Ja, es stimmt: Christsein ist Herzenssache. Aber nicht nur! Die Bibel kennt auch eine hohe Wertschätzung der Vernunft und des Verstandes. Besonders deutlich wird das im Buch der Sprüche. Die herausragende Bedeutung von Einsicht, Klugheit, Erkenntnis, Verstand, Vernunft und Weisheit begegnet dem Leser dort auf Schritt und Tritt. Dazu kommt die fast schon penetrante Aufforderung: Sei offen für guten Rat und Ermahnung! Profitiere von der Klugheit der Anderen! Mit diesem Denken legte die Bibel die Grundlage für Philosophie und Wissenschaft. Es ist kein Zufall, dass Kirchen und Klöster früher Brutstätten des Wissens und der Technik waren, aus denen sich auch Schulen und Universitäten entwickelt haben. Ein denkfeindliches Christentum, das vor allem auf subjektiven Gefühlen und Erfahrungen beruht, kann sich nicht auf die Bibel berufen.
Allerdings macht die Bibel dabei eines deutlich: Das menschliche Denken muss „geeicht“ werden. Es braucht eine Grundlage, die ihm eine gesunde Ausrichtung und Orientierung verleiht. Tatsächlich ist die Geschichte voll von faszinierenden und beeindruckenden menschlichen Gedankengebäuden, die Tod und Unheil brachten, weil sie auf falschen Fundamenten aufgebaut wurden. Gerade das zurückliegende 20. Jahrhundert ist dafür ein fürchterliches und hoffentlich bleibend mahnendes Zeugnis.
Deshalb heißt es in den Sprüchen:
„Die Ehrfurcht vor dem Herrn ist der Anfang der Erkenntnis.“ (Spr. 1, 7)
Wir verrennen uns, wenn wir die menschliche Vernunft an die oberste Stelle setzen. Wir verheben uns, wenn wir Gott einsperren in die Grenzen unseres Denkens. Immer, wenn wir uns vom demütigen Bewusstsein lösen, dass wir nur abhängige, begrenzte Geschöpfe sind, da nimmt unser Denken irgendwann zerstörerische Formen an.
Einsicht, Klugheit, Erkenntnis, Verstand, Vernunft, Weisheit und guter Rat wird heute dringender denn je gebraucht. Es beginnt damit, dass wir unsere Knie vor unserem Schöpfer beugen und sein Wort unser Denken prägen lassen. Gesunde Ehrfurcht vor Gottes heiligem Wort ist der gute Boden, auf dem wahre Klugheit, Weisheit und Vernunft gedeiht.
Dieser Wachstums- und Lernprozess ist anstrengend und schön.
Schön ist dieser Prozess, weil er aus dem Sackgassengewirr unseres Lebens heraus und zu einer mentalen, intellektuellen, emotionalen und psychosomatischen Grundzufriedenheit führt. Es lohnt sich, den Wachstumsprozess zu fördern, indem wir die sog. Seligpreisungen bedenken, auch die im sog. Alten Testament, nicht wenige in den „Preisungen“ (Buber), den Psalmen (ein Maßstab für den Lobpreis zu allen Zeiten). „Glücklich der Mensch, der …“. Aber jeder darf nach seiner Façon unglückselig werden.
Dieser Prozess ist eine (Er-)Lösung von unserer dummen Selbstherrlichkeit, Besserwisserei, Einbildung und Selbsttäuschung hin zur Anerkennung unseres Herstellers und seiner Informationen und Ordnungen. Diese Informationen nennen wir „Offenbarung“, auf die die Wissenschaft nach ihrem Selbstverständnis verzichtet.
Ein Vater beobachtet sein Kind, wie es zuerst begeistert und schließlich frustriert etwas versucht, was nicht gelingen kann. Er sagt: Versuchs doch einfach mal so, wie ich es dir gesagt habe. „Wer auf Rat hört, ist weise“, lesen wir im Buch der Sprüche (12, 15), das zwischen gutem und verkehrtem Rat zu unterscheiden weiß. Markus Till weist darauf hin.
Anstrengend ist dieser Prozess, weil er (wie eine Autofahrt) am laufenden Band Aufmerksamkeit und Konsequenzen fordert. Ohne Konsequenzen wird der Prozess gebremst und kommt, abrupt oder schleichend, zum Stillstand.
Wenn wir die Verkehrsschilder Gottes entsprechend den Geboten, Verboten und Tabus des Zeitgeistes umdeuten und verdrehen, sind wir auf dem „breiten Weg“ mit vielen einig. Die Vielzahl falscher Propheten des Volkes Gottes hat zu allen Zeiten diese Harmonisierung im Namen Gottes gefordert und den wenigen Propheten Gottes ein falsches Gottesverständnis vorgeworfen.
„Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten?“ fragt der Prophet Gottes das Volk Gottes?
Es geht um nicht weniger als eine „Metamorphose durch die Erneuerung unseres Denkens“ im Gegensatz zur „Anpassung an den Zeitgeist“ (Brief an die Christen in Rom 12, 2). Es geht darum, wie Markus Till schreibt, dass wir unser Denken durch Gottes (geoffenbartes) Wort prägen lassen, statt dieses dem Zeitgeist, unseren Vorstellungen und unserem Wunschdenken zu unterwerfen.