Umkämpfte Einheit (3): Erkenntnis-Riesen

Ich würde mich selbst als “bibeltreu” bezeichnen. Manche Zeitgenossen würden mich gar einen „Fundamentalisten“ nennen. Ich finde das traurig. Schließlich ist dieses Wort extrem negativ belegt. Oft wird es sogar mit Gewaltbereitschaft assoziiert. Wer friedliche Mitchristen mit solchen Kampfbegriffen diffamiert offenbart viel über seine Geisteshaltung.

Andererseits muss ich sagen: In der Tat halte ich das Fundament der Bibel für absolut unverzichtbar für die Kirche! Der liberale theologische Ansatz, der die Bibel für fehlerhaft hält und den menschlichen Verstand zum Richter über wahr und falsch macht, hat eine Schneise der Verwüstung durch die Kirche geschlagen und das Fundament für die Einheit der Kirche massiv beschädigt. Denn außer der Bibel hat das Christentum nun einmal keine verbindliche Erkenntnisquelle! Wenn Menschen willkürlich nach selbstdefinierten Kriterien darüber entscheiden, ob Bibelstellen Autorität haben oder nicht, diffundiert die Kirche zwangsläufig immer weiter auseinander.

Die Abkehr von liberaler Theologie ist aber noch lange keine Garantie für Einheit. Bei der Auslegung der Bibel können auch Bibeltreue katastrophal irren: So wurde Jesus gerade von den Bibelgelehrten als völlig unbiblisch abgelehnt. In der Kirchengeschichte gibt es zahlreiche Beispiele, wie selbst große Bibelkenner zu Feinden guter christlicher Bewegungen wurden, weil sie ihre speziellen Bibelerkenntnisse zu Dogmen oder gar Kirchengesetzen erhoben und als Waffe gegen Andere eingesetzt haben (die Verfolgung der Täufer durch die Reformatoren ist ein fürchterliches Beispiel dafür). Dabei hatte Gott das Neue Testament doch gerade nicht als Gesetzes- und Paragraphenkatalog verfasst. Wenn Menschen aber meinen, das für ihn nachzuholen zu müssen, endet das irgendwann immer im Desaster!

Wir können also sowohl auf der liberalen als auch auf der bibeltreuen Seite vom Pferd fallen. Auf beiden Seiten machen wir den gleichen Fehler: Wir stellen unsere menschliche Erkenntnis hochmütig über die Bibel und machen uns gottgleich zur obersten Wahrheitsinstanz. Dadurch werden wir zu Erkenntnis-Riesen, die die Einheit der Kirche gnadenlos zertrampeln.

Bibelpendel

Erkenntnis-Riesen zeigen mit dem Finger auf die Splitter in den Augen Anderer, haben aber selbst ein Brett vor dem Kopf. Sie meinen, immer ganz genau zu wissen, wie die Bibel auszulegen ist, vergessen dabei aber, dass sogar der große Theologe Paulus seine Erkenntnis für Stückwerk hielt und auch uns eindringlich zugerufen hat: “Bildet Euch nicht ein, alles zu wissen!“ Unser menschliches Bibelverständnis bleibt also ein Stück weit immer unvollständig und subjektiv. Hüten wir uns deshalb davor, uns vorschnell zum Richter über andere theologische Auffassungen zu machen!

Und noch einen äußerst wichtigen Grundsatz hat uns Paulus für den Umgang mit Wissen und Erkenntnis gelehrt: Wissen kann uns ein Gefühl von Wichtigkeit verleihen, doch nur die Liebe baut die Gemeinde wirklich auf .Wer behauptet, alle Antworten zu kennen, hat in Wirklichkeit kaum begriffen, auf welche Erkenntnis es ankommt. Doch wer Gott liebt, der ist von Gott erkannt“. (1. Korinther 8, 1-3)

Erkennen ist in der Bibel ein Synonym für das Einswerden in einer engen, intimen Beziehung. Echte theologische Erkenntnis wächst somit immer nur in der innigen Beziehung mit dem himmlischen Vater! ER ist der Autor der Bibel. Nur in der Verbindung mit ihm können wir lernen, was er wirklich gemeint hat! Aber ohne seinen Geist macht Erkenntnis uns zu hartherzigen, arroganten Einheitskillern: „Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2. Korinther 3, 6b).

Als Christen glauben wir im Gegensatz zum aktuellen Zeitgeist daran, dass es eine allgemeingültige Wahrheit gibt. Aber wir sind nicht im Besitz der Wahrheit! Vielmehr streben wir danach, dass die Wahrheit in Person (nämlich Jesus) immer mehr Besitz von uns ergreift! Erst wenn wir diesen feinen aber wichtigen Unterschied verstehen und unsere Besitzansprüche auf Wahrheit aufgeben werden wir nicht länger in der Gefahr stehen, uns anderen Menschen gegenüber überlegen zu fühlen und ihnen entsprechend arrogant zu begegnen. Und gerade weil unsere heutige postmoderne Gesellschaft jeden Alleinvertretungs­anspruch auf Wahrheit als gefährlichen Hang zu Machtausübung und Manipulation wahrnimmt, können wir den Menschen nur in dieser demütigen Haltung das Evangelium bringen – und zugleich unnötigen Streit und Spaltung in der Gemeinde Jesu vermeiden.

