Wenn ein Theologe die Dekonstruktion dekonstruiert

und zudem das Kernproblem unserer Gesellschaft und der evangelischen Allianz aufdeckt

„Meines Erachtens ist es an der Zeit, aus der Defensiv-Theologie auszusteigen und in neue Räume des Denkens vorzustoßen.“
(Dr. Gerrit Hohage, Tief verwurzelt glauben, S. 339)

Kritik an liberaler Theologie gibt es in konservativen Kreisen zuhauf. Ich finde das gut. Wer allerdings immer nur meckert, wirkt mit der Zeit eng, verbittert und unattraktiv. Viele Evangelikale wollen sich deshalb lieber nur noch auf positive theologische Äußerungen beschränken. Aber auch das ist problematisch. Denn die Folge ist, dass es Christen an Orientierung fehlt im Umgang mit den vielen postevangelikalen und „progressiven“ Stimmen, die längst auch im freikirchlichen und allianzevangelikalen Umfeld lautstark zu hören sind.

In seinem Buch „Tief verwurzelt glauben“ zeigt Dr. Gerrit Hohage, wie es besser gehen kann. Als Leser spürt man von Beginn an: Hier schreibt kein nörgelnder Besserwisser, sondern ein brillanter und kenntnisreicher Denker, der zugleich praktizierender Seelsorger ist. Hohage geht es niemals nur um Abwehr und um „Rechtgläubigkeit“. Es geht ihm letztlich immer positiv um die schlüssige Darstellung unseres Glaubens sowie um das Wohl der Menschen und der Kirche. Seine seelsorgerliche Feinfühligkeit ändert aber nichts daran, dass Hohage messerscharf analysieren kann. Ein Beispiel gefällig?

Die fatalen Folgen der Wunderkritik

„Zu den erstaunlichsten und problematischsten Erscheinungen der Moderne gehört für mich, dass die wissenschaftliche Theologie … den Glauben, dass es keinen Gott gibt, der in die ausgedehnte Welt eingreift, in großem Stil übernommen hat. … Der Mainstream mindestens der deutschsprachigen Theologie betreibt diese allen kritischen Anfragen zum Trotz seit mehr als 200 Jahren methodisch so, »als ob es Gott nicht gäbe«. Das wird oft in Wortwatte verpackt und ungern offen eingeräumt. Aber wenn man genau hinsieht, dann findet man dies als selbstverständliche Voraussetzung in theologischer Literatur bis heute.“ (S. 97/98)

Hohage bestätigt hier, was ich auch in meinem Artikel „Das wunderkritische Paradigma“ beschrieben habe: Die Theoriebildung in der akademischen Theologie arbeitet (wie auch in den anderen Fakultäten) mit Prämissen, in denen „Wissenschaftlichkeit“ gleichgesetzt wird mit dem prinzipiellen Ausschluss übernatürlicher Ursachen (also Wunder und Offenbarungsereignisse).[1] Hohage kommentiert völlig zurecht: „Keine dieser Prämissen wurde jemals bewiesen oder ist logisch beweisbar. Es sind sämtlich Glaubenssätze und Vorannahmen.“ (S. 206) Wissenschaftlichkeit und intellektuelle Redlichkeit müsste also keinesfalls dazu führen, der Bibel ihre geschichtliche Glaubwürdigkeit abzusprechen[2]. Zumal die Wunderkritik für die Kirche katastrophale Folgen hat:

„Die Kirche kann ihre Glaubensinhalte nicht mehr vermitteln, weil sie sich im Lauf von zwei Jahrhunderten daran gewöhnt hat, deren Grundlage als »unhistorisch« zu betrachten und es darum gerade für junge Menschen »nur Gerede« zu sein scheint, hinter dem keine Tatsachen stecken.“ (S. 195)

Wenn Gott durch „Gottesbilder“ ersetzt wird

Eine Theologie, die aus Prinzip nicht mit göttlicher Offenbarung rechnet, hat ein weiteres Problem. Sie spricht zunehmend nur noch von „Gottesbildern“ statt von Gott:

„Ich staune immer wieder über die völlige Unbefangenheit, mit der hier und da über »Gottesbilder« geredet wird, als gäbe es in der Bibel kein Gebot, das da lautet: »Du sollst dir kein Bildnis machen von dem Herrn, deinem Gott.«“ (S. 233)

Hohage begründet eindrücklich, warum diese Entwicklung so problematisch ist:

„Mein Gottesbild provoziert mich nicht und fordert mich nicht heraus. Es stört mich nicht in meinen Lebensabläufen, sondern es gibt mir ein gutes Gefühl. Mein Wellness-Gott für Mußestunden. Aber hilft mir mein Gottesbild, wenn ich in Not bin? Wenn ich krank bin? Wenn ich alt bin und nicht mehr sprechen kann? Hilft mir mein Gottesbild, wenn ich sterbe? Hilft es mir durch den Tod? Mein Gottesbild kann mir gar nicht durch den Tod helfen, weil es meines ist, es ist in mir, es hängt an mir und es stirbt mit mir. … So ein Mas-Gott-chen braucht niemand wirklich; … Nur ein Gott, der real ist, kann uns real durch den Tod tragen und uns real ewiges Leben geben. Diesen realen Gott müssen wir kennen und kein noch so nices »Gottesbild«.“ (S. 233/234)

Hohage schildert hier eine zentrale Ursache für die dramatische Selbstmarginalisierung der evangelischen Kirche, in der er selbst als Pfarrer tätig ist. Zurecht wirbt er deshalb für ein grundlegendes Prinzip des Christentums, das auch bei der Namensgebung der Mediathek „offen.bar“ leitend war:

„Ich baue meinen Gott nicht zusammen; ich erfinde meinen Jesus nicht. Sondern der wirkliche, der auferstandene Jesus enthüllt sich mir als der, der ist, und der war, und der kommt. Es geht um Offenbarung, nicht um Interpretation. Das Christentum ist und war nie eine spekulative Philosophie – es ist in seinem innersten Wesenskern eine Offenbarungsreligion.“ (S. 41/42)

Die Knackpunktfrage: Wie gehen wir mit der Bibel um?

Aber woher können wir wissen, wer und wie dieser wahre Jesus wirklich ist? Bei dieser Frage spielt die Bibel für Hohage eine entscheidende Rolle: „Jesus, die Wahrheit, ist ohne die Wahrheit der Bibel nicht zu haben. An Jesus zu glauben setzt voraus, dass wir der Bibel glauben.“ (S. 114) Denn nur in der Bibel finden wir Jesu Worte, auf die wir als Jünger Jesu hören sollen: „Wahrhaftige Jüngerschaft setzt das Vertrauen in die Verlässlichkeit, d. h. Wahrheit der Worte Jesu voraus.“ (S. 112)

Aber was bedeutet „der Bibel glauben“ konkret? Welches Bibelverständnis muss uns dabei leiten? Hohage kritisiert jeden Versuch, das Wort Gottes in der Bibel ganz oder teilweise vom menschlichen Wort zu trennen, sei es durch eine Überbetonung einer „Christusmitte“[3] oder durch die weit verbreitete Formel von der Bibel als „Gottes im Menschenwort“[4]. Stattdessen ist die Bibel für Hohage zugleich ganz Menschenwort und ganz Gotteswort:

„Einerseits hören wir in der Bibel das Wort des lebendigen Gottes, und andererseits sehen wir ihre Menschlichkeit und können nicht so tun, als wäre sie vom Himmel gefallen wie der Koran – zumindest behauptet das der Islam. Es ist wie bei Christus, dem Wort, das Fleisch wurde. … Wir haben in Jesus nicht halb-und halb, sondern ganz-und-ganz vor uns. … Wir haben in den Worten der Apostel, wie sie in der Gestalt der biblischen Schriften gefasst sind, nicht halb-und-halb, sondern ganz und-ganz vor uns: Gottes Wort in, mit und unter ihren menschlichen Worten, »unvermischt und ungetrennt«“ (S. 241/242)

Die Kernfrage unseres Glaubens: Warum starb Jesus am Kreuz?

Besonders wichtig wird dieses Bibelverständnis, wenn es um den Kreuzestod Jesu geht. Hohage kritisiert hier eine Theologie, die meint: Das Kreuz würde nur für uns Menschen eine Rolle spielen. Aber in Bezug auf Gott will man „das Opfer von jedem Gedanken an eine transzendente Wirkung freihalten; es darf bei Gott nichts bewirken, das ist das No-Go.“ (S. 273) Hohage macht deutlich, dass dies nicht nur Anselm und Luther sondern auch die biblischen Schriften ganz anders sehen: „Gott ist nach dem Neuen Testament sowohl der Geber als auch – gemeinsam mit dem Menschen – der Empfänger des Opfers Christi.“ (S. 274) Im AiGG-Artikel “Das Kreuz – Stolperstein der Theologie” habe ich dargelegt, warum diese Einsicht so zentral wichtig ist und warum sich gerade an diesem Punkt die Geister so sehr scheiden.

Zur Beschreibung des Heilsgeschehens am Kreuz lobt Hohage Luthers Formulierung vom „fröhlichen Tausch“. Das Kreuz bringt uns Heil, „weil Christus meine Sünde auf sich genommen und zu seiner eigenen gemacht hat. Er ist jetzt der Sünder, und ich bin jetzt durch ihn gerecht. Das ist konkret und auf einer tiefen Ebene verständlich. Denn was »tauschen« ist, weiß jedes Kind.“ (S. 276) Der Verlust dieser Wahrheit ist für Hohage nicht nur für die Kirche ein großer Schaden. Letztlich leidet die ganze Gesellschaft darunter: „Eine Gesellschaft, die die stellvertretende Sühne des Kreuzes nicht mehr kennt, wird gnadenlos und von Angst geprägt.“ (S. 279)

Folgerichtig verteidigt Hohage auch das Festhalten an der unpopulären, aber biblischen Realität des Zornes Gottes, auf dem zwar Paulus seine Evangeliumsbotschaft aufbaut (Römer 2,1-5), das aber in der heutigen Theologie (selbst im evangelikalen Umfeld) leider oft negiert wird – mit traurigen Konsequenzen:

„Wenn wir die Passagen über den Zorn Gottes den Menschen zuweisen und auf diese Weise biblische Sachkritik betreiben, nehmen wir die Anfechtung, die darin liegt, nicht an. Wir suchen unser Heil darin, sie zu umgehen, und zwar durch Subtraktion. Sachkritik ist eine Subtraktionsmethode, nichts anderes: »Menschenwort, kein Gotteswort«. Dabei sind es nach meiner Erfahrung gerade diese Passagen, in denen die tiefsten Wachstumsschritte stecken.“ (S. 254)

Und damit sind wir bei einer zentralen Fragestellung in Hohages Buch:

Was tun, wenn unser Glaube durch Zweifel erschüttert wird?

