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Verbindungen zwischen evangelikalen Christen mit Politikern wie Trump oder Bolsonaro wurden in den letzten Monaten auch von Christen teils heftig kritisiert. Manch einer sah darin sogar einen Grund, nicht mehr evangelikal sein zu wollen. Und auch ich bin der Meinung: Trotz allem begrüßenswerten Einsatz Trumps gegen Abtreibung und für Israel dürfen wir nie vergessen, dass das Reich Jesu nicht von dieser Welt stammt (Joh.18,36). Die Kirche Jesu hat einen Auftrag, der nicht mit Mitteln der Politik erreicht werden kann. Und wenn Kirche sich zu eng und unkritisch mit Politikern verbündet, dann werden auch alle ihre Schwächen und Fehler auf die Kirche zurückfallen – was bei Trump nicht nur angesichts seiner extrem polarisierenden Rhetorik besonders viel Schaden angerichtet hat.
Die Einsicht, dass die Kirche Jesu sich niemals zu sehr mit politischen Schwergewichten gemein machen sollte, schien mir zuletzt eigentlich weitgehender Konsens unter Evangelikalen in Deutschland zu sein. Umso mehr erstaunt es mich, immer öfter auch aus dem evangelikalen Umfeld Forderungen zu hören, dass Christen sich mit Greta Thunberg und Fridays for Future solidarisieren sollten. Zwar kann ich gut verstehen, dass auch vielen Christen Klimaschutz sehr wichtig ist. Jedoch ist auch Thunbergs Rhetorik teilweise sehr polarisierend und deshalb (m.E. zurecht) hoch umstritten.[1] Zudem hat Thunberg sowie die internationale FFF-Leitung ausgerechnet nach den fürchterlichen Raketenangriffen der Hamas auf Israel Inhalte der als antisemitisch einzustufenden BDS-Bewegung verbreitet. Hinzu kommen Hinweise auf linksextreme Einflüsse bei FFF. Greta Thunberg bekleidet zwar kein politisches Amt. Trotzdem gilt sie als eine der politisch einflussreichsten Persönlichkeiten der Gegenwart. Auch wenn man sie natürlich in keiner Weise mit Donald Trump vergleichen kann, frage ich mich: Müsste für die Kirche Jesu nicht auch bei Greta Thunberg und FFF genau die gleiche Warnung gelten, sich niemals öffentlich zu sehr mit politischen Akteuren gemein zu machen?
Transformieren oder Untergehen?
Um genauer zu verstehen, warum jetzt auch im evangelikalen Umfeld für den Schulterschluss mit FFF geworben wird, habe ich das „Handbuch Transformation“ gelesen, das von Tobias Faix und Tobias Künkler (beide Dozenten an der CVJM-Hochschule Kassel) herausgegeben wurde. Auf 383 Seiten findet man dort Artikel von 24 verschiedenen Autoren zum Thema „Transformation“. Den Begriff definiert Tobias Faix dabei wie folgt:
„Transformation beschreibt im Sinne einer Theologie der Transformation das Heilshandeln Gottes (missio Dei) an einer sich verändernden Welt.“ (S. 228)
Schon auf den ersten Seiten zeigt sich: Die Herausgeber Faix und Künkler legen allen Überlegungen zur Transformation eine pessimistische Weltsicht zugrunde, die sich weitgehend mit den Sichtweisen vieler FFF-Aktivisten deckt:
„Wir wissen immer deutlicher, dass die Menschheit längst mehrere planetare Grenzen überschritten hat und dabei hochkomplexe, irreversible Prozesse in Gang gesetzt hat, die gravierende negative Auswirkungen auf die Menschheit haben werden, besonders auf die zukünftigen Generationen und besonders die in Armut lebenden. Vor allem unter dem Eindruck der Klimakrise wächst gegenwärtig das gesellschaftliche Bewusstsein, dass es eine »Große Transformation« hin zu einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft geben muss. … Einen Zwang zur Transformation zu postulieren, mag harsch klingen, aber letztlich stehen wir hier vor der Wahl, wie sie Harald Welzer folgendermaßen auf den Punkt brachte: »Transformation by design oder desaster«. Entweder wir schaffen es, die nötigen Transformationen zu gestalten, oder wir werden durch Krisen und Katastrophen hierzu genötigt. Betrachtet man die wissenschaftlichen Prognosen des Klimawandels, dann werden die bereits gravierenden gesellschaftlichen Transformationen und Änderungen unserer Lebensweise, in die wir gegenwärtig durch die Covid-19-Pandemie gezwungen werden, im Rückblick dabei vielleicht vergleichsweise harmlos erscheinen.“ (S. 11) „Neben der Hitze sind aber auch Hunger, Ertrinken, Flächenbrände, Süßwassermangel, sterbende Meere, verpestete Luft, Seuchen, zusammenbrechende Wirtschaftssysteme, Klimaflüchtlinge und Klimakonflikte weitere Auswirkungen des Klimawandels. Mit anderen Worten: »Die desaströsen Auswirkungen, die wir heute überall um uns herum erleben, sind immer noch besser als das Best-Case-Szenario.« Genau deswegen leben wir in einem Kairos, der eine dritte Große Transformation nötig macht.“ (S. 22)
Jürgen Harder verstärkt dies noch mit den Worten (S. 33/34): „So ist »Das Ende der Welt, wie wir sie kannten« keine ferne Dystopie, sondern bereits jetzt im Gange« … »Eine Gesellschaft, die über ihren Fortbestand angesichts sich dramatisch verändernder Umweltbedingungen nicht nachdenkt … wird unter großen menschlichen Kosten peu a peu zerfallen … Oder sie wird sich kulturell und sozial erneuern und als eine andere, transformierte, überleben.«“
Die Klimakatastrophe: Ein geeigneter Motor für Transformation?
