Wollte Gott, dass rebellische Söhne gesteinigt werden sollen?

Der Inhalt dieses Artikels ist auch Gegenstand des Podcasts “#9 Hat Gott gefordert, dass rebellische Söhne gesteinigt werden sollen?” bei Bibel-live.

Das Studium der Gesetze und Gebote in den 5 Büchern Mose ist manchmal harte Kost. Da gibt es zwar einige Vorschriften, die uns auch heute noch einleuchten: Die 10 Gebote zum Beispiel. Oder auch so simple Vorschriften, dass man auf dem Dach der Gebäude Geländer anbringen soll, damit niemand herunterfällt (5. Mose 22,8). Es gibt aber auch einige Gebote, die heute sehr fremd, ja regelrecht abstoßend und verstörend auf uns wirken. In seinem Worthausvortrag „Jesus und die blutende Frau“ beschäftigt sich Siegfried Zimmer zum Beispiel mit einigen Reinheitsgeboten für Frauen, die er für so absurd und menschenfeindlich hält, dass er sie mit folgenden Worten kommentiert: „In religiösen Dingen, da gibt es Systeme, da gibt es Reinigungsgesetze von äußerster Kälte und Frauenfeindlichkeit. Die können auch in der heiligen Schrift stehen. 3. Buch Mose – sagt man ja so – das ist Gottes Wort. Meint ihr wirklich, dass Gott selber dermaßen frauenfeindliche Gesetze erlassen hat? Stellt ihr euch Gott so vor? … Oder sind das nicht eher Männerphantasien? Priesterphantasien?“ (ab 36:57)

Natürlich kann man unsere heutigen Schwierigkeiten mit diesen Geboten ganz einfach wegerklären, indem man sie für überkommene menschliche Ideen hält. Das Problem ist nur: Nebenbei wird damit auch das reformatorische Prinzip über Bord geworfen, dass die Bibel sich selbst auslegen muss. Denn die Bibel selbst ist überhaupt nicht der Meinung, dass es sich hier um Männer- oder Priesterphantasien handelt. Im Gegenteil: Gleich an 17 Stellen werden im 3. Buch Mose lange Textabschnitte eingeleitet mit der folgenden Wendung: „Der Herr sprach mit Mose und forderte ihn auf mit den Israeliten zu reden und ihnen auszurichten: …“[1] Der Bibeltext selbst will also immer wieder deutlich machen: Hier spricht nicht nur ein Mensch. Hier spricht Gott selbst! Und genau diese Überzeugung wird in der Bibel auch nirgends in Frage gestellt, im Gegenteil: Jesus selbst hat klargestellt, dass es sich hier um Gottes Gesetz handelt, das voll und ganz gültig bleibt: „Ich versichere euch: „Solange der Himmel und die Erde bestehen, wird selbst die kleinste Einzelheit von Gottes Gesetz gültig bleiben, so lange, bis ihr Zweck erfüllt ist.“ (Matthäus 5,18) Und Paulus schreibt in Römer 7, 12: „Es bleibt dabei: Das Gesetz an sich ist heilig, und das einzelne Gebot ist heilig, gerecht und gut.“ Also keine Spur davon, dass ein biblischer Autor sich von diesen Gesetzen und deren göttlichem Ursprung distanzieren würde.[2] Umso mehr stellt sich die Frage: Wie gehen wir um mit solchen Geboten im mosaischen Gesetz, die uns heute vollkommen unverständlich erscheinen?

Zur Klärung dieser Frage befasst sich dieser Artikel beispielhaft mit einem besonders krassen Fall. Die Forderung der Todesstrafe für rebellische Söhne steht in 5. Mose 21, 18-21:

„Folgender Fall: Jemand hat einen aufsässigen und rebellischen Sohn. Der lässt sich nichts sagen, weder von seinem Vater noch von seiner Mutter. Sie versuchen es mit Strafen, aber er hört trotzdem nicht auf sie. Dann sollen sein Vater und seine Mutter ihn packen und zu den Ältesten der Stadt bringen. Im Tor des Ortes soll der Fall behandelt werden. Sie sollen zu den Ältesten der Stadt sagen: »Das ist unser Sohn, er ist aufsässig und rebellisch. Nie hört er auf uns. Er verschwendet alles und ist ein Säufer.« Dann sollen alle Männer der Stadt ihn steinigen, und er soll sterben. So sollst du das Böse aus deiner Mitte entfernen. Alle Menschen in Israel sollen davon erfahren, damit sie es sich zu Herzen nehmen.“

Es kann meines Erachtens keine zwei Meinungen darüber geben, dass eine derart drakonische Gesetzgebung heutzutage vollkommen inakzeptabel ist. Aber wie sollen Christen dann mit so einer Bibelstelle umgehen? Und inwiefern können wir das heute noch als „Gottes Wort“ betrachten? Hat Gott denn wirklich ein so verstörendes Gesetz erlassen?

Was bedeutet es, die Bibel historisch zu lesen?

Von Seiten der progressiven Theologie wird immer wieder die Forderung erhoben: Wir müssen die Bibel doch historisch lesen, statt sie 1:1 als Gottes Wort zu verstehen. Die Frage ist nur: Ist das denn wirklich ein Widerspruch? Dieses Gebot könnte doch beides sein: Gemäß seinem Selbstanspruch ist es voll und ganz Gottes offenbartes Wort. Aber natürlich hat Gott hier in eine bestimmte Zeit hineingesprochen. Deshalb können wir Gottes Reden womöglich erst dann richtig verstehen, wenn wir auch etwas vom historischen Kontext wissen, in den dieses Wort hineingesprochen wurde.

Das führt uns natürlich zu der Frage: Welches historische Umfeld kann denn dieses verstörend wirkende Gebot verständlich machen?

Die Familie als Grundlage einer stabilen Gesellschaft

Gott spricht hier in eine Zeit hinein, in der die Familie als die entscheidende soziale Einheit in der Gesellschaft galt. Es gab damals keine Rente und keine Seniorenwohnheime. Stattdessen waren die Kinder für die Versorgung der Eltern unverzichtbar notwendig. Die Familien haben also dafür gesorgt, dass alle versorgt werden. Damit waren die Familien für die Stabilität der Gesellschaft von entscheidender Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund wird verständlicher, warum der Respekt vor den Eltern in den 10 Geboten fest verankert wurde. Für die Stabilität der Familien war der Respekt vor den Eltern ungeheuer wichtig. Und generell war im Denken und in der Erfahrung der Menschen damals das Prinzip verankert: Wenn die Familie zerfällt, dann zerfällt auch die Gesellschaft. Deshalb müssen wir alles tun, um die Familienstrukturen zu schützen.

In dieser Sichtweise ist ein Sohn, der das Eigentum der Familie verschwendet und „versäuft“, nicht nur einfach eine ärgerliche Enttäuschung für die Eltern, sondern existenzbedrohend für die Familie und damit auch gefährlich für die Gesellschaft. Es war deshalb normal, dass man so einen Fall nicht einfach laufen lassen konnte oder wollte. Im Gegenteil: Es war verbreitet, hart dagegen vorzugehen, wenn ein Sohn, der doch bald die Verantwortung in der Familie übernehmen sollte, in seiner Aufgabe nicht nur versagte, sondern im Gegenteil auch noch der Familie massiv schadete, indem er den Familienbesitz verschwendete und seine Eltern im Stich ließ.

Im römischen Recht galt dabei: Der Vater der Familie hatte das Recht über Leben und Tod seiner Familie. Der Familienvater konnte also nach eigenem Gutdünken entscheiden, ob ein Sohn, der die Eltern nicht respektiert und den Besitz der Familie verprasst, sterben muss. Auch über die jüdische Gesellschaft schreibt die Religionswissenschaftlerin Elisabeth Bellefontaine: In der vorjahwistischen Zeit wäre die Todesstrafe … direkt von den Eltern oder anderen Verwandten ausgesprochen und vollstreckt worden – manchmal auch mit Druck der Gruppe.“ [3]

Das bedeutet: Die Praxis, rebellische Söhne zu verurteilen und zu töten, war damals nicht ungewöhnlich. Und es lag vielfach in der Hand des Vaters oder der Familie, wenn gegen einen Sohn vorgegangen wurde – bis hin zur Todesstrafe.

Was ist eigentlich das Ziel dieses Gesetzes?

Wie reagiert nun das mosaische Gesetz auf diese gesellschaftliche Realität? Wenn wir genau hinschauen, merken wir: Das mosaische Gesetz brachte nicht etwa eine Verschlechterung sondern eine erhebliche Verbesserung des Rechtsschutzes der Söhne! Denn die Möglichkeit der Todesstrafe, die es in der damaligen Gesellschaft ohnehin schon gab, wird in diesem Gesetz sehr weitgehend reglementiert:

  • Eine Anklage ist überhaupt nur möglich, wenn Vater UND Mutter gleichermaßen den Sohn für schuldig halten. Eine Verurteilung war nur möglich, wenn auch die Mutter den Sohn für todeswürdig hält. Diese Regelung ist erstaunlich in einer patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen oft gar nicht als rechtsfähig angesehen wurden.
  • Der Ungehorsam und fehlende Respekt des Sohnes allein genügt nicht. Zusätzlich muss hier ein Lebensstil vorliegen, der den Besitz der Familie verprasst inklusive einer Trunksucht, die den Sohn davon abhält, seinen Pflichten nachzukommen.
  • Die Eltern mussten zunächst sämtliche erzieherischen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Sie mussten zunächst versuchen, ihn mit sanfteren Strafen zum Umdenken zu bewegen. Erst dann durfte die Todesstrafe erwogen werden.
  • Ganz wichtig: Den Fall durften nicht die Eltern und auch nicht der Familienclan entscheiden. Er musste stattdessen den „Ältesten“ der lokalen Gemeinschaft vorgetragen werden. Diese Ältesten mussten dann im Falle des Schuldspruchs auch selbst das Urteil vollstrecken.

