2021 – Woher wird unsere Hilfe kommen?

2020 habe nicht nur ich als Krisenjahr wahrgenommen. Ich denke dabei aber nicht nur an Corona. Mir haben auch viele Entwicklungen in der Gesellschaft sowie im christlichen und kirchlichen Bereich Sorgen bereitet. Umso mehr hat mich 2020 diese eine Frage immer wieder beschäftigt: Woher wird Hilfe kommen für unser Land und für unsere Kirchen und Gemeinden, die so oft nur stagnieren oder gar schrumpfen und sterben? Wo finden vielleicht heute schon die kleinen Anfänge statt, die letztlich in die so dringend benötigten neuen Aufbrüche münden werden? Wo sind die Menschen, die Gott für nachhaltig wirkende Erneuerungs- und Erweckungsbewegungen gebrauchen wird? Wo sind die Hoffnungssignale, die uns begründet Mut machen können für das neue Jahrzehnt?

Noch habe ich keine Antwort auf diese Frage. Aber ganz offenkundig bin ich nicht der Einzige auf dieser Suche. Letzte Woche landeten gleich zwei neue Produkte des SCM-Verlags in meinem Briefkasten, die sich mit der Suche nach neuen Wegen in die Zukunft beschäftigen. In der ersten Publikation ging es vor allem um die Zukunft der lokalen Ortsgemeinden:

Reinhard Spincke: Gemeinde der Zukunft

Reinhard Spincke ist seit 28 Jahren Pastor und seit 2004 Bundessekretär im Bund der Feien evangelischen Gemeinden (FeG). Er ist also ein Gemeindepraktiker durch und durch, der die Herausforderungen im Gemeindebau sehr genau kennt. Umso mehr hat mich die Frage interessiert:  Wie muss aus seiner Sicht die „Gemeinde der Zukunft“ gestrickt sein, um diese wachsenden Herausforderungen meistern zu können?

Und was soll ich sagen: Dieses Buch hat mich begeistert! Es ist biblisch fundiert und doch praxisnah, realistisch und doch begründet hoffnungsvoll. Sowohl die Situationsanalysen als auch die Vorschläge für notwendige Schwerpunktsetzungen haben mir aus dem Herzen gesprochen. Für Reinhard Spincke ist die Gemeinde der Zukunft „kreativ“ in ihren Formen und Lebensäußerungen, aber „konservativ“ in ihrem Umgang mit der Bibel. Sie ist „kundenorientiert“ für die Umsetzung ihres missionarischen Auftrags, aber zugleich „kommunitär“, indem sie verbindende Gemeinschaft pflegt. Sie ist „kämpferisch“ in dem Bewusstsein, dass die Verbreitung des Evangeliums enorm herausfordernd sein kann, dabei aber auch „klug“, rational und weise in ihren Äußerungen und in ihrer Vorgehensweise. All ihr Handeln gründet in einer „kontemplativen“, innig gelebten Gebets- und Herzensbeziehung zu Jesus, zugleich ist ihr der „karitative“, praktische Dienst am Nächsten ein Herzensanliegen. Aus den zahlreichen wichtigen Anregungen möchte ich nur zwei Aussagen zum Umgang mit der Bibel herausgreifen:

„Wo geistliche Bewegungen und Kirchen sich von biblischen Grundlagen entfernt haben, hat dies ihrem missionarischen Eifer und ihr geistliches Leben regelmäßig schwer geschadet.“ (S. 40) „Die Kirchengeschichte zeigte immer wieder, dass eine bibeltreue Theologie verbunden mit authentischer Jesus-Liebe notwendige Voraussetzung für eine Erweckung ist.“ (S. 34)

Reinhard Spincke träumt deshalb John Stotts Traum von einer „Gemeinde, die wirklich nach der Bibel lebt, die Gott anbetet, in der jeder gleich geachtet wird, die fähig ist zu dienen und mit Erwartung lebt.“ (S. 69/70). Ich habe mit Bleistift darunter geschrieben: Ja, ich träume mit!!!!!! (tatsächlich mit genau so vielen Ausrufezeichen). Das gilt auch für diese Aussage:

„Wir müssen alle positiven, gemeindebauenden, konservativen Kräfte zusammenbringen und bündeln. Wir müssen in der Mitte klar sein, dürfen uns aber in Fragen, die die Bibel größtenteils offen lässt … nicht zerstreiten.“ (S. 92)

Das zeigt mir: Auf der Suche nach Hoffnungssignalen für die Zukunft hält Reinhard Spincke genau wie ich Ausschau nach einer neuen Einheit in Vielfalt mit christusgemäßer Weite aber auch mit Übereinstimmung in den zentralen Glaubensfragen. Das macht Hoffnung! Die Frage wird sein: Wie finden wir praktische Wege, die eine solche Bündelung in Zukunft praktisch möglich macht?