Hohage stellt zunächst klar: Er will aus guten Gründen lieber von „Anfechtung“ statt von „Zweifeln“ zu sprechen, denn:

„Am Glauben zweifeln können Glaubende und Glaubenwollende, Nichtglaubende und Nichtglaubenwollende, für die der Zweifel ein Selbstzweck ist, nämlich als Methode, um Gott auf Abstand zu halten. Solche Zweifler fühlen sich im Zweifeln wohl, vielleicht sogar überlegen. Bei glaubenden Christen ist das anders.“ (S. 125)

Für einen gesunden Umgang mit Anfechtung entwickelt Hohage ein differenziertes Diagnostikinstrument (eine „Typologie der Anfechtung“), um unterscheiden zu können, woher unsere Anfechtung kommt (von anderen Menschen, vom Teufel oder von Gott?), auf welcher Ebene sie stattfindet (im Denken, im Fühlen oder im Wollen?) und wohin sie zielt (auf die Gottesbeziehung oder auf unsere Beziehung zur Kirche?). Damit wird auch deutlicher, welchen Wert Apologetik (also die Verteidigung des Glaubens mit rationalen Argumenten) hat. Sie kann immer dann hilfreich sein, wenn unsere Anfechtung auf der Ebene des Denkens stattfindet. „Apologetik, so verstand es Sven Findeisen später, ist »Seelsorge auf dem Feld des Denkens«.“ (S. 124)

Apologetik kann uns zudem helfen, mit Anfechtung richtig umzugehen. Einen Umzug in ein ganz neues „Glaubenshaus“, wie er im postevangelikalen Umfeld oft beworben wird, hält er für die falsche Strategie:

„Wenn uns unser Glaube zu eng vorkommt, stehen wir vor einer Entscheidung: Erweitern wir unseren Wohnbereich in dem Glaubenshaus der weltweiten Kirche Jesu Christi oder wohnen wir uns aus diesem Haus heraus? Für letzteres gibt es drei Kennzeichen … : Distanzierung, Subtraktion und Substitution. … Dann erwartet man in der Bibel keine Anrede von Gott mehr, sondern nur noch antike Literatur oder ein Programm für christliche Kultur. Dann löst man Glaubensfragen dadurch, dass man Glaubensaussagen abschafft oder als praktisch irrelevant behandelt. … unser Problem ist, dass solche Vorgänge bereits zahlreichen Spielarten der klassischen liberalen Theologie zu Grunde liegen und ihre Ergebnisse für christlich gehalten werden, es aber im Grunde genommen nicht mehr sind – an genau diesem Phänomen gehen gerade unsere Landeskirchen zugrunde.“ (S. 185)

Glaube verflacht, wenn wir anstößige biblische Aussagen beschneiden. Deshalb gilt auch umgekehrt: „Begeisternder und begeisterter Glaube braucht Menschen, die den Mut haben, sich auf den Gott der Bibel ganz und gar einzulassen.“ (S. 175)

Eine treffende Gesellschaftsanalyse

Hohage spricht mir mit seinen theologischen Überlegungen an vielen Stellen sehr aus dem Herzen – auch wenn ich durchaus kritische Rückfragen zu einigen Formulierungen habe [5]. Mindestens genauso beeindruckt mich seine Beschreibung der aktuellen Dynamiken in unserer Gesellschaft. Seine zentrale Beobachtung ist:

„Der Horizont … ist weggewischt. Wahrheitsansprüche sind nur noch Machtansprüche, nichts weiter. … Den Beweis ersetzte der »Narrativ« (die »große Erzählung«); diskursive Macht (Empörung und Shitstorms) ersetzte die Debatte.“ (S. 19)

Die Welle der Dekonstruktion, die über unsere Gesellschaft hereingebrochen ist, schien sich lange Zeit nur gegen Machtstrukturen zu richten, die man als überkommen und repressiv empfunden hat. Aber Hohage beobachtet: Jetzt trifft uns der Sog der Rückseite dieser Welle. Eine Gesellschaft ohne objektive Wahrheiten und ohne feste Bezugspunkte hat Populisten, Verführern und manipulatorischen Machtmenschen nichts entgegenzusetzen. Stattdessen „kommt es zur Bildung von tribes (engl. Stämmen) aus Gleichgesinnten, die die Sprechweisen anderer tribes versuchen zu canceln. Was dabei heraus kommt ist eine Welt, in der so etwas wie ein Gemeinwohl aller immer weniger vorstellbar wird.“ (S. 72)

Die zentrale Herausforderung der evangelischen Allianz

Wir alle spüren aktuell, wie zutreffend diese Diagnose ist. Umso dringender bräuchte es gerade jetzt eine Kirche Jesu, die dieser Gesellschaft mit einer klaren, orientierunggebenden Evangeliumsbotschaft begegnet. Davon ist aber nicht nur die evangelische Kirche weit entfernt. Auch die evangelische Allianz tut sich schwer damit. Hohage legt dar, warum das so ist:

In der ursprüngliche Glaubensbasis der Evangelischen Allianz werden die Heiligen Schriften der Bibel noch „als göttlich inspiriert angesehen und als unbedingte Autorität anerkannt. Sie gelten für sich alleine als ausreichend, um dem echten Jesus Christus zu begegnen und das ewige Heil zu erlangen“. … Dieser Konsens beendet nicht die konfessionelle Verschiedenheit und soll es auch gar nicht. Aber er gewährleistet kraft verbindlicher Partnerschaft durch die Bindung unter (!) die Heilige Schrift die Apostolizität der im Detail sehr unterschiedlichen Gemeinden und Denominationen der Ev. Allianz. … Leider hat diese Lösung nur so lange funktioniert, wie die Sprache auf ein gemeinsames Gemeintes verweisen konnte.“

Genau das hat sich durch die Einflüsse der Postmoderne leider geändert – mit gravierenden Folgen:

„Wenn man die Bibel als »Gotteswort im Menschenwort« statt als Gotteswort »in, mit und unter« dem Menschenwort versteht und das erstere aus letzterem mittels selbstgebastelter Kriterien herausschälen möchte, … dann kann die Heilige Schrift die Apostolizität und Glaubenseinheit der Partner-Denominationen auch nicht mehr gewährleisten. Genau dasselbe ist ja seit langem in den Landeskirchen der Fall. Damit ist auch in der Evangelischen Allianz die Frage wieder offen: Auf welchem Wege wird die Apostolizität unserer Gemeinden und Denominationen gewährleistet? Das ist das Sachproblem, vor dem die protestantische Konfessionsfamilie heute angesichts der Postmoderne steht und das derzeit in der Evangelischen Allianz für jede Menge Konflikte sorgt.“

Genau so ist es. Mit den Konflikten, die sich aus der Erosion der verbindenden Glaubensfundamente ergeben, habe ich mich in den letzten Jahren intensiv beschäftigt. Und ich engagiere mich leidenschaftlich für eine Lösung, die auch Hohage aufgreift:

„Es gibt einen Lösungsversuch, der … dem Bekenntnis die Funktion einer verbindlichen hermeneutischen Richtschnur zuweist. … Das Problem daran ist schon lange die Verbindlichkeit, die nicht mehr gesehen wird – zumindest nicht so, dass sie einen Einfluss auf die Theologie hätte. … Der Vorschlag, in der Evangelischen Allianz eine solche Verbindlichkeitskultur zu etablieren, stößt, wie Thorsten Dietz gezeigt hat, auf ein strukturelles Problem: »Als breite Bewegung kann sie theologische Fragen nicht verbindlich klären. Dafür hat sie weder die Strukturen noch die Durchsetzungsmöglichkeit.« Ich glaube allerdings, dass Dietz es sich hier zu einfach macht – immerhin hat diese Bewegung die theologischen Fragen, um die es hier geht, schon einmal geklärt, nur dass diese Klärung über der Postmoderne inzwischen implodiert ist und also ersetzt oder zumindest ergänzt werden muss. Man kann dem Versuch einer solchen Ergänzung, um die sich z.B. das »Netzwerk Bibel und Bekenntnis« bemüht, natürlich kritisch gegenüberstehen. Aber dann müssen eben andere Antworten auf das dahinterstehende Sachproblem gefunden werden.“ (S. 301)

Hohage lässt das so offen stehen, schildert aber selbst keine Alternative zu diesem Lösungsvorschlag. Vielleicht, weil er keine andere Alternative sieht? Jedenfalls betont er selbst, wie unverzichtbar Bekenntnisse für unser gemeinsames „christliches Haus“ sind:

„Allen christlichen Kirchen gemeinsam ist das »Nicänische Glaubensbekenntnis« … Mit dem Bild des Fachwerkhauses gesprochen bildet es die Eckbalken des Fachwerks. Es markiert, bis wohin das Haus des Glaubens geht, also den Raum, in dem man diesem Gott begegnen kann. Innerhalb dieser Eckbalken erhebt sich das weitverzweigte Bauwerk der Erkenntnis Gottes.“ (S. 187)

Genau deshalb engagieren wir uns im Netzwerk Bibel und Bekenntnis dafür, dass diese zentralen Bekenntnisse wieder stark gemacht und zum Leuchten gebracht werden. Wir glauben: Als Kirche Jesu müssen wir neu begründen lernen, warum wir fest zu diesen ewigen Glaubenswahrheiten stehen und warum sie für die Kirche Jesu so heilsam und unaufgebbar wichtig sind. Darin liegt auch ein notwendiger Bildungsauftrag. Denn völlig zurecht schreibt Hohage:

„Die Gemeinde vor Anfechtung abzuschirmen ist weniger nachhaltig, als sie fit zu machen, um in ihr zu bestehen. Die hierfür notwendigen Kompetenzen gilt es mit der Gemeinde einzuüben.“ (S. 307)

Ich freue mich umso mehr, dass Gerrit Hohage bei der Konferenz JESUS25 das Forum Apologetik mit leiten wird, von dem ich mir für diesen Bildungsauftrag wichtige Impulse erhoffe.

Mein Fazit: Ich kann nur hoffen, dass das Buch von Gerrit Hohage dazu beiträgt, dass gerade auch im Umfeld der evangelischen Allianz über diese Themen wieder vertieft gesprochen wird. Angesichts der vielen wertvollen Inhalte (auch dieser längere Artikel konnte nur eine kleine Auswahl wiedergeben) möchte ich allen meinen Lesern dringend empfehlen, dieses Buch zu lesen und weiterzuempfehlen.

Das Buch “Tief verwurzelt glauben” ist 2024 bei SCM R. Brockhaus erschienen und kann hier bestellt werden.