Im jüdischen Talmud sind diese Regelungen noch weiter konkretisiert worden, wie die jüdischen Schriftsteller Gevaryahu und Sicherman berichten: Der Junge hat nur wenige Monate Zeit, um das Verbrechen zu begehen; die Einzelheiten des Vergehens sind genau festgelegt und begrenzt (Verzehr einer großen Menge Fleisch und Wein in kurzer Zeit); er muss gewarnt und erneut gewarnt werden; der Junge kann nur mit Zustimmung beider Elternteile unter Verwendung derselben Worte verurteilt werden und schließlich, aber sicher nicht zuletzt, “müssen die Ältesten der Stadt ihn verurteilen”, wodurch den Eltern die letzte Zuständigkeit vollständig entzogen wird.“ [4]

Angesichts dieser zahlreichen Regeln und Auflagen stellt sich jetzt natürlich die Frage: Hat es diesen Fall überhaupt jemals gegeben? Fakt ist: Wir wissen nicht genau, ob es in der Praxis überhaupt jemals einen Fall gegeben hat, dass ein Sohn gemäß 5. Mose 21,18-21 gesteinigt wurde. Aber ganz sicher ist: Diese Regelung hat den Beteiligten so hohe Auflagen auferlegt, dass diese Regelung letztlich zur kompletten Abschaffung der Hinrichtungspraxis rebellischer Söhne geführt hat.

Gevaryahu und Sicherman berichten, dass die talmudische Diskussion angesichts dieses Dickichts von Regeln zu dem Schluss kommt, dass dieses Gebot gar nicht praxistauglich ist. Im babylonischen Talmud gilt es deshalb als eines von drei Geboten aus der Tora, „die niemals waren und niemals sein werden“. Das heißt: Diese Gesetze kamen und kommen nie zur praktischen Anwendung. Dazu gehörte auch das Gebot von der abtrünnigen Stadt, die verwüstet werden soll (5. Mose 13,13-18) und das infizierte Haus, das abgerissen werden soll (3. Mose, 14,34-55). Und weil diese Gesetze nie zur Anwendung kamen, glauben Gevaryahu und Sicherman, dass diese Gesetze, „entgegen der üblichen Auslegung gar nicht dazu gedacht waren, die potenziellen Sünder (den Sohn, die Stadtbewohner, den Hausbesitzer) abzuschrecken, sondern vielmehr dazu, die Ausübung potenziell großer Ungerechtigkeit zu zügeln: Den rachsüchtigen Vater, die wütende Mehrheit und den korrupten Priester. In jedem dieser Fälle greift die Tora eine wahrscheinlich vorherrschende soziale Praxis auf und wendet sie von der Praxis zur Theorie.“ [5] Das heißt: Nach Einführung dieser Regelungen war die Umsetzung so schwierig geworden, dass die soziale Praxis sich völlig verändert hat in einem Ausmaß, dass die Todesstrafe in der Praxis gar nie mehr vollstreckt wurde.

Gott berücksichtigt die Verständnisfähigkeit der Menschen

Das führt natürlich zu der Frage: Warum stehen in der Bibel Vorschriften, die gar nicht praxistauglich sind? Warum sagt Gott nicht ganz einfach: Söhne dürfen nicht umgebracht werden. Punkt.

Jesus selbst gibt uns zu dieser Frage einen entscheidenden Hinweis: In Matthäus 19 spricht Jesus über das Thema Ehescheidung. Dabei macht er klar, dass gemäß Gottes Plan Mann und Frau eine Einheit bilden sollen, die niemals durch Scheidung aufgelöst werden soll. Die Pharisäer fragen ihn deshalb zurecht: Warum hat Mose dann erlaubt, dass ein Mann seiner Frau eine Scheidungsurkunde ausstellen soll und sie damit wegschicken kann? Die Antwort Jesu ist bemerkenswert: Weil ihr euer Herz gegen Gott verschlossen habt! Nur deshalb hat euch Mose erlaubt, eure Frauen wegzuschicken. Doch ursprünglich war das nicht so.“ (Matthäus 19, 8)

Jesus sagt somit: Der Plan war eigentlich, dass Mann und Frau sich überhaupt nicht scheiden lassen sollen. Aber ihr Menschen habt euch so weit von Gottes Plan entfernt, dass Gott zuerst einmal wenigstens eine kleine Verbesserung bringen musste. Tatsächlich hatte die mosaische Regelung zur Scheidungsurkunde den Frauen eine enorme Verbesserung gebracht. Die Scheidungsurkunde war die Grundlage dafür, dass die verstoßene Frau wieder heiraten konnte und damit eine Chance hatte, im Alter versorgt zu sein. Trotzdem machte Jesus deutlich: Diese Regelung war eher ein Notgesetz, das Rücksicht nimmt auf den tiefen Fall des menschlichen Herzens. Anstatt den Menschen Regelungen aufzuerlegen, die für sie völlig unverständlich und damit überfordernd gewesen wären, holt Gott die Menschen da ab, wo sie stehen, und versucht, die Verhältnisse schrittweise zu verbessern.

Genau dieses Prinzip lässt sich auch im Gebot über den rebellischen Sohn erkennen. Gott holt die Menschen da ab, wo sie stehen. Es war damals leider üblich, dass Söhne getötet werden können, wenn sie der Familie schaden. Gott holte die Menschen in dieser Situation dadurch ab, dass er sagte: Wenn ihr das tut, dann müsst ihr jede Menge Regeln beachten. Im Ergebnis hat Gott damit eine Abschaffung der Todesstrafe an den eigenen Kindern bewirkt.

Gibt es eine tiefere Bedeutung des Gebotes zum rebellischen Sohn?

Aber wenn diese Vorschrift nur für die Leute damals passend war, warum sollten wir uns dann heute noch dafür interessieren?

Einen Hinweis zur Beantwortung dieser Frage gibt uns Paulus in 1. Korinther 9, 9. Dort zitiert er das folgende Gebot aus 5. Mose 25, 4: „Im Gesetz des Mose steht nämlich: »Du sollst einem Ochsen beim Dreschen nicht das Maul zubinden.“ Dann beschäftigt sich Paulus damit, was dieses Gebot bedeutet. Und er macht deutlich: Aus seiner Sicht geht es hier gar nicht um Tierschutz, wie man zunächst meinen sollte. Wörtlich schreibt er: „Geht es Gott dabei etwa um die Ochsen?“ Die Antwort war für Paulus offenkundig: „Nein“. Aber im übertragenen Sinn machte das Gesetz für ihn sehr viel Sinn! Er war der Meinung: In Wahrheit geht es hier um Menschen, die sich für das Reich Gottes einsetzen. Gott ist es wichtig, dass solche Menschen dafür entlohnt werden sollen. Es war für Paulus also angemessen, hinter solchen Gesetzen eine tiefere Bedeutung zu vermuten, die sich uns erst erschließt, wenn wir das Gebot im übertragenen Sinne verstehen.

Aber was könnte jetzt der tiefere Sinn der Todesstrafe für den rebellischen Sohn sein? Die Antwort ist eigentlich ziemlich naheliegend. Die Bibel macht immer wieder deutlich, dass Gott sein Volk Israel wie einen Sohn betrachtet: So spricht der Herr: Israel ist wie mein erstgeborener Sohn.“ (2. Mose 4,22) Aber Israel war ein rebellischer Sohn, der sich der göttlichen Erziehung immer wieder widersetzt hat: Als Israel jung war, gewann ich es lieb. Aus Ägypten rief ich sie wie ein Vater seinen Sohn. Doch kaum hatte ich sie gerufen, liefen sie von mir davon. Sie brachten Schlachtopfer dar für die Baal-Götter und Räucheropfer für die Götterbilder.“ (Hosea 11, 1-2) Gott hat alles versucht, um seinen Sohn Israel zu erziehen. In Vers 7 lautet jedoch das frustrierte Fazit: „Trotzdem will mein Volk nicht zu mir zurückkehren.“ Der Sohn Israel blieb rebellisch. Er verprasste seine Güter für fremde Götter. Gott ist deshalb hin- und hergerissen. Er sagt: Eigentlich müsste ich Israel vernichten. Aber ich will das nicht tun: „Ich lasse meinen glühenden Zorn nicht zur Tat werden.“ (Hosea 11, 9) Was ist die Lösung dieses Dilemmas?

Jesus nimmt den Platz des rebellischen Sohnes ein

Auch im Neuen Testament finden wir einen Bezug zum Gebot vom rebellischen Sohn. Immer wieder wurde Jesus von seinen Zeitgenossen als „Fresser und Säufer” bezeichnet wurde (Matthäus 11, 19). Jesus wurden also genau die Eigenschaften nachgesagt, wegen denen gemäß dem mosaischen Gesetz ein rebellischer Sohn zum Tod verurteilt werden sollte. Und obwohl dieser Vorwurf bei Jesus natürlich vollkommen unberechtigt war, wurde an ihm – anders als bei Israel – tatsächlich die Todesstrafe vollzogen. Anders gesagt: Jesus starb die Todesstrafe, die Israel eigentlich verdient gehabt hätte. Und noch viel erstaunlicher ist: Jesus starb diese Todesstrafe genau in der Art und Weise, die Mose direkt im Anschluss an das Gebot über den rebellischen Sohn beschreibt:

„Folgender Fall: Jemand hat ein Verbrechen begangen, auf das die Todesstrafe steht. Er wird hingerichtet, und du hängst ihn an einem Holzbalken auf. Dann soll die Leiche nicht über Nacht am Balken hängen, sondern du sollst ihn am selben Tag noch begraben. Denn wer so aufgehängt wird, gilt als von Gott verflucht.“ (5. Mose 21, 22-23)

Tatsächlich hing Jesus am Holzbalken. Und tatsächlich wurde er noch am selben Tag abgehängt und begraben (was damals ungewöhnlich war, weil Gekreuzigte oft über mehrere Tage hängen gelassen wurden). Kein Wunder, dass Paulus sich genau auf diese Stelle bezieht, wenn er in Galater 3, 13 schreibt: „Christus hat uns von dem Fluch des Gesetzes erlöst, indem er für uns zum Fluch wurde, denn es steht geschrieben: “Verflucht ist jeder, der am Holz hängt”.“ Paulus zitiert hier also exakt aus dem Text, der unmittelbar nach dem Gebot zum rebellischen Sohn beschreibt, wie man mit so einem Verbrecher verfahren soll! Damit macht die Bibel ganz deutlich: Jesus, der treue und gehorsame Sohn Gottes, hat stellvertretend den Fluch und die Strafe getragen, die eigentlich der untreue und rebellische Sohn Israel verdient gehabt hätte.

