Leiter. Respektvoll wäre es, Gottes Botschaft unverfälscht weiter zu geben (2,6). Predigt heißt in Gottes Augen, ein „Bote des Herrn, des Allmächtigen“ zu sein (2,7)! Damals wusste jeder: Wehe dem königlichen Boten, wenn er die Botschaft des Königs verfälscht, um den Menschen nach dem Mund zu reden (2,9). Was für eine eindringliche Warnung an alle Verkündiger! Es ist in Gottes Augen eben kein Kavaliersdelikt, etwas anderes zu predigen als das, was Gottes Wort lehrt und verkündigt.

„Ihr jammert“: Ausbleibende Gebetserhörung wegen seelischer Gewalt

Gott gibt offen zu, dass er den Gottesdienst Israels nicht erhört: „Ihr weint und jammert, weil er von euren Opfern nichts wissen will.“ (2,13b) Warum ist Gott da so ablehnend? Die Begründung ist hochaktuell:

„Weil der Herr Zeuge war zwischen dir und der Frau deiner Jugend. Doch du bliebst ihr nicht treu, obwohl sie deine Lebensgefährtin war, mit der du den Bund geschlossen hast. … Hüte dich deshalb bei deinem Leben und brich der Frau deiner Jugend nicht die Treue. „Denn ich hasse die Scheidung!“, spricht der Herr, der Gott Israels. „Das ist, als ob man sich eines Gewaltverbrechens schuldig macht.“ (2,14-16)

Viele Menschen tun sich heute schwer mit der Vorstellung von einem zornigen Gott. Ich frage mich: Haben sich diese Menschen je in Gottes Position versetzt? In der damaligen Gesellschaft war es ein existenzielles Drama für eine Frau, von ihrem Mann verlassen zu werden. Zur menschlichen Demütigung kam die blanke existenzielle Not. Kein Wunder, dass Gott hier Scheidung mit einem Gewaltverbrechen gleichsetzt. Wie könnte ein Gott der Liebe nicht zornig werden, wenn seine geliebten Geschöpfe so grausam behandelt werden?

Gottes Worte müssten uns Menschen des 21. Jahrhunderts, in dem Scheidung eine Normalität zu sein scheint, eigentlich in den Ohren klingeln: „Ich. hasse. Scheidung.“ Punkt. Und zwar nicht weil Gott ein Moralapostel ist. Sondern wegen der psychischen Gewalt gegenüber einem verlassenen, entwurzelten Partner und – noch schlimmer – gegenüber entwurzelten und gespaltenen Kindern. Gott fühlt den Schmerz der Verlassenen und Verstoßenen. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn er dann von unserem Gottesdienst nichts wissen will.

„Ihr werdet lästig“: Ignoranz gegenüber Gottes Perspektive

Als ob das nicht schlimm genug wäre, setzen die Menschen aber noch eins drauf und behaupten: „Der Herr freut sich an Menschen, die Böses tun und hat Gefallen an ihnen. Oder: Wo ist denn der Gott, der richtet?“ (3, 17) Das klingt zunächst komisch. Wer sagt denn so etwas? Aber mal ehrlich: Ist das nicht auch bei uns heute gang und gäbe? Menschen haben ihren Partner verlassen, weil sie sich in jemand anderes verliebt haben. Aber wir sprechen ihnen trotzdem Gottes Segen zu. Dass Gott vielleicht auch ein zorniger Richter sein könnte, kommt uns nicht einmal in den Sinn.

Ich höre förmlich den Widerspruch: Niemand darf Andere verurteilen! Wer bist Du, dass Du über andere, deren Lebensmodell gescheitert ist, den Stab brichst? Ja, das stimmt, das darf ich nicht. Ich bin nicht der Richter. Über niemanden. Erst recht, weil das Leben wirklich komplex ist. Und schließlich ist niemand fehlerfrei, ich zuletzt. Ich kenne Fälle, in denen Scheidung tatsächlich unumgänglich und not-wendend war. Aber solche Ausnahmen ändern nichts daran, dass wir uns Gottes Wort stellen müssen: Er spürt den Schmerz der Verlassenen und Verstoßenen. Er empfindet Untreue als Gewalt. Jeder der von einem ihm wichtigen Menschen verlassen und fallen gelassen wurde weiß, dass Gott damit absolut recht hat. Und so wenig wir über andere richten dürfen, so wenig steht es uns zu, Gott verfügbar zu machen und seinen Segen vorschnell zu verteilen, wo Gott in Wahrheit zornig ist statt zu segnen.