[1] Hohage macht deutlich, dass ein Verstoß gegen diese Gleichsetzung schwerwiegende Konsequenzen hat: „Man erkennt unschwer, dass es um die obigen Axiome … und deren unbedingte Anerkennung als soziale Voraussetzung für die Beteiligung am wissenschaftlichen Diskurs geht. Wer daran rüttelt, der ist in der Theologie wissenschaftlich erledigt, dem wird der Diskurs verweigert, wie gut seine Argumente auch sein mögen.“ (S. 332, Endnote 144) Diese Realität kann ich nur bestätigen. Man sollte sie kennen, wenn man sich fragt, warum sich selbst konservativere Theologen im akademischen Umfeld so schwertun, in ihrer Theoriebildung mit Wundern und Offenbarungsereignissen zu rechnen.

[2] Allerdings halte ich bei diesem Thema die Argumentationsstrategie von Hohage für fragwürdig und unnötig kompliziert. Hohage meint: Wir müssen akzeptieren, dass der Begriff „historisch“ untrennbar mit wunderkritischen Axiomen verknüpft sei, denn es sei doch „sehr unwahrscheinlich, dass man sich im Wissenschaftsbetrieb auf eine Dehnung der Prinzipien ernsthaft einlassen würde.“ (S. 215) Das stimmt zwar. Aber das wird auch für viele andere „evangelikale“ Überzeugungen gelten, die Hohage in seinem Buch selbstbewusst vertritt. Warum also gerade hier diese Kapitulation? Ich würde uns raten, lieber selbstbewusst davon zu sprechen, dass die historisch gemeinten Texte der Bibel (genau wie die historisch gemeinten Aussagen des apostolischen Glaubensbekenntnisses) auch realhistorisch ernst genommen werden dürfen und müssen. Denn Hohage stellt ja selbst zurecht fest, dass für den „common sense“ die folgende Kombination gilt: „historisch = wirklich/real = wahr  unhistorisch = nicht wirklich/nicht real = nicht wahr.“ Ich meine: Wir sollten es uns nicht nehmen lassen, das Wort „historisch“ in der Bedeutung zu nutzen, wie es von den meisten Menschen intuitiv verstanden wird.

[3] „In zahlreichen kirchlichen Verlautbarungen … wird inzwischen betont, dass Christus die Mitte der Heiligen Schrift ist. … Das Problem hat sich durch diese Einsicht aber nicht gelöst, sondern nur verschoben. Denn welcher Christus darf’s denn sein als Mitte der Schrift? … Dies bleibt unklar, und deswegen ist dieses inflationär beliebte Kriterium nicht brauchbarer als frühere Kriterien, die heute als zeitbedingte Konstruktionen gelten. Luther hat seinen Satz »Kanonisch ist, was Christum treibet« nicht dazu gedacht, um innerhalb einzelner biblischer Schriften kanonische von nicht-kanonischen Anteilen zu unterscheiden. Er setzt die Ganzheit der Heiligen Schrift voraus. Denn ohne sie kann der echte Jesus Christus in seiner Identität gar nicht als ihre Mitte gewonnen werden. An diesem Punkt sind Christologie und Hermeneutik (=Lehre vom Verstehen) untrennbar miteinander verkoppelt.“ (S. 241)

[4] Denn die Formel „Gotteswort im Menschenwort“ „klärt nämlich gar nichts, weil sie an der entscheidenden Stelle uneindeutig bleibt. … was bedeutet »im«? Der Kern in der Schale? Zwei Worte, die man voneinander trennen kann – hier Menschenwort, da Gotteswort? Nach welchen Kriterien?“ (S. 243)

[5] So greift Hohage die Rede von einer „zweiten Naivität“ auf und schreibt auf S. 250: „Andere haben gegenüber der ersten Naivität sehr viel weniger Berührungsängste und lassen die Möglichkeit eines »wortwörtliches« Verständnisses offen. … Denn welchen Weg wir nehmen, damit Gottes Wort uns erreichen kann, ist m.E. weniger wichtig als dass es uns faktisch erreicht, dass wir es hören und es in uns den Glauben wirken kann. Der auf Gottes Reden hörende Gebrauch der Schrift ist unser »erster Ausgangspunkt«, nicht die richtige Theorie über die Schrift. Nicht was wir über die Schrift denken, ist wichtig, sondern ob wir sie so lesen, dass wir Gottes Stimme in ihr hören.“ (S. 250) An anderen Stellen im Buch macht Hohage selbst deutlich: Natürlich ist das, was wir über die Schrift denken, auf Dauer äußerst wichtig für die Frage, ob wir Gottes Stimme darin hören können. Wenn ich mein Gegenüber wirklich hören und verstehen will, dann muss ich ihn sagen lassen, was er sagen will. Konservativen geht es ja nicht um ein „wortwörtliches Verständnis“, sondern um das reformatorische Prinzip, dass die Schrift sich selbst auslegen muss, auch bei der Frage nach der richtigen Textgattung eines bestimmten Abschnitts. Der Bibel glauben und Gottes Stimme in ihr hören heißt auch: Wir versuchen, die Schrift selbst klären und entscheiden zu lassen, welche Passagen realhistorisch und welche metaphorisch gemeint sind. Ein solches Bibelverständnis hat nichts mit Naivität zu tun – weder mit einer ersten noch mit einer zweiten. Gestutzt habe ich übrigens auch beim überschwänglichen Lob für Heinzpeter Hempelmann (S. 11), der zu meinem großen Bedauern inzwischen postevangelikales Gedankengut verbreitet und nach meiner Wahrnehmung angesichts seines immer noch großen Einflusses zu einer wirklichen Belastung für die pietistische und evangelikale Welt geworden ist.

Lieber Andreas Malessa…

Gedanken zu einem Buch über gefährliche Konservative

Lieber Andreas Malessa,

vielen Dank, dass Sie ein Buch für mich geschrieben haben! Es richtet sich ja an „Konservative, die fürchten, dass man der Bibel untreu wird, wenn man den Liberalen glaubt“. (S. 10) Und ja, ich gestehe: Ich bin einer davon.

Vielleicht hat das ja mit meiner Biografie zu tun. Ich bin evangelisch. Ich erlebe hautnah, was Ihnen Reinhold Scharnowski im Livenet-Gespräch gesagt hat: „Die Bibelkritik hat einen ziemlichen theologischen und geistlichen Kahlschlag in der Kirche angerichtet.“[1] Wie wahr. Bei vielen evangelischen Gemeinden muss man eigentlich nur noch klären, wer als letztes das Licht ausmacht. Dabei wären die Voraussetzungen noch immer super. Vom Steueraufkommen und vom Gebäudebestand der Landeskirche können die meisten freien Gemeinden nur träumen. Trotzdem geht es ihnen im Schnitt weit besser. Und mir fällt auf: Die wachsenden und blühenden Gemeinden, die ich kenne, wollen allesamt mit bibelkritischer evangelischer Theologie nichts am Hut haben. Ich werde den Eindruck nicht los: Liberale Theologie tut Kirchen und Gemeinden nicht gut.

Wer genau sind eigentlich die „ultraevangelikalen Fundamentalisten“?

Sie sehen das genau anders herum, richtig? Zumindest sagen Sie ja: Unter den Evangelikalen „richtet ein fundamentalistisches Verständnis der Bibel mehr Schaden an als eine Bibelkritik, die eigentlich mit dem Ende des 20. Jahrhunderts auch irgendwie zu Ende gegangen ist.“[2] Hab ich was verpasst? Hat an den evangelischen Fakultäten jemand gesagt: Wir lassen das jetzt mal lieber mit der Bibelkritik? Da würde ich gerne mehr erfahren. Aber wie auch immer, Sie sagen jedenfalls: „Religionspädagogisch gefährlich“ für die Kirche Jesu seien nicht die Bibelkritiker, sondern die „ultraevangelikalen Fundamentalisten“.[3] Und deshalb zielen (Reinhold Scharnowski spricht gar von „schießen“) Sie in Ihrem Buch vor allem in diese Richtung.[4] Dass das Wort „Fundamentalist“ inzwischen ein „allgemeines Schimpfwort“ ist, schreiben Sie ja selbst (S. 129). Trotzdem verwenden Sie es andauernd. Sind da wirklich so viele üble Gesellen unterwegs, dass Sie ihnen weite Strecken ihres Buchs widmen müssen? Und wen genau meinen Sie eigentlich? Bin am Ende womöglich auch ich gemeint? Stehe ich auch in der Schusslinie? Das habe ich mich nach der Lektüre Ihres Buches gefragt.

Als ich dann Ihr Livenet-Interview zu Ihrem Buch gesehen habe, habe ich mich erst einmal wieder entspannt. Denn offenbar zielen Sie ja auf Leute, die in Bezug auf die Bibel sagen, “man dürfe nicht oder man solle nicht über ihren Entstehungsprozess und über die Intention und die Kultur und den Kontext der Autoren sprechen.”[5] Also da kann ich Sie beruhigen. In meinem Buch „Zeit des Umbruchs“ berichte ich, dass ich eine gründliche Bibelwissenschaft, die Kultur und Kontext erforscht, um die Aussageintention des biblischen Autors sauber herauszuarbeiten, sehr schätze. Und in den Kreisen, in denen ich mich bewege, ist mir auch noch niemand begegnet, der das anders sieht. Darf ich fragen: Wo tummeln sich denn diese gefährlichen Leute eigentlich?

Können Konservative die Textgattungen nicht auseinanderhalten?

Außerdem sind Sie sichtlich genervt von Leuten, die glauben: Gott hat die Erde in 6 Tagen geschaffen und “die Fossilien hat Gott da selber hingelegt … Und nur wer das glaubt, glaubt auch an den Auferstandenen.“[6] Ich bewege mich ja seit Jahrzehnten gerne auch im Umfeld der Studiengemeinschaft Wort und Wissen. Die nennen Sie in Ihrem Buch ja explizit als kreationistische „Lobby-Organisation“.[7] Aber komisch: Auch dort ist mir noch nie jemand begegnet, der glaubt, dass Gott die Fossilien selbst verbuddelt hätte. Ich kenne auch niemand, der den Glauben an die 6-Tage-Schöpfung für genauso wichtig hält wie den Osterglauben. Aber Sie sind ja Journalist. Gibt es Quellen und Zitate aus Deutschland, die ich nachschauen könnte?