Wie gesichert und faktenbasiert diese apokalyptisch anmutende Sichtweise tatsächlich ist, wird im Buch nicht diskutiert. Ich habe zu diesen Fragen durchaus unterschiedliche und sich widersprechende Meinungen von Experten gehört. Da ich mich in diesem Feld nicht auskenne, kann ich das nicht bewerten. Meine Erfahrung ist aber zumindest, dass Wissenschaft hinter den Kulissen oftmals weit komplexer und weniger eindeutig ist, als dies in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Tatsache ist zudem, dass sich solche angsterzeugenden Weltuntergangsszenarien (wie z.B. vom im Buch erwähnten „Club of Rome“) in den vergangenen Jahrzehnten schon des Öfteren als grob falsch erwiesen haben.[2]
Aber auch wenn man eine kommende Klimakatastrophe für wissenschaftlich gesichert hält, stellt sich aus meiner Sicht die Frage: Inwieweit können denn düstere Untergangswarnungen ein guter Antrieb für positive gesellschaftliche Transformationen sein? Anders gefragt: Ist Angst ein guter Ratgeber? Zumindest darüber hätte ich mir in diesem Buch einen abwägenden Diskurs gewünscht, um der Meinungsvielfalt in der Gesellschaft Rechnung zu tragen.
Transformation auf allen Ebenen
Die aus Sicht der Autoren unumgängliche „große Transformation“ soll laut Faix / Künkler alle Ebenen betreffen: Auf der „Mikroebene“ geht es um die Transformation einzelner Menschen. Auf der „Mesoebene“ geht es um die Transformation von Institutionen oder Organisationen. Auf der „Makroebene“ werden Transformationen der Gesamtgesellschaft erwartet. Und auf der „Metaebene“ kommen Transformationsprozesse bei gesellschaftskonstituierenden Ideen und Prozessen (z.B. aus philosophischer Perspektive) in den Blick.
Das führt natürlich zu der Frage: Welche Rolle kann bzw. soll die Kirche bei derartigen allumfassenden Transformationen spielen?
Transformation im biblischen Sinn ist nur christuszentriert zu denken
Ohne Zweifel sagt die Bibel viel zum Thema Transformation. Jedoch ist sie dort niemals ohne das konkrete Einlassen auf Gottes Wirken und seinen Willen denkbar. Volker Rabens schreibt dazu: „Unsere Untersuchung zur Transformation im Neuen Testament hat unsere Aufmerksamkeit wiederholt auf die zentrale Rolle Jesu Christi gelenkt.“ (S. 178) Genauer gesagt: „In der innigen, transformierenden Beziehung zu Gott werden die Gläubigen gemeinsam in das Bild Christi geformt.“ (S. 175) Auch Rüdiger Gebhardt bestätigt: „Wer in einer solchen Christusbeziehung lebt, ist ein veränderter ein neuer Mensch mit einem neuen Leben. … Das neue Leben – samt seiner neuen ethischen Ausrichtung – ist nicht mehr das eigene Leben, sondern es ist das Leben in Christus bzw. das Leben Christi in mir.“ (S. 191)
Für Gebhardt ist somit allein Christus die treibende Kraft echter Transformation: „Dadurch, dass Christus in ihm lebt, hat er eine neue Identität, ein neues Wesen (=forma) erlangt, obgleich er seinem Äußeren (=materia) nach als er selbst erkennbar bleibt. Und das ist exakt das, was durch den Begriff „Transformation“ zum Ausdruck gebracht werden kann.“ (S. 192) Transformation ist für Gebhardt deshalb „konsequent relational zu denken“: Die „eigentliche Pointe einer an Transformation orientierten Theologie“ ist die „permanente Rückbindung der Transformationsprozesse an die Gottes- bzw. Christusbeziehung.“ (S. 194)
Es geht im Neuen Testament somit gerade nicht nur um die Verbreitung „christlicher Werte“ oder einer von Christus losgelösten „jesuanischen Ethik“. Gleich gar nicht geht es um die Verbreitung eines „universellen Humanismus“, den Uwe Schneidewind in seinem Artikel für den Beitrag der Kirchen in den anstehenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen hält (S. 43). Es geht vielmehr im Kern um eine Erneuerung der Herzen, die nur in der praktisch gelebten Beziehung mit dem auferstandenen Christus gelingen kann.