Jesus starb den Tod, den wir verdient hätten

Natürlich ist diese Botschaft nicht nur für Israel wichtig. Denn Gottes Gebot gilt ja auch für uns: Auch wir sollen nicht verschwenderisch leben. Und Paulus schreibt: Wir sollen uns nicht mit Wein betrinken, sondern uns mit dem Heiligen Geist erfüllen lassen. Und natürlich gilt auch für uns immer noch das 5. Gebot: Wir sollen unsere Eltern ehren und achten. Und nach wie vor gilt auch für uns Christen: Gegen Gottes Gebote zu verstoßen, ist Sünde. Und Sünde hat gemäß Römer 6, 23 immer noch tödliche Konsequenzen: Denn der Lohn der Sünde ist der Tod.“ Der Fluch des Gesetzes gilt für uns Christen somit auch heute noch. Er kostet uns zwar hier auf der Erde nicht das Leben. Aber wenn wir die Bibel ernst nehmen, dann passiert etwas viel schlimmeres: Er kostet uns das ewige Leben!

Und wer von uns kann ehrlich sagen, dass er immer ein treuer Sohn Gottes war? Wie oft schon habe ich meine Gaben und Talente, meine Zeit, meine Kraft, mein Geld für irgendwelchen Mist verschwendet? Wie oft habe ich Gott nicht gehorcht? Wie oft habe ich gegen seine Gebote verstoßen? Wie oft bin ich vor ihm davongelaufen? Wie viele Dinge gibt es in meinem Leben, bei denen ich nicht so lebe, wie Gott das von mir möchte? Wie oft schon war ich wahrlich ein verschwenderischer, ein rebellischer Sohn Gottes?

Und wie gut ist es da, dass Jesus an meiner Stelle den Fluch des Gesetzes getragen hat, dass er, der treue und gehorsame Sohn Gottes, den Tod des rebellischen Sohnes am Kreuz gestorben ist, den ich verdient hätte! Wie gut, dass er am Holz gehangen hat und damit für mich und für uns alle den Fluch des Gesetzes erlitten hat! Wie gut, dass wir, die wir wirklich so oft verschwenderisch und rebellisch sind, durch seinen stellvertretenden Tod dem gerechten Urteil entgehen und trotz unseres Versagens ewig leben dürfen!

Das Gebot über den rebellischen Sohn führt zum Evangelium!

Wir können also zusammenfassen: Das zunächst so verstörend klingende Gebot der Steinigung von rebellischen Söhnen bekommt ein völlig anderes Gesicht, wenn wir es vor dem historischen Kontext lesen. Dann merken wir: In Wahrheit handelte es sich um eine derart massive Verbesserung des Rechtsschutzes von Söhnen gegenüber ihren Vätern, dass die verbreitete Praxis der Tötung rebellischer Söhne vollkommen abgeschafft wurde. Gott hat die Menschen da abgeholt, wo sie waren, mit Geboten, die sie damals fassen konnten. Und so hat Gott dafür gesorgt, dass so etwas gar nicht mehr vorkommt.

Darüber hinaus hat dieses Gebot einen enormen bleibenden Wert für uns, weil es ein großes Gleichnis ist für das Drama, das sich zwischen Gott und den Menschen abspielt: Gottes Kinder sind störrisch, verschwenderisch und ungehorsam. Sie hätten die Todesstrafe verdient. Aber Gott selbst lässt sich in seinem treuen, gehorsamen Sohn als „Fresser und Säufer“ bezeichnen und erleidet stellvertretend die Todesstrafe, die wir verschwenderische, rebellische Kinder Gottes verdient hätten, damit wir leben können.

Das Unglaubliche ist also: Auch bei einer derart dunkel erscheinenden Stelle stoßen wir am Ende auf das Evangelium! Ist das nicht wirklich zum Staunen?

Ich finde: Umso weniger brauchen wir daran zweifeln, dass es sich auch bei solchen auf den ersten Blick schwer verständlichen biblischen Stolperstellen im echten Sinn um Worte des lebendigen Gottes an uns Menschen handelt.


[1] 3. Mose 1,1+2; 4,1+2; 7,22+23; 7,28+29; 11,1+2; 12,1+2; 15,1+2; 18,1+2; 19,1+2; 20,1+2; 21,16+17; 23,1+2;23,9+10; 23,23+24; 23,33+34; 25,1+2;27,1+2

[2] Siehe dazu: „Das biblische Bibelverständnis“ (https://blog.aigg.de/?p=5853)

[3] Elisabeth Bellefontaine: “Deuteronomy 21:18-21: Reviewing the case of the rebellious son”; JSOT 13 (1979) 13-31

[4] Gilad J. Gevaryahu und Harvey Sicherman: “What never was and never will be: Rebellious son – subverted city – infected house”; Jewish bible quarterly, Vol. 29, No. 4, 2001

[5] Ebd.

 

Biblische Stolperstellen: Ein „fluchender“ Paulus?

“Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht.”
(Galater 1, 8)

Meine Güte Paulus. Geht es nicht eine Nummer kleiner? Es ist ja O.K., dass Du Deine Überzeugungen vertrittst. Man kann beim Ringen um die Wahrheit ruhig auch mal streiten. Aber Andere verfluchen? Geht gar nicht! Vor allem nicht in unserer heutigen Zeit, in der doch jeder nach seiner Façon selig werden soll und exklusive Wahrheiten grundsätzlich als gefährlicher, friedensgefährdender Fundamentalismus gelten. Mit so einem Satz würdest Du Dir heute jedenfalls einen heftigen Shitstorm zuziehen.

Aber fragen wir doch zuerst einmal: Was hat Paulus eigentlich genau gesagt?

Das griechische Wort „Anathema“ knüpft an den alttestamentlichen „Bann“ an und zeigt an, dass etwas dem Gericht Gottes ausgeliefert wird. Johannes sagt inhaltlich ganz am Ende der Bibel im Grunde genau das gleiche: Jedem, der die Botschaft dieses Buches ändert, drohen die Gerichtsplagen Gottes (Offb.22,18-19). Bemerkenswert ist: Paulus „flucht“ nicht einfach verächtlich über Andere. Er stellt sich selbst mit unter diese Gerichtsdrohung (“Aber selbst wenn wir oder ein Engel…”). Auch ihn soll also das Gericht Gottes treffen, wenn er etwas Falsches predigt!

Das bringt uns zu der Frage: Warum hat Paulus das gesagt?

Ich stelle mir gerade folgenden Skandal vor: Eine Firma, die Rettungsringe herstellt, hat beim Material gespart. Die Rettungsringe sehen immer noch genauso aus und schwimmen auch auf dem Wasser. Aber durch das billige Material gehen sie unter, sobald sich jemand daran festhält.

Man will sich den Shitstorm kaum ausmalen, den sich diese Firma – völlig zurecht – zuziehen würde. Mehr noch: Die Verantwortlichen gehören vor Gericht! Sie müssen verklagt und hart verurteilt werden. Denn mit ihrem Verhalten haben sie Menschenleben gefährdet!

Mit diesem Bild wird die heftige Aussage von Paulus verständlich. Ganz offensichtlich haben ihn die folgenden Überzeugungen tief geprägt:

  • Die Menschen sind ernsthaft gefährdet. Sie können verloren gehen. Es geht um ihr (ewiges) Leben!
  • Das Evangelium ist eine dringend notwendige Rettungsbotschaft (Röm.1,16)!
  • Nur das richtige Evangelium rettet! Dieses einzig richtige Evangelium hat der Apostel direkt von Gott empfangen (Gal 1,11-121.Thess.2,13).
  • Ein verändertes Evangelium rettet nicht! Am Evangelium etwas zu ändern bedeutet, Menschen in falscher Sicherheit zu wiegen und womöglich in den Untergang zu treiben.

Das „Anathema“ unterstreicht also die Dringlichkeit, Göttlichkeit, Exklusivität und den Rettungscharakter der apostolischen Evangeliumsbotschaft.

Manche moderne Theologen mögen das anders sehen. Sie mögen diesen Exklusivismus ablehnen und stattdessen betonen, dass es doch eine Vielzahl von Deutungen, Auslegungen und Wahrheiten gäbe. Sie mögen auch diese Dringlichkeit verwerfen und glauben, dass Gottes Liebe am Ende so oder so alle Menschen retten wird. Das ist natürlich legitim. Aber sie sollten dann nicht so tun, als ob sie nur die Theologie von Paulus in die heutige Zeit übersetzen. Sie sollten vielmehr offen und ehrlich sagen, dass ihre Botschaft sich grundlegend von der paulinischen Theologie unterscheidet. Sie sollten offen sagen, dass das ein anderes Evangelium ist.

Um im Bild zu bleiben: Wenn manche moderne Theologen schon den Rettungsring ändern, dann sollten sie nicht so tun, als würden sie ein modernisiertes Original verkaufen sondern eindeutig und klar das Firmenlogo tauschen, damit Jeder sofort sehen kann: Das ist ein anderer Ring von einer anderen Firma! Dann können die Menschen selbst entscheiden, welchen „Hersteller“ sie für vertrauenswürdig halten. Dann können sie selbst entscheiden ob sie lieber nach dem Ring des Apostels oder der modernen Theologen greifen.

Ich habe mich übrigens bereits entschieden.

Siehe auch:

  • Christus allein! – Für Christen objektiv oder subjektiv wahr? Und was die Kirche dazu sagt…

Weitere “biblische Stolperstellen”:

Und was ist mit denen, die noch nie von Jesus gehört haben?

Glaube! Das ist ein absoluter Kernbegriff des Neuen Testaments. Vom Glauben hängt alles ab: Vergebung. Heilung. Rettung. Erneuerung. Ewiges Leben. Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen (Hebr.11,6). Aber glauben kann man nur, was man gehört hat. Der Glaube kommt aus der Verkündigung, sagt Paulus (Röm.10,17). Daraus ergibt sich die Frage: Was ist dann mit denen, die nie etwas von Jesus und vom Evangelium gehört haben und somit gar keine Chance haben, zu glauben? Sind sie vom ewigen Leben ausgeschlossen nur weil sie das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort geboren zu werden?

Zur Zeit der ersten Christen hat sich diese Frage in besonders dramatischer Weise gestellt, schließlich wusste damals nur ein winziger Bruchteil der Weltbevölkerung etwas von diesem jüdischen Wanderprediger namens Jesus. Und trotzdem bekannten die Apostel unter Einsatz ihres Lebens: In keinem anderen Namen ist das Heil (Apg.4,12)! Auch wenn sich das Evangelium mittlerweile über die ganze Welt ausgebreitet hat: Immer noch gibt es zahlreiche völlig unerreichte Volksgruppen, in denen kein Mensch etwas von Jesus weiß.