Was Sie darüber hinaus stört ist, wenn „poetische Texte … naturwissenschaftlich missverstanden werden.“[8] Deshalb geben Sie in Ihrem Buch ein wenig Nachhilfeunterricht. Sie schreiben: „»In unseren Herzen ging die Sonne auf!« seht auf dem Cover der Klappkarte mit dem Babyphoto. Und innen: »Tobias, 13. März 2023, 4.30 Uhr, 337 Gramm, 51 cm.« Der erste Satz ist eine Metapher, der zweite eine Sachinfo.“ (S. 72)

Das leuchtet ein. Nur frage ich mich: Wo sind denn die Leute, die solche Unterschiede nicht verstehen? Ich kenne niemand, der auf Basis von 1. Mose 1,14 („An der Wölbung des Himmels sollen Lichter entstehen.“) nach einem buchstäblichen Himmelszelt sucht, an dem Scheinwerfer montiert sind. Aber ich kenne durchaus Leute, denen auffällt, dass das mit dem Schöpfungsakt beginnende Geschlechtsregister in 1. Mose 5 in etwa so unpoetisch klingt wie ein Telefonbuch. Und schon ab 1. Mose 2 finden sich detaillierte geografische Beschreibungen, Ortsnamen, Zeit-, Maß- und Altersangaben – eben ganz wie im Innentext Ihrer Klappkarte. Meine Freunde bei Wort und Wissen sagen deshalb: Ganz offenkundig wollte der Autor der Genesis nicht nur Poesie sondern auch Sachinfos weitergeben. Genau so sieht das übrigens auch der ganze Rest der Bibel. Und fast die komplette Kirchengeschichte. Und ja: Gemäß Ihrem Vergleich oben müsste das doch eigentlich auch ganz in Ihrem Sinne sein, oder? Sollten wir nicht ehrlich mit der Bibel umgehen und darauf achten, dass sachlich gemeinte Texte nicht zur Poesie umgedeutet werden, nur damit wir uns um schwierige Auslegungsfragen drücken können?

Sie schreiben in Bezug auf Christen, die in der biblischen Beschreibung der Erschaffung der Arten auch historische Elemente sehen: „Schöner wär’s, wenn gläubige Christinnen und Christen beim Bibellesen nicht das Denken aufgäben…“ (S. 66) Diesen Wunsch teilen wir. Aber haben Sie meine Freunde von Wort und Wissen schon einmal persönlich kennengelernt? Ich kenne nur wenige Christen, die Fragen im Bereich Glaube und Naturwissenschaft so gründlich und selbstkritisch durchdenken wie sie. Interviewen Sie doch mal jemand von ihnen! Fragen Sie am besten gleich auch noch nach dem Unterschied zwischen Intelligent Design und Kreationismus, die sie bei Ihren Ausführungen zur Bakteriengeißel leider durcheinanderwerfen. Und diskutieren Sie mal mit ihnen über das von Ihnen aufgewärmte Bonhoeffer’sche Lückenbüßerargument. Oder lesen Sie in meinem Artikel nach, warum ich dieses Argument angesichts der modernen wissenschaftlichen Trends für überholt halte.[9] Vielleicht ist ja doch nicht alles so schwarz-weiß, wie Sie das darstellen?

Ist Verbalinspiration ein fundamentalistischer Diktatglaube?

Aber gut, jetzt ist es raus: Ich schätze die Studiengemeinschaft Wort und Wissen sehr. Bin ich jetzt doch auch einer von den „ultraevangelikalen Fundamentalisten“, die Sie so gefährlich finden? Zumal ich auch der Verbalinspiration sehr viel abgewinnen kann. Ich glaube tatsächlich, dass nicht nur die Autoren, sondern gerade auch die Texte der Bibel vom Heiligen Geist inspiriert sind. Dazu schreiben Sie:

„Gott sei Dank hat Gott nicht alles gesagt und getan, was in der Bibel über ihn geschrieben steht. Er hat den Menschen sein Wort gegeben. Nicht seine Wörter. Die stammen von Menschen. Darum sollen wir Gott zwar beim Wort, aber die Bibel um Gottes Willen nicht wörtlich nehmen!“ (Zitat Heinz Zahrnt, S. 61) „Evangelien und Briefe des NT sind von Menschen aufgeschrieben und zusammengestellt worden, die von Gottes Geist inspiriert waren. Fundamentalisten haben daraus die These einer »Verbal-Inspiration« gemacht, eines göttlichen Diktats, bei dem den Verfassern von magischer Hand der Griffel geführt wurde: »Es ist ganz sicher, dass die Offenbarung sich bis ins einzelne Wort hinein erstreckt.« Die Frage wäre bloß: In welches einzelne Wort aus welcher Übersetzung? Ohne nähere Begründung wird postuliert: »Der Kanon ist gottgewollt.«“ (S. 124-125)

Das Buch, aus dem Sie die beiden letzten Zitate entnommen haben, wurde von Stephan Holthaus (dem Direktor der Freien Theologischen Hochschule Gießen) und Karl-Heinz Vanheiden (dem Verfasser der Neuen evangelistischen Übersetzung) herausgegeben. Glauben Sie wirklich, dass diese Leute nicht unterscheiden können zwischen Urtext und Übersetzung? Und haben Sie sie mal gefragt, ob sie tatsächlich an eine Diktattheorie glauben?

Ich selbst bin der Überzeugung: Die Bibel ist zugleich ganz Menschenwort und ganz Gotteswort. Das heißt: Menschen haben geschrieben. Bei vollem Bewusstsein. Ihre Perspektive, ihr spezieller Schreibstil und ihre Erfahrungshintergründe sind im Text ja unverkennbar. Von einem „Diktat“ ist das weit entfernt. Von einer „magischen Hand“ erst recht (außer bei den 10 Geboten, siehe 2. Mose 31,18). Aber auch ohne Diktat glaube ich: Der Heilige Geist hat die Worte so tief geprägt („durchhaucht“), dass sie zugleich ganz und gar dem Wesen und der Wahrheit Gottes entsprechen. Deshalb verlasse ich mich darauf: Gott hat wirklich alles gesagt und getan, was in der Bibel über ihn geschrieben steht. Jedes Wort des Urtexts ist verlässlich wahr. „Ohne Irrtum in allem, was es bekräftigt.“ So haben es die bunt zusammengewürfelten christlichen Leiter aus aller Welt in der Lausanner Verpflichtung formuliert. Hat ihnen dieser „Bibelfundamentalismus“ geschadet? Thorsten Dietz schreibt zum evangelikalen Aufbruch des letzten Jahrhunderts:

„Die meisten (gerade auch in den Kirchen) waren sich sicher: Zukunft kann nur eine Christenheit haben, die sich für die Moderne öffnet, die das aufgeklärte Wahrheitsbewusstsein der Wissenschaften respektiert und eine politisch-gesellschaftliche Kraft für eine bessere Welt wird. Welche Zukunft sollten da schon Grüppchen haben, denen Evangelisation und Mission über alles geht, die im Zweifelsfall lieber der Bibel glauben als der historischen Forschung? Wer wird schon Ewiggestrige ernst nehmen, die sich radikal der sexuellen Liberalisierung der 1960er-Jahre verweigern? Aber entgegen allen Erwartungen ist keine religiöse Gruppe im letzten halben Jahrhundert dynamischer gewachsen als diese.“[10]

Also irgendwie scheint dieses oft geschmähte hohe Vertrauen in die Autorität und Verlässlichkeit der Bibel der Kirche doch eher gut zu tun. Oder was meinen Sie?

Leiden Konservative an Spalteritis?

Jetzt schreiben Sie aber: Vor allem die Konservativen seien schuld an Konflikten unter Christen, weil „sich fast immer die Konservativen von den Liberalen trennen und dann die Konservativeren von den Nichtgenug-Konservativen.“ (S. 127) Sind Sie sich da sicher? Kürzlich waren bei uns an der Uni Tübingen die „Hochschultage“. Christen aus mehreren Gruppen haben sich fröhlich zusammengetan, um ihren Mitstudenten von Jesus zu erzählen. Wunderbar! Nur: Den liberalen volkskirchlichen Hochschulgruppen hat das nicht gepasst. Ohne das Gespräch zu suchen, haben sie Queerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Ähnliches gewittert. Sie haben sogar eine Gegendemo organisiert. Weil auch sie diese „fundamentalistisch-christlichen Kreise“ offenbar gefährlich finden. Wie traurig.

Ja, Sie haben recht: Die Evangelikalen streiten und spalten sich manchmal. Aber Streit ist nicht immer schlecht. Paare, die streiten, ringen noch umeinander. Erst wenn der Streit aufhört, ist die Ehe tot. Meine Beobachtung ist: Wenn der Umgang mit der Bibel beliebig wird, dann geschieht etwas schlimmeres als Streit: Man entfremdet sich. Weil man nicht mehr weiß, was eigentlich das gemeinsame Anliegen ist. Weil es nichts mehr gibt, was man ganz selbstverständlich miteinander feiern, besingen und bezeugen kann. So erlebe ich das in meiner evangelischen Kirche. Deshalb ahne ich: Wenn der EKD eines Tages die Kirchensteuermittel ausgehen, wird sie sich nicht streiten, nicht spalten, sondern sich ganz einfach auflösen. Und die streitbaren Konservativen werden weiter das Evangelium verbreiten. Und dafür werden sie sich immer wieder auch zusammenfinden. So wie in der Lausanner Bewegung. Oder bei den Hochschultagen. Oder wie im nächsten Jahr bei der Konferenz JESUS25, die ich mit auf den Weg bringen durfte. Wetten, dass?

Geht es den Konservativen nur um Sex?

An anderer Stelle im Buch trauen Sie den Konservativen dann doch plötzlich wieder erstaunlich viel Weite und Großzügigkeit zu. Sie glauben, dass Konservative sagen: „»Wir können alles Mögliche tolerieren. Außer Segen für Schwule.« Kern- und Grundsatz-Fragen, die 1.000 Jahre lang die Orthodoxen und Katholiken, 500 Jahre lang die Reformierten und Lutheraner, 400 Jahre lang die Methodisten, Baptisten, Mennoniten, Quäker und Pfingstler beschäftigten und voneinander trennten (!) – die Trinität Gottes, der Kreuzestod Jesu, der Auferstehungslaube, die Rolle der Geistesgaben, die Amtsautorität der Priester, die Säuglings- oder Gläubigentaufe, die Zugehörigkeit zur Gemeinde, das Abendmahl, die Beichte, der Gottesdienst – sind schlagartig weder Bekenntnisfragen noch Unterscheidungsmerkmal! Alles wurscht, alles marginal! Die neue Gretchenfrage der Rechtgläubigkeit lautet: »Segnet und traut ihr gleichgeschlechtliche Paare? Dürfen LGBTQ’ler bei euch mitarbeiten?« Daran, und nur noch daran, entscheide sich Wachstum oder Schrumpfung von Gemeinden. Verweisen die Abgelehnten dann darauf, dass derselbe Paulus gesagt hat: »Ihr seid alle Kinder Gottes, weil ihr durch den Glauben mit Christus verbunden seid. Ihr habt in der Taufe Christus angezogen und durch sie gehört ihr nun zu ihm. Es spielt keine Rolle mehr, ob ihr Juden seid oder Griechen, Sklaven oder freie Menschen, Männer oder Frauen, denn durch eure Verbindung zu Christus Jesus seid alle wie ein Mensch geworden« – dann ist ein Bibelvers-Battle eröffnet, die Praxis einer »Pick-and-choose-Mentalität und selektive(n) Bibeltreue«, die erfahrungsgemäß in abseitiges Sektierertum führt, den christlichen Glauben in Verruf bringt, vor allem aber: Schwule lesbische und Transmenschen verbittern lässt.“ (S. 59/60)

Auch hier würde ich Sie gerne fragen: Von welchen Leuten reden Sie genau? Ich kenne viele konservative Vertreter zu diesem Thema. Sie sagen allesamt: Es geht in den aktuellen Debatten zwischen Progressiven und Konservativen im Kern nicht um Sex. Sondern um das Bibelverständnis. Um die Kreuzestheologie. Um das Evangelium. Also um den innersten Kern unseres Glaubens. Auch dazu würde ich Ihnen gerne mein Buch „Zeit des Umbruchs“ ans Herz legen.