„Ihr habt mich betrogen“: Fehlendes Vertrauen in Gottes Versorgung

Und dann geht es Gott auch noch um das liebe Geld. Gott fühlt sich betrogen, weil die Israeliten nicht den Zehnten von ihrem Besitz abgeben. Gottes Worte dazu sind bemerkenswert:

„Stellt mich doch damit auf die Probe“, spricht der allmächtige Herr, „ob ich nicht die Fenster des Himmels für euch öffnen und euch mit unzähligen Segnungen überschütten werde!“ (3,10b)

Mit anderen Worten: Versucht es doch einmal, mir zu vertrauen! Testet mich! Gott wünscht sich nicht gezwungenen Gehorsam. Er wünscht sich Vertrauen. Ein Vertrauen, das er segnen und belohnen kann, für das er uns beschenken und mit Gutem überschütten kann. Der Ungehorsam, der Gott beleidigt, ist die direkte Folge von fehlendem Vertrauen in Gottes überbordende Großzügigkeit.

„Ihr habt mich beleidigt“: Fehlendes Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit

Gottes Gericht kommt. Er wird Gerechtigkeit herstellen. Es beleidigt Gott, das in Abrede zu stellen: „Ihr sagt: Welchen Wert hat es, Gott zu dienen? … Den Gottlosen geht es viel besser.“ (3,14a+15a) Stimmt. Gottes Geduld führt zum Glück dazu, dass nicht auf jedes Vergehen sofort Strafe folgt. Von dieser Geduld Gottes leben wir alle. Trotzdem ist es Gott ein großes Anliegen, in Bezug auf „alle, die Ehrfurcht vor ihm hatten und seinen Namen achteten“ klar zu stellen:

„An dem Tag, an dem ich handle, werden sie mir gehören“, spricht der allmächtige Herr. „Ich werde sie verschonen, wie ein Vater sein Kind verschont, das ihn achtet. Dann werdet ihr den Unterschied zwischen den Gerechten und den Gottlosen, zwischen denen, die Gott dienen, und denen, die dies nicht tun, erkennen.“ (3,16b-18)

Es gibt keinen Schwamm-drüber-Gott. Von diesem postmodernen Mythos sollten wir uns schnellstens und gründlich verabschieden Alles, was wir tun, alle unsere Entscheidungen haben Konsequenzen. Es kommt alles noch einmal auf den Tisch. Aber es gibt Gnade und Vergebung, für alle, die ihn achten und ihm vertrauen. Das ist Evangelium!

Reinigung und Umkehr kommt vor dem Kommen Gottes

Christen beten: „Dein Reich komme!“ Sie sehnen sich nach dem Anbruch von Gottes Friedensreich. Das Buch Maleachi macht deutlich: Das Reich Gottes kommt – aber nicht einfach so. Es bricht nicht ohne eine vorherige Reinigung an:

„Siehe! Ich sende meinen Boten, damit er mir den Weg ebnet. … Bevor der große und schreckliche Tag des Herrn kommt, sende ich euch den Propheten Elia. Er wird die Herzen der Väter ihren Kindern und die Herzen der Kinder ihren Vätern zuwenden, damit ich bei meinem Kommen nicht das Land vernichten muss.“ (3,1+23-24)

Auch diese Botschaft zieht sich quer durch die Bibel: Gottes Heiligkeit und unsere Sündhaftigkeit sind vollkommen inkompatibel. Wir sündigen Menschen sterben und vergehen in Gottes heiliger Gegenwart. Wenn Gott kommt, dann ist das deshalb nicht einfach nur schön und nett. Sein Erscheinen führt zu einer „schrecklichen“ Konfrontation zwischen seiner Heiligkeit und unserer Sünde. Deshalb muss Sünde, Ungerechtigkeit und das Böse zurückgedrängt werden, bevor Gott unter den Menschen wohnen kann. Sonst würde Gottes Kommen in einem vernichtenden Gericht enden.

Genau das war der Auftrag von Johannes, dem Täufer, der hier angekündigt wird. Er rief die Menschen zur Umkehr. Es ging ihm dabei nicht nur um die formale Einhaltung frommer Regeln sondern ganz praktisch um ein Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit sowie um das praktische Gelingen des menschlichen Miteinanders (nachzulesen in Lukas 3, 10-14). Und das erste, worauf Gott hierbei ganz offenkundig schaut, ist die Frage, ob Eltern ihre Kinder lieben und umgekehrt. Das zeigt Gottes Sichtweise: Wenn nicht einmal die allergrundlegendste menschliche Verbindung von Eltern und Kindern funktioniert, dann ist menschliches und gesellschaftliches Miteinander im Kern gescheitert.