Das Reich Gottes ist dort, wo Christus herrscht
Das zeigt sich auch in der Lehre Jesu vom Reich Gottes. „Dein Reich komme“ gehörte für Jesus unmittelbar zusammen mit der Bitte „Dein Wille geschehe“. Entsprechend rief Jesus dazu auf, dass alle Menschen gelehrt werden sollten, alles zu halten, was Jesus befohlen hat (Mt. 28,20). Zurecht stellt Marcel Redling deshalb fest: „Im Zentrum eines jeden Gottesdienstes steht das gemeinsame Bekenntnis: Jesus ist Herr.“ (S. 134) Und Bernhard Ott, der als Gottes Ziel mit dieser Welt den „Shalom“ (also einen umfassenden Frieden) sieht, betont: „Shalom kann gefunden werden in der Beziehung zu Gott und in der Gemeinschaft des Volkes Gottes, das nach den Weisungen dieses Gottes lebt.“ (S. 153) Alle positiven Eigenschaften des künftigen und doch bereits angebrochenen Gottesreichs (wie z.B. Friede, Gerechtigkeit, Heil) hängen im Neuen Testament also immer untrennbar mit der Unterordnung unter Gottes Herrschaft zusammen.
Haben die Autoren des „Handbuchs Transformation“ angesichts dieses eindeutigen biblischen Befunds somit das Ziel vor Augen, die ganze Gesellschaft in die Nachfolge Jesu zu rufen, damit die ganze Gesellschaft transformiert werden kann?
Zwei Arten von Transformation
Damit kommen wir zum größten Problem dieses Buchs: Immer wieder wird stillschweigend gewechselt zwischen der Transformation in Christus einerseits und politischen sowie gesellschaftlichen Transformationsprozessen andererseits, ohne dabei ausreichend deutlich zu machen, dass sich diese beiden Arten von Transformation natürlich grundlegend voneinander unterscheiden:
Für eine Transformation in Christus ist der Ruf zur Christusnachfolge eine unabdingbare Voraussetzung. Viele gesellschaftliche Transformationsprozesse hingegen haben mit christlich-religiösen Einflussfaktoren zunächst einmal wenig oder gar nichts zu tun. Man kann zwar Vermutungen anstellen, dass auch hinter manchen Gesellschaftstransformationen ein göttliches Wirken stehen könnte oder dass es sich zumindest um eine Folgewirkung christlicher Einflüsse handelt.[3] Das ändert aber nichts daran, dass solche philosophisch, technologisch, soziologisch oder politisch verursachten gesellschaftlichen Verschiebungen und „Mind-Shifts“ etwas kategorial anderes sind als die im Neuen Testament beschriebene Erneuerung in Christus.
Ein gesellschaftskritisches Amt der Kirche?
Richtig ist natürlich, dass Christen sich für beide Arten von Transformation interessieren sollten. Wie alle Bürger einer demokratischen Gesellschaft sind auch Christen gerufen, sich politisch zu engagieren und positive gesellschaftliche Veränderungen mit voranzubringen. Ich habe allergrößte Hochachtung vor Christen, die sich für die Überwindung von Sklaverei und Menschenhandel, für die Aufforstung von Wüstengebieten oder für die Gewährleistung gerechter Lieferketten engagieren.
Aber ist die öffentliche Einmischung in gesamtgesellschaftliche Transformationsprozesse wirklich auch der (öffentliche) Auftrag kirchlicher Institutionen? Tobias Faix meint: Ja! Er fordert deshalb eine „öffentliche Theologie“, die er wie folgt definiert: „Öffentliche Theologie … fordert eine prophetische Stimme und »Einmischung und Anwaltschaft« kirchlicher Akteure aufgrund der christlichen Tradition und ihrer Werte, die ein Orientierungspotenzial anbieten und immer auch eine gesellschaftskritische Dimension verkörpern. Sie setzen sich mit den Zukunftsfragen der Menschheit auseinander und kämpfen für die Durchsetzung der Menschenrechte sowie für die soziale Gerechtigkeit.“ (S. 227)
Um diesen Auftrag der Kirche biblisch zu begründen, zieht Tobias Faix eine Parallele zwischen heutiger politischer Agitation und den alttestamentlichen Propheten: „Das prophetische Amt der Kirche besteht vor allem darin, ungerechte Strukturen und unterdrückende Systeme zu identifizieren und aufzudecken. Und dies in Art und Weise der alttestamentlichen Propheten, also in einer Mischung aus Gesellschaftskritik und Poesie, mit Leidenschaft, analytischer Klugheit, Fantasie und Kreativität.“ (S. 234)
Dabei erwähnt Faix jedoch nicht, was Bernhard Ott richtigerweise als die entscheidende Mitte der Botschaft der Propheten ausmacht: „Die Botschaft der Propheten lautet durchgehend: Kehrt um zu Gott und zu seinen Schalom-Weisungen, dann werdet ihr aufblühen und Gottes Segen erfahren.“ (S. 158) Also gilt auch hier genau wie beim Reich Gottes: Die Hinweise der Propheten auf soziale und gesellschaftliche Missstände können niemals losgelöst verstanden werden von ihrem Ruf zur Unterordnung unter Gottes Herrschaft. Der Vergleich heutiger Gesellschaftskritik mit den alttestamentlichen Propheten blendet deshalb den entscheidenden Kern und zentralen Bezugspunkt der damaligen prophetischen Botschaften aus.
