Römer 8, 15: „Wir sind doch Kinder Gottes geworden und dürfen ihn »Abba, Vater« rufen.“
Das “Vaterunser”, das Jesus uns beten gelehrt hat, ist heute so geläufig, dass uns kaum noch bewusst ist, welche Provokation dieses Gebet damals war. Die Juden hatten Gott meist als “Herr” oder “König der Welt” angesprochen. Das von Jesus benutzte Wort “Abba” war im Vergleich dazu eine zutiefst vertrauliche, fast intime Anrede.
Dabei hatte Gott sich auch schon im Alten Testament als liebevoller Vater vorgestellt: “Wie sich ein Vater über seine Kinder zärtlich erbarmt, so erbarmt sich der Herr über alle, die ihn fürchten” (Psalm 103, 13). Das zeigt: Die überschwänglichen, liebevollen und zärtlichen Gefühle, die ein Vater für sein Kind empfindet, empfindet Gott auch für uns!
Nirgends macht Jesus das so deutlich wie im bewegenden Gleichnis von dem Sohn, der seinen Vater verlässt und seinen Besitz verprasst. Trotzdem hält der Vater jeden Tag Ausschau nach ihm, rennt ihm bei seiner Heimkehr von weitem entgegen, umarmt und küsst ihn. Ohne jede Vorbedingung, ohne Vorwürfe oder Strafen feiert er ein ausgelassenes Fest und gibt ihm die volle Würde eines Sohnes zurück (Lukas 15, 11-32). Damit hat Jesus ein revolutionäres und zugleich tief berührendes Bild des himmlischen Vaters gezeichnet.
So macht Jesus immer wieder klar: Solange wir die Liebesbeziehung zum Vater nicht kennen, verpassen wir das eigentliche. Solange Gott nur graue Theorie in unseren Köpfen ist, ein theologisches Konstrukt, das wir für wahr halten, von dem wir aber nicht im Herzen ergriffen sind, solange leben wir am eigentlichen Ziel unseres Lebens und Christseins vorbei.
Zumal eine lebendige Liebesbeziehung zum Vater die Basis ist für alle Veränderungen, die Gott in unserem Leben bewirken möchte: Heilung unserer Identität, positive Entwicklungen in unserem Charakter, in unseren Gewohnheiten, in unseren Beziehungen, in unserem Beruf und unserem Dienst für Gott: All das wächst aus dieser Liebesbeziehung zum Vater heraus. Ohne diese enge Verbindung mit ihm hingegen „können wir nichts tun“ (Joh. 15, 15).
Deshalb muss es die Kirche als ihre zentrale Aufgabe begreifen, die Menschen in eine lebendige Liebesbeziehung zum Vater zu rufen.
- ⇒ Zur 18. These: Die Kirche ruft die Menschen in eine Freundschaftsbeziehung mit Gott!
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