Gerade diese Schwerpunktsetzung des liebevollen Miteinanders von Eltern und Kindern, das Gott im letzten Satz des Alten Testaments so prominent in den Mittelpunkt stellt, sollte uns eigentlich heute ganz besonders erschüttern. Leben wir doch in einer Gesellschaft, in der…

Menschen Preise dafür bekommen, dass sie Müttern helfen, ihre ungeborenen Kinder zu töten.

… selbst bekannte kirchliche Vertreter fordern, dass Werbung für Abtreibung legalisiert werden soll.

… auch bekannte christliche Redner die menschenverachtende These vertreten, dass das menschliche Leben erst mit dem ersten Atemzug beginnen würde, was – konsequent zu Ende gedacht – bedeuten würde, dass man Kinder im Mutterleib bis kurz vor der Geburt töten kann.

… immer mehr Kinder schon Wochen nach der Geburt in Fremdbetreuung gegeben wird, obwohl wir immer wieder von Fachleuten gesagt bekommen, wie schädlich das ist.

Mütter regelrecht gemobbt werden, wenn sie sich selbst um ihre Kinder kümmern wollen.

offen davon geträumt wird, biologische Elternschaft am besten ganz abzuschaffen.

Aber genau hier beginnt Gottes Heilsmission: Die Liebe in der Familie, die Liebe zwischen Kindern und Eltern ist Gott im wahrsten Sinne des Wortes heilig. Offenkundig ist die Familie in Gottes Augen die Keimzelle der Liebe. Von hier aus kann sie sich in die ganze Gesellschaft hinein heilsam ausbreiten. Aber wenn die Liebe in der Familie stirbt, dann wird auch die Gesellschaft kalt. Kein Wunder, dass Familie schon immer ein ganz besonders umkämpfter Bereich war.

Das Buch Maleachi zeigt: Wir Menschen schaffen es nicht!

Das Buch Maleachi zieht am Ende des Alten Testaments ein eindeutiges Fazit: Ihr Menschen schafft es nicht aus eigener Kraft! Eure menschengemachten Gottesdienste sind oberflächlich. Ihr verfälscht meine Botschaft, weil ihr lieber den Menschen nach dem Mund redet. Ihr wollt, dass ich Gebete erhöre, obwohl ihr gleichzeitig gewalttätig mit Schwächeren umgeht. Und ihr behauptet auch noch, ich würde das gutheißen. Ihr seid nicht in der Lage, mir und meiner Großzügigkeit zu vertrauen. Und ihr bezweifelt, dass ich am Ende Gerechtigkeit herstellen werde. Ja: Ihr schafft es nicht einmal, innerhalb eurer Familien liebevolle Beziehungen zu leben. Ihr Menschen seid gescheitert. Ihr könnt euch nicht selbst helfen. Deshalb komme ich, um euch zu retten aus eurer Verlorenheit.

Diese Botschaft gilt noch heute. Sie ist die Basis und das notwendige Hintergrundbild für das Evangelium von der Erlösung. Die Beispiele, die Maleachi verwendet, sind allesamt so hochaktuell, dass sie uns zeigen sollten: Die aufgeklärte Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist nicht besser als das Israel aus der Zeit des alten Bundes. Das Wesen des Menschen hat sich nicht verändert. Deshalb leuchtet das Evangelium auch heute noch genauso hell, wenn wir begreifen, wie dunkel unsere Verlorenheit ohne Gott ist. Der Umstand, dass wir heute so wenig vom Jubel der Erlösten in der Kirche hören, hat entscheidend damit zu tun, dass wir so oft ausblenden, wie groß unser menschliches Versagen ist und wie erlösungsbedürftig wir tatsächlich sind. Wer das Alte Testament und das Buch Maleachi nicht im Blick hat, kann das Evangelium nur falsch verstehen.

