Die letzte Bank – Auftreten ist das Mindeste

„Die letzte Bank – Fragen an das Leben“ heißt das neue, von den Kirchen verantwortete Gesprächsformat, das ab jetzt in der ZDFmediathek zu finden ist.“

So schreibt es die EKD in einer aktuellen Pressemeldung. In der Folge 4 („Von der Kirche zum Tantra“) wird die ehemalige Grundschullehrerin Regina Heckert interviewt. Sie beschreibt dort Tantra als

„ein spiritueller Weg, genauso wie jetzt der christliche Glaube ein spiritueller Weg ist, … der auch offen ist für alle Religionen oder gar keine Religion, der diese Dimension in der körperlichen Begegnung mit dabei hat und nicht abspaltet.“ (ab 11:17)

Die IDEA-Redakteurin Alexandra Weber schreibt über das Video:

„Die ehemalige Lehrerin erzählt, wie sie ihr früheres Leben hinter sich ließ, um durch Sex spirituelle Erfahrungen zu machen. Und was fällt dem Pastor dazu ein? Er lobt ihren Mut. Dann berichtet die Frau auch noch, wie sie einen Rosenkranz umfunktionierte, um ihre Liebesnächte mit Männern daran abzuzählen – 59 Perlen für 59 Liebesnächte mit 7 Männern in 9 Monaten. Und der Pastor antwortet sichtlich beeindruckt: „Das ist spannend, dass Sie ein urkatholisches Symbol (einen Rosenkranz) umgedeutet haben, um für sich auch etwas Heiliges daraus zu machen.“

Eine neue Dimension

Ich bin kein Tantra-Kenner. Bei Wikipedia lese ich: Tantra sei durchdrungen von okkulten und magischen Vorstellungen. Das heißt also für dieses Video: Unter dem Bild des Gekreuzigten, der qualvoll für unsere Sünden sein Leben gab, ermutigt die Kirche zum Sündigen durch Esoterik und durch das hemmungslose Ausleben von wahllosem Sex. Dabei wird der christliche Glaube als einer von vielen „spirituellen Wegen“ auf eine Ebene mit sexualisierter Esoterik gestellt. Für Christen wie mich ein unerträglicher Vorgang.

Schräge und häretische Stimmen gibt es natürlich seit langem in der Kirche. Aber dieses Video ist für mich doch noch einmal eine neue Dimension. Denn hier haben wir ja nicht nur eine Einzelstimme vor uns. Die EKD hat in ihrer Presseerklärung ausdrücklich die Verantwortung für dieses Video übernommen. Sie hat als Institution diesen Inhalt aktiv gefördert und beworben. Nüchtern betrachtet hat die EKD damit den Boden des Christentums verlassen.

Es wundert mich vor dem Hintergrund dieses Videos nicht mehr, dass die EKD sich gegen den Abtreibungsparagraphen 218 engagiert. Freier Sex, der von jeglicher Verantwortung völlig entkoppelt ist, geht eben irgendwann immer einher mit der Tötung von ungewollten, ungeborenen Kindern. Die Gebote Gottes („Du sollst nicht ehebrechen.“ „Du sollst nicht töten.“) spielen demnach in der EKD keine Rolle mehr.

Was wollt ihr eigentlich damit erreichen?

Ich gehöre nicht zu den Leuten, die bei solchen Vorfällen einen hochroten Kopf und Schnappatmung bekommen. Mir ist klar, dass hier wohlmeinende Menschen unterwegs sind, die eben nur ihre theologischen Weichen vollkommen anders gestellt haben als ich und die sich deshalb auch für meine Meinung in keinster Weise interessieren. Es bringt nichts, sich aufzuregen.