Das Problem geht aber noch viel weiter. Auch im (nach-)christlichen Europa gibt es massenhaft Menschen, die im Grunde keine Ahnung vom Evangelium haben, selbst wenn sie offiziell Christen sind. Und außerdem: Was ist denn mit denen, die…
… schon als Kind oder sogar schon im Mutterleib gestorben sind bzw. getötet wurden?
… ein völlig falsches Evangelium gehört haben (z.B. eines mit billiger Gnade oder ein
xxigesetzliches Evangelium der Werkgerechtigkeit)?
… in der Zeit des Alten Testaments und somit vor Jesus gelebt haben?

Fragen über Fragen, die das neutestamentliche Konzept der Rettung durch den Glauben herausfordern. Wie antwortet man als Christ darauf?

Spekulationen

Die Bibel enthält einige Verse, die Anlass zu Spekulationen bieten:

Gab es auch vor dem Tod Jesu schon eine Möglichkeit, gerettet zu werden?
Ja, definitiv! Mose und Elia tauchen quicklebendig im Neuen Testament wieder auf (Matth.17,3). In Hebräer 11 werden zahlreiche Personen beschrieben, die durch ihr Vertrauen auf Gott Rettung fanden. Gibt es also eine Rettung ohne Jesus? Ich glaube nein. Denn diese Rettung geschah schon damals nicht durch das Einhalten von Geboten sondern durch Glauben (Römer 4) sowie durch Schuldbekenntnis und Sündenvergebung (Psalm 32). Im (an sich wirkungslosen) Opferkult wurden die Menschen schon damals bildhaft auf die kommende Vergebung durch das einmalige Opfer Jesu (Hebr.10,10) hingewiesen. Damit bezog sich im Grunde schon der damalige Glaube auf den Tod Jesu am Kreuz.

Spricht Gott auch zu Menschen, die keine Christen sind?
Ja, auch dafür liefert die Bibel Beispiele. Besonders bemerkenswert sind die Sterndeuter, die Jesus in der Krippe fanden und ihn anbeteten. Heute hören wir immer wieder, dass Jesus sich vor allem unter Muslimen im Traum offenbart. Wer weiß schon, wie viele Menschen auf diese Weise das Heil gefunden haben? Aber ein Massenphänomen ist das sicher nicht. Außerdem hat das nichts damit zu tun, dass es an Jesus vorbei Errettung geben könnte.

Gibt es Gerechtigkeit auch durch gute Werke und ein gutes Gewissen?
In Römer 2,15+16 schreibt Paulus, dass Menschen, die Gottes Gesetz nicht kennen, trotzdem durch ihr Gewissen richtiges von falschem Verhalten unterscheiden können und dass dies im letzten Gericht von Jesus bewertet wird. Gibt es für Paulus also die Möglichkeit, durch eine gute Lebensführung und ein reines Gewissen auch ohne Jesus gerechtfertigt zu werden? Wenn man die Paulusbriefe als Ganzes nimmt muss man diese Frage wohl verneinen. Für ihn waren durchweg alle Menschen Sünder (Röm.3,9-20). Das Gewissen trägt genau wie das Gesetz nur dazu bei, sich seiner Sünde bewusst zu werden (Röm.3,20). Retten kann es uns nicht.

Gibt es eine Entscheidungsmöglichkeit nach dem Tod?
Das legen zumindest 2 Verse im 1. Petrusbrief nahe (1.Petr.3,18-20 und 1.Petr.4,6), die man so verstehen kann, dass Jesus auch in der Totenwelt gepredigt hat. In 1. Kor. 15,29 kann man eine Bemerkung von Paulus so verstehen, dass die Korinther sich auch für Tote taufen ließen, so als ob man ihnen dadurch noch nachträglich helfen könnte. Paulus hat gegen diese Praxis nicht protestiert. Jedoch hat sie sich nie im Christentum durchgesetzt. Außerdem gibt es viele Theologen, die sowohl die angeblichen Predigten im Totenreich als auch die angebliche Taufpraxis für Tote bestreiten und die genannten Verse völlig anders deuten.

Insgesamt sind alle diese Verse eindeutig viel zu dünn, um mit ihnen Lehren über alternative Heilsmöglichkeiten begründen zu können. Deshalb sollten wir uns lieber mit den Dingen befassen, die wir eindeutig und klar aus der Bibel wissen können:

Was wir sicher wissen können:

5 biblische Lehren sind in Bezug auf unsere Fragestellung wichtig:

  1. Gott ist der Richter – und wir sind es nicht! Deshalb ist es sein gutes Recht, uns über die oben genannten Spekulationen im Unklaren zu lassen, denn sie sind ja nur für seinen Job wichtig, nicht für unseren. Und deshalb sollen und dürfen wir uns auch nicht zum Richter darüber machen, wer gerettet wird und wer nicht. Wie gut, dass wir das getrost Gott überlassen können.
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  2. Gott IST Liebe! Wir können uns vollkommen sicher sein, dass ER, der sogar seinen Sohn am Kreuz für uns hat sterben lassen, definitiv alles tun und ausschöpfen wird, damit möglichst viele Menschen bei ihm sein werden. Er will ja, dass alle gerettet werden (1.Tim.2,4).
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  3. Gott ist gerecht! Wir können also völlig sicher sein, dass Gott am Ende, wenn alles Verborgene ans Licht kommt, Urteile fällen wird, bei denen auch wir sagen werden: Na klar! Das ist die einzig richtige, vollkommen gerechte Konsequenz.
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  4. Es gibt die Möglichkeit, dass Menschen für immer von Gott getrennt bleiben müssen! Jesus nennt diesen Zustand Hölle. Er hat oft und sehr klar darüber geredet. Deshalb haben auch wir als Jesu Schüler nicht das Recht, diese Gefahr zu ignorieren, zu verschweigen, schönzureden oder wegzutheologisieren.
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  5. Christen haben einen klaren Auftrag: Hingehen! Das Evangelium predigen! Menschen auf der ganzen Welt zu Jüngern machen, damit sie den schmalen Weg in Gottes Reich finden! Darauf sollen wir unsere volle Energie richten! Aus Liebe zu Gott und den Menschen.

Christen sorgen sich also nicht in erster Linie um Themen wie soziale Gerechtigkeit. Die Erweckungsgeschichte hat gezeigt: Solche Probleme können ohnehin wesentlich effizienter und nachhaltiger behoben werden, wenn die Kirche ihren eigentlichen Job macht und Menschen zum Heil und zur Erneuerung in Christus führt. Nur so packen wir das Grundproblem unserer Welt an der Wurzel an: Unsere Rebellion gegen Gott und unsere Verstrickung mit der Sünde. Wie gut, dass zu allen Zeiten Christen in alle Welt gezogen sind, um den Menschen von Jesus zu erzählen. Egal ob in der Weltmission oder vor unserer Haustür: Unser Auftrag ist es, den Menschen das rettende Evangelium zu bringen.

Siehe auch:

  • These 27: Der zentrale Auftrag der Kirche ist, Menschen zu Jüngern zu machen!

Berühmte biblische Stolperstellen – kurz erklärt

Es ist gut, die Bibel mit wachem Verstand zu lesen und Fragen zu stellen, wenn uns etwas nicht einleuchtet. Manche machen sich allerdings fast einen Sport daraus, sich anhand fragwürdiger Textpassagen über die Bibel lustig zu machen. Wie auch immer: Dieser Artikel beleuchtet 4 der bekanntesten biblischen Stolperstellen und zeigt: Man kann von der Bibel halten, was man will. Aber diese Stellen eignen sich definitiv nicht dafür, sie als veralteten Blödsinn abzutun.

Behauptet die Bibel, dass der Hase ein Wiederkäuer ist?

Ja, das tut sie: “Folgende Wiederkäuer … dürft ihr nicht essen: das Kamel, den Hasen…” (5. Mose 14, 7). Was leider zu Wenige wissen: Die Bibel hat damit völlig recht! Hasen verdauen ihre schwer verdauliche zellulosereiche Nahrung nämlich vor allem im Blinddarm. Von dort wird sie in den Dickdarm weitergegeben, ausgeschieden und erneut geschluckt. Erst dann werden die Nährstoffe im Dünndarm aufgenommen. HaseDas biologische Prinzip ist somit genau gleich wie bei Wiederkäuern. Sie zählen heute nur deshalb nicht zu dieser Gattung, weil ihr Magentrakt anders aufgebaut ist und die Nahrung nicht wieder hochgewürgt sondern erneut aufgenommen wird. Na dann: Prost Mahlzeit!

Hat Jesus behauptet, dass er noch zu Lebzeiten seiner Jünger wiederkommt?

So könnte man Matthäus 16, 28 ja durchaus verstehen: „Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie den Menschensohn kommen sehen in seinem Reich.“ Der Vergleich mit den beiden Parallelstellen in Lukas 9, 27 und Markus 9, 1 („Es stehen etliche hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis dass sie sehen das Reich Gottes kommen in Kraft.“) zeigt jedoch: Jesus hat hier nicht über seine sichtbare Wiederkunft gesprochen sondern über Pfingsten und die danach folgende Ausbreitung der Königsherrschaft Jesu durch das rapide und von Wundern begleitete Gemeindewachstum! Auch in Johannes 14, 16-18 bringt Jesus zum Ausdruck: Durch das Jesus SonneKommen des Geistes kam in gewisser Weise auch er selbst. In Bezug auf seine sichtbare Wiederkunft hat Jesus jedoch durchaus auch deutlich gemacht: Das wird lange dauern (z.B. Matth. 25, 5). Auch Petrus hat in Bezug auf Jesu Wiederkunft um Geduld gebeten und dabei betont, dass 1 Tag bei Gott 1000 Jahren entspricht!

Widersprechen sich die 4 Evangelien bei der Auferstehungsgeschichte?

Nein, sie ergänzen sich! Wenn 4 verschiedene Zeugen aus unterschiedlicher Sicht ihre Beobachtungen eines Tathergangs schildern, sind einzelne scheinbar widersprüchliche Aussagen völlig normal. Gerade das belegt die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen! Denn bei 4 völlig identischen Berichten müsste der Kommissar glauben, dass die Zeugen sich abgesprochen haben. Gerade weil die Berichte der 4 Evangelien nicht glattgebügelt identisch sind, sind sie als authentische, eigenständige Berichte desselben Vorgangs besonders glaubwürdig. Echte harte Widersprüche finden sich jedoch nicht. Man kann sie problemlos zu einer gemeinsamen großen Geschichte zusammenfügen (siehe z.B. hier). Übrigens: Auch die beiden SchöpfungsberiGrab Jesuchte in 1. Mose 1 und 2 widersprechen sich nicht! Sie haben unterschiedliche Schwerpunkte, lassen sich aber gut zu einem Gesamtbericht vereinen! Bei dieser Zeugenlage würde ich also sagen: Fall gelöst!