Auch die zweite Publikation will schon auf der Titelseite „Wege suchen in eine andere Zukunft“:

anders LEBEN

So heißt die neue, sehr schön gestaltete Zeitschrift des Bundes-Verlags, deren Erstausgabe jetzt kostenlos erhältlich ist und die unter den Schlagworten „Zukunft suchen, Wurzeln finden, nachhaltig handeln“ eine bunte Mischung von Artikeln und Autoren präsentiert. Sehr spannend fand ich gleich zu Beginn den Artikel über Tony Rinaudo, der für sein Aufforstungsprogramm den alternativen Nobelpreis bekam. Sehr interessant sind auch die Einblicke über den Einsatz der Micha-Initiative für das Lieferkettengesetz. Beides erinnert mich an große christliche Vorbilder, die durch die Entwicklung von technischen und wissenschaftlichen Innovationen oder durch gezielte Einflussnahme in der Politik (z.B. für die Abschaffung der Sklaverei) die Gesellschaft vorangebracht haben. Das begeistert mich auch deshalb, weil ich überzeugt bin, dass globale Probleme wie die Klimaerwärmung, das Artensterben oder prekäre Arbeitsbedingungen in Schwellenländern letztlich nur durch Innovationen und weltweit wirksame Gesetzesinitiativen gelöst werden können.

Wenig angesprochen haben mich hingegen eine Reihe von weiteren Artikeln, die auf eine „Ökologisierung“ des persönlichen Lebensstils zielen, indem man sich z.B. von der „Konsumindustrie so unabhängig wie möglich“ macht, Fleischkonsum reduziert, im Unverpacktladen oder Secondhandshop einkauft, selbst Gemüse anbaut und insgesamt einfach „grüner lebt“. Klar, auch ich finde es gut, z.B. beim Einkaufen auf Fair Trade zu achten. Aber es darf daraus kein neuer Moralismus erwachsen. Vor allem darf es nicht dazu führen, dass die Gesellschaft weiter in „Gutwillige“ und nicht Gutwillige gespalten wird und dass Menschen zu „Umweltsündern“ abgestempelt werden, nur weil sie solche Ansätze auch nach gründlichem Nachdenken für wenig überzeugend halten.

Etwas fragwürdig fand ich im Heft auch den Hang zur Vergeistigung der Natur in Formulierungen wie diesen:

„Nicht nur eine Fridays-for-Future-Bewegung schreit: „Wie könnt ihr es wagen, so weiterzuleben?!“ Täglich höre ich diese Schreie der Schöpfung. Das Seufzen der in Massenhaltung gezüchteten Tiere, der männlichen Küken, die gleich nach dem Schlüpfen in einen Schredder gezogen werden. Ich höre die Stimme der weinenden Gletscher.“ (S.54)

Ja, natürlich ist Massentierhaltung oder auch das Artensterben hochproblematisch. Aber bringt es uns wirklich weiter, die verbreitete apokalyptische „How-Dare-You-Rhetorik“ jetzt auch noch göttlich aufzuladen? Und auch wenn die Bibel manchmal in blumiger Bildsprache davon spricht, dass die Schöpfung Gott lobt und sogar die Steine schreien, so legt sie doch im Gegensatz zu außerbiblischen Schöpfungsmythen und östlichen oder animistischen Religionen von Beginn an größten Wert auf eine strikte Trennung zwischen Schöpfer und Schöpfung.[1] Deshalb bin ich auch skeptisch über romantisierende Formulierungen wie diese:

„Viele Menschen entdecken heute die Weisheit der Natur.“ (S. 83)

Manchmal denke ich bei solchen Aussagen: Auf die Idee, dass die Natur weise sei, können wohl nur Menschen kommen, die durch Wohlstand und die Segnungen moderner Medizin und Technik weitgehend geschützt sind vor den seit jeher wahl- und erbarmungslos zuschlagenden Launen der Naturgewalten. Ich plädiere deshalb dafür, dass wir daran festhalten sollten: Weise ist allein der Schöpfer. Ihm allein gehört unsere Bewunderung und unsere Aufmerksamkeit.