Das einzige, was ich die EKD gerne fragen würde, wäre: Was wollt ihr mit so einem Video eigentlich erreichen? Hofft denn ernsthaft irgendjemand in der EKD, dass man die leeren Kirchenbänke mit Leuten füllen kann, die sich für Tantra und freien Sex begeistern? Auch euch müsste doch klar sein, dass ihr mit so einem Video vor allem zwei Effekte erzielt: Fromme Christen werden vergrault. Und viele Andere empfinden die Kirche als noch beliebiger und belangloser, weil sie von der Kirche letztlich nur die Botschaft vernehmen: Anything goes, solange es sich für Dich gut anfühlt. Für diese Botschaft braucht man keine Kirche.

Aber das sind Fragen, die die EKD-Leitung mit sich selbst klären muss. Diesen Artikel schreibe ich, weil ich mich vor allem frage: Was können wir Evangelikale und Pietisten aus diesem Vorfall lernen?

Wenn der Anker gelöst ist, gibt es kein Halten mehr

Immer wieder höre ich im freikirchlichen und allianzevangelikalen Umfeld Stimmen, die sagen: Lasst uns doch nicht streiten um sexualethische Themen! Das sind doch Randfragen, die zudem seelsorgerlich komplex sind. Wir brauchen Öffnung und Toleranz. Nur dann finden wir die Einheit in Vielfalt, die wir als Kirche Jesu so dringend brauchen und die Gott viel mehr Ehre macht als Streit und Spaltung.

Das klingt gut. Aber erstens hält das Neue Testament sexualethische Verfehlungen in keinster Weise für nebensächlich. Und zweitens können wir an der EKD anschaulich lernen: Wenn erst einmal der biblische Anker gelöst wird, der Gottes Liebe und seine Gebote zusammenhält, dann gibt es kein Halten mehr.

Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man sexualethische Konfliktherde einfach totschweigen oder mit kleinen Kompromissen entschärfen könnte. Die Realität ist vielmehr: Die progressive Sexualethik entwickelt sich rasant. Sie stellt immer weitergehende Forderungen. Sie ist missionarisch und kompromisslos. Sie nimmt Spaltung in Kauf, wenn sie damit ihre Agenda durchsetzen kann. Je länger wir ihr durch unser Schweigen einfach das Feld überlassen, je größer wird der Schaden für unsere Gemeinden und Gemeinschaften.

Wir müssen Sprach-fähig werden

Deshalb empfehle ich uns Evangelikalen und Pietisten: Lasst uns doch lieber frühzeitig, öffentlich und profiliert darauf antworten, wenn in unserer Mitte versucht wird, Gottes Liebe von Gottes Geboten zu entkoppeln. Mehr noch: Lasst uns auch unabhängig von konkreten Vorfällen regelmäßig und öffentlich in einer biblisch fundierten, klugen, differenzierten und seelsorgerlich verantwortlichen Weise über die biblische Botschaft sprechen. Lasst uns gemeinsam die Schönheit der biblischen Sexualethik zum Leuchten bringen!

Dafür müssen wir in Bezug auf Gottes gute Gebote wieder Sprach-fähig werden. Wir müssen begründen können, warum wir an ihnen festhalten und warum sie für unser Leben so heilsam und segensreich sind. Und wir müssen begründen lernen, warum wir die Bibel auch heute noch für aktuell und vertrauenswürdig halten, obwohl große Teile der Gesellschaft und der kirchlichen Theologie in ihr nur noch ein völlig überholtes antikes Dokument sehen.

Wo sind die Stimmen aus dem landeskirchlichen Pietismus?

Ich selbst gehöre zur evangelischen Kirche. Ich schätze meine Wurzeln im landeskirchlichen Pietismus sehr. Lokal setze ich mich in meiner evangelischen Kirchengemeinde dafür ein, dass Menschen zu Jesus finden und sich in seinem rettenden Wort verwurzeln.

