Der Protest der Demo für Alle gegen Frühsexualisierung ist lächerlich. Das behauptete zumindest die heute-Show vom 23.10.2015. Um das zu belegen präsentierte Pseudojournalist Lutz Van der Horst einem Demoteilnehmer die „Standards zur Sexualaufklärung in Europa“ von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (hier zu sehen ab Minute 0:57) und behauptete: Da steht doch überhaupt nichts über Frühsexualisierung drin! Er habe es extra gelesen! Also alles dumpfe Panikmache, oder?
Grund genug, in dieses „Standardwerk“ mal reinzuschauen. Es ist öffentlich zugänglich und kann hier heruntergeladen werden. Besonders interessant ist die Altersmatrix (ab S. 41) mit altersspezifischen Empfehlungen für eine adäquate Sexualerziehung. Dort wird gleich deutlich gemacht: Sexualerziehung beginnt für die BZgA mit 0 (!) Jahren, denn: „Kinder haben schon im frühen Alter sexuelle Gefühle. Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr … beginnen Kinder, ihren eigenen Körper zu entdecken (frühkindliche Masturbation, Selbststimulation), und möchten vielleicht den Körper ihrer Freunde untersuchen (Doktorspiele).“ (S. 27)
Und was soll laut BZgA und WHO somit nun unseren Kleinkindern in der KiTa standardmäßig noch vor dem 4. Lebensjahr beigebracht werden (Seite 42)?
- „Vergnügen und Lust, den eigenen Körper zu berühren, frühkindliche Masturbation“
- „Entdeckung … der eigenen Genitalien“
- „Die eigenen … Wünsche und Grenzen ausdrücken, beispielsweise beim „Doktorspiel“
- „Grundlagen der menschlichen Fortpflanzung, darüber sprechen, das richtige Vokabular kennen, Körperteile benennen.“
- „Das Recht, Fragen zur Sexualität zu stellen und Geschlechtsidentitäten zu erkunden.“
- „Das Recht, Nacktheit und den Körper zu erkunden und neugierig zu sein; Neugier gegenüber dem eigenen Körper und dem anderer“
- „Geschlechterrollen, Bewusstsein für die Vielfalt von Beziehungen“
Liebe Leser: Haben Sie vielleicht eine Idee, wie man sich das praktisch vorstellen darf, dass KiTa-Erzieher in angemessener Form mit Kleinkindern über frühkindliche Masturbation, Zärtlichkeit, Geschlechtsidentitäten, das Recht auf Nacktheit und die menschliche Fortpflanzung sprechen (und zwar wohlgemerkt „mit dem richtigen Vokabular“)? Also irgendwie fehlt mir da die Phantasie. Aber schauen wir, wie die Empfehlungen für die höheren Altersgruppen aussehen:
- Im Kindergarten (4-6 Jahre) sollen die Kinder selbst über sexuelle Themen sprechen. Sie sollen aufgeklärt werden über „Freundschaft und Liebe zu Menschen des gleichen Geschlechts“. Sie sollen die „verschiedenen Normen zur Sexualität“ anerkennen und die Fähigkeit erlangen, „Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten“. Hm, da frage ich mich: Interessieren sich Kindergartenkinder wirklich für die Frage, wie sie eine Partnerschaft (womöglich zum gleichen Geschlecht) aufrechterhalten können?
- Ab der 1. Schulklasse (6-9 Jahre) sollen die Kinder informiert werden über verschiedene Methoden zur Empfängnisverhütung, Heirat und Scheidung, Sex in den Medien, eine „angemessene Sexualsprache“ und „Krankheiten in Verbindung mit Sexualität“. Und nicht zuletzt sollen sie „ein Verständnis für akzeptablen Sex“ entwickeln. Da gesellt sich dann also zum „ABC“ und „1×1“ das „S E X“…
- Im Alter von 9-12 Jahren sollen die Kinder informiert werden über „Lust, Masturbation, Orgasmus“, die „Unterschiede zwischen Geschlechtsidentität und biologischem Geschlecht“ („Genderorientierung“) und „verschiedene Formen von Verabredungen (Dating)“. Sie sollen „bewusst entscheiden, sexuelle Erfahrungen machen zu wollen oder nicht“, sie sollen ein Bewusstsein entwickeln, dass beide Geschlechter für die Empfängnisverhütung verantwortlich sind und daher die Fähigkeit entwickeln, „wirksam Kondome und andere Verhütungsmittel anzuwenden“ und sie sollen „verschiedene Ausdrucksformen von Sexualität (Küssen, Berühren, Streicheln usw.) anerkennen“. Und sie sollen über die „äußeren Einflüsse wie „Gruppenzwang, Pornografie, Gender sowie des sozioökonomischen Status bei sexuellen Verhaltensweisen“ diskutieren. Das sind ja auch sicher zentrale Themen, mit denen 9-jährige sich auseinandersetzen sollten, oder?