Ein teures Evangelium statt billiger Gnade

Dietrich Bonhoeffer hat den Begriff von der „billigen Gnade“ geprägt. Billige Gnade ist „Predigt der Vergebung ohne Buße, … Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz.“ Billige Gnade heißt: Wir glauben, von Gott getätschelt zu werden, während wir trotzdem unser eigener Herr bleiben und weitermachen wie wir wollen. Die Bibel kennt keine derartige Botschaft. Sie predigt ein teures Evangelium, das uns unseren Stolz und unseren Eigensinn kostet, das uns zum Kreuz führt, wo unser alter Mensch mit Christus sterben darf, damit Gott unser steinernes Herz durch ein geisterfülltes fleischernes Herz ersetzen kann. Ein billiges Evangelium, das die Hintergrundbotschaft des Alten Testaments verschweigt, ist deshalb ein anderes, ein falsches, ein banalisiertes, belangloses und kraftloses Evangelium, das zwar keinen Anstoß erregt, das aber am Ende auch niemand interessiert und niemand verändert. Ein teures Evangelium wird immer Anstoß erregen. Es wird immer Widerspruch und Ablehnung hervorrufen. Aber nur ein teures Evangelium bringt Gottes erneuernde, rettende und erlösende Kraft.

Es ist Zeit, dieses strahlende, kraftvolle, schöne und erlösende Evangelium neu zu entdecken, das uns die Bibel als Ganzes präsentiert. Ich möchte ein Mensch sein, dem man abspürt, wie unendlich lieb und teuer mir dieses teure Evangelium ist. Auch deshalb liebe ich meinen Konfirmationsspruch so sehr:

„Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.“ (Römer 1, 16)


Die Zitate dieses Artikels entstammen der Neues Leben Übersetzung. Es empfiehlt sich, die angegebenen Bibelstellen nachzuschlagen. Oder wie wäre es, das Buch Maleachi einfach mal zu lesen, in einem Rutsch, ganz ungefiltert…?

Weiteführend dazu:
“Billige Gnade ist der Todfeind der Kirche” – ein hochaktueller und aufrüttelnder Text von Dietrich Bonhoeffer

Kommt, wir wollen wieder zum Herrn zurückkehren!

Ein prophetischer Ruf für das 21. Jahrhundert

Woran krankt die Kirche Jesu in unserem Land? Sind wir zu zögerlich bei der Digitalisierung? Haben wir ein demographisches Problem? Ist die Säkularisierung und Individualisierung die Ursache für den Schrumpfkurs, unter dem so viele Landes- und Freikirchen leiden? Oder sind wir einfach zu wenig nahe an den Menschen dran?

Es gibt einen dramatischen prophetischen Aufruf, der eine völlig andere Diagnose stellt:

Unser Fokus ist das Problem! Wir haben Gott aus dem Blick verloren. Der Prophet macht das an vielen konkreten Beobachtungen fest:

  • Die Liebe zu Gott, die für Jesus doch das allerwichtigste im Glauben ist, hat sich unter Gottes Leuten als so vergänglich erwiesen wie der Morgennebel oder wie der Tau, der bei den ersten Strahlen der Sonne verdunstet (13,3).
  • Stattdessen hängen sie an menschengemachten Dingen, denen sie ihre Zeit und Aufmerksamkeit opfern (4,12;8,6;13,2).
  • Der Wohlstand wird gar nicht mehr als Geschenk und Segen Gottes wahrgenommen (2,10;7,15;8,14;11,3).
  • Die Menschen wenden sich nicht an Gott, sondern an andere Menschen, wenn sie Hilfe brauchen (8,9+10). Aber gerade dieses Sich-Einlassen auf das Denken und die Methoden von Menschen, die gar nicht zu Gottes Volk gehören, raubt Gottes Volk die Kraft (7,8).
  • Die Leute, die Gott extra gesandt hat, um zu warnen (12,11) und Gottes Volk den Kopf zurechtzusetzen (6,5) werden angefeindet, zu Dummköpfen und Wahnsinnigen erklärt (9,7+8).

Es ist offenbar gerade auch der Wohlstand, der diese Fokusverschiebung fördert (10,1;13,6). Die Gottvergessenheit führt letztlich zu sehr konkretem sündigem Verhalten (4,1-2+11;7,1), das wiederum verhindert, dass die Menschen zu Gott zurückkehren können (5,4;14,2). Aber es ist meist gar kein Bewusstsein vorhanden, dass Gott alle diese Sünden genau wahrnimmt (7,2).