Wer sind die „Mächte und Gewalten“, gegen die die Kirche kämpft?
Ähnlich fragwürdig erscheint mir der Versuch, die biblische Rede vom Kampf gegen „Mächte und Gewalten“ auf irdische Institutionen umzumünzen: „Was die Bibel ‚Mächte und Gewalten‘ nennt, wird in der zeitgenössischen Sprache ‚Image‘, ‚Ideologie‘ und ‚Institution‘ genannt“ (S. 214), liest man im Artikel von Thomas Zeilinger, der dazu den Theologen Walter Wink zitiert: „Wir alle haben mit den Mächten dieser Welt zu tun. Sie leiten unsere Krankhäuser und unsere Rathäuser, versammeln sich in den Vorstandsräumen der Konzerne, ziehen unsere Steuern ein und stehen unseren Familien vor.“ (S. 214) Das steht natürlich im direkten Gegensatz zu Paulus, der ausdrücklich betont: „Denn unser Kampf richtet sich nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut. Er richtet sich gegen die Mächte und Gewalten, die Weltenherrscher, die diese Finsternis regieren. Ja, er richtet sich gegen die bösen Geister, die im Reich der Lüfte herrschen.“ (Eph.6,12)
Dazu kommt: In Bezug auf Gesellschaftskritik herrscht im Neuen Testament ein geradezu dröhnendes Schweigen. Dabei standen die gelebten Werte der ersten Christen in einem scharfen Kontrast zu den damaligen gesellschaftlichen Maßstäben. Zudem wurden die Christen zeitweise massiv benachteiligt und verfolgt. Sie hätten somit allen Grund gehabt, die gesellschaftlichen Zustände und die Herrschenden zu kritisieren. Trotzdem sucht man solche Kritik weitgehend vergeblich im Neuen Testament. Stattdessen hat Paulus die staatlichen Obrigkeiten auch noch ausdrücklich als von Gott eingesetzt bestätigt (Röm.13,1-7).
Die Transformation der Herzen als Fokus der kirchlichen Arbeit
Richtig ist natürlich, dass die Verbreitung des frühchristlichen Evangeliums tatsächlich zu einer grundlegenden Gesellschaftstransformation geführt hat. Aber die Strategie bestand zu keiner Zeit darin, dass Christen an die politischen Schalthebel der Macht gehen und die Gesellschaft durch sozialkritische Apelle umkrempeln sollten. Die Verkündigung des Evangeliums zielte nicht auf die Symptome, sondern vielmehr auf die Wurzel aller gesellschaftlicher Probleme: Dem menschlichen Herzen, das heillos in Sünde verstrickt ist und deshalb immer wieder auch böse Werke und (systemische) Ungerechtigkeit hervorbringt.
Rüdiger Gebhardt schreibt deshalb zurecht: „Es gilt, bei der Person anzusetzen und nicht am Werk. Nur so ist auch – in einem tiefen und radikalen Sinn – Erneuerung – Transformation – denkbar.“ Außerdem ergänzt er: „Die Frage, ob sich wirklich eine Transformation ereignen kann, entscheidet sich … daran, wo diese Einflüsse den inneren Menschen erreichen: nur auf einer Appell-Ebene – theologisch: als „Gesetz“ – oder im Personzentrum als „Evangelium“, das allein die Herzen von Menschen erreichen und verändern kann.“ (S. 192)
Anders gesagt: Mit politischen Apellen und Moralismus ist aus neutestamentlicher Sicht keine echte Transformation zu erreichen. Auch in vielen Erweckungsbewegungen war Gesellschaftstransformation nur eine sekundäre Folge davon, dass immer mehr Menschen Erneuerung in Christus erfahren haben und sich diese Herzenstransformation dann ausgewirkt hat auf das diakonische Engagement sowie auf die gesellschaftlichen Bezüge, in denen Christen standen, sei es in Familien, Unternehmen, Organisationen, Parteien oder Administrationen. Die Kirche Jesu hatte dafür aber nie politische Agitation im Fokus, sondern immer die Transformation von Menschen in Christus mithilfe all der Dinge, die mir in diesem Buch leider viel zu kurz kommen: Evangelisation, Gebet, Verkündigung von Gottes Wort, persönliche Christusnachfolge und Aufbau christuszentrierter Gemeinschaften.