Vertritt die Bibel ein altorientalisches Käseglocken-Weltbild?

Diese Behauptung basiert im wesentlichen darauf, dass das hebräische Wort “raqia” in 1. Mose 1, 6-8 („Und Gott machte die raqia und schied das Wasser, das unterhalb der raqia, von dem Wasser, das oberhalb der raqia war.“) seit der lateinischen Vulgata-Übersetzung aus dem 4. Jahrhundert meist mit “Firmament” oder „Feste“ übersetzt und als Beschreibung eines festen Himmelsgewölbes gedeutet wurde. Eine genaue Wortanalyse zeigt jedoch, dass “raqia” wohl keine feste Struktur sondern viel eher eine „dünne Ausdehnung“ meint (hier gut erklärt ab S. 87, siehe auch hier). Entsprechend übersetzte Schlachter dieses Wort mit „Ausdehnung“, die „Neues-Leben-Bibel mit „Raum“. Das Wort “raqia” kann also sehr gut auch als Beschreibung der dünn ausgedehnten Atmosphäre über der Erdoberfläche gedeutet werden, die eine Trennung des Wassers über (=Wolken) uKäseglockenweltbildnd unter (=Gewässer) dem irdischen Lebens- und Luftraum ermöglicht. Übrigens: In Hiob 26, 7 lesen wir: „Er hängt die Erde auf über dem Nichts.“ Hat der Autor etwa die Erde im leeren Weltraum schweben sehen? Das könnte man zumindest genauso in diesen Text hineininterpretieren wie ein altorientalisches Käseglockenweltbild in 1. Mose 1, 6-8.

Haben Sie noch Fragen dazu? Über welche Bibelstellen sind Sie noch gestolpert? Fragen Sie gerne und melden Sie sich!

Siehe auch:

Biblische Stolperstellen: Krieg im Namen Gottes?

Der Gott der Bibel ist ein Gott der Liebe. Nicht nur das: Gott IST Liebe in Person, sagt Johannes. Der Tod Jesu am Kreuz ist der ultimative Beweis dafür, denn “die größte Liebe beweist der, der sein Leben für die Freunde hingibt” (Joh. 15, 13). Trotzdem ist unübersehbar, dass die Bibel vor allem im Alten Testament auch ein kriegerisches Buch ist. Was für unsere Ohren besonders fremdartig klingt: Es ist immer wieder Gott selbst, der Kriege anordnet und aktiv unterstützt. Wer kennt nicht die Geschichten von Josuas Eroberung Jerichos oder von Davids Eroberung Jerusalems? In der Kinderkirche haben wir sie oft erzählt. Dabei haben wir großzügig übergangen, dass diese Eroberungen oft einhergingen mit der vollständigen Vernichtung der Bevölkerung dieser Städte. Das wirkt auf uns zurecht schockierend und verstörend. Und es stellt sich die große Frage: Wie passen solche von Gott verordnete Blutbäder zur Liebe Gottes und zu Jesu Rede von der Feindesliebe? Enthält die Bibel etwa widersprüchliche Gottesbilder?

Zunächst einmal müssen wir feststellen: Jesus, Paulus und Petrus haben sich 100%ig zur Gültigkeit des Alten Testaments bekannt und ihr Gottesbild daraus bezogen. Altes und Neues Testament sind eine unauflösliche Einheit. Wer sperrige Texte des Alten Testaments mit veralteten Gottesbildern wegerklärt oder gar das AT für nicht mehr gültig hält nimmt auch das Neue Testament nicht ernst und macht es sich viel zu einfach.

Aber wie ist dieser Widerspruch dann zu verstehen? Monatelang hat mich diese Frage intensiv beschäftigt. Nur langsam hat sich in mir ein Bild wie ein Puzzle schrittweise zusammengesetzt. Fangen wir an mit dem 1. Puzzleteil:

1. Krieg wird im Neuen Testament ausschließlich geistlich gedeutet

Für Jesus und Paulus ist Gewalt definitiv keine Option, auch wenn ihre Sprache manchmal durchaus militärisch klingt. Aber Jesus hat uns befohlen, das Böse mit Gutem zu überwinden und sogar unsere Feinde zu lieben. Und Paulus hat klar gemacht: Die Waffen und die Rüstung der Christen sind geistlicher Natur, nicht aus Metall. Sie sind nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut gerichtet sondern gegen unsichtbare Mächte sowie gegen Festungen aus Gedanken.

Die Kriegsgeschichten des Alten Testaments sind für Christen äußerst lehrreich, wenn sie auf diesen geistlichen Kampf übertragen werden. Aber für physische oder psychische Gewalt gegen Menschen bietet die Bibel für Christen und die Kirche nicht den Hauch eines Rechtfertigungsansatzes. Das Drama der Kreuzzüge war nur möglich, weil die Kirche sich von Gottes Wort entfernt hat und weil sie in unbiblischer Weise staatliche und kirchliche Macht miteinander verbunden hat. Damit hat sie sich selbst in eine Zwickmühle gebracht, denn für die Kirche ist Gewalt keine Option, aber…

2. Staatliche Gewalt ist und bleibt notwendig

In Römer 13, 1-7 macht Paulus klar: Gott selbst setzt staatliche Autoritäten ein, um die Ordnung in der menschlichen Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Dass gerade Paulus die Notwendigkeit der staatlichen Gewalt so betont ist erstaunlich. Schließlich wurden die Christen damals vom Staat massiv verfolgt und die Juden wurden von den Römern in übler Weise unterdrückt. Umso klarer ist, dass es hier um ein grundsätzliches Prinzip geht, das man vielleicht so zusammenfassen kann: Der Mensch ist im Kern böse. Das Böse muss eingedämmt werden, notfalls mit Gewalt. Dazu braucht es einen funktionierenden Staat mit Polizei und auch mit Militär für den Fall, dass destruktive Mächte in anderen Staaten ans Ruder kommen. Sonst würde ein Chaos ausbrechen, das für Paulus offenbar noch schlimmer wäre als das, was er erlebt hat.

Gerade wir Deutschen sollten wissen, wovon die Bibel spricht. Schließlich konnte das Böse, das von unserem Land in die Welt hinausgetragen wurde, nur mit militärischen Mitteln gestoppt werden. Eine Beschwichtigungspolitik („Appeasement“) hätte nicht geholfen und sie wird auch gegen IS, Boko Haram und andere Chaosmächte nicht helfen. Zwar ist Gewalt oft auch keine Lösung. Falsch eingesetzt macht sie alles schlimmer statt besser. Aber es bleibt dabei: Der Gott der Bibel ist kein Pazifist, weder im Alten noch im Neuen Testament. Das Buch Offenbarung sagt voraus, dass das Böse der Welt nicht freiwillig umdenken wird. Gott wird es eines Tages im Kampf besiegen.

3. Die Welt des Alten Testaments war extrem kriegerisch

Fast permanent war Israel durch aggressive Nachbarvölker existenziell bedroht. Immer wieder wurde es überfallen, unterdrückt, ausgebeutet oder gar deportiert und scheinbar ausgelöscht. Kriege waren für den israelischen Staat deshalb schlicht unausweichlich, wenn er leben und überleben wollte. Allerdings fällt in der Bibel auf:

4. Die Kriege Israels waren anders!

Oft wird behauptet, die Kriege Israels im Alten Testament seien keinen Deut besser als islamische und andere Eroberungsfeldzüge. Doch das ist schlicht falsch. Die Kriege Israels unterscheiden sich grundlegend davon:

  • Kein Krieg zur Ausbreitung der Religion: Niemals lesen wir in der Bibel, dass andere Völker erobert werden sollten, um ihnen die jüdische Religion aufzuzwingen. Bis heute ist dem Judentum eine solche Gesinnung, wie sie weltweit z.B. im Islam häufig anzutreffen ist, vollkommen fremd.
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  • Kein imperialistischer Krieg: Die großen Welteroberer wie z.B. Alexander der Große, Caesar, Dschingis Khan, die Osmanen bis hin zu Napoleon, Hitler oder Mao werden z.T. immer noch als Helden verehrt, obwohl sie unfassbares Leid über die Welt gebracht haben. Gott hingegen wies Israel ein klar umrissenes Gebiet als Lebensraum zu. Nirgends lesen wir in der Bibel von der Idee, sich darüber hinaus Nachbarländer einzuverleiben oder gar ein Weltreich anzustreben, auch nicht als es z.B. unter Salomo durchaus die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Israel hatte zwar selbst unter dem Eroberungsdrang seiner Nachbarländer massiv zu leiden, aber der in der Weltgeschichte allgegenwärtige Imperialismus war ihnen fremd.
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  • Kein eigenmächtiger Krieg: Die Bibel macht durchgängig deutlich, dass Israel ausschließlich dann Krieg führen durfte, wenn es von Gott selbst angeordnet war und wenn Gott selbst mitkämpfte. In vielen der Kriegsgeschichten spielen Wunder eine große, wenn nicht die entscheidende Rolle (man denke nur an die übernatürlich einstürzenden Mauern Jerichos). Die Bibel unternimmt immer wieder alles, um deutlich zu machen, dass Gottes Wegweisung und Segen absolut entscheidend war im Krieg (besonders plastisch bei Israels Kampf gegen Amalekiter, der nur solange erfolgreich lief, wie Mose seine Arme betend erhoben hatte). Auch Gideon musste lernen, dass es im Kampf nicht auf die Truppengröße ankommt sondern auf Gottes Segen. Die großen biblischen Kämpfer wie David oder sein Freund Jonathan hatten dieses Prinzip tief verinnerlicht. Umgekehrt endeten alle Versuche Israels, ohne Gottes klare Anweisung auf eigene Faust loszukämpfen, immer katastrophal, weil Gott in diesem Fall zu Israels Gegner wurde.

Einen Freibrief für eigenmächtige Kriegsführung hatte Gott also nie gegeben. Kriege waren nur möglich, wenn Gott selbst war der Handelnde war, denn…

5. Die Kriege des Alten Testaments waren Teil des Gerichtshandeln Gottes

Im Alten Testament kam es manchmal vor, dass Gott in seinem Gerichtshandeln teils große Mengen von Menschen kollektiv bestraft oder sogar ausgelöscht hat. Das größte Beispiel dafür ist die Sintflut. Gleiches gilt aber auch für Sodom und Gomorra. In den Prophetenbüchern wird häufig der Untergang von Kulturen und Gesellschaften angekündigt und als Gerichtshandeln Gottes gedeutet (Jer. 46-51). Die Androhung derartiger Gerichte und Kollektivstrafen galt genauso auch Israel (5. Mose 28, 15 ff.).