Und nein: Niemand von ihnen macht sich die Frage leicht, welche biblischen Aussagen kulturell zeitbedingt zu verstehen sind und welche zeit- und kulturübergreifend normativen Charakter haben. Viele Konservative würden liebend gerne bei den Sexualethikthemen dem Mainstream folgen und sich die Konflikte ersparen, die man sich mit einer konservativen Position einhandelt. Sie suchen sich dieses Thema nicht aus. Aber sie merken nun einmal: Die Aussagen zu „verbotenen sexuellen Beziehungen“ („porneia“)[11] haben in der Bibel eine völlig andere Klarheit, Durchgängigkeit und Eindeutigkeit und zudem ein viel größeres Gewicht als beispielsweise Fragen zum Kopftuch oder zur Gebetshaltung. Deshalb ist ihr Gewissen bei diesem Thema (wie ich finde zurecht) durch die Worte Gottes gefangen.

Bringen Sie damit den christlichen Glauben in Verruf? Führen Sie die Kirche in ein abseitiges Sektierertum? Ich will dazu den Theologen N.T. Wright zitieren: „Während der gesamten ersten christlichen Jahrhunderte, als jede Art von Sexualpraktik, die in der Menschheit jemals bekannt war, in der antiken griechischen und römischen Gesellschaft weit verbreitet war, bestanden Christen wie Juden darauf, dass die ausgelebte Sexualität auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau zu beschränken sei. Heute wie damals denkt der Rest der Welt, das sei verrückt.“[12]

Könnte es sein, dass auch Sie in diese Richtung denken? Jedenfalls hat mich diese Passage in Ihrem Buch geschmerzt. Es tut mir weh, wenn Sie so viele Geschwister der weltweiten und historischen Christenheit, die es sich mit diesem Thema überhaupt nicht leicht machen und die ihr Bestes geben, um allen Menschen jesus-mäßig zu begegnen, pauschal in eine menschenverachtende Sektenecke schieben. Lieber Andreas Malessa, ich glaube, das können Sie besser.

Ja, es gibt sie: Die reflektierten Evangelikalen

Vielleicht können Sie für Ihr nächstes Buch ja noch ein wenig mehr recherchieren über reflektierte Evangelikale, die den Urtext der Bibel für verbalinspiriert und deshalb in einem bestimmten Sinn auch für unfehlbar halten[13], die aber zugleich Textgattungen unterscheiden, den historischen und heilsgeschichtlichen Kontext beachten und zudem liebe- und respektvoll mit Menschen umgehen, die in sexualethischen und anderen Fragen anderer Meinung sind. Ich kenne wirklich viele solche Leute. Es sind wunderbare Zeitgenossen, die Sie unbedingt kennenlernen sollten! Vielleicht merken Sie: Diese Leute sind alles andere als perfekt. Manchmal sind sie auch ein wenig schräg. Aber gefährlich sind sie nicht.


[1] Relevanz der Bibel im 21 Jahrhundert | Gespräch mit Andreas Malessa, Interview Livenet Schweiz von Reinhold Scharnowski am 29.2.24, https://youtu.be/eE5rYmPjap0, 21:50

[2] ebd. 23:05

[3] ebd. 24:54: Wenn einer mir den Glauben abhängig macht vom Buchstabenglauben an diese Bibel, dann bleibt mir nur, alles zu kippen. Deswegen halte ich einen ultraevangelikalen Fundamentalismus religionspädagogisch für gefährlich.“

[4] ebd. 21:30: Reinhold Scharnowski:Ja die Leute [d.h. die Fundamentalisten] mag es geben, die sind meiner Erfahrung nach zumindest hier in der Schweiz (und ich kenne auch die deutsche Szene so ein bisschen) eine Randgruppe. Aber es gibt dann auf der anderen Seite die Bibelkritiker, die sehr massiv mit dem übernatürlichen Kontext der Bibel umgehen, bishin zur Leugnung der Auferstehung. Die letzteren kommen bei dir ein bisschen sanfter weg und die ersteren, die Überfrommen, gegen die ja schießt du ziemlich stark. Das fiel mir richtig auf.“ Andreas Malessa: „Okay, ja dein Eindruck ist wahrscheinlich richtig.“

[5] ebd. 20:47

[6] ebd. 23:35: Wenn jemand rumläuft und sagt: Die zwei Schöpfungserzählungen (Klammer auf: In der Reihenfolge dessen, was da geschaffen wird höchst widersprüchlich, Klammer zu), die muss man wörtlich so nehmen: Die Welt ist in 6 Tagen mit 24 Stunden entstanden, und zwar durch Gottes Handeln und irgendwie hat sich der Colorado River durch den Grand Canyon geschnitten in sechs Tagen und die Fossilien hat Gott da selber hingelegt und so weiter…  Und nur wer das glaubt, glaubt auch an den Auferstandenen, wenn also eine mechanische Achse gelegt wird von poetischen Texten, die naturwissenschaftlich missverstanden werden, zu einem Vertrauensverhältnis zum Auferstanden, dann richtet das meines Erachtens mehr Schaden an, als wenn irgendeiner herkommt und sagt: »Das kannst du streichen und das kannst du streichen«“

[7] S. 65: „Einen Etikettenschwindel schickten auch sie [d.h. die Autoren der „Fundamentals“-Hefte] hier hinterher: Die biblische Genesis-Erzählung sei der »Schöpfungs-Bericht«. So, als hätte Mose mit dem Notizblock danebengestanden. Damit erwarben sich christliche »Fundamentalisten« das Zusatz-Etikett »Kreationisten« und gerieten in Konflikt mit den Ergebnissen aus 400 Jahren Archäologie, Geologie, Astronomie, Biologie, Zoologie, Anthropologie und Geschichtswissenschaft. Trotzdem erhoben (und erheben bis heute) finanzstark spendenfinanzierte Lobby-Stiftungen und -Organisationen den Anspruch, ihr Glaube müsse im Schulunterricht als wissenschaftlich gleichberechtigte Theorie gelehrt werden.“ „…in Deutschland die Studiengemeinschaft Wort und Wissen.“ (Endnote 4, Kap. 6, S. 175)

[8] Siehe Fußnote 6

[9] Markus Till: „Außerwissenschaftliche Vorannahmen: Denkvoraussetzungen von Wissenschaftlern und Theologen“, 27.2.2020, AiGG-Blog, blog.aigg.de/?p=4930

[10] Thorsten Dietz: „Menschen mit Mission“, SCM R. Brockhaus, 2022, S. 92

[11] Die Basisbibel übersetzt das griechische Wort „porneia“ mit „verbotene sexuelle Beziehungen“. Es kommt 25-mal im Neuen Testament vor und steht letztlich für sämtliche sexuelle Praktiken außerhalb der Ehe eines Mannes und einer Frau.

[12] Auszug aus den Seiten 229 – 231: Tom Wright, Warum Christ sein Sinn macht © 2009 Johannis bei SCM Hänssler

[13] Siehe dazu Markus Till: „Ist die Bibel unfehlbar?“ 13.7.2018, AiGG-Blog: blog.aigg.de/?p=4212

So kommen die Evangelikalen aus der Krise

Der Begriff „evangelikal“ ist in Verruf geraten. Das liegt auch daran, dass er kaum definiert ist. Man verbindet ihn primär mit äußerlich sichtbaren Merkmalen und Praktiken, wie zum Beispiel: Evangelikale rufen zur Bekehrung auf. Sie sammeln sich um Bibel und Gebet. Das stimmt zwar. Aber es bleibt schwammig. Im Blick auf die USA hat der Begriff „evangelikal“ zudem eine stark politische Färbung bekommen. Die Folge ist: Immer mehr Evangelikale meiden diese Bezeichnung, weil sie sich bei weitem nicht mit allem identifizieren wollen, was heute als „evangelikal“ wahrgenommen wird.

Der Evangelikalismus muss theologisch definiert werden

Michael Reeves hat vor diesem Hintergrund in seinem Buch „Menschen des Evangeliums“ eine wichtige Forderung formuliert: Wir dürfen den Evangelikalismus nicht nur pragmatisch oder soziologisch definieren, sondern er „muss theologisch und mithilfe des Evangeliums definiert werden.“ (S. 145) Dabei muss gelten: Der „Gegenstand des Evangelikalismus ist das Evangelium, das durch die Schrift offenbart ist.“ (S. 9) Oder noch zugespitzter formuliert: „Evangelikal zu sein heißt, dass die Schrift alles übertrumpft.“ (S. 28) Denn Evangelikale sind überzeugt, dass die Bibel „völlig wahrheitsgemäß und daher völlig vertrauenswürdig ist. Wenn sie fehlerhaft wäre, wie könnten wir dann zulassen, dass sie alles andere außer Kraft setzt?“ (S. 35) Zwar hat für Evangelikale auch das Weltwissen, die Tradition und die Theologiegeschichte einen hohen Stellenwert. Trotzdem gilt in erster Linie: „Um dem Evangelium treu zu sein, müssen wir alles lehren, was die Heilige Schrift lehrt, und zwar mit der Gewichtung und dem Ton, den die Heilige Schrift vorgibt.“ (S. 135)

Im Zentrum der biblischen Lehre steht dabei der stellvertretende Opfertod von Jesus Christus: „Evangelikale verstehen, dass die Schrift von vielen Facetten des Kreuzes spricht: Am Kreuz offenbart sich die Herrlichkeit und Liebe Gottes. Auch triumphiert Christus dort über die Kräfte des Bösen. Beim Kreuz geht es jedoch nicht in erster Linie darum, uns die Liebe Gottes vor Augen zu führen oder Satan zu besiegen. Seit 1. Mose 3 war die große Frage in der Bibel stets: Wie können Sünder, Nachkommen von Adam und Eva, mit Gott versöhnt werden? Das große Problem war der Zorn Gottes über die Sünde (vgl. Röm 1, 18). Angefangen beim Passafest bis hin zu den Opfern des Gesetzes war die Lösung immer ein Stellvertreter, der die Strafe für unsere Sünden an unserer Stelle trug. Christus ist für uns, an unserer Stelle, gestorben, damit der göttlichen Gerechtigkeit Genüge getan werde und »wir nun durch ihn gerettet werden vor dem Zorn« (Röm 5, 8–9).“ (S. 60)