Führt „Inklusion“ zu Einheit?
Dabei befasst sich das Buch durchaus auch mit dem grundlegenden Transformationsprozess, den die Institution Kirche aktuell durchläuft: Sie wird Minderheiten-, Missions- und Laienkirche – und verliert rapide an gesellschaftlichem Einfluss. Umso mehr wird zukünftig die Einheit der Kirche eine zwingende Voraussetzung für ihre gesellschaftliche Relevanz. Die Grundfrage ist dabei jedoch: Auf welcher Basis kann die Einheit der Kirche wachsen und gedeihen? Findet die Kirche Einheit in einer grenzenlosen „Inklusion“? Oder muss sie ganz bewusst Grenzen setzen, weil sie sonst ihr Profil, ihre Identität, ihre Botschaft und damit auch ihre Einheit verliert?
Marcel Redling zitiert dazu eine Verlautbarung des Ökumenischen Rates der Kirchen: „Die Kirche ist berufen, eine inklusive, eine niemanden ausgrenzende Gemeinschaft zu sein […]. Ihrem Wesen nach ist die die Kirche ein Ort und ein Prozess der Gemeinschaft, der für alle Menschen ohne Diskriminierung offen ist und zu dem alle eingeladen sind.“ (S. 130) Und er ergänzt: „Jede inklusive Gemeindepraxis wird sich daran messen lassen müssen, ob es gelingt, auch Menschen mit einer anderen Prägung zu beheimaten und diesen das Recht zuzugestehen, gegebenenfalls eine »eigenständige Praxis des Glaubens« zu gewinnen.“
Wie weit diese Eigenständigkeit geht, wird nicht definiert. Geht es nur um die Integration unterschiedlicher gesellschaftlicher Milieus und kultureller Ausdrucksformen des Glaubens, so wie es das Neue Testament in beeindruckender Weise von den ersten Christen schildert? Oder soll hier jeder seine eigene (Erfahrungs-)Theologie entwickeln dürfen?[4] Gibt es somit keine verbindlichen gemeinsamen Bekenntnisse mehr?
Das wäre problematisch. Denn Christen sind eine Bekenntnisgemeinschaft. Und ein gemeinsames Bekenntnis grenzt natürlich auch aus. Es schafft aber zugleich einen gesunden Rahmen, in dem eine große Vielfalt des Glaubensausdrucks zusammenfinden und beieinanderbleiben kann. Ohne Bekenntnisrahmen zerfällt Einheit – auch deshalb, weil rasch neue Maßstäbe wachsen, die zur Ausgrenzung von Andersdenkenden führen.
Das gilt gerade auch beim Thema Inklusion. So schreibt zum Beispiel Tobias Künkler auf der Internetseite „Coming-In.de“ zur Debatte um die Segnung und Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren: „Wie viele Gemeinden und wie viele Menschen sind an dieser ‚Frage‘ zerbrochen…Ich bin mittlerweile aus guten Gründen überzeugt: Dieses ‚Menschenopfer‘ ist dem Herrn ein Gräuel.“ Bringen Christen also „Menschenopfer“, wenn sie sich in ihrem Gewissen an die Schrift gebunden wissen und deshalb praktizierte Homosexualität nicht der Ehe gleichstellen können? Bei derart drastischen Formulierungen kann ich rein gar nichts mehr spüren von der ansonsten so vielgepriesenen „Ambiguitätstoleranz“. Vielmehr begibt sich Künkler hier selbst lautstark an die Front des Konflikts, der aktuell die Weltchristenheit spaltet wie kein anderer.
Trägt die Politisierung der Kirche zu ihrer Einheit bei?
Aber könnte die Kirche vielleicht an Einfluss und Relevanz gewinnen, wenn sie sich verstärkt auf politische Ziele konzentriert, hinter denen sich Christen mit ganz verschiedenen theologischen Standpunkten versammeln können, weil diese Ziele einer allgemein akzeptierten christlichen Ethik entsprechen?