Die Auslöschung von Städten oder Volksstämmen im Zuge der israelischen Landnahmekriege reiht sich also ein in dieses im Alten Testament immer wieder vorkommende Gerichtshandeln Gottes über Völkern und Nationen. Letztlich geht es deshalb gar nicht um die Frage: Warum hat Gott Kriege befohlen? Die Frage ist vielmehr: Warum ließ Gott, der gerechte Richter, im Alten Testament manchmal Kollektivstrafen zu, in denen auch Unschuldige mit umkamen, obwohl schon im Alten und erst recht im Neuen Testament das Prinzip der individuellen Strafe für individuelle Schuld betont wird?

Ich glaube, dass wir diese Frage nicht komplett beantworten können. Letztlich müssen wir das Gott überlassen in dem Wissen und Vertrauen, dass er sich auch schon im Alten Testament an vielen Stellen als liebevoller, gnädiger, barmherziger und unendlich geduldiger Gott offenbart. Aber was uns der Antwort vielleicht ein wenig näher bringen könnte ist ein…

6. Perspektivwechsel: Wie sieht die Welt aus Gottes Perspektive aus?

Ich liebe ja die Krimiserie Tatort. Aber je expliziter die Vergewaltigungen, Morde und sonstigen Verbrechen dargestellt werden, je mehr kann das Anschauen schnell auch zur Qual werden. Das Gute ist: Ich kann meine Augen zumachen. Oder vorspulen, wenn ich den Krimi auf Band habe.

Gott kann das nicht. Er muss sich den ganzen Dreck ungefiltert anschauen, den wir Menschen produzieren. Er sieht live und hautnah, wie Boko Haram Dörfer überfällt, Eltern vor den Augen der Kinder niedermetzelt, Mädchen entführt, reihenweise vergewaltigt und schwängert und kleine Jungs durch Gehirnwäsche in Tötungsmaschinen verwandelt. Er spürt die Schmerzen der Menschen in allen Teilen der Welt, wenn sie beraubt, unterdrückt, verlassen, betrogen, geschlagen, verleumdet, übergangen, gemobbt, vernachlässigt, manipuliert und ausgebeutet werden. Und wenn Gott wirklich Liebe ist, dann können wir sicher sein: Er leidet massiv darunter! Ist es da ein Wunder, dass Gott in der Bibel immer wieder äußerst zornig wird?

Und Gott weiß: Eine Welt ohne Gott, in der nur noch Menschen und dunkle Mächte das Sagen haben, kann buchstäblich zur Hölle werden. Die Berichte aus der Nazizeit oder aus den Ländern, in denen der IS das Ruder übernommen hat, führen uns das in verstörender Art und Weise vor Augen. Im Alten Testament war Israel das einzige Volk, das mit Gott in Verbindung stand. Alle anderen Völker waren Gott los, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir wissen nicht viel darüber, wie es in diesen Gesellschaften zugegangen ist. Aber wenn ich lese, wie z.B. in Sodom offenbar ALLE Männer Spaß daran hatten, wahllos unschuldige Männer zu vergewaltigen, zeigt mir das: Auch damals gab es offensichtlich Gesellschaften mit wahrhaft höllischen Zügen. Vor der Sintflut hat es offenbar genau so ausgesehen: “Die Menschen waren böse und gewalttätig, … die Erde … war voller Verbrechen” sagt die Bibel (1. Mose 6,11-12). Könnte es in Jericho vielleicht ebenso gewesen sein? Oder in Jerusalem zur Zeit der Jebusiter?

Gott hatte Israel geboten, den Bewohnern einer Stadt zunächst ein Friedensangebot zu machen, bevor es zum Krieg kommt. Im Kriegsfall sollten ausschließlich die Männer getötet werden. Das Gebot, die gesamte Bevölkerung auszulöschen, galt speziell nur 6 Volksstämmen, die vor der Landnahme das verheißene Land bewohnten. Bei ihnen wollte Gott nicht, dass sie den Israeliten ihre “verabscheuungswürdigen religiösen Bräuche lehren” (5. Mose 20, 16-18). Diese Bräuche beinhalteten unter anderem auch Kinderopfer. So etwas grauenhaftes habe ich nicht einmal aus den menschenverachtenden IS-Hochburgen gehört. Das legt nahe, dass diese Kulturen vielleicht tatsächlich keinesfalls besser waren als das, was uns heute beim IS und bei anderen grauenvollen Terrorstaaten so schockiert.

Wer heute sieht, wie erfolgreich die IS-Religionspropaganda sogar im Westen reihenweise junge Menschen zu grauenvollen Taten verführt, kann sich durchaus vorstellen, dass auch der damalige Götzendienst dieser Völker verführerische Ausstrahlung auf die Israeliten hatte. Und Gott wusste: Wenn auch noch Israel Gott verlässt, dann macht das letzte Volk der Erde das Licht der Wahrheit aus. Dann ist die dunkle Hölle der Gottesferne auf Erden nicht mehr aufzuhalten.

Bei schwer leidenden, gequälten Menschen sagen wir oft: Sein Tod war eine Erlösung. Könnte das vielleicht auch für bestimmte durch und durch verdorbene Gesellschaften des Alten Testaments gegolten haben, in denen die Menschen sich nur noch gegenseitig gequält haben und die – genau wie der IS heute – ihr teuflisches Gift durch Krieg und Verführung auch noch in die Welt hinaus verbreitet haben? Natürlich dürften wir Menschen uns solch ein Urteil niemals und auf gar keinen Fall anmaßen! Das kann einzig und allein Gott. Aber wer sind wir Menschen, dass wir meinen, wir wüssten besser als Gott, ob damals vielleicht wirklich manchmal ein Ende mit Schrecken insgesamt weniger leidvoll war als ein Schrecken ohne Ende?

Die große Frage ist deshalb am Ende: Können wir Gott vertrauen, dass er die größere Perspektive hat als wir? Dass er, der die Liebe in Person ist, mehr als wir davon versteht, wie das Böse in die Schranken gewiesen muss und auf welchem Weg mehr Menschen vor Leid und Tod bewahrt werden können? Könnte es sein, dass er am Ende noch viel gnädiger und geduldiger ist als wir es wären, wenn wir uns an seiner Stelle all die unvorstellbaren Grausamkeiten hätten mit ansehen müssen? Schließlich hätte er sogar all die Gewalt und das Leid im durch und durch verdorbenen Sodom und Gomorra weiter ertragen, wenn es unter den Tausenden Bewohnern auch nur 10 Gerechte gegeben hätte!

Jedenfalls lehrt uns die Gesamtheit der Bibel: Gott liebte jeden einzelnen Menschen, der in diesen Kriegen umkam. Er litt und leidet mit unter den furchtbaren Folgen, die Gottlosigkeit anrichtet. Und so spürt man auch förmlich das Aufatmen Gottes, als die Landnahmekriege vorbei waren und wir in Josua 11, 23 schließlich lesen: “Und so hatte das Land endlich Ruhe vom Krieg.” Und schon im Alten Testament versprach Gott: Wenn eines Tages sein zukünftiges Reich anbricht… “dann werden sie ihre Schwerter in Pflugscharen umschmieden und ihre Speere in Winzermesser. Kein Volk wird mehr ein anderes Volk angreifen, und keiner wird mehr lernen, wie man Krieg führt” (Micha 4, 3). DAS ist Gottes Ziel für unsere Welt!

Hier noch einmal das ganze Bild kurz zusammengefasst:

  • Christen werden von der Bibel zu absoluter Gewaltfreiheit angehalten.
  • Die Notwendigkeit staatlicher Gewalt zur Eindämmung des Bösen wird von der Bibel aber klar bestätigt.
  • Kriege waren für den Staat Israel im damaligen kriegerischen Umfeld unausweichlich, um leben und überleben zu können.
  • Die alttestamentlichen Kriege Israels unterscheiden sich aber grundlegend von anderen Religions- und Expansionskriegen: Sie konnten nur auf Gottes Weisung und mit seiner übernatürlichen Bestätigung geführt werden. Sie waren nur für Israels (Über-)Leben im zugewiesenen Territorium erlaubt. Für selbstherrliche Feldherren mit Welteroberungsphantasien gab es keinen Platz.
  • Kriege waren ein Teil von Gottes Gerichtshandeln, das im Alten Testament (z.B. bei der Sintflut) manchmal auch ganze Kollektive, Stämme, Völker und Nationen betraf.
  • Wir dürfen und sollten dem gerechten und liebevollen Gott vertrauen, dass er besser weiß als wir, wie das Böse in der Welt begrenzt werden kann und muss, um Leid zu minimieren.
  • Sicher ist: Gott hat jeden dieser im Krieg getöteten Menschen geliebt und leidet mit unter dem Grauen, das Gottlosigkeit und das Böse unter uns Menschen anrichtet.
  • Gottes Ziel ist eine Welt ohne Krieg! Das hat er uns fest versprochen.

Siehe auch:

Vielen Dank an Prof. Thomas Hieke (Alttestamentler der Universität Mainz) für die Anregungen und konstruktiv kritischen Anmerkungen zum Entwurf dieses Artikels.

Biblische Stolperstellen: Ist der Gott des AT grausam?

Wer Vater oder Mutter verflucht, soll mit dem Tod bestraft werden. Puh. Die Lektüre der 5 Bücher Mose ist stellenweise äußerst harte Kost. Für uns aufgeklärte Mitteleuropäer ist die Todesstrafe ja ohnehin eine Zumutung. Aber die Aufzählung der Vergehen, die in den 5 Mosebüchern anscheinend mit dem Tod bestraft werden sollen, wirkt verstörend: Mord und Totschlag, Anbetung fremder Götter, Inzest, Ehebruch, ja sogar das Holzaufsammeln am Sabbat, Geschlechtsverkehr mit einer menstruierenden Frau oder fehlender Respekt vor den Eltern: Alles das soll todeswürdig sein? Das klingt für uns fast noch finsterer als im finsteren Mittelalter. Ist der Gott des Alten Testaments denn so grausam? Ist das vielleicht gar nicht der gleiche Gott wie im Neuen Testament?

