Das doppelte Fundament der Kirche

Im letzten Jahr haben mich immer wieder Stimmen von konservativen Christen aus ganz Deutschland erreicht, die sich in ihren landes- oder freikirchlichen Gemeinden an den Rand oder gar hinausgedrängt fühlen. Tatsächlich scheint sich dieser subjektive Eindruck auch objektiv zu bestätigen. Tobias Faix hat jüngst berichtet, dass die Anzahl der Gläubigen steigt, die aufgrund ihres konservativen Glaubens aus der evangelischen Kirche austreten. In einer aktuellen Erhebung für die Kirche von Westfalen wurde zudem ermittelt:

“Das häufigste Motiv für einen Austritt aus der Kirche ist die Ansicht, dass die Kirche nicht mehr das lebt, „was Jesus eigentlich wollte“.”

Also nicht die Säkularisierung, nicht die Kirchensteuer, sondern die grundsätzlichen Differenzen beim Jesusbild sind das Hauptproblem, das Menschen aus der Kirche treibt! Das hat mich nun doch überrascht.

Natürlich sind nicht alle, die diese Antwort geben, theologisch konservativ. Aber Fakt ist ganz offensichtlich: Meine Kirche leidet massiv darunter, dass es auch bei den zentralsten Glaubensfragen keinen Konsens mehr gibt. Die grundlegenden Differenzen beim Schriftverständnis wurden ja lange Zeit verharmlost mit der Aussage: Wir glauben doch nicht an die Bibel sondern an Jesus Christus. Jetzt aber zeigt sich: Wenn die Wege beim Schriftverständnis auseinanderlaufen, laufen sie irgendwann auch beim Jesusbild auseinander. Wenn die Bibel keine gemeinsame Grundlage mehr ist, dann ist auch Jesus irgendwann keine gemeinsame Grundlage mehr. Wenn sich die Jesusbilder bei den Gemeindemitgliedern und in der Theologie immer grundlegender voneinander unterscheiden, dann kann Jesus auch nicht mehr die einende und verbindende Person der Kirche sein. Am Ende führt die theologische Liberalisierung eben doch zum entscheidenden Verlust der Bindekräfte, die die Kirche gerade in einer sich polarisierenden Gesellschaft dringender denn je nötig hätte, um nicht auseinander zu fallen.

Woran Konservative leiden

Tobias Faix verweist darauf, dass gerade der Exodus der Konservativen für die Kirche besonders schmerzhaft ist, weil sie an der Basis oft sehr engagiert sind. Diese richtige Beobachtung ändert aber nichts daran, dass auf eben diese konservative Basis in Teilen meiner Kirche wenig Rücksicht genommen wird. Die Nordkirche (also die ev. Landeskirche in Schleswig Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern) hat jüngst nicht nur beschlossen, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen. Viel weitreichender ist der Beschluss, dass die Gewissensfreiheit für Pastoren in dieser Frage abgeschafft wird. Das heißt: Es ist Pastoren nicht mehr möglich, eine Trauung gleichgeschlechtlicher Paare aus Gewissensgründen abzulehnen. Sie werden gezwungen, ihr Gewissen vor Gott und seinem Wort zu kompromittieren und etwas zu segnen, was in ihren Augen nicht unter dem Segen Gottes steht. Zu Ende gedacht kommt das im Grunde einem Ausschluss von Evangelikalen aus der Landeskirche gleich, und das nicht nur in der Nordkirche. Denn evangelikale Theologiestudenten, die ihrem Gewissen vor Gott treu bleiben wollen, müssen jetzt auch in anderen Landeskirchen damit rechnen, in einen unlösbaren Gewissenskonflikt getrieben zu werden, weil der Trend ja vielerorts in die gleiche Richtung geht. Wenn es keine Wende gibt, würde das für die evangelikalen Gemeindeglieder bedeuten, dass es langfristig in den Landeskirchen keine Pfarrer und Pastoren mit evangelikalen Überzeugungen mehr gibt. Damit würde es auf Dauer auch keine konservativ geprägten Richtungsgemeinden mehr geben. Denn die Pfarrer haben in den evangelischen Gemeinden eine dominante Position. Ich habe in den letzten Jahren mit so vielen tief enttäuschten und verletzten landeskirchlichen Evangelikalen gesprochen, dass ich inzwischen überzeugt bin: Die Schaffung von evangelikal geprägten erwecklichen Strukturen innerhalb der Landeskirche ist kaum möglich, wenn der Pfarrer dies nicht zumindest mit Wohlwollen und Sympathie für evangelikale Frömmigkeit schützt und wenigstens im Hintergrund auch unterstützt.