Den Evangelikalen geht es aber nicht nur um Lehre. Reeves betont: „Evangelikale müssen ihre Theologie auch anwenden.“ (S. 85) Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Heilige Geist: „Evangelikale sind Menschen, die »aus dem Geist geboren« sind (Joh 3, 6.8). … Die Wiedergeburt ist ein göttliches Werk des Geistes, bei dem ein neues geistliches Leben entsteht, was eine radikale Veränderung des Herzens bewirkt.“ (S. 80) „Wir, die wir von der Verurteilung durch das Gesetz befreit sind, fangen tatsächlich an, in Übereinstimmung mit dem Gesetz zu leben, weil der Geist in uns wirkt. Unser Leben verändert sich.“ (S. 84)

Evangelikalismus ist das ursprüngliche, biblische, apostolische Christentum

Der Evangelikalismus ist also trinitarisch: Es geht ihm um die Offenbarung des Vaters in der Heiligen Schrift. Um die Erlösung durch den stellvertretenden Opfertod des Sohnes Jesus Christus. Und um ein neues, verändertes Leben durch den Heiligen Geist. Diese trinitarische Sicht findet sich auch im Nicänischen und im Apostolischen Glaubensbekenntnis. Reeves zitiert deshalb zurecht den großen evangelikalen Theologen John Stott mit der Behauptung, „dass der evangelikale Glaube nichts anderes ist als der historische christliche Glaube: das ursprüngliche, biblische, apostolische Christentum. … Was wir Evangelikalen sein wollen, ist schlichtweg: biblische Christen. … Unser Ziel – in aller Demut – ist es, der biblischen Offenbarung gegenüber loyal zu sein.“ (S. 149, 39/40)

Einheit durch Treue zum Evangelium und Weite in Randfragen

Reeves legt zudem dar: Nur auf dieser soliden biblischen Grundlage ist es möglich, dass Evangelikale zu einer Einheit finden. Denn es muss ja der „Wunsch eines jeden gesunden Evangelikalen“ sein, „dass das Volk des Evangeliums in seinem Engagement für das Evangelium vereint ist. Dass sowohl dem streitsüchtigen Gruppendenken, das andere Themen auf die Ebene des Evangeliums hebt, als auch dem Verrat, der die wesentlichen Wahrheiten des Glaubens aufgibt, ein Ende gesetzt wird. Dass Evangelikale gemeinsam zur absoluten Autorität und Vertrauenswürdigkeit der Offenbarung Gottes stehen, die den einen wahren Gott, die Vollständigkeit und Hinlänglichkeit der Erlösung durch Christus und die Notwendigkeit und Bedeutung der Wiedergeburt durch den Geist verkündet.“ (S. 131)

Einheit durch Weite in theologischen Randfragen und unbedingte Treue zum biblisch bezeugten Evangelium. Einheit, die wächst, weil Jesus Christus unser gemeinsames Haupt ist und sein Wort unsere verbindet. Was für eine wunderbare Vision eines Gottesvolks, das tatsächlich von Christus selbst vereint und geprägt wird! Eine solche Einheit ist nicht abhängig von charismatischen Leiterfiguren, gemeinsamen Traditionen oder Institutionen.

Sie ist deshalb wesentlich stabiler sein als eine institutionelle Einheit, an die sich die großen Kirchen zunehmend vergeblich klammern. Und sie ist sehr viel nachhaltiger als der weit verbreitete Versuch, unsere Einheit durch Pragmatismus und die Vermeidung von Theologie zu retten. Grundlegende theologische Differenzen dürfen wir nicht unter den frommen Teppich kehren. Einheit gelingt auf Dauer auch nicht durch den einseitigen Fokus auf gemeinsame Praktiken, auf Lobpreis, Evangelisation oder Gemeindebau. Eine solide, in der Bibel gegründete Theologie ist ein unverzichtbarer Bestandteil für die Einheit der Kirche Jesu.

Der Begriff ist wertvoll – der Inhalt ist entscheidend

Aber brauchen wir den Begriff „evangelikal“ überhaupt? Auch ich wäre so gerne einfach Christ. Aber die traurige Realität ist eben auch: Es sind so viele Menschen unterwegs, die sich selbst Christen nennen, obwohl sie sich vom biblischen Evangelium weit entfernt haben. Wenn wir über die große Gruppe der Christen sprechen wollen, die an der Wahrheit und Verlässlichkeit der biblischen Offenbarung festhalten wollen, dann brauchen wir dafür einen Begriff. Die Evangelikalen bilden aktuell die zweitgrößte Gruppe der Christenheit. Eine alternative Bezeichnung für diese weltumspannende Bewegung ist nirgends in Sicht. Reeves schreibt deshalb zurecht:

„»Man hat immer wieder versucht, den Begriff evangelikal durch einen brauchbareren zu ersetzen, aber solche Bemühungen waren wenig erfolgreich. Der Grund dafür ist ganz einfach: Das Wort erreicht wirklich das, was es beabsichtigt. Das Wort identifiziert diejenigen, deren primäre Identität darin besteht, ein Volk des Evangeliums zu sein.«[1] Namen sind wichtig. Die Zukunft der Evangelikalen hängt jedoch nicht davon ab, wie wir genannt werden. Der Evangelikalismus wird überall dort stark sein, wo Gläubige Schulter an Schulter für den Glauben kämpfen, der ein für alle Mal den Heiligen anvertraut ist. Er wird dort gedeihen, wo die Menschen des Evangeliums Integrität gegenüber dem Evangelium wahren.“ (S. 139/140)

Wie wahr! Und ich kenne kein anderes Buch, in dem dieser ein für alle Mal überlieferte Glaube so treffend und prägnant zusammengefasst wird. Für mich ist „Menschen des Evangeliums“ deshalb schon jetzt DAS Buch des Jahres 2024. Es skizziert in wunderbarer Weise die entscheidenden Wahrheiten, auf deren Grundlage diese bunte und vielfältige evangelikale Bewegung in Einheit für einen geistlichen Aufbruch beten und arbeiten kann.

Das Buch „Menschen des Evangeliums“ von Michael Reeves hat 173 Seiten. Es ist 2024 bei Verbum Medien erschienen und kann hier bestellt werden: https://verbum-medien.de/products/menschen-des-evangeliums


[1] zitiert von Albert Mohler, »Confessional Evangelicalism«, in Four Views on the Spectrum of Evangelicalism, Andrew David Naselli und Collin Hansen (Hrsg.), Grand Rapids: Zondervan, 2011, S. 69.

Muss der Evangelikalismus dekonstruiert werden?

Das ging schnell. Das Buch „Deconstruct Faith – Discover Jesus“ („Dekonstruiere den Glauben – Entdecke Jesus“) des US-amerikanischen Theologen und Pastors Preston Ulmer ist erst am 6.6.2023 erschienen. Nur etwa 7 Monate später hat nun der Verlag SCM R. Brockhaus die deutsche Übersetzung vorgelegt unter dem Titel: „Anders als geglaubt – Mit Christus vor Augen Dekonstruktion verstehen“.

Nach der Lektüre muss ich sagen: Der englische Buchtitel ist passender. Denn tatsächlich ist dieses Buch ein Aufruf, Glaubensdekonstruktion aktiv voranzutreiben. In seinem Vorwort schreibt Ulmer: „Dieses Buch schreibe ich als Fürsprecher – stellvertretend für alle, die eine Dekonstruktion des Glaubens fordern, weil sie sehen, welchen Schaden bestimmte christliche Traditionen und Sichtweisen angerichtet haben.“ (S. 9) Und Ulmer lässt von Beginn an keinen Zweifel daran, an welchen Glauben, an welche christliche Tradition und an welche Sichtweise er dabei denkt:

Evangelikalismus im Fadenkreuz der Dekonstruktion

Ulmer will mit seinem Buch zeigen, „wie man am besten vorankommt, wenn Teile des Christentums (nämlich der Evangelikalismus) ganz klar dekonstruiert werden müssen.“ (S. 110/111) „Jesus im einundzwanzigsten Jahrhundert zu folgen bedeutet, ihm außerhalb bestimmter evangelikaler Normen zu folgen. Es bedeutet, diese Tempel des Götzendienstes abzubauen und andere zu ermutigen, dasselbe zu tun. In den Interviews und Recherchen, die ich für dieses Buch geführt habe, kamen viele verschiedene evangelikale Normen als Themen zur Sprache, die Christen heute dekonstruieren. Einige der großen Themen waren Politik, Purity Culture, eine „platte“, wenig differenzierte Lesart der Bibel, die Behandlung und Ausgrenzung der LGBTQ+-Gemeinschaft, die Lehre von der Hölle und Scheinheiligkeit.“ (S. 103) Zur Einordnung des Evangelikalismus zitiert Ulmer zudem die US-amerikanische Autorin Kristin Kobes Du Mez: „Auch wenn Evangelikale häufig behaupten, dass die Bibel die Quelle ihres sozialen und politischen Engagements ist, muss der Evangelikalismus eher als eine kulturelle und politische Bewegung gesehen werden und nicht als eine Gemeinschaft, die sich in erster Linie durch ihre Theologie definiert.“ (S. 153)

Ulmer scheut sich nicht, diese Dekonstruktion des Evangelikalismus in eine direkte Linie zu stellen mit den Auseinandersetzungen Jesu, der alttestamentlichen Propheten, der Apostel und der Reformatoren mit den religiösen Autoritäten ihrer Zeit.[1] Ulmer hält Dekonstruktion sogar für „heilig“ (S. 17) und für einen notwendigen Weg, um Jesus zu folgen und „seiner Autorität das letzte Wort zu überlassen“ (S. 181). Dekonstruktion ist für ihn „ein Spezialgebiet Jesu, und die Anhänger Jesu täten gut daran, es sich zurückzuerobern.“ (S. 18)

Sind Evangelikale für Ulmer also so etwas wie die Pharisäer der Moderne? Tatsächlich schreibt er: „Die Gebote Gottes außer Kraft zu setzen und stattdessen an menschlichen Überlieferungen festzuhalten, das ist die Hauptsünde, gegen die in der exvangelikalen Welt ermittelt wird.“ (S. 132)