Unwillkürlich drängen sich Fragen auf:

  • Warum wird in den 10 Geboten dann ausdrücklich gesagt: Du sollst nicht töten?
  • Warum wurden dann Mörder oder Ehebrecher wie Kain, Mose oder David nicht hingerichtet oder von Gott bestraft?
  • Warum schildert dann das Alte Testament praktisch keine Gerichtsprozesse, in denen Menschen von einem Richter zum Tod verurteilt werden?
  • Warum hat sich dann der Jude Jesus, der sich doch voll und ganz hinter die Schriften des Mose gestellt hat, dazwischen geworfen, als die Ehebrecherin gesteinigt werden sollte?
  • Warum wurde und wird dann unter orthodoxen Juden – anders als in vielen islamischen Staaten, die der Scharia folgen – die Todesstrafe kaum praktiziert und weithin abgelehnt?
  • Wie passt das zusammen mit vielen Stellen der Bibel, in denen (auch schon im Alten Testament) das Bild vom liebevollen, geduldigen, barmherzigen und gnädigen Gott gezeichnet wird?

Wir könnten es uns leicht machen und sagen: Die Bibelstellen zur Todesstrafe sind halt zeitbedingte Zeugnisse der damaligen rauen Kultur und haben mit Gott nichts zu tun. Aber so einfach ist es nicht. Denn Jesus hat höchstpersönlich die eingangs zitierte Todesdrohung ausdrücklich als Gotteswort bestätigt (Matth. 15, 4)! Auch wenn wir die Bibel von Jesus her auslegen kommen wir also an diesen Versen nicht so einfach vorbei.

Aber wie geht man dann damit um?

Bei meiner Suche nach Antworten hat mir ein Text des Theologen Prof. Thomas Hieke („Das Alte Testament und die Todesstrafe“) sehr geholfen. Er hat den Urtext einer genauen Analyse unterzogen. Daraus schließt er, dass die bei diesen Todesdrohungen am häufigsten verwendete Formel so übersetzt werden kann: “Wer Vater oder Mutter flucht, der wird gewiss getötet werden. Die Frage ist: Ist das wirklich eine Aufforderung, Beschuldigte vor einen Richter und letztlich zum Henker zu zerren? Es gibt viele Hinweise, dass genau das nie gemeint war:

  • Todesurteile durften nur bei Bestätigung von 2-3 unabhängigen Zeugen ausgesprochen werden (5. Mose 19, 15). Das ist bei all den Gesinnungs- oder Sexualdelikten, die naturgemäß im Verborgenen stattfinden, kaum praktikabel. Wie sollte das z.B. gehen bei einer Vergewaltigung, bei der der Hilferuf der Frau von niemand gehört wurde (5. Mose 22, 25-27)?
  • Praktisch alle Tatbestände, die in den Mosebüchern mit einer Todessanktion belegt werden, tauchen an anderer Stelle noch einmal auf – dort aber ohne Todessanktion! So wird z.B. Ehebruch in Sprüche 6, 32-33 stark geächtet, es ist von Schlägen und Schande die Rede, nicht aber von der Todesstrafe.
  • Noch gravierender ist für Thomas Hieke: „Für keinen der Tatbestände, die mit einer Todessanktion belegt sind, gibt es einen Fall in der (biblischen) erzählenden Literatur, wo ein diesbezüglicher Todesrechtsprozess und eine Hinrichtung berichtet werden.” (S. 369) Im Gegenteil: Bei Mördern wie Kain, Mose oder David, der dazu noch ein Ehebrecher war, liest man nichts von der Todesstrafe. Wenn es in Israel über Jahrhunderte eine Todesstrafjustiz gegeben hätte wäre es kaum erklärbar, warum das in den biblischen Büchern so gut wie nirgends auftaucht.

Dass die Todessanktionen in den Mosebüchern schon damals nicht als „Todesstraf-prozessordnung“ verstanden wurden bestätigt der orthodoxe Jude Arie Folger: „Diese Einschränkungen und manche weitere zeigen, dass nach unserer Tradition Todesurteile eher Theorie als Praxis sein sollten. Nach dem Talmud kamen sie kaum vor.“

Aber warum stehen diese Todessanktionen dann in den Mosebüchern? Um das zu verstehen muss man 2 grundlegende Prinzipien kennen, die sich quer durch das Alte und Neue Testament ziehen:

  1. Sünde (also ein Verstoß gegen Gottes Gebote) hat letztlich immer tödliche Konsequenzen! „Der Lohn der Sünde ist der Tod“ (Römer 6, 23) – zwar normalerweise nicht unmittelbar, aber jedenfalls in Bezug auf das ewige Leben. Das zeigt sich schon in der Paradiesgeschichte: Obwohl Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis essen tritt die angekündigte Todesstrafe nicht ein, im Gegenteil: Gott kümmert sich sogar noch fürsorglich um ihre Kleider! Erst viel später sterben Adam und Eva tatsächlich.
  2. Ohne besondere Vorkehrungen ist die Begegnung sündiger Menschen mit Gottes Heiligkeit immer absolut tödlich – so wie es absolut tödlich wäre, wenn Menschen mit einem Raumschiff auf der Sonne landen wollten. Deutlich wird das z.B. beim Tod Usas, der versehentlich die Bundeslade berührt und dabei stirbt, obwohl er es in guter Absicht getan hatte (2. Samuel 6, 6-7).

Beide Prinzipien prägen die Mosebücher ganz besonders. Denn diese Zeit war nun einmal bestimmt von der Sondersituation einer ganz außergewöhnlichen Gottespräsenz, die sich sogar sichtbar (Wolken- und Feuersäule!) und hörbar (Gottes Stimme!) äußerte. Viele der Gebote waren deshalb letztlich Sicherheitsvorschriften, die die Priester und das Volk Israel vor der lebensgefährlichen Gegenwart des heiligen Gottes schützen sollten.

Auch in der jungen christlichen Gemeinde gab es eine solche Sondersituation mit einer sichtbaren (Feuerflammen!) und spürbaren (Erdbeben!) Gottespräsenz. Hananias und Saphira mussten erleben, welch tödliche Folgen das haben kann. Aber aus keiner dieser Ausnahmesituationen darf man ableiten, dass Christen für die Todesstrafe sein müssten. Thomas Hieke stellt im Gegenteil klar: „Daher ist auch aus dem Alten Testament die Todesstrafe nicht zu begründen.“

Der eigentliche Charakter der Todesankündigungen in den Mosebüchern wird in 5. Mose 27, 15-26 deutlich: Zahlreiche Tatbestände, die andernorts mit der Todessanktion verknüpft sind, werden hier “nur” mit einer Fluchformel belegt. Die Ausführung des Fluchs ist natürlich Gottes Sache und nicht die Angelegenheit menschlicher Justiz. Daraus kann man rückschließen: Wenn Mose schreibt, dass Menschen, die gegen ein bestimmtes Gebot verstoßen, „gewiss getötet werden“, dann meint das zunächst einmal: Diese Tat ist Sünde, die letztlich (wie bei Adam und Eva) den Fluch des Todes nach sich zieht! Das Ziel dieser Aussagen war nicht, dass diese Menschen gleich umgebracht werden sollen. Vielmehr ging es um eine intensive Warnung vor den katastrophalen, letztlich tödlichen Konsequenzen der Sünde. Und Warnung ist immer ein Ausdruck von Liebe – nicht von Grausamkeit.

Werden diese Bibelstellen dadurch weniger schmerzhaft? Nein. Da der Tod in der Bibel der große Feind Gottes ist können wir sicher sein, dass Gott genauso darunter leidet. Und doch ist es wichtig, diese Texte nicht zu verdrängen und nicht zu glätten, weil sie ein Schlüssel zu Gottes Gnade sind. Paulus schrieb in Römer 5, 20-21, dass uns das Gesetz (also die 5 Bücher Mose) gegeben wurde, damit uns das Ausmaß und die tödlichen Konsequenzen der Sünde vor Augen geführt wird. Das ist wichtig für uns! Denn wer selbstgerecht die Konsequenzen der Sünde verdrängt oder verharmlost macht Gottes Gnade billig und kraftlos. Dann wird die Leidenschaft der Christen lau – ein weit verbreitetes Problem unserer heutigen Kirche. Das zeigt mir wieder einmal, wie schädlich es ist, unbequeme Verse nach dem Bibel-Bastel-Bogen-Prinzip willkürlich aus Gottes Wort herauszuschneiden.

Wenn uns hingegen schmerzhaft bewusst wird, dass wir zu Recht verurteilt und verloren sind werden wir leidenschaftlich dankbar für Gottes Gnade. Die 5 Bücher Mose helfen uns dabei, indem sie uns ungeschminkt vor Augen führen, welche schlimmen Konsequenzen Sünde hat und wie sehr wir auf Gnade angewiesen sind. Und genau diese Gnade brauchen wir, um dabei sein zu können, wenn eines Tages der heilige Gott ohne jede Grenze und Schranke mitten unter den Menschen wohnt. Diese Gnade ist der Schlüssel zum Leben in Gottes Gegenwart – jetzt und hier und in der Ewigkeit!

Vielen Dank an Prof. Thomas Hieke (Alttestamentler an der Universität Mainz) für die fachliche Beratung zu diesem Artikel!

Siehe auch:

Stolperstelle wird Fundgrube: Gott bereitet Mose vor, Geschichte zu schreiben

Und hier kommt wie angekündigt die Geschichte, die sich nach meinem Eindruck hinter 2. Mose 4, 24-26 (siehe voriger Blogeintrag) verbirgt:

Mose war müde. Die Reise nach Ägypten mit der ganzen Familie war mühsam. Seine Frau Zippora hatte er ohnehin nur äußerst schwer davon überzeugen können. Als Midianiterin stand sie seinem Glauben nun einmal immer noch skeptisch gegenüber. Entkräftet ließ er sich auf seine Matte fallen. Doch urplötzlich war er wieder hellwach. Da war sie wieder – diese Stimme, die er zum ersten Mal am brennenden Dornbusch gehört hatte: „Mose“, sagte Gott „Du weißt, dass Du noch etwas tun musst, bevor Du in Ägypten ankommst.“ Gottes Stimme klang anders als sonst. Ernst. Todernst.

„Ich weiß, Herr. Meine Söhne sind noch nicht beschnitten. Du hast mich so oft daran erinnert.“ Oft hatte er auf seine Frau eingeredet, ihr davon erzählt, wie Gott Abraham die Beschneidung der Söhne befohlen hatte. Aber Zippora hielt das für einen blutrünstigen Aberglauben. Unter gar keinen Umständen war sie bereit, die Vorhaut ihrer Söhne zu beschneiden. Eher würde sie davonlaufen und die Söhne mit sich nehmen.