Aber was ist nun mit den versprochenen Wurzeln, die uns helfen können, positiv mit den ökologischen Herausforderungen umzugehen, statt in Angst und in einen bedrückenden Moralismus zu verfallen? Tatsächlich habe ich beim Lesen mehrfach gedacht: Früher hatten Christen ein schlechtes Gewissen, weil sie keine stille Zeit gemacht haben. Heute haben sie ein schlechtes Gewissen, weil sie „nicht bei jedem Einkauf so konsequent“ sind, wie sie sein könnten. (S. 23) Aber mit Moralisieren kann man damals wie heute nichts positives bewirken, wie Anselm Grün auf S. 86 richtig anmerkt. Umso mehr vermisse ich fundierte biblische Quellen in diesem Heft – zumal ich mich mit Autoren wie Anselm Grün[2] aus den in den Fußnoten genannten Gründen ohnehin schwer tue.

Woher wird unsere Hilfe kommen?

Natürlich sind sowohl Impulse für den Gemeindebau als auch für ein sinnvolles Engagement zur Bewahrung der Schöpfung wichtig für die Gestaltung unserer Zukunft. Persönlich hätte ich es aber besser gefunden, wenn SCM solche wertvolle Artikel wie den Bericht über Toni Rinaudo in andere Zeitschriften eingestreut hätte, statt sie in eine eigene „Öko-Zeitschrift“ auszulagern. Dann würden sich Impulse zur Bewahrung der Schöpfung mischen mit Beiträgen zu den zentralen christlichen Zukunftsfragen, die Reinhard Spincke in „Gemeinde der Zukunft“ dargelegt hat. So aber fürchte ich, dass die Polarisierung zwischen den missionarisch orientierten Gemeindebauern und ökologisch bewegten Anhängern transformationstheologischer Ansätze nur weiter zunehmen wird. Dabei fände ich die Mischung beider Themen auch deshalb so wichtig, weil ich überzeugt bin: Die Kernthese der Willow-Bewegung („Die Ortsgemeinde ist die Hoffnung der Welt“) gilt letztlich auch für die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Denn auch in der Umweltfrage gilt letztlich: Das Herz des Problems ist das Problem des Herzens (wie Johannes Hartl es in seinem Vortrag „Ökologie des Herzens“ so eindrücklich dargelegt hat). Und dieses Herzensproblem kann letztlich nur die erneuernde Kraft des Evangeliums lösen, das in gesunden Gemeinden gelebt und weitergegeben wird.

Die Quelle aller echten Hoffnungsquellen

Auch in Psalm 121 wird die Frage gestellt, von wo wir in schwierigen Zeiten Hoffnung beziehen können. Im Psalm heißt es dazu:

„Ich schaue hinauf zu den Bergen – woher wird meine Hilfe kommen? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird nicht zulassen, dass du stolperst und fällst; der dich behütet, schläft nicht. Siehe, der Israel behütet, wird nicht müde und schläft nicht. Der Herr selbst behütet dich!“

Mit diesen Sätzen kann ich getrost ins neue Jahr gehen. Vergessen wir es nie: In Gott allein ist unsere Rettung – für uns persönlich, für unsere Familien, für unsere Gemeinden und Kirchen, für unsere Gesellschaft und auch für unseren Planeten. Meine Suche nach Hoffnungssignalen für neue Aufbrüche in eine gute Zukunft wird sich auch weiterhin auf die Menschen richten, die zuerst nach Gott suchen, indem sie Gebet und Gottes Wort die oberste Priorität einräumen.


Die beiden Produkte sind hier erhältlich:

Fußnoten:

[1] Ganz anders als andere Schöpfungsmythen kennt der biblische Schöpfungsbericht keine Götter und keine übernatürlichen Kräfte hinter den Sternen, sondern er sagt: Das sind ganz einfach „Lampen“, die den Menschen zur Orientierung dienen sollen. Auch sonst wird die Natur gänzlich entgöttlicht. Folgerichtig ist das ganze Alte Testament voll von Anweisungen, auf keinen Fall die Schöpfung anzubeten sondern Gott allein, von dem wir uns kein geschöpfliches Bild machen sollen. Die Brüder Hansjörg und Wolfgang Hemminger haben deshalb zurecht geschrieben: „Die Schöpfungsgeschichte bringt eine vollständige Entgöttlichung und Entzauberung der Welt, so vollständig, wie sie außerhalb des Judentums auch nicht annähernd erreicht wurde … Jeder Zeitgenosse, der an sein Horoskop glaubt, fällt in ein Denken zurück, das in 1. Mose 1 bereits überwunden ist.“ In: Hans-Jörg und Wolfgang Hemminger: Jenseits der Weltbilder. Naturwissenschaft, Evolution, Schöpfung. Quell-Verlag Stuttgart 1991, S. 145f.

[2] In seinem Text „Krumme Wurzeln – Die Theologie von Anselm Grün“ zeigt der Theologe Eugen Schmid verschiedene Elemente in der Theologie Grüns auf, die von zentralen Kernaussagen des biblischen Evangeliums grundlegend abweichen.

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