Jesus, Geist und Liebe versus Buchstabe, Gesetz und Dogma

Man sollte meinen: Wer so pauschal gegen die zweitgrößte Gruppe der weltweiten Christenheit wettert und sich dabei auch noch auf Jesus, die Apostel, die Propheten und die Reformatoren beruft, dem wird eine solide Begründung dieser Sichtweise wichtig sein. Jedoch: Eine auch nur einigermaßen fundierte theologische Argumentation sucht man in „Anders als geglaubt“ vergeblich. Lediglich aus verstreuten Andeutungen kann man grob das folgende Bild von Ulmers Theologie skizzieren:

Immer wieder macht Ulmer deutlich, dass für ihn das „Leben Jesu“[2] und „die Liebe“[3] vorherrschende hermeneutische Schlüssel sind, an denen sich jede Bibelauslegung und jede ethische Entscheidung messen lassen muss: „Wichtiger als die Stabilität der christlichen Lehre scheint die Fähigkeit zu sein, wie ein echter Christ zu lieben. Und das ist die Grundlage jeder Lehre, die wir anderen vermitteln wollen!“ (S. 22) „Jede unserer Regeln, die nicht dem Wesen Jesu entspricht, das Liebe ist, gehört nicht ins Haus Gottes.“ (S. 158) Wir sollen uns deshalb ausschließlich „an Jesus und die ursprüngliche Kirche binden“. (S. 137) Tradition und Wahrheit hingegen sollen hinter die gute Botschaft von Jesus zurücktreten.[4] Um das zu erreichen, versuche „die Dekonstruktionsbewegung …, Jesus aus ungesunden und wenig hilfreichen Interpretationen der Bibel zu entschlüsseln.“ (S. 194) Jesu Heilungswunder am Sabbat (die in der Tora nirgends verboten werden) und die Bergpredigt sollen laut Ulmer zeigen, „wie der Buchstabe des Gesetzes im Licht des Geistes des Gesetzes umgeschrieben wird.“ (S. 148) Ulmer sieht einen Gegensatz zwischen dem „Dogma“ auf der einen Seite und „Liebe, Akzeptanz und Gnade“ auf der anderen Seite. Die geistliche Haltung sei wichtiger als die Loyalität zu einer Position.[5] „Das Gesetz zu erfüllen, bedeutet, den Geist des Gesetzes zu ehren, den Grund, aus dem es überhaupt erst geschaffen wurde.“ (S. 148)

Die Konsequenzen dieses Ansatzes zeigen sich am deutlichsten im Feld der Sexualethik. Ulmer sieht im gnädigen Umgang Jesu mit der Ehebrecherin und mit der Samariterin am Brunnen den Beweis, dass Jesus heutzutage evangelikale Sexualethik dekonstruieren würde. Dabei beruft sich Ulmer auch auf den bekannten postevangelikalen Theologen David Gushee, der sich jüngst auch in Deutschland für die Überwindung evangelikaler sexualethischer Sichtweisen stark gemacht hat.

Den evangelikalen Widerstand gegen Dekonstruktion führt Ulmer letztlich auf niedrige Motive zurück: „Dekonstruktion verärgert die Pastoren, und zwar, weil nicht Gott in Frage gestellt wird, sondern sie.“ (S. 49) Ulmer sehnt sich nach einer neuen Reformation, die „aus der Wiederentdeckung alter Wahrheiten“ erwächst. „Die alte Wahrheit, die so leicht verloren zu gehen scheint, sind die Person und das Werk Jesu als unsere deutlichste Offenbarung Gottes.“ (S. 138)

Die Frage ist: Kann man sich für solche Sichtweisen tatsächlich auf Jesus, die Propheten, die Apostel und die ursprüngliche Kirche berufen? Was genau ist denn die „alte Wahrheit“, die uns durch Jesus offenbart wurde?

Preston Ulmers Theologie im Faktencheck

Wenn man Jesus und die Liebe gegen die Buchstaben und Worte der Bibel in Stellung bringt, hat man immer ein grundsätzliches Problem: Wir wissen nun einmal absolut nichts über Jesus und sein Verständnis von Liebe außer das, was die Worte der Bibel uns berichten. Und was wir da lesen, ergibt doch ein deutlich differenzierteres Bild. Der biblische Jesus hatte immer beides im Blick: Die Liebe Gottes genauso wie seine Heiligkeit. Niemand spricht in der Bibel so häufig über die Hölle und das Gericht wie er. Der Versuch, „Jesus aus ungesunden und wenig hilfreichen Interpretationen der Bibel zu entschlüsseln“, bedeutet letztlich, dass unser eigenes Urteil darüber, was wir als gesund und hilfreich empfinden, zum Maßstab wird für unser Bild von Jesus und seiner Botschaft. Dann landen wir letztlich bei einer menschengemachten Religion.

Im ganzen Neuen Testament finden wir zudem keinerlei Hinweise, dass Jesus oder die Apostel mit dem Alten Testament auf Kriegsfuß gestanden hätten. „Habt ihr nicht gelesen?“ war für Jesus regelmäßig die Grundlage seiner Argumentation. Gerade in der Bergpredigt hat sich Jesus ausdrücklich hinter jeden Punkt und Strich des Gesetzes gestellt (Matth. 5, 17-19). Er sah keinen Widerspruch zwischen Liebe und Gebot (Joh. 14, 15). Er hat die Ehebrecherin zwar vor der Steinigung bewahrt, den Ehebruch aber trotzdem als Sünde bezeichnet (Joh. 8, 11). Jesus hat „Unzucht“ („porneia“, also sämtliche sexuelle Praktiken außerhalb einer Ehe von Mann und Frau) genau wie die Apostel (Apg. 15, 20) ganz klar abgelehnt (z.B. Matth. 15, 19). Gerade im Feld der Sexualethik hat Jesus die alttestamentliche Gesetzgebung nicht nur bestätigt, sondern sogar verschärft. Für den Theologen Gerhard Maier steht fest, dass der historische Jesus ganz eindeutig ein durch und durch schrifttreuer Jude war: „Die Schrift war für Jesus wie für seine jüdischen Gesprächspartner die letzte Entscheidungsinstanz. … Es kann überhaupt kein Zweifel daran sein, dass den heiligen Schriften in den Augen Jesu eine unvergleichliche Autorität zukommt.“[6] Jesus hatte in Bezug auf die Heilige Schrift also keine Buchstabenphobie. Wer so wie Ulmer einen künstlichen Gegensatz konstruiert zwischen Gesetz und Geist bzw. Buchstabe und Liebe, der kann sich damit nicht auf Jesus berufen.

Völlig absurd wird es schließlich, wenn Ulmer sich für seine Position auf die „ursprüngliche Kirche“ beruft. Denn diese war im Feld der Sexualethik eher noch strenger und konservativer als die heutige evangelikale Welt (siehe dazu z.B. die Vorträge von Prof. Roland Werner über Polykarp von Smyrna).

Insgesamt muss man sich wundern, warum Ulmer mit seiner Forderung nach Dekonstruktion speziell auf den Evangelikalismus zielt. Die Evangelikalen sind ja bei weitem nicht die Ersten und Einzigen, die die gesamte Heilige Schrift als autoritativen Maßstab des christlichen Glaubens ansehen und praktizierte Sexualität exklusiv dem geschützten Rahmen der Ehe zuordnen. Mit seiner LGBTQ+-konformen „Hermeneutik der Liebe und des Lebens Jesu“ dekonstruiert Ulmer nicht nur die Evangelikalen, sondern faktisch weite Teile der historischen und der weltweiten Kirche.

Quo vadis SCM R. Brockhaus?

Ja, es gibt sie: Gut durchdachte postevangelikale Bücher, die mich zum gründlicheren Reflektieren meiner eigenen Positionen animieren, manche Entwicklungen im Evangelikalismus zurecht kritisch beleuchten und somit auch eine gute Grundlage für einen sinnvollen Dialog darstellen können. Das Buch „Anders als geglaubt“ gehört nicht dazu. Es begründet seinen undifferenzierten Pauschalangriff auf den Evangelikalismus derart oberflächlich, dass ich mich frage: Was hat SCM R. Brockhaus nur motiviert, ausgerechnet dieses Buch im Eiltempo zu übersetzen?

Der R. Brockhaus-Verlag hat eine lange Geschichte. Die meiste Zeit seines Bestehens wurde er der konservativen Brüderbewegung zugerechnet. Wir verdanken diesem Verlag nicht nur die Elberfelder Bibel sondern viele herausragende evangelikale theologische Werke. Auf Wikipedia kann man lesen: SCM R. Brockhaus hat das „Ziel, Publikationen aus dem Spektrum evangelikaler Theologie zu veröffentlichen.” Das hat sich offenbar verändert. Es ist schmerzhaft, dass ausgerechnet in diesem traditionsreichen evangelikalen Verlag jetzt ein Buch erschienen ist, das den Evangelikalismus überwinden will.

Das Buch „Anders als geglaubt“ ist im Januar 2024 im SCM R. Brockhaus-Verlag erschienen. Es ist hier erhältlich:
www.scm-shop.de/anders-als-geglaubt-mit-christus-vor-augen-dekonstruktion-verstehen.html


[1] „Fällt dir auf, wie ähnlich die Propheten den Protestanten um 1500 sind? Und wie ähnlich die Protestierer von heute den Propheten von damals sind? Wie die Propheten rufen auch moderne Protestierer gegen die christliche Kultur die Leitenden in der evangelikalen Landschaft auf, zu Gerechtigkeit und Großzügigkeit zurückzukehren.“ (S. 35) „Für viele Christen ist Dekonstruktion keine Phase und kein Modewort, sondern eine Gewohnheit. … Du bist ein Dekonstruierender. Dein Verstand wägt alles ab. Und in letzter Zeit hat dich alles, was das evangelikale Christentum betrifft, runtergezogen. Die gute Nachricht ist: Du bist in guter Gesellschaft! Und die noch bessere Nachricht? Du bist in der Gesellschaft von Jesus.“ (S. 21)

[2] „Vor einigen Jahren, als ich selbst in einem Prozess der Dekonstruktion steckte, habe ich verzweifelt nach einem Glaubenssystem gesucht, das in den Stürmen des Lebens nicht in Mitleidenschaft gezogen werden würde. … Das Leben von Jesus – das ist jetzt der Eckpfeiler meiner Ansichten über Gott, die Bibel, die Hölle, Politik, Sexualität und jedes anderen Tabuthema (und bei keinem davon sind die Evangelikalen die Marktführer).“ (S. 12)

[3] „Wichtiger als die Stabilität der christlichen Lehre scheint die Fähigkeit zu sein, wie ein echter Christ zu lieben. Und das ist die Grundlage jeder Lehre, die wir anderen vermitteln wollen!“ (S. 22)

[4] „Meiner Meinung nach sollten wir aufhören, Nebensachen zu Hauptsachen zu erklären, und beides, Tradition und Wahrheit hinter die gute Botschaft von Jeus zurücktreten zu lassen.“ (S. 140)