Nun ist diese Entwicklung für Evangelikale in der Landeskirche freilich nicht neu. Schließlich liegt die Dominanz der nichtevangelikalen Theologie in den landeskirchlichen Ausbildungsstätten schon seit Jahrzehnten bei nahezu 100 %. Auch in manchen freikirchlichen Ausbildungsstätten geht der Trend in diese Richtung. Hinzu kommt: Trotz akutem Pfarrermangel verwehrt meine evangelische Kirche den Abgängern konservativer Ausbildungsstätten den Zugang zum Pfarramt. Wenn aber die Ausbildung sämtlicher Gemeinde- und Kirchenleiter von einer Theologie geprägt ist, die auch in zentralen Glaubensfragen evangelikalen Überzeugungen widerspricht, dann ist es kein Wunder, wenn Evangelikale immer öfter den Eindruck haben: Wir haben mit dem, was uns wichtig ist, keinen Raum mehr.

Die doppelte Basis für die Einheit der Kirche

Auch wenn es mich jedes Mal tieftraurig macht: Ich habe Verständnis dafür, wenn Christen angesichts dieser Entwicklungen manchmal keine andere Möglichkeit mehr sehen, als aus der Kirche auszutreten. Aber viel mehr wünsche ich mir, dass wir Konservativen anfangen, gemeinsam für unsere Überzeugungen aufzutreten! Paulus hat es uns vorgemacht. Mit eindrücklichen Worten hat er klargestellt, was die beiden entscheidenden Elemente des Fundaments der Kirche Jesu sind:

“Wir sind sein Haus, das auf dem Fundament der Apostel und Propheten erbaut ist mit Christus Jesus selbst als Eckstein.” (Epheser 2, 20).

Die gelebte Liebe und Nachfolge Jesu im Zentrum sowie die Verwurzelung in der Lehre der Apostel und Propheten, die wir in der Bibel finden: Beides zusammen bildet das Fundament der Kirche Jesu. Ein festes Jesus- und Schriftvertrauen ist also nicht etwa eine fundamentalistische Randposition, im Gegenteil: Es ist genau dieses doppelte Fundament, das die Kirche eint. Und zwar NUR dieses! Einen anderen Grund kann niemand legen. Wenn man den Worten von Paulus glaubt, ist die Kirche ohne dieses doppelte Fundament auf Sand gebaut.

Es wird ja oft darauf hingewiesen, dass auch die Konservativen trotz gemeinsamem Bekenntnis zur Autorität der Bibel zerstritten seien. Ja, in der Tat: Auch da gibt es Misstrauen, Konflikte und Spaltungen. Aber immerhin haben die Konservativen mit der Bibel noch einen gemeinsamen Grund, auf dessen Basis man zumindest miteinander streiten und um gemeinsamen Grund ringen kann. Und Fakt ist: In den vergangenen Jahrzehnten ist über Konfessions- und Prägungsgrenzen hinweg überall dort sehr viel Einheit gewachsen, wo einerseits der Schrift fest vertraut wurde und andererseits eine gelebte Liebesbeziehung zu Jesus im Mittelpunkt stand. Im Buch „Zeit des Umbruchs“ berichte ich im letzten Kapitel ausführlicher von diesen hoffnungsvollen Entwicklungen. Eindrücklich war für mich dazu auch ein Erlebnis in diesem Sommer: Wir saßen mit Freunden im Garten, als wir vom Weg vor dem Garten plötzlich Gesang hörten. Wir gingen hinaus und begegneten brasilianischen Christen. Wir kannten uns nicht. Wir konnten uns wegen der Sprachbarriere nur spärlich unterhalten. Aber wir haben spontan Jesus zusammen angebetet und uns beim Abschied herzlich umarmt in dem Bewusstsein: Wir sind Geschwister in dieser einen großen Familie Gottes. Spätestens im Himmel werden wir uns wiedersehen. Jesus und sein Wort schafft Einheit – über alle Grenzen, Kulturen und Prägungen hinweg.

Verpackung oder Inhalt?