Meine Beobachtung ist: Genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade in politischen Fragen hat es unter Christen noch nie Einheit gegeben! So sind bei weitem nicht alle Christen der Meinung, dass politisch linke und grüne Konzepte oder moralische Appelle die richtige Antwort sind auf die gesellschaftlichen Herausforderungen in Sachen Klima, soziale Gerechtigkeit oder Rassismus. Ich bin zum Beispiel überhaupt nicht wie Raban Daniel Fuhrmann der Meinung, dass Nationalstaat, Bürokratie und Parteien überholte „politische Techniken des 19. Jahrhunderts“ sind (S. 115). Ich halte auf Basis der historischen Erfahrungen soziale Marktwirtschaft samt einem gesunden Leistungsprinzip und dem Schutz von Privateigentum für wesentlich sozialer und gerechter als jede Form von Sozialismus. Deshalb glaube ich auch, dass wir eher mehr statt weniger unternehmerische Freiheit und eher weniger statt mehr Staat, Steuern und Dirigismus brauchen, um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Ich halte Ingenieurskunst für die verheißungsvollere Antwort auf die Klimafrage als Verbote und Steuererhöhungen. Ich halte Atomenergie bislang noch für einen unverzichtbaren Baustein, um den CO2-Ausstoß wirksam reduzieren zu können. Ich bin der Meinung, dass die „Gendersprache“, die auch in diesem Handbuch durchgehend angewendet wird, die Gesellschaft eher spaltet, statt sie füreinander zu sensibilisieren. Ich halte es für problematisch, rechtlich fragwürdige „Schulstreiks“ als Form der politischen Meinungsäußerung zu bejubeln. Und schließlich hätte meine politische Agenda auch noch ganz andere Prioritäten. So läge mir zum Beispiel das Thema Lebensschutz (Abtreibung und Sterbehilfe), Familienförderung oder der Kampf gegen Prostitution und Pornografie sehr auf dem Herzen – Themen, die mir im Handbuch Transformation leider überhaupt nicht begegnet sind.
Mir ist bewusst, dass andere Christen das anders sehen. Das trennt mich nicht von ihnen. Aber ich will mit diesen Sätzen deutlich machen: Es ist eine Illusion zu glauben, man könne die Nachfolger Jesu zu einer vereinten politischen Kraft zusammenführen. Im Gegenteil: Eine politisierte Kirche muss zwangsläufig immer eine besonders fragmentierte Kirche sein – oder aber sie wird intolerant, weil sie sich auf eine bestimmte Meinungsblase konzentriert und Christen mit anderer Meinung zunehmend ausgrenzt, so wie ich es in meiner evangelischen Kirche leider immer mehr beobachten muss.[5]
Transformation durch Zerstörung?
Aber wie soll denn eine so grundlegend erneuerte Gesellschaft eigentlich aussehen? Was ist das Ziel der angestrebten „großen Transformation“? Dazu liefert das Buch sehr unterschiedliche, teils recht widersprüchliche Aussagen. Wirklich erschrocken bin ich über den Artikel von Gerhard Wegner über „Transformation als globale Veränderungskraft“, in dem er eine „radikale Veränderung“ und „schöpferische Zerstörung“ des bestehenden Systems fordert und sich dabei unter anderem auf Marx und die „leninistische Revolutionstheorie“ beruft: „Transformation … setzt wichtige gesellschaftliche Kräfte voraus, die nicht nur entschieden etwas Neues schaffen, sondern ebenso entschieden Altes zerstören. … Zudem gilt, dass die beharrenden Kräfte, wie schon die leninistische Revolutionstheorie behauptete, nicht mehr die Schalthebel der Macht bedienen können.“ Im Blick auf unsere Gesellschaft meint Wegner: Reformen reichen nicht für das „Ziel der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur“.
Ich habe mich beim Lesen wirklich gefragt: Wie konnten angesichts der grauenvollen (und zudem antichristlichen) Blutspur, die der Marxismus / Leninismus im letzten Jahrhundert hinterlassen hat, solche zumindest missverständliche Formulierungen (siehe dazu noch weitere Zitate im Anhang des Artikels) in dieses Buch geraten? Und warum wird dieser Artikel von den Herausgebern undifferenziert gelobt?[6]
Jedenfalls wird mir als leidenschaftlichem Anhänger unserer Demokratie und unserer sozialen Marktwirtschaft beim Lesen solcher Thesen tatsächlich angst und bange. Und ich bin mir sicher: Wenn derart extreme Meinungen jetzt auch noch im evangelikalen Umfeld Raum gewinnen, wird der Schaden für die Einheit der Kirche Jesu gewaltig sein. Umso dringender ist mein Appell: Lasst uns als Kirche Jesu klar den Fokus behalten auf dem Auftrag, den unser Herr uns mit auf den Weg gegeben hat:
»Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jünger und Jüngerinnen zu werden. Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe!« (Mt.28,19+20)
Ich habe es oft erlebt: Unter diesem Auftrag können Christen mit ganz verschiedenen politischen Positionen Einheit finden. Und ich bin zudem überzeugt: Eine bessere Strategie für echte, nachhaltige Transformation und für eine in jeder Hinsicht bessere Zukunft gibt es nicht.
Der Artikel „Transformation – Eine Aufgabe der Kirche?“ kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Das von Tobias Faix und Tobias Künkler herausgegebene „Handbuch Transformation“ ist 2021 in der Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, erschienen. Es ist hier erhältlich: https://neukirchener-verlage.de/catalog/product/view/_ignore_category/1/id/1933945/s/handbuch-transformation-9783761567739/
Fußnoten:
[1] Im Editorial von AUFATMEN 1/2012 schreibt Ulrich Eggers: „Und, ja, ich bin beeindruckt von Gretas Leidenschaft, ihrem Mut, ihrer Wut – etwa bei ihrer denkwürdigen Rede vor der UNO-Vollversammlung, bei der sie den Staatslenkern dieser Welt ihr „How dare you!“ entgegenschleuderte: … „Die Augen aller zukünftigen Generationen sind auf euch gerichtet, und wenn ihr euch entscheidet, uns zu enttäuschen, sage ich, dass wir euch das nie vergeben werden! Wir werden euch damit nicht davonkommen lassen!“ „How dare you!“ Was für ein prophetischer Ruf!“ Ich gebe zu Bedenken: 1. Greta Thunberg beansprucht für sich, für alle zukünftigen Generationen zu sprechen. Sie hat dafür aber keinerlei demokratische Legitimation. Auffällig war, dass bei einer aktuellen Volksabstimmung in der Schweiz vor allem die junge Generation gegen das geplante CO2-Gesetz gestimmt hat. 2. Ich halte es für problematisch, die Klimafrage als einen Generationenkonflikt darzustellen. Dies kann das Klima und den Respekt zwischen den Generationen sehr real belasten, wie z.B. die Aufregung um das WDR-Kinderchorlied zur Oma als „Umweltsau“ gezeigt hat. 3. Die Ankündigung, niemals zu vergeben, wenn die eigenen Erwartungen enttäuscht werden, halte ich nicht nur mit christlichen Werten für unvereinbar, sondern vor allem auch für undemokratisch. Viele Entscheidungen zur Klimapolitik haben komplexe, weitreichende, teils existenzielle Folgewirkungen, so dass immer ein gesamtgesellschaftlicher Aushandlungsprozess stattfinden muss. Dabei muss jede gesellschaftliche Kraft immer kompromiss- und versöhnungswillig sein, auch wenn nicht alle eigenen Forderungen umgesetzt werden. 4. Was bedeutet eigentlich konkret die Aussage: „Wir werden euch nicht davonkommen lassen“? Angesichts wachsender Gewalt auch von linksextremen Kräften sollten einflussreiche Menschen in besonderem Maß darauf achten, nur Formulierungen zu verwenden, die nicht missbraucht werden können.
[2] Ausführlich dokumentiert im Cicero-Artikel „Untergänge, die untergehen“: https://www.cicero.de/wirtschaft/unterg%C3%A4nge-die-untergehen/38945
[3] So schreiben Thorsten Dietz und Tobias Faix: „Die Schöpfung Gottes und sein erlösendes Handeln zielen auf den freien und befreiten Menschen. Schon von daher kann eine transformative Ethik den Liberalismus der Moderne nicht pauschal verdächtigen oder verurteilen, sie wird ihn vielmehr als Teil einer Wirkungsgeschichte des Christentums in dieser Welt sehen.“ (S. 253)
[4] So legt es zumindest das Kapitel von Sabrina Müller über „gelebte Theologie“ nahe, Zitat: „Gelebte Theologie gründet in der Erfahrungswelt und Lebensrealität der Menschen.“ (S. 263)
[5] Siehe dazu der besonders krasse Fall der öffentlichen Stigmatisierung eines Pfarrers aufgrund seiner traditionellen Haltung zum Thema Gender und Familie: https://www.bibelundbekenntnis.de/stellungnahmen/auf-dem-weg-zur-verbalinquisition-cancel-culture-in-der-kirche/
[6] Faix / Künkler über den Artikel von Gerhard Wegner: „Transformation setzt daher immer auch die Negation und Zerstörung vorheriger Formationen voraus, und Innovation bedarf Exnovation. All dies wird im Beitrag präzise analysiert.“ (S. 273)
Anhang: Zitate aus dem Artikel von Gerhard Wegner „Transformation als globale Veränderungskraft“, ab S. 277ff.:
„Transformation impliziert eine radikale Veränderung des Bestehenden, einen Austausch derjenigen Muster, die bisher Gesellschaften, Organisationen oder auch Individuen bestimmen. Das Leben orientiert sich im Prozess einer Transformation an anderen grundlegenden Referenzen, an anderen Werten und Leitbildern, als es das bisher getan hat. Wenn man so will, entsteht eine neue Welt, in der anders gelebt wird, als dies bisher der Fall gewesen ist. Insofern ist ein tiefes Erschrecken angemessen, wenn man wirkliche Transformationen herbeirufen will.“
„Dieses eigentlich notwendige Erschrecken kommt in einer Formel zum Ausdruck, wie ich sie zur Beschreibung von Transformation zu benutzen vorschlage: Transformation ist die schöpferische Zerstörung einer Lebensform. Wohlmeinende und freundliche Zeitgenoss:innen werden die Verwendung des Wortes Zerstörung an dieser Stelle kritisieren: Es ginge doch nicht darum, mit dem Transformationsbegriff Angst zu machen. Aber solche Kritik akzeptiert nicht wirklich, worum es mit der notwendigen Transformation unserer Gesellschaftsordnung – im Kern unserer eigenen Lebensweisen – tatsächlich geht. Es braucht grundlegende Orientierungsänderungen, die nicht ohne schmerzhafte Einschnitte in uns lieb gewordenen Lebensweisen möglich sein werden.“
„So gab es in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts die Vorstellung, mittels einer gut geplanten Kette von Reformen die Gesellschaftsordnung strukturell zu verändern. Das Ziel entsprach durchaus dem, was man auch als Transformation hätte bezeichnen können, nämlich dem Austauschen der Grundstruktur einer Gesellschaftsordnung. Aber man hoffte, durch diese Begrifflichkeit die fehlende Akzeptanz für die mit einer »Revolution« verbundene Zerstörung der alten Gesellschaftsordnung, und damit möglicherweise der Anwendung von Gewalt, umgehen zu können. Im Rückblick hat sich dieses Konzept weitgehend als illusionär erwiesen. Das damals fixierte Ziel der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur ist nicht nur nicht erreicht worden, sondern die vorgenommenen tatsächlichen Reformen haben zumindest in Deutschland den Kapitalismus gestärkt und ihn dauerhafter gemacht als vorher.“
„In unseren Lebensweisen sind wir Menschen in der Regel zufrieden und glücklich – und deswegen sind sie so schwer zu ändern. Es wäre alles viel einfacher, wenn die Menschen in Deutschland auch auf der Ebene ihrer subjektiven Gefühlswelten mit ihren Lebensbedingungen massiv unzufrieden wären. Wer Transformation will, braucht Unzufriedenheit. Wie könnt ihr in eurem falschen Leben so glücklich sein? Die Bude brennt! Seht ihr es denn nicht? Es braucht mithin nichts anderes als: Konversionen.“
„Die entscheidende Frage ist, ob sich das »erforderliche Transformationsdesign Stück für Stück und im demokratischen Umgang mit seinen sozial- und verteilungspolitischen Implikationen« durchsetzt oder ob es dafür Katastrophen und Desaster braucht.“
„Das, was sich in solchen prägenden Mustern den Menschen aufzwingt, ist nicht zufällig, sondern entstammt nicht zuletzt den Mechanismen einer ökonomischen Grundstruktur, die sich nach wie vor am besten als »Kapitalismus« beschreiben lässt. Es sind grundlegende, vor allem im ökonomischen Bereich existierende, sich selbst reproduzierende Strukturen, die Formen des Kapitalismus als Lebensformen kultivieren und die dementsprechend im Zentrum einer transformativen Praxis stehen müssen. Entscheidend ist dabei die von Karl Marx und anderen immer wieder herausgehobene Bedeutung der selbstgenerativen Form des Kapitals.“
„Redet man von einer notwendigen Transformation, also einer Aufhebung, des Kapitalismus, so kommt man nicht darum herum, insbesondere auf eine Studie einzugehen, die die Entstehung dieser Gesellschaftsform als einen umfassenden Transformationsprozess überzeugend analysiert hat: Karl Polanyis Analyse der Durchsetzung von kapitalistischen Marktstrukturen im England des 18. und 19. Jahrhunderts.“
„Mit dem, was hier durch ganz direktes Bereicherungsinteresse vorangetrieben und aus Gründen der Produktivität und Reichtumssteigerung der Gesellschaft insgesamt durch den Staat flankiert wurde, gelang eine Transformation, wie sie die Gesellschaft bis dato noch nirgends erlebt hatte.“
„Der Gesamtcharakter der Gesellschaft und ihre aggressiv-expansionistische Grundstruktur bleibt ungebrochen. Wenn es um eine wirkliche Transformation der Gesellschaft gehen soll, so muss ein ähnlich grundlegender Prozess in Gang gesetzt werden, wie er seinerzeit bis zum Take-off des Kapitalismus vorangetrieben wurde.“
„Transformation … setzt wichtige gesellschaftliche Kräfte voraus, die nicht nur entschieden etwas Neues schaffen, sondern ebenso entschieden Altes zerstören und einen Staat, der dies aktiv unterstützt, zumindest aber flankiert. Zudem gilt, dass die beharrenden Kräfte, wie schon die leninistische Revolutionstheorie behauptete, nicht mehr die Schalthebel der Macht bedienen können.“
„Natürlich führt kein Weg daran vorbei, all diese Aspekte nicht nur aus harmlosen reformistischen Perspektiven, sondern eben von einer grundsätzlichen transformativen Perspektive aus zu bearbeiten.“
„Um es zu wiederholen: Schöpferische Zerstörung ist notwendig. Aber ob es sie angesichts der übergroßen Abhängigkeit der Menschen von ihrer Einbindung nicht nur in die kapitalistischen Geldkreisläufe, sondern in die damit gegebene Formatierung ihrer Bedürfnisse geben kann, bleibt fraglich. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Primäre bei einer solchen Transformation tatsächlich die Zerstörung sein könnte, das heißt die Erfahrung großer Katastrophen, die allein neue Formen eines nachhaltig solidarischen Zusammenlebens plausibler machen könnten.“