Der Prophet wählt ein drastisches Bild, um den Zustand von Gottes Volk zu beschreiben: In Gottes Augen ist sein Volk wie eine geliebte Prostituierte (3,1;8,9). Es wird von Gott geliebt, aber es erwidert Gottes Liebe nicht mehr und verkauft sich stattdessen an andere Männer. Gott lässt diese Treulosigkeit nicht kalt. Es veranlasst ihn zu harten Konsequenzen. Aber selbst die offenkundigen Anzeichen des Gerichtshandelns Gottes werden von Gottes Leuten nicht als solche erkannt. Gott würde doch niemandem etwas zuleide tun und seinen Segen zurückziehen, oder? Schließlich kennt Gottes Volk doch seinen Gott (8,2) und der fromme Betrieb funktioniert ja wie eh und je (8,13). Aber der Prophet macht klar: Nein, es ist tatsächlich Gott selbst, der strafend handelt (2,15;5,14;6,1;9,17;12,3+15).

Und wer ist schuld an dem ganzen Desaster? Der Prophet macht in besonderer Weise die geistlichen Leiter verantwortlich (4,4b), weil sie ein schlechtes Vorbild sind (5,1) und sich weigern, Gott zu kennen (4,6b). Der Mangel an Gotteserkenntnis bei den geistlichen Leitern überträgt sich auf das Volk mit katastrophalen Folgen: „Mein Volk stirbt aus Mangel an Erkenntnis.“ (4,6a) Es ist leicht zu verführen und zeigt keinen Verstand (7,11). Die Rituale funktionieren zwar immer noch. Aber Gott hasst diesen oberflächlichen Kult (6,6;8,12+13), während gleichzeitig die Herzen der Menschen von Gott entfernt sind und ihr Handeln Gottes Vorstellungen widerspricht. „Handle nach den Grundsätzen von Liebe und Gerechtigkeit und vertrau immer auf deinen Gott.“ (12,7) Das wäre Gott sehr viel wichtiger als ein gut funktionierender frommer Betrieb.

Wie kann das Fokusproblem gelöst werden? Es gibt nur einen Weg zur Heilung: Umkehr zu Gott! Der Ruf des Propheten klingt wie ein leidenschaftlicher, fast verzweifelter Schrei:

„Kommt, wir wollen wieder zum Herrn zurückkehren! Er hat uns in Stücke gerissen, aber er wird uns auch wieder heilen. Er hat uns mit seinen Schlägen verwundet, aber er wird unsere Wunden verbinden. Nur noch zwei Tage, dann wird er uns wieder Kraft zum Leben geben, am dritten Tag wird er uns wieder aufrichten, damit wir in seiner Gegenwart leben können. Kommt, wir wollen den Willen des Herrn erkennen! Ja, lasst uns alles daransetzen, dass wir den Herrn erkennen! Dann wird er erscheinen – das ist so sicher wie der Morgen, mit dem jeder Tag beginnt, oder wie der Regen, der jedes Frühjahr kommt.“ (6,1-3; siehe auch 10,12;14,3+4)

Die Hoffnung des Propheten ist, dass konkrete Not die Menschen zur Umkehr bewegen wird (5,15). Die Frage ist nur: Wie groß muss die Not noch werden, bis der Ruf des Propheten gehört wird?

Bibelleser haben es längst erkannt: Dieser prophetische Ruf ist alt. Er stammt aus dem 8. Jahrhundert vor Christus und galt dem Volk Israel der damaligen Zeit. Die Kapitel- und Versangaben in den Klammern beziehen sich auf das Buch Hosea. Das Buch beeindruckt mich tief. Ich möchte es jedem Leser selbst überlassen, inwieweit Hoseas Beobachtungen von damals auch auf unsere heutige Situation zutreffen und welche Parallelen es zur Kirche Jesu des 21. Jahrhunderts gibt. Tatsache ist: Hoseas Vorhersagen gehen weit über seine eigene Zeit hinaus. Er hat den Prophetentest aus 5, Mose 18, 22 in beeindruckender Weise bestanden. Er hatte Israel ein schweres Gericht angekündigt: Israel wird „lange Zeit ohne König oder Fürst sein“, „ohne Opfer, Tempel, Priester“ (3,4), es soll „zu Flüchtlingen unter allen Völkern werden“ (9,17). Vor allem seit der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n.Chr. haben sich Hoseas Vorhersagen buchstäblich erfüllt. Umso tröstlicher ist es, was Hosea ebenfalls ankündigt: „Ich will nicht handeln nach der Glut meines Zorns, will Ephraim nicht wiederum verderben; denn ich bin Gott und nicht ein Mensch, als der Heilige bin ich in deiner Mitte und will nicht in grimmigem Zorn kommen. Sie werden dem HERRN nachfolgen, der brüllen wird wie ein Löwe; wenn er brüllt, so werden die Söhne zitternd vom Meer herbeieilen; wie Vögel werden sie aus Ägypten zitternd herbeieilen und wie Tauben aus dem Land Assyrien; und ich werde sie in ihren eigenen Häusern wohnen lassen, spricht der HERR.“ (11,9-11, s.a.12,10;14,5-9) Teile dieser Vorhersage erfüllen sich gerade jetzt vor unseren Augen. Die Herzenshinwendung des Volkes Israel zu Gott, die z.B. auch von Sacharja (Sach.12,10) und Paulus (Röm.11,26;2.Kor.3,16) vorhergesagt wurde, steht überwiegend noch aus. Wir dürfen erwartungsvoll gespannt sein. Wesentlich wichtiger ist für uns aber der Blick auf uns selbst. Werden wir unsere Herzen Gott zuwenden? Dazu noch zwei wichtige Beobachtungen:

Der Prophet ruft nicht besserwisserisch: „Kehrt gefälligst endlich wieder zum Herrn um!“ Nein, er identifiziert sich mit seinem Volk. Er sagt: Kommt, WIR wollen wieder zum Herrn zurückkehren! Er hat UNS in Stücke gerissen, aber er wird UNS auch wieder heilen.“ Hier redet kein distanzierter Rechthaber von oben herab sondern jemand, der sich selbst als Teil einer sündigen Gemeinschaft versteht. Diese Art von Propheten brauchen wir auch heute.

Im Neuen Testament hören wir einen ganz ähnlichen Ruf zur Umkehr zu Gott inklusive einer ähnlich dramatischen Gerichtsdrohung:  „Aber ich habe gegen dich einzuwenden, dass ihr nicht mehr wie am Anfang in der Liebe lebt. Erkenne doch, wie weit du dich von deiner ersten Liebe entfernt hast! Kehre wieder zu mir zurück und bemühe dich so, wie du es am Anfang getan hast. Wenn du dich nicht änderst, werde ich kommen und deinen Leuchter von seinem Platz unter den Gemeinden wegnehmen.“ (Offb.2,4-5) Dieser Ruf zur Umkehr wandte sich gerade nicht an „liberale“ Namenschristen sondern an eine Gemeinde mit einer offenkundig soliden Theologie, die falsche Lehre identifizieren und sich davon distanzieren konnte. Dafür wird diese Gemeinde auch ausdrücklich von Gott gelobt. Trotzdem gilt ganz offensichtlich auch für die Frömmsten unter den Frommen: So leicht verrutscht der Fokus. So leicht gerät Gott und die Liebe zu ihm aus dem Mittelpunkt.

Deshalb ist der prophetische Ruf von Hosea weit mehr als ein Zeugnis über Gottes Reden an Menschen aus längst vergangenen Zeiten. Sein Ruf gilt auch den Jesusnachfolgern des 21. Jahrhunderts:

Kommt, wir wollen wieder zum Herrn zurückkehren!

Wer kommt mit?

Das Evangelium: Gottes Zorn und Gottes Gnade

Was wir aus dem Buch der Klagelieder lernen können

„Die Gnade des Herrn nimmt kein Ende! Sein Erbarmen hört nie auf, jeden Morgen ist es neu. Groß ist seine Treue.“ (Klagelieder 3, 22-23)

Ist das nicht ein wunderschöner Bibelvers? Gott ist endlos gnädig, treu und voller Erbarmen. Wie wahr! Leider ist der Kontext, in dem dieser berühmte Vers steht, weit weniger bekannt. Und der ist regelrecht schockierend! Der Vers steht ziemlich genau in der Mitte des Buchs der Klagelieder, das wahrscheinlich auf den Propheten Jeremia zurückgeht. Beklagt wird darin die Zerstörung Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnezar (2. Chronik 36, 17-21).

Besonders spannend wird dieser tieftraurige Text, wenn man sich beim Lesen die Frage stellt: Worin liegt eigentlich die Ursache für den katastrophalen Untergang Jerusalems? Wer ist schuld an dem Desaster? König Nebukadnezar vielleicht, der Jerusalem mutwillig zerstört hat? Oder lag es an der Unfähigkeit der israelischen Führung? So würden wir heute ja reden: Die Kriegstreiber sind schuld! Und natürlich die Politiker!