- Die 12-15-jährigen sollen sich über Empfängnisverhütung austauschen, informiert werden über „Genuss von Sexualität (sich Zeit lassen)“, sie sollen die Fähigkeit entwickeln, „Sexualität in respektvoller Weise zu genießen“ und eine „Verhandlungs- und Kommunikationskompetenz für ein sicheres und lustvolles Sexualleben entwickeln“. Wie sich da wohl die exotischen Kinder fühlen, die mit 12 immer noch keinen Sex hatten???
- Die über 15-jährigen sollen dann auch noch über „sexuell abweichendes Verhalten/Perversionen“, „Prostitution“ sowie „das Recht auf Schwangerschaftsabbruch“ informiert werden. Stimmt. Das hat (gerade) noch gefehlt.
In all dem wird die grundlegende Philosophie dieser „Standards“ deutlich: Die Autoren grenzen sich bewusst ab von pädagogischen Ansätzen, in denen voreheliche Keuschheit oder Enthaltsamkeit gefördert werden soll (Seite 31). Stattdessen sollen die Kinder und Jugendlichen bewusst gefördert und „befähigt“ werden, „ihre Sexualität zu verstehen und zu genießen“ (Seite 22). Die jederzeitige Gewährleistung der „Möglichkeit für lustvolle und sichere sexuelle Erfahrungen“ (S. 19) wird in dieser Denkweise sogar als Recht und als wesentliches Element „sexueller Gesundheit“ angesehen.
Damit die Kinder die notwendigen Fähigkeiten zum Ausleben ihrer Sexualität entwickeln können halten es die Autoren für erforderlich, dass „die betreffenden Themen nach Möglichkeit eingeführt werden, bevor das Kind die entsprechende Entwicklungsphase erreicht, um es auf die bevorstehenden Veränderungen vorzubereiten.“ (S. 25) Mit anderen Worten: Noch bevor die Kinder ein Bedürfnis verspüren, sich mit Themen wie Empfängnisverhütung, Homosexualität, Ausdrucksformen der Sexualität etc. auseinanderzusetzen sollen die Kinder mit diesen Themen konfrontiert werden. Birgit Kelle fragt zurecht: „Ist es nicht auch sexuelle Belästigung von Kindern, ihnen Themen aufzudrängen, die sie noch nicht begreifen? Ihnen Bilder zu zeigen, die ihnen peinlich sind. Jeder Exhibitionist im Park gilt als Belästiger, aber sexuelle Praktiken im Unterricht besprechen zu müssen im Kreise seiner halbwüchsigen Freunde, das soll Bildung sein?“
Aber mindestens so erschütternd wie die Inhalte des Textes ist das, was nicht drin steht:
3 Themen werden in diesen Standards nirgends thematisiert:
- Schamgrenzen: Gerade wenn in einem Klassenverbund sexuelle Themen im Dialog thematisiert werden (wie es die Standards ausdrücklich empfehlen) ist es unumgänglich, dass Kinder durch Gruppenzwang unter Druck gesetzt werden, in Gespräche involviert zu werden, die sie eigentlich gar nicht möchten und die ihnen peinlich sind. Die „Standards“ thematisieren dieses Problem mit keinem Wort.
- Die Worte „Treue“, „Verbindlichkeit“ oder „Warten“ kommen in dem Papier kein einziges Mal vor. Das Wort „Ehe“ wird lediglich im Erklärtext im negativen Zusammenhang einer überkommenen Sexualpädagogik behandelt. Das bedeutet: Das Leitbild der verbindlichen Lebenspartnerschaft wird hier ersetzt durch das Leitbild des jederzeitigen Auslebens sexueller Wünsche nach dem Lustprinzip. Dem Prinzip der sexuellen Vielfalt folgend werden dabei alle denkbaren sexuellen Spielarten als gleichwertig betrachtet.
- Nirgends wird besprochen, dass Sexualität immer die Bereitschaft bedingt, Verantwortung für Kinder zu übernehmen. Denn eine 100%ig sichere Verhütungsmethode gibt es nun einmal nicht, auch wenn das die ausführliche Thematisierung der Optionen zur Empfängnisverhütung suggerieren möchte. Stattdessen sollen die Jugendlichen informiert werden über ihr „Recht auf Schwangerschaftsabbruch“ (Seite 54), wobei natürlich nirgends thematisiert wird, welche traumatischen, oft lebenslangen Folgen Abtreibungen häufig bei Müttern und Verwandten verursachen.
Der Sexualpädagoge Nikolaus Franke fasst treffend zusammen, was hier passiert: „Die Gendertheorien haben die deutsche Sexualpädagogik zu einer Gesinnungspädagogik verkommen lassen. … Wenn wir in den Blick nehmen, welche Vorstellungen und Normen seitens der Sexualpädagogik der Vielfalt besonders vehement kritisiert, lächerlich gemacht und welche Setzungen vorgenommen werden, kommen wir zu einem frappierenden Befund:
Erstens: die Entkopplung der Sexualität und der Frau von Fruchtbarkeit, Familie und Kind. Es ist augenfällig, dass nahezu alle Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Lust in den Vordergrund stellen, nicht etwa den Zusammenhang von Zeugung und Sexualität adressieren.
Zweitens: die Abwertung der Modelle Ehe und Familie. Schauen Sie sich die pädagogischen Entwürfe an. Da werden zig Lebensmodelle gleichrangig nebeneinander gestellt, unabhängig von ihrer demoskopischen Häufigkeit. Teilweise werden klassische Ehen gar nicht mehr genannt oder mit Negativattributen belegt. Der Familienbegriff wird neu definiert und ausgeweitet.
Drittens: die Förderung kindlicher (und jugendlicher) Sexualität. Es ist paradox, dass sich gerade die Republik empört, weil in einem Mainzer Kindergarten Kinder andere Kinder sexuell missbraucht haben, wobei doch das Institut für Sexualpädagogik in Dortmund nach wie vor emsig bemüht ist, Erzieher und Einrichtungen dahingehend zu beraten, dass Kinder zu gegenseitigen Doktorspielen und dem Einrichten von Kuschelecken ermutigt werden. Man nennt diesen missbrauchsbegünstigenden Cocktail übrigens ein »sexualfreundliches Klima« in der Kita. Das ist der eigentliche Skandal.
Viertens schließlich: die Enttabuisierung, Entpathologisierung und Normalisierung aller Formen sexueller Praktiken, Orientierungen und Identitäten. Es handelt sich hier um eine dekonstruktivistische Verunsicherungspädagogik, die Zuschreibungen, Normierung hinterfragen und Identitätsschablonen erschüttern möchte.“
Birgit Kelle kommentiert treffend: „Eine ganze Bildungsnation beschäftigt sich also derzeit damit, Kindern möglichst früh und möglichst viele sexuelle Möglichkeiten zu eröffnen, doch nirgendwo scheint Platz zu sein zur Erziehung in der Frage: Wie gründe ich eine glückliche Familie?“
Dass viele voreheliche sexuelle Erfahrungen das Eheglück und die Stabilität einer späteren Ehe mindern, hat eine Studie gezeigt. Die rein lustorientierte Sexualpädagogik, die hier propagiert wird, ist also ein direkter Angriff auf die Familie, dem zentralen Stabilitätsfaktor unserer Gesellschaft.
Ist Protest gegen diese Entwicklungen in der Sexualpädagogik also angesagt? Dazu Nikolaus Franke: „Ganz zweifellos hat man den bisherigen Vorstellungen von »Normalität« den Kulturkrieg erklärt. Wenn Eltern das nicht wollen, kommen sie nicht daran vorbei, sich bei den Entscheidern unbeliebt zu machen. Nur dann werden ihre berechtigten Sorgen ernst genommen. Es wird höchste Zeit, dass der Protest größer wird.“
Nun hat der Protest in Baden-Württemberg schon deutliche Erfolge gezeigt: Der Bildungsplan wurde weitgehend entschärft. Trotzdem ist das Ziel nicht erreicht. Denn nach wie vor gibt es Politiker und Initiativen, die die Ideologie der sexuellen Vielfalt in die Schulen tragen wollen, wie z.B. Antje Schmelcher in der FAZ berichtet. Pro Familia ist weiter in den Schulen unterwegs, z.B. mit dem Film „Sex we can!?“, der direkte Aufforderungen enthält, sich für sexuelle Erfahrungen zu öffnen. Die enthaltenen pornographischen Szenen führen dazu, dass der Film auf YouTube unter den Jugendschutz fällt – trotzdem wird er den Kindern in der Schule gezeigt. Die Eltern der Schüler werden darüber nicht informiert, die Klassenlehrer werden ausgeladen. Entsprechend äußert die Erziehungswissenschaftlerin Karla Etschenberg: „Nicht Bildungspläne sind das Problem, sondern dass immer mehr Initiativen in die Schulen drängen, deren Interessen und Ziele nicht transparent sind. Da ist Widerstand angesagt.“
Hier einige empfehlenswerte Artikel zum Thema:
- Nikolaus Fanke, christlicher Sexualpädagoge „Die Öffnung der Ehe ist nur ein Zwischenschritt“
- Birgit Kelle: „Puff für alle“ als pädagogisches Stilmittel
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: Experten warnen vor zu früher Aufklärung von Kindern
Siehe auch:
- Enthüllende Studie – wie sich voreheliche sexuelle Erfahrungen auf das Eheglück auswirken
- Sex und Kultur – die Folgen der Abschaffung sexueller Normen für die Gesellschaft
- Die EKD und die Homo-Ehe – Ein offener Brief an Dr. Heinrich Bedford-Strohm
- Warum ich es (trotz allem) richtig finde, wenn Christen auf die Straße gehen