Deshalb möchte ich gerne ganz besonders die landeskirchlichen Vertreter aus Pietismus und kirchlicher Erneuerung fragen: Wie gehen wir mit der immer offeneren und Scham-loseren Häresie in unserer Kirche um? Ich bin der Meinung: Einfach Schweigen kann keine Option sein. Ulrich Parzany hat den Satz geprägt: „Wer schweigt, fördert, was im Gange ist.“ Es mag sein, dass wir die Kirchenleitungen und kirchlichen Medienvertreter nicht umstimmen können. Aber wir tragen doch Verantwortung für die Menschen, die uns anbefohlen sind! Wenn wir schweigen, müssen wir uns nicht wundern, wenn sich auch in unseren erwecklichen Gruppen und Gemeinschaften immer öfter der Zeitgeist zum Heiligen Geist gesellt und zu Streit und Spaltung führt.

Leider habe ich bislang zu vergleichbaren Fällen von pietistischen und evangelikalen Verantwortlichen in der Landeskirche kaum eine Äußerung wahrgenommen (wenn ich etwas übersehen habe, dann freue ich mich sehr über Hinweise!). Das finde ich traurig. Wenn pietistische Leiter sich zwar öffentlich Sorgen machen um rechtspopulistische Tendenzen unter Evangelikalen, aber zugleich zu derart krasser Häresie kaum Worte finden, dann gewinne ich als Christ an der Basis den Eindruck: Wir landeskirchliche Evangelikale und Pietisten haben keine Stimme in der Kirche. Niemand steht an unserer Seite, wenn wir vor Ort von solchen Einflüssen bedrängt werden. Dabei bräuchten wir doch so dringend Ermutigung durch vernehmbare und profilierte Stimmen von Verantwortlichen.

Auftreten ist das Mindeste

Der Name der Sendung passt zur Situation der Kirche: In zahlreichen evangelischen Gemeinden ist sonntags nur noch „die letzte Bank“ besetzt. Viele Gemeinden stehen vor dem Abgrund. Immer mehr Gemeinden sind schon einen Schritt weiter. Kirchen und Gemeindehäuser werden verkauft. Gemeinden werden „zusammengelegt“. Aber je mehr die evangelische Kirche verschwindet, umso größer wird das Vakuum, das in unserem Land entsteht. Es sind keine guten Kräfte, die machtvoll in dieses Vakuum hineinstoßen.

Ich finde: Umso mehr dürfen wir Evangelikale und Pietisten in Landes- und Freikirchen nicht so tun, als gingen uns diese Entwicklungen nichts an. Was wir jetzt so dringend brauchen, sind erweckliche, lebendige Gemeinschaften und Gemeinden, die die Kirchen wieder füllen, die von liberalen Theologen leergepredigt wurden. Das kann nur gelingen, wenn wir lernen, uns profiliert, klug, differenziert und leidenschaftlich zu Gottes Wort und Gebot zu bekennen. Denn an Gottes Segen ist alles gelegen! Und Gottes Segen ist nun einmal untrennbar mit dem Festhalten an Gottes Wort und Gebot verknüpft.

Wir leben in Zeiten, in denen es schon jetzt immer öfter einen Preis kostet, sich zur Gültigkeit von Gottes Wort zu bekennen. Umso mehr sollten wir als Leiter Vorbilder sein und mutig damit anfangen. Dabei sollten wir uns bewusst machen: Gottes Segen ist so unendlich viel wichtiger als der Segen der Kirchenleitung oder der Beifall der Öffentlichkeit.

Wir Evangelikale werden oft als die Stillen im Lande bezeichnet. Darin sonnen wir uns auch ganz gerne. Das klingt so demütig und friedfertig. Aber sind wir uns wirklich sicher, dass hinter unserem Schweigen nicht auch ganz oft Menschenfurcht und Abhängigkeit von menschengemachten Strukturen, Meinungen und Finanzen steckt?

Ich meine nach wie vor: Es muss nicht jeder, der Jesus und sein Wort liebt, angesichts solch fürchterlicher Irrlehren aus der Landeskirche austreten. Aber Auftreten ist das Mindeste.