Aber das verblüffende an den Klageliedern ist: Hier wird ausschließlich Einer als Verursacher der Katastrophe dargestellt: Gott!

„Der Herr hat seinen Zorn wie dunkle Wolken über Jerusalem geworfen. Die Herrlichkeit Israels warf er vom Himmel zur Erde. Selbst seinen eigenen Tempel hat der Herr am Tag seines Zorns nicht verschont. Erbarmungslos hat der Herr jedes Haus in Israel zerstört.“ (Kl. 2,1-2a)

Die Szenen, die als Folge von Gottes Zorn geschildert werden, sind grauenvoll:

„Sie liegen in den Straßen – Junge und Alte, Mädchen und Jungen, vom Schwert erschlagen. Du hast sie in deinem Zorn erschlagen, du hast sie ohne Erbarmen umgebracht.“ (Kl. 2, 21)

Schließlich versteigt sich der Autor der Klagelieder sogar zu dem Satz: „Kommt nicht Böses und Gutes aus dem Mund des Allerhöchsten?“ (Kl. 3,38)

Böses aus dem Munde Gottes!? Kann das denn sein??? Ist dieses Buch also eine große Anklage gegen Gott? Das wäre angesichts des schrecklichen Leids ja durchaus naheliegend. Aber Gott wird hier nicht die Schuld gegeben. Gott ist zwar der Verursacher der Katastrophe, aber schuld daran ist das Volk Israel. Nicht Gott war untreu sondern:

„Wir, wir haben die Treue gebrochen und sind widerspenstig gewesen“ (Kl. 3, 42)

„Unsere Väter haben gesündigt, sie sind nicht mehr. Wir aber tragen ihre Schuld.“ (Kl. 5, 7)

Angeklagt werden deshalb besonders auch die Propheten Israels:

„Deine Propheten haben dich betrogen und dir falsche Bilder ausgemalt. Sie haben nicht einmal versucht, dich vor dem Exil zu bewahren, indem sie dir deine Sünden vorhielten. Stattdessen weissagten sie Lügen und verführten dich.“ (Kl. 2, 14)

Wegen der Schuld des Volkes bringt Gott also schweres Unglück über Israel. Wie kann das sein, wenn Gottes Erbarmen doch niemals aufhört? Ist das nicht ein Widerspruch? Oder vielleicht ein Hinweis darauf, dass etwas mit unserem Gottesbild nicht stimmt?

Beim Lesen von Klagelieder 3, 22 fällt mir immer sofort die bekannte Vertonung dieses Verses ein. Ich habe dieses wunderschöne Lied schon so oft angestimmt. Allerdings ist darin nicht von „Gnade“ sondern von „Güte“ die Rede: „Die Güte des Herrn hat kein Ende, kein Ende. Sein Erbarmen hört niemals auf…“

Natürlich ist die Übersetzung mit “Güte” nicht falsch. Auch Luther übersetzt mit diesem Begriff. Trotzdem: „Güte“ ist etwas Anderes als „Gnade“. Güte steht für ein freundliches, geduldiges Wesen. Gnade hingegen ist das Erlassen meiner Schuld, obwohl ich eigentlich verurteilt werden müsste. Und leider beobachte ich oft in meiner Kirche, dass Gott als jemand dargestellt wird, der immerzu gütig, freundlich, sanft, ermutigend und aufbauend ist, ganz egal wie wir uns verhalten. Von Zorn und Strafe ist keine Rede. Das klingt zwar schön, passt aber leider gar nicht zu dem Bild, das uns quer durch die Bibel von Gott gezeichnet wird: Der Gott der Bibel ist eben kein netter Opa im Himmel, der die Irrungen und Wirrungen der Menschen geduldig weglächelt. In seiner Gegenwart kann Sünde nicht bestehen. Menschen, die Gott begegnen, fürchten sich, zittern, fallen wie tot zu Boden. Der Zorn dieses Gottes kann in ein hartes, furchtbares Gericht münden. Und wer die Offenbarung aufschlägt merkt: Diesen zornigen, richtenden Gott finden wir nicht nur im Alten sondern genauso im Neuen Testament. Im Hebräerbrief lesen wir sogar: „Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ (Hebr. 10, 31).