[5] S. 147: „Wenn Menschen sich von Dogma und Gesetzlichkeit entfernen und sich zu Liebe, Akzeptanz und Gnade hinwenden, werden sie von vielen Vertretern des Evangelikalismus als Bedrohung angesehen. Aber diese Menschen setzen voll und ganz auf den Geist des Gesetzes, nicht auf das Gesetz selbst. Das führt mich zu der Frage: Ist es besser, den Buchstaben des Gesetzes zu befolgen, oder sich zu bemühen, nach dem Geist des Gesetzes zu leben? … Das Wesen Gottes, wie es sich in Jesus offenbart hat, sollte der Maßstab für alle Gesetze, Traditionen und christlichen Glaubensinhalte sein.“(S. 147) „In der Bergpredigt werden wir Zeugen davon, wie der Buchstabe des Gesetzes im Licht des Geistes des Gesetzes umgeschrieben wird. … Aus dieser Botschaft geht hervor, dass die geistliche Haltung eines Glaubenden wichtiger ist als seine unbedingte Loyalität gegenüber einer bestimmten Position.“ (S. 148)

[6] Gerhard Maier: Biblische Hermeneutik, Witten, 1998, S. 149

Die verlorene Heiligkeit wieder entdecken

Eindrücke aus dem Buch „Majestät“ von Rainer Harter

„Gott ist Liebe.“ (1. Johannes 4, 8+16)

Nur zweimal finden wir diese enorm wichtige Aussage in der Bibel. Sie hat sie unsere heutige Theologie stark geprägt – zurecht. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Heißt das, dass Gott immer nett und entgegenkommend ist? Geht er jederzeit nachsichtig und großzügig mit uns um? Hat er immer nur mutmachende und aufrichtende Worte für uns? In seinem Buch „Majestät“ macht der Autor Rainer Harter deutlich: Man kann die Liebe Gottes nur dann richtig verstehen, wenn man zugleich eine weitere zentrale Eigenschaft Gottes im Blick behält:

„Heilig, heilig, heilig ist der HERR.“ (Jesaja 6,3; Offb. 4,8)

Meine Wahrnehmung ist: Diese Eigenschaft Gottes kommt in vielen Predigten heute eher selten vor. Rainer Harter schreibt sogar: „Die postmoderne Kirche hat die Erkenntnis und Erfahrung von Gottes Heiligkeit in weiten Teilen verloren. Dadurch ist der unfassbare, geheimnisvolle, unbezähmbare und majestätische Gott zu einer diffusen „Macht“ für die einen und zu einer Art spirituellem Übervater für die anderen geworden. Dem Begriff „Gott“ wurde die ihm innewohnende Herrlichkeit, Gewalt, Wildheit und Kraft genommen, die uns die Bibel beschreibt. Damit wurde uns der Weg zu einem „hausgemachten Gottesbild“ gebahnt, welches zum Verlust des Staunens, der Ehrfurcht und der Dankbarkeit geführt hat.“ (S. 19) Harter untermauert diese Einschätzung durch eine US-amerikanische Studie, die im Ergebnis das Bild eines Leibes Christi zeichnet, „dessen Glieder zu einer Gemeinde gehören und die Bibel lesen, das Konzept oder die Bedeutung der Heiligkeit jedoch nicht verstehen, sich persönlich nicht nach Heiligkeit ausstrecken und deshalb wenig oder nichts dafür tun, um ihr nachzujagen.“ (S. 25)

Die Heiligkeit Gottes: Eine zentrale Botschaft der Bibel

Neu ist dieses Problem nicht. Auch Billy Graham fiel schon auf: „Wir haben den Blick für die Heiligkeit und Reinheit Gottes heute weitestgehend verloren. Das ist einer der Gründe dafür, warum wir Sünde so leicht tolerieren.“ (S. 54) Eigentlich ist das erstaunlich. Denn in der Bibel ist die Heiligkeit Gottes ein enorm wichtiges Thema: „Die Aussage, dass Gott heilig ist, ist zentral und unersetzlich für den christlichen Glauben. Es ist die Grundbotschaft der Heiligen Schrift. … Eine weitere die Heiligkeit betreffende biblische Grundaussage, … die sich durch die gesamte biblische Geschichte zieht, ist die Feststellung, dass der Mensch seit dem Sündenfall nicht mehr heilig ist.“ (S. 54/56) „Die Bibel lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Gedanke der göttlichen Heiligkeit eines ihrer wichtigsten Grundkonzepte ist. Wäre Gott nicht heilig und wäre er nicht in der Lage zu heiligen, gäbe es keine Schuld, weil ohne einen klaren Maßstab auch nichts als Abweichung gelten könnte. Aber es gäbe auch keine Vergebung und schon gar keine Möglichkeit für den Menschen, Jesus ähnlicher zu werden. Dies alles steht und fällt mit der Frage nach Gottes Heiligkeit. Würden wir Gott in unserem Denken und Handeln seiner Heiligkeit berauben, würden wir zugleich dem christlichen Glauben eine seiner zentralen Grundlagen nehmen. Dann ergäbe unser Glaube keinen Sinn mehr.“ (S. 52) Harter tritt zudem dem Gerücht entgegen, dass die Heiligkeit Gottes vor allem ein Thema des Alten Testaments sei: „Nirgendwo im Neuen Testament gibt es einen Hinweis darauf, dass Jesus die Heiligkeit des Vaters oder den Aufruf Gottes an seine Kinder, ein heiliges Leben zu führen, in irgendeiner Form abgemildert hätte.“ (S. 30)

Der Verlust der Heiligkeit hat Konsequenzen

Es ist angesichts dieses beeindruckenden biblischen Befunds kein Wunder, dass der Verlust der Heiligkeit Gottes weitreichende Konsequenzen für viele Aspekte unseres Glaubens hat: „Selbst die Gnade Gottes wirkt billig und seine Liebe bekommt den Anschein, selbstverständlich zu sein, wenn wir sie nicht aus dem Blickwinkel seiner Heiligkeit betrachten. Alles wird schal und im schlimmsten Fall empfinden wir sogar Langeweile bei einem so wunderbaren Satz wie „Gott liebt dich“, wenn wir nicht eine Ahnung davon haben, wer und wie er ist.“ (S. 20) Harter sieht zudem einen direkten Zusammenhang zwischen dem Verlust der Heiligkeit und der Lauheit in unserem christlichen Leben: „Ein … ausschließlich zum „lieben Vater“ degradierter Gott weckt kaum Leidenschaft in uns.“ (S. 34) Deshalb ist es aus der Sicht von Harter „unklug, die Ehrfurcht vor Gottes Heiligkeit zugunsten einer falsch verstandenen Niederschwelligkeit in unseren Gottesdiensten abzuschaffen. Spätestens wenn wir damit anfangen, diejenigen Eigenschaften und Worte Gottes, die in unseren Augen nicht mehr zeitgemäß oder für uns schwer verständlich sind, bewusst zu verschweigen oder gar zu verleugnen, sind wir der Versuchung erlegen, uns einen Gott nach unserem Bilde zu schaffen. … Mit guten Absichten laden wir Menschen zu uns ein und präsentieren ihnen ein unrealistisches Gottesbild, das aus einer Mischung von „gutem Onkel“ und „Kumpel im Alltag“ besteht. Das Credo lautet nicht mehr: „Wir glauben an einen heiligen Gott“, sondern „Gott will, dass es uns gut geht“. Der Verlust der Heiligkeit macht Kirche letztlich zu einer fantasievoll ausgestalteten Umkreisung des Menschen um sich selbst.“ (S. 29)

Der Verlust der Heiligkeit hat auch für unsere Gottesdienste weitreichende Konsequenzen: „Ohne die Realität des Heiligen in unserer Mitte müssen wir Wege finden, um Kirche durch andere Dinge attraktiv zu machen. … Verlieren wir die Realität der Heiligkeit aus dem Blick, werden unsere Gottesdienste bald zu „Menschendiensten“, in denen ein „Evangelium light“ präsentiert wird und das Empfangen im Vordergrund steht, während die Verehrung Gottes und das Geheimnisvolle ausgeblendet werden.“ (S. 27/28) Harter stellt sogar in Frage, ob ein Gottesdienst, in dem die Heiligkeit Gottes keine zentrale Rolle spielt, überhaupt noch etwas mit dem wahren Gott zu tun hat: „Alle Engel und die seltsamen Wesen sowie die geheimnisvollen Ältesten reagieren in Gottes Nähe ausschließlich mit Ehrfurcht und Anbetung. Denken Sie jetzt im Vergleich dazu noch einmal an unsere Gottesdienste. Wir behaupten zwar, dass wir Gott dort begegnen, doch scheint diese Begegnung wenig Ehrfurcht, Kapitulation oder echte Herzensanbetung in uns zu wecken. Das Staunen über die Heiligkeit Gottes ist uns verloren gegangen. Gott ist uns zum Gewohnten geworden. Oder ist es vielleicht gar nicht Gott, an den wir uns da gewöhnt haben? … Eine traurige Armut und Hilflosigkeit liegen über so manchen Kirchengemeinden. Programme und Aktivitäten können das staunende Erleben der Heiligkeit Gottes einfach nicht ersetzen.“ (S. 95)

Ein falsches Konzept von Heiligung

Aber woran liegt es eigentlich, dass die Heiligkeit Gottes und der Ruf zur Heiligung derart aus der Mode gekommen ist? Rainer Harter schreibt: „Es gibt durchaus die Angst, unsere über Jahre erworbene Freiheit der Gnade wieder zu verlieren und zurück in alte Systeme zu fallen, die uns eher geknechtet als frei gemacht haben. Tatsächlich beanspruchten manche der alten Formen vordergründig, zur Heiligkeit zu führen, in der Realität hatten sie aber viel mehr mit einem leistungsorientierten oder sogar unterdrückenden Glauben zu tun als mit der Heiligkeit, die Gott meint.“ (S. 42) Diese Beobachtung kann ich nur bestätigen. Leider geschieht es immer wieder, dass Christen und Gemeinden die Notwendigkeit zur Heiligung auf einen moralischen Appell reduzieren, der uns unter Druck bringt und uns überfordert. Dabei ist der Prozess der Heiligung in der Bibel nicht das Ergebnis menschlicher Anstrengung sondern ein Wirken und ein Geschenk Gottes: „Alles Verändernde kommt von Gott alleine.“ (S. 191) Diese Veränderung beginnt nicht mit guten Vorsätzen, sondern mit einer Kapitulation: „Lassen Sie uns damit aufhören, nach außen heiliger wirken zu wollen, als wir es sind. In der Regel sind wir nämlich nicht so heilig, wie wir uns gerne sehen möchten oder