Blogbild Erkenntnisriesen

Es ist höchste Zeit, uns neu der Bibel als Gottes Wort in Ehrfurcht unterzuordnen und gleichzeitig die enge, innige Verbindung mit dem Autor der Bibel, dem liebevollen himmlischen Vater zu suchen in dem Wissen, wie unvollkommen und abhängig wir von ihm sind. Dann haben Erkenntnis-Riesen keine Chance mehr.

Teil 4 von „Umkämpfte Einheit“ befasst sich mit Stolz-Riesen und Selbstwert-Zwergen. Sie treten meist gemeinsam auf und sind die grausamsten Einheitsfeinde, die ich persönlich kennengelernt habe. Es ist deshalb ganz besonders wichtig, sie zu durchschauen.

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Biblische Stolperstellen: Als Gott Mose umbringen wollte

Immer mal wieder stolpere ich beim Bibellesen. Diesen Montag zum Beispiel. Da las ich die Geschichte, wie Mose beim Pharao aufwächst, einen Ägypter erschlägt, nach Midian flieht, heiratet und am brennenden Dornbusch von Gott berufen wird, wieder nach Ägypten zu gehen. Auf dem Weg dorthin widerfährt ihm folgendes:

„Unterwegs in der Herberge fiel der Herr über Mose her und wollte ihn töten. Da nahm Zippora einen scharfen Stein und beschnitt ihren Sohn. Sie berührte mit der Vorhaut Moses Beine und sagte: »Du bist mein Blutbräutigam.« Zippora sagte »Blutbräutigam« wegen der Beschneidung ihres Sohnes. Da ließ der Herr von ihm ab.“ (2. Mose 4, 24-26)

Wie bitte? Gott wollte Mose umbringen? Und seine Frau musste Gott davon abbringen, indem sie die abgeschnittene Vorhaut ihres Kindes präsentiert? Meine Güte. Ist DAS mein Gott, der sich mir so oft in der Bibel als liebevoller Vater präsentiert? Über diese Stelle sind schon viele Bibelleser gestolpert. Wikipedia hält sie sogar für eine der merkwürdigsten Passagen der Bibel. Aber wie geht man mit solchen Versen um?

Bibel StolperstelleKeine Option ist für mich, sie einfach als menschlich gemachte Fehler abzutun. Ich habe zu viele gute Argumente vor Augen, warum ich wirklich der ganzen Bibel vertrauen kann. Außerdem: Wer sagt mir dann, welche Stellen noch alle fehlerhaft sind und auf welche Aussagen der Bibel ich mich dann noch verlassen kann? Das weltweite Schrumpfen der Kirchen, die den menschlichen Verstand zum Richter über die Bibel gemacht haben, führt mir schmerzlich vor Augen, wohin dieser Weg führt.

Auch kein Weg ist es für mich, unkritisch aus dieser Stelle abzuleiten, dass Gott schon gerne auch mal Menschen umbringt, wenn ihm danach ist. Gott hat mir einen Verstand gegeben, um ihn zu benutzen – gerade auch beim Bibellesen! Das ist wichtig, denn jeder Bibelvers muss ja immer vom Kontext und von der Gesamtschau aller biblischen Aussagen beleuchtet werden. Das schnelle Zitieren von ein paar Bibelstellen ist noch lange keine Garantie für gute Theologie.

Wichtig ist mir aber in jedem Fall, solche Stellen nicht zu verdrängen, sondern sie erst einmal ungeschützt auf mich wirken zu lassen und betend darüber nachzudenken. Oft habe ich erlebt, dass sich dann vermeintlich schwierige Stellen in großartige Schätze tiefgründiger Einsichten verwandeln, die ich verpasst hätte, wenn ich den Text verdrängt oder als fehlerhaft abgetan hätte.

Manchmal bleibt eine Bibelstelle trotzdem rätselhaft und unverständlich. Dafür habe ich mir ein inneres „Regal“ angelegt, auf die ich solche Verse stelle. Ein Archiv für ungelöste Fälle sozusagen. Eigentlich ist es ja nicht überraschend, dass es solche Fälle gibt, wenn der Schöpfer des Universums sich uns mitteilt. Es wäre im Gegenteil viel überraschender, wenn wir mit unserem begrenzten Verstand gleich alle seine Gedanken nachvollziehen könnten. Damit kann ich leben.

Erfreulicherweise war gerade dieser Text für mich aber ein Musterbeispiel dafür, wie sich eine biblische Stolperstelle in eine wahre Fundgrube verwandeln kann. Ich werde im nächsten Post erzählen, welche Geschichte sich nach meinem Eindruck hinter diesen Versen verbirgt. Das muss nicht die einzig wahre und richtige Interpretation dieser Stelle sein. Aber es ist definitiv eine mögliche Auslegung, die den Text als Gottes Wort ernst nimmt und die ich dazu überaus lehrreich empfinde. Das hat mir wieder einmal gezeigt: Es lohnt sich, der Bibel zu vertrauen – auch wenn sie es uns manchmal nicht gerade leicht macht.

Fortsetzung: Stolperstelle wird Fundgrube: Gott bereitet Mose vor, Geschichte zu schreiben

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