Angesichts von Austrittswellen, sinkenden Mitgliederzahlen und schrumpfendem Gottesdienstbesuch wird in letzter Zeit immer häufiger die Frage gestellt: Wie kann die Kirche wieder Zukunft gewinnen? Brauchen wir vielleicht mehr Digitalisierung? Müssen wir näher bei den Menschen sein? Brauchen wir mehr soziologische Untersuchungen, um besser zu verstehen, welche Fragen die Menschen bewegen? Oder brauchen wir vielleicht frische Formen von Gemeinde, Kirche und Veranstaltungsformen, die besser zu den heutigen Lebenswelten und Milieus unserer Gesellschaft passen? Ja, ich glaube, all das brauchen wir. Aber wir dürfen dabei nie vergessen: Entscheidend ist am Ende nicht die Verpackung. Entscheidend ist der Inhalt! Jeder Manager weiß: Selbst das beste Marketingkonzept hilft auf Dauer nichts, wenn man kein überzeugendes Produkt hat. Genauso ist es bei der Kirche: Wir brauchen uns mit der Verpackung unserer Botschaft eigentlich gar nicht zu beschäftigen, solange wir uns nicht im Klaren darüber sind, was im Kern eigentlich unsere Botschaft ist.

Eigentlich hat die Kirche ja gar keine eigene Botschaft. Sie ist nur Botschafter an Christi statt (2. Kor. 5,20). Diese Botschaft Christi kennt die Kirche einzig und allein aus der Bibel. Wenn wir den biblischen Texten nicht vertrauen, verlieren wir deshalb zwangsläufig auch die Vertrauenswürdigkeit, die Klarheit und damit auch die Kraft, die Schönheit und Dynamik des Evangeliums. Umso mehr hoffe und bete ich, dass es in meiner Kirche wieder eine Umkehr gibt hin zu einer authentisch gelebten Liebe zu Jesus und zu einer neuen Ehrfurcht vor Gottes Wort. Und ich hoffe und bete, dass unsere freikirchlichen Freunde nicht ebenso ihre Ausbildungsstätten der liberalen Theologie überlassen, wie wir Landeskirchler das getan haben. Es ist nun einmal keine Rechthaberei, keine Angst und keine Enge, die Evangelikale wie mich so nervös werden lässt, wenn universitäre Theologie in ihrer ganzen Bandbreite über Portale wie Worthaus nun auch mitten in die evangelikale Welt hineingetragen wird. Nein, es ist ganz einfach die Sorge um das einzig tragfähige Fundament der Kirche Jesu, ohne das keine christliche Gemeinde, kein christliches Werk und keine Denomination auf Dauer bestehen kann.

Lasst uns Häuser bauen

Ich freue mich sehr darüber, dass ich in einem Land leben darf, in dem in der Mitte fast jeder Ortschaft ein Haus zur Ehre Gottes steht. Aber ich sehne mich danach, dass diese Häuser aus Stein wieder gefüllt werden mit Häusern aus Menschen, die sich zusammenfügen lassen zu einem „Tempel aus lebendigen Steinen“, wie Petrus es ausdrückt (1. Petr.2,5). Ich habe Sehnsucht danach, dass an allen Orten geistliche Häuser entstehen, in denen Jesus gegenwärtig ist und in denen unsere Mitmenschen nach Hause kommen können und Heimat, Erlösung und ewiges Leben finden bei diesem wundervollen himmlischen Vater, von dem uns die Bibel berichtet. Meine Frau und ich arbeiten an unserem Heimatort gemeinsam mit vielen anderen Christen seit Jahren dafür, dass so ein geistliches Haus entsteht. Und ich freue mich darüber, dass sich viel Gutes entwickelt, weil Gottes Wort Kraft hat, Menschen bewegt und verändert. Aber in den letzten Jahren ist uns noch deutlicher geworden: Es reicht nicht, schöne Programme und Veranstaltungen zu gestalten. Wenn wir ein nachhaltiges geistliches Haus bauen wollen, dann müssen wir aufs Fundament achten. Wenn Menschen sich nicht verwurzeln in der Liebe und im Wort Gottes, dann hat das Haus, das wir bauen, auf Dauer keinen Bestand.

Lassen Sie uns deshalb an allen Orten wieder Häuser auf gesunden Fundamenten bauen. Und lassen Sie uns beten, dass Gott einen neuen Aufbruch schenkt, eine neue Bewegung von Menschen, die Jesus Christus von Herzen lieben und die ihre Bibel kennen und tief in ihr verwurzelt sind.

Gemeinsam Auftreten

Wir Evangelikalen wollen keinen Streit. Wir sehnen uns nach Einheit, damit das Evangelium glaubwürdig verkündigt werden kann. Aber in der Bibel sehen wir, dass es manchmal auch not-wendend sein kann, in kontroversen Fragen Position zu beziehen, um Orientierung zu geben und Christen zu ermutigen. Eine gute Gelegenheit, gemeinsam aufzutreten, ist zum Beispiel der Studientag des Netzwerks Bibel und Bekenntnis am 16. November in Siegen. Ich würde mich sehr freuen, Sie dort zu treffen!