Dass Gott immer wieder zornig wird sollte uns nicht verwundern. In der Bibel wird vielfach beklagt, wie viel Leid wir Menschen uns gegenseitig zufügen und wie wir gerade auch die Schwächsten (die „Fremden, Witwen und Waisen“) unterdrücken, betrügen und berauben. Was würden wir an Gottes Stelle tun, wenn wir uns all diese Grausamkeiten permanent ungefiltert anschauen müssten? Gott wäre kein Gott der Liebe, wenn er angesichts von Gewalt und Betrug an seinen geliebten Geschöpfen nicht irgendwann zornig werden und letztlich auch praktisch zeigen würde, dass Verbrechen Konsequenzen haben. Und wer von uns könnte sagen, dass er nicht vielfach verstrickt ist in Vorgänge, die anderen Menschen schaden und Gewalt antun? Ich könnte das nicht.

Aber genau hier kommt der Begriff der Gnade ins Spiel. Gnade heißt nicht: Gott bleibt jederzeit nett zu mir, egal was ich mir und Anderen antue. Gnade heißt: Ich hätte es eigentlich verdient, von Gottes Zorn getroffen zu werden. Aber ich werde unverdient vor Gottes Gericht verschont und darf trotz meiner Schuld (ewig) leben.

Das ist Rettung. Das ist Erlösung.

Zurück zum Vers am Beginn dieses Artikels: Erst vor dem Hintergrund des düsteren Kontexts von Gottes Zorn und Gericht leuchtet dieser wunderschöne Vers so unglaublich hell. Ohne diesen Kontext hingegen bleibt er oberflächlich und seicht. Die biblische Botschaft lautet eben nicht: Gott ist immer nett zu Dir, deshalb sei auch immer nett zu Deinen Mitmenschen. Solche moralischen Appelle klingen zwar schön. Aber sie helfen nicht, weil sie nicht an die Wurzel unseres Problems gehen, nämlich an unser sündhaftes, unheilbar in Egoismus und Stolz verstricktes Wesen, das auch beim besten Willen nicht immer so nett sein kann, wie das erforderlich wäre, um Niemandem zu schaden.

Wir müssen wieder lernen, genau so zu denken wie der Autor der Klagelieder:

  • Gott selbst bringt Gericht über uns.
  • Nicht Gott, nicht andere Menschen, sondern wir selbst sind schuld daran, weil unser Verhalten im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel schreit.
  • Nur Gottes Gnade kann uns vor Gottes berechtigtem Zorn und Gericht retten.

Als Christen wissen wir: Diese Gnade ist allein in Jesus zu finden und in seinem Tod am Kreuz, wo Gottes Zorn ihn an unserer Stelle getroffen hat. Deshalb rufen wir alle Menschen: Komm zum Kreuz! Bekenne dort Deine Schuld! Finde Gnade und Leben in dem Blut, das Jesus dort für Dich vergossen hat. Werde neu durch den Heiligen Geist.

Ist das Evangelium also doch auch eine Drohbotschaft und nicht nur Frohbotschaft? Nein. Niemand kommt zu Jesus, weil man ihm mit Gericht und Hölle droht. Gott wird zwar manchmal zornig. Aber im Kern seines Wesens ist er Liebe – durch und durch. Diese unermessliche, niemals endende Liebe Gottes steht immer im Vordergrund und im Mittelpunkt der christlichen Botschaft. Aber Gottes Liebe ist eben nicht billig sondern teuer. Sie kostet ihn und uns etwas:

  • Gott hat dafür bezahlt durch das von ihm selbst am Kreuz vergossene Blut.
  • Und uns kostet sie unseren Stolz. Sie holt uns vom hohen Ross unserer Selbstgerechtigkeit, weil wir zugeben müssen, dass wir uns eben nicht selbst erlösen können sondern dass ein Anderer unsere Suppe auslöffeln muss und dass wir Gnade brauchen.

Die Liebe Gottes tätschelt uns nicht nur. Am Kreuz zeigt uns Jesus die Größe seiner Liebe – aber auch die Tiefe unserer Abgründe. Seine Güte will uns zur Umkehr leiten (Römer 2,4) – weil er uns retten will. So wie damals Jeremia Israel retten wollte mit seinem Ruf zur Umkehr.

Das ist wahrlich gute Botschaft. Das ist wahres Evangelium.


Titelbild: Eduard Bendemann: Die trauernden Juden im Exil, 1832

Siehe auchDas Kreuz – Stolperstein der Theologie – Warum Jesus für uns sterben musste