„Aber was soll ich tun, Herr? Zippora weigert sich!“ „Mose, DU bist verantwortlich für Deine Familie. Du weißt, wie viel Nachsicht ich sonst mit Dir gehabt habe. Aber an diesem Punkt kann ich einfach keine Kompromisse eingehen.“ Mose wusste, wovon Gott redete. Wie ein Aal hatte er sich gewunden, als Gott ihn aufforderte, nach Ägypten zu gehen. Und tatsächlich hatte Gott sich nicht nur einige „Zaubertricks“ sondern auch das Zugeständnis abringen lassen, dass Aaron ihn begleiten und sein Sprecher sein sollte. „Vertrau mir, Deine Frau läuft Dir nicht davon,“ versuchte Gott ihn auch dieses Mal wieder zu gewinnen. Aber Mose blieb hartnäckig: „Zippora ist sowieso schon total frustriert, weil sie ihr Zuhause verlassen musste. Die Beschneidung kann ich ihr jetzt nicht auch noch zumuten.“

Aber schon während er die Worte sprach spürte er, dass Gott dieses Mal nicht so nachgiebig war wie damals am Dornbusch. Das Atmen fiel ihm schwerer, in seiner Brust wurde es enger. Gott machte ernst: „Mose, Du weißt, Du bist mein Freund. So oft habe ich Dich beschützt und Dein Leben gerettet. Selbst als Du den Ägypter umgebracht hast habe ich Dich nicht verlassen. Ich kann Dir das jetzt nicht erklären, aber Du musst mir vertrauen! Es geht hier um so viel mehr. Wenn Deine Söhne nicht beschnitten werden steht das Überleben von ganz Israel auf dem Spiel!“ Die Schmerzen in Moses Brust wurden schlimmer, die Atemnot beängstigender. Es tat Gott weh, seinen Freund so anzugehen. Aber er wusste: Ohne dieses sichtbare Zeichen der Beschneidung wäre es völlig unmöglich, dass Israel über Jahrtausende hinweg seine Identität als Gottesvolk bewahrt. Wenn Mose die Beschneidung nicht einmal in seiner eigenen Familie durchsetzen konnte wäre er niemals in der Lage, Gottes großen Plan umzusetzen. Jetzt stand alles auf der Kippe. Es ging um Leben oder Tod für die vielen gequälten Israeliten, die Gott so liebte, die er aus der brutalen Sklaverei erlösen und in eine Zukunft als gesegnetes Gottesvolk führen wollte. Gott musste Mose spüren lassen, wie todernst die Sache war.

Mose schrie sich den Schmerz aus dem Leib. Längst hatte Zippora Moses Stöhnen und seine Gebete gehört. Zweifel überkamen sie. Was ist, wenn es doch mehr ist als nur Einbildung? Wenn Mose wirklich mit Gott kämpft? Wieder überkam sie die Wut. ‘Was ist das für ein Gott, der will, dass ich meine Kinder mit einem Messer traktiere?’ dachte sie sich. ‘Aber wenn Mose stirbt, bin ich völlig verloren. Dann werde ich es eben tun.’ Sie nahm das Messer und ging genau so vor, wie Mose es ihr erklärt hatte. Die Prozedur war schmerzhaft, die Kinder weinten. Das ließ Zipporas Wut nur noch größer werden. Was für einen Mann habe ich da nur geheiratet? Dann ging sie zu Mose. „Hier, blutrünstiger Bräutigam!“ schrie sie und warf das abgetrennte Stück Haut auf seinen Körper. Doch was dann geschah überraschte sie. Mose kam plötzlich zur Ruhe. Die Schmerzen verließen ihn. Er atmete durch. Dann sah er sie an und wollte sie in den Arm nehmen. Doch Zippora wollte nicht umarmt werden. Sie war hin- und hergerissen. Sie spürte, dass sie soeben etwas Göttliches erlebt hatte. Sie spürte, dass ihr Mann offenbar wirklich einen wichtigen Auftrag hatte, dem sie nicht im Wege stehen durfte. In dieser Nacht entschieden Mose und Zippora, dass es wohl besser ist, wenn sie ihren Mann nicht auf diese herausfordernde Mission begleitet.

Noch oft sprach Mose mit Gott über diese Nacht. Lange Zeit konnte er Gott nicht verstehen. Bis er anfing, zu begreifen, dass Gottes Plan viel, viel größer war, als Israel aus Ägypten zu befreien. Es ging darum, ein ganzes Volk in einen ewigen Bund mit Gott zu führen. Die Beschneidung war wie ein Ehering – ein Zeichen der ewigen Bündnistreue Gottes. Erst viel später erlebte er, wie leicht und wie schnell die Israeliten ihren Gott vergaßen. Da erst dämmerte ihm wie unverzichtbar dieses sichtbare Bündniszeichen war. Aber in dieser Nacht hätte Gott ihm das noch nicht erklären können.

Mose nahm sich vor, Gott in Zukunft mehr zu vertrauen, auch wenn er ihn nicht verstand. Gott hat einfach den größeren Überblick. Wenn er mit Nachdruck etwas Unangenehmes fordert, dann nicht aus Lieblosigkeit sondern weil er weiß, dass es keinen anderen Weg gibt, um Menschen zu helfen und zu retten. Manchmal muss Gott etwas schmerzhaftes tun, um weit größere Schmerzen zu verhindern.

Leider gelang Mose das Vertrauen trotzdem nicht immer. Er blieb ein Mensch mit Schwächen und Fehlern, genau wie seine Vorväter Abraham, Isaak und Jakob. Und trotzdem schrieb Gott mit ihm Geschichte. In dieser denkwürdigen Nacht hatte Gott eine entscheidende Grundlage dafür gelegt und den Weg frei gemacht für seinen Bund mit Israel, der auch über 3000 Jahre später nicht vergessen ist und immer noch im Zentrum der Weltgeschichte steht…

P.S.: Erstaunlich finde ich in diesem Zusammenhang, dass die biblische Form der männlichen Beschneidung – ganz im Gegensatz zu der in anderen Religionen praktizierten Beschneidung von Frauen – im allgemeinen in keiner Weise schädlich ist. Es gibt sogar eine Reihe von Medizinern, die in der männlichen Beschneidung viele gesundheitliche Vorteile sehen (siehe auch Urologenportal oder Men’s health). Woher wussten die Hebräer das wohl?

Biblische Stolperstellen: Als Gott Mose umbringen wollte

Immer mal wieder stolpere ich beim Bibellesen. Diesen Montag zum Beispiel. Da las ich die Geschichte, wie Mose beim Pharao aufwächst, einen Ägypter erschlägt, nach Midian flieht, heiratet und am brennenden Dornbusch von Gott berufen wird, wieder nach Ägypten zu gehen. Auf dem Weg dorthin widerfährt ihm folgendes:

„Unterwegs in der Herberge fiel der Herr über Mose her und wollte ihn töten. Da nahm Zippora einen scharfen Stein und beschnitt ihren Sohn. Sie berührte mit der Vorhaut Moses Beine und sagte: »Du bist mein Blutbräutigam.« Zippora sagte »Blutbräutigam« wegen der Beschneidung ihres Sohnes. Da ließ der Herr von ihm ab.“ (2. Mose 4, 24-26)

Wie bitte? Gott wollte Mose umbringen? Und seine Frau musste Gott davon abbringen, indem sie die abgeschnittene Vorhaut ihres Kindes präsentiert? Meine Güte. Ist DAS mein Gott, der sich mir so oft in der Bibel als liebevoller Vater präsentiert? Über diese Stelle sind schon viele Bibelleser gestolpert. Wikipedia hält sie sogar für eine der merkwürdigsten Passagen der Bibel. Aber wie geht man mit solchen Versen um?

Bibel StolperstelleKeine Option ist für mich, sie einfach als menschlich gemachte Fehler abzutun. Ich habe zu viele gute Argumente vor Augen, warum ich wirklich der ganzen Bibel vertrauen kann. Außerdem: Wer sagt mir dann, welche Stellen noch alle fehlerhaft sind und auf welche Aussagen der Bibel ich mich dann noch verlassen kann? Das weltweite Schrumpfen der Kirchen, die den menschlichen Verstand zum Richter über die Bibel gemacht haben, führt mir schmerzlich vor Augen, wohin dieser Weg führt.

Auch kein Weg ist es für mich, unkritisch aus dieser Stelle abzuleiten, dass Gott schon gerne auch mal Menschen umbringt, wenn ihm danach ist. Gott hat mir einen Verstand gegeben, um ihn zu benutzen – gerade auch beim Bibellesen! Das ist wichtig, denn jeder Bibelvers muss ja immer vom Kontext und von der Gesamtschau aller biblischen Aussagen beleuchtet werden. Das schnelle Zitieren von ein paar Bibelstellen ist noch lange keine Garantie für gute Theologie.

Wichtig ist mir aber in jedem Fall, solche Stellen nicht zu verdrängen, sondern sie erst einmal ungeschützt auf mich wirken zu lassen und betend darüber nachzudenken. Oft habe ich erlebt, dass sich dann vermeintlich schwierige Stellen in großartige Schätze tiefgründiger Einsichten verwandeln, die ich verpasst hätte, wenn ich den Text verdrängt oder als fehlerhaft abgetan hätte.

Manchmal bleibt eine Bibelstelle trotzdem rätselhaft und unverständlich. Dafür habe ich mir ein inneres „Regal“ angelegt, auf die ich solche Verse stelle. Ein Archiv für ungelöste Fälle sozusagen. Eigentlich ist es ja nicht überraschend, dass es solche Fälle gibt, wenn der Schöpfer des Universums sich uns mitteilt. Es wäre im Gegenteil viel überraschender, wenn wir mit unserem begrenzten Verstand gleich alle seine Gedanken nachvollziehen könnten. Damit kann ich leben.

Erfreulicherweise war gerade dieser Text für mich aber ein Musterbeispiel dafür, wie sich eine biblische Stolperstelle in eine wahre Fundgrube verwandeln kann. Ich werde im nächsten Post erzählen, welche Geschichte sich nach meinem Eindruck hinter diesen Versen verbirgt. Das muss nicht die einzig wahre und richtige Interpretation dieser Stelle sein. Aber es ist definitiv eine mögliche Auslegung, die den Text als Gottes Wort ernst nimmt und die ich dazu überaus lehrreich empfinde. Das hat mir wieder einmal gezeigt: Es lohnt sich, der Bibel zu vertrauen – auch wenn sie es uns manchmal nicht gerade leicht macht.

Fortsetzung: Stolperstelle wird Fundgrube: Gott bereitet Mose vor, Geschichte zu schreiben

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