„Mein ganzes Leben lang habe ich mich mit der Liebe beschäftigt,“ sagte Tom. „Ich kenne alle relevanten wissenschaftlichen Abhandlungen. Sämtliche Diskussionen dazu habe ich intensiv verfolgt. Für meine sexualwissenschaftlichen Forschungen habe ich mehrere Preise bekommen. Bei diesem Thema macht mir niemand etwas vor. Auch Du nicht, mein Freund.“ Jim schien beeindruckt zu sein. Er nippte kurz an seiner Kaffeetasse und fragte dann: „Sag mal, aber Du bist doch gar nicht verheiratet. Warst Du eigentlich schon mal so richtig verliebt?“ Ein Knistern lag in der Luft. Tom dachte nach. „Na ja, es gab da schon so ein paar Affären. Aber ganz ehrlich: Wirklich verliebt war ich immer nur in die Wissenschaft.“ Jim trank seine Tasse leer, stellte sie ab und schaute Tom direkt in die Augen. „Dann lass Dir sagen, mein Freund: Von Liebe hast Du nun wirklich überhaupt keine Ahnung.“
Kennt man automatisch die Wahrheit, wenn man über alles Bescheid weiß? Was ist Wahrheit eigentlich? Diese Frage hat schon Pilatus bewegt. Und sie ist brandheiß bis heute.
Einige sind ja der Meinung, dass es so etwas wie objektive Wahrheit überhaupt nicht gäbe. Alles sei relativ. Allein der Blickwinkel des Betrachters entscheide darüber, ob etwas für ihn wahr sei oder nicht. Für den Nächsten könne dann aber wieder eine ganz andere Sichtweise wahr sein.
Aber das ist zu kurz gedacht. Denn natürlich kann es am Ende nur 1 objektive Wahrheit geben. Entweder ist die Erde eine Scheibe oder eine Kugel. Entweder ist Elvis tot oder nicht. Das eine schließt das Andere aus. Das gleiche gilt in der Theologie: Entweder ist Jesus leiblich auferstanden oder im Grab verwest. Entweder war sein Tod am Kreuz ein stellvertretendes Sühneopfer oder nicht. Gott ist nicht schizophren.
Christen sind überzeugt: Diese eine Wahrheit ist in der Bibel zu finden. Aber heißt das, dass wir einfach nur die Bibel lesen müssen, um die Wahrheit zu finden?
Tatsächlich hat Jesus betont, dass wir an seinem Wort bleiben müssen, um die freimachende Wahrheit erkennen zu können (Joh.8,31-32). Und Jesus hatte – wie alle Juden – allerhöchsten Respekt vor den heiligen Schriften. Er hat ausdrücklich betont, dass er sie in keinster Weise auflösen will. Kein einziges Satzzeichen wollte er in Frage stellen. Die Schrift war für Jesus in jeder nur denkbaren Art und Weise durch und durch wahr. Deshalb fragte er so oft: „Habt ihr nicht gelesen?“ Selbst im Angesicht Satans hat Jesus mit der Schrift argumentiert. Die moderne Idee, dass wir biblische Aussagen eher als Meinungsäußerung, Diskussionsbeitrag oder Erfahrungen antiker Menschen mit Gott sehen müssten, statt in ihnen Gottes heiliges Wort mit allerhöchster, unhinterfragbarer Autorität zu sehen, war Jesus ganz offensichtlich vollkommen fremd.
Aber Jesus hat nicht nur über sein Wort gesprochen, wenn es um die Wahrheit ging. In Johannes 16, 13 sagt er: “Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten.” Warum betont Jesus hier so sehr den Heiligen Geist bei der Frage, wie wir Wahrheit finden können? Ganz einfach: Weil Wahrheit nun einmal mehr ist als mit Worten vermittelbares und mit dem Verstand erfassbares Wissen.
Das wird ganz deutlich bei der Antwort Jesu, was eigentlich das wichtigste aller Gebote sei. Seine Antwort ist bezeichnend: Wir sollen Gott lieben in 4 Dimensionen: Mit unserem Verstand, unserem Herzen, unserer Seele und ganzer Kraft.
Das bedeutet: Die Liebe zu Gott, die das Zentrum unseres Christseins sein soll, ist zum einen nicht denkbar ohne unseren Verstand. Ein uninformierter, gefühlsduseliger Glaube trägt nicht. Gott hat uns einen Kopf zum Denken gegeben, zum Studieren, zum Forschen in der Schrift. Wenn wir Gott lieben, werden wir auch seine Gebote lieben, sagte Jesus. Anders gesagt: Dann werden wir jedes Wort Gottes absolut ernst nehmen. Wir werden uns Gottes Worten unterordnen und darauf achten, dass sie uns zurechtbiegen, nicht umgekehrt. Das gehört zur Liebe zu Gott dazu. Aber es ist eben noch nicht die ganze Geschichte.
Ohne Seele und Herz ist die Liebe zu Gott nicht komplett. Liebe hat eine Dimension, die mit Worten allein nicht fassbar ist. Die Breite, Länge, Höhe und Tiefe der alle Erkenntnis übersteigenden Liebe Gottes können wir niemals vollständig durch die theologische Analyse von Bibelstellen erfassen. Wir brauchen dafür das Wirken des Heiligen Geistes. ER ist es, der uns einen Geschmack vermittelt von der majestätischen Heiligkeit Gottes. ER ist es, der uns staunen lässt über die Größe und Allmacht des Schöpfers des Universums. ER ist es, der in uns eine Ahnung weckt von der innigen, geradezu zärtlichen Liebe des himmlischen Vaters, durch die wir zu ihm ganz ohne Scham “Abba” – Papa sagen können. Ohne diese geistgewirkte Begegnung mit dem allmächtigen, ehrfurchterregenden, heiligen, liebenden, gnädigen und barmherzigen Gott fehlt uns eine entscheidende Dimension der Wahrheit.
Bibelwissen ist für Christen alternativlos. Es kann uns aber auch die falsche Sicherheit vorgaukeln, dass wir damit die Wahrheit bereits im Griff hätten (so wie Tom dachte, mit seinen Forschungspreisen alles über die Liebe zu wissen). Wenn wir uns mit der Bibel in der Hand vom Heiligen Geist (und somit von Gott!) unabhängig machen, dann wird die Bibel sogar zum Götzen. Deshalb warnte uns Paulus ausdrücklich, dass wir uns bloß nicht einbilden sollen, alles zu wissen. Erkenntnis bläht auf, sagte er. Und der Buchstabe tötet. Vielleicht hatte er dabei vor Augen, dass die Pharisäer (wie er selbst ja einer war) großartige Kenner der heiligen Schriften waren und trotzdem Gottes Sohn ans Kreuz gebracht und die Christen verfolgt haben.
Echte, freimachende Wahrheit wächst in uns deshalb nicht nur durch Schriftstudium allein sondern auch durch Hingabe und Gebet, durch das Anschauen seiner Heiligkeit und durch Anbetung seiner abgrundtiefen Liebe. Auch damit bekommen wir die Wahrheit nicht in den Griff. Aber in der engen Verbindung mit IHM dürfen wir hoffen, dass die Wahrheit in Person – Jesus Christus – uns immer mehr in den Griff bekommt.
Wenn in der Begegnung mit Gott geistgewirkte Wahrheit in uns wächst, wenn tief in unserem Innersten eine Ahnung von seiner unermesslichen Liebe und Heiligkeit heranreift, dann lebt unser Glaube nicht mehr nur aus dogmatisch korrekten Gedankengebäuden und der Abgrenzung von Irrlehren sondern vor allem aus der Geborgenheit und Sicherheit einer Liebe, von der uns weder Tod noch Leben noch irgendetwas anderes jemals trennen kann.
Wissen ist gut (kann uns aber auch hochnäsig werden lassen). Wirklich frei macht uns nur die Wahrheit. Um sie zu erkennen brauchen wir die Schrift – und wir sind absolut angewiesen auf das Wirken des Heiligen Geistes.
Siehe auch:
- Tödliche Buchstaben – Befreiende Wahrheit – Die furchtbaren Folgen eines falschen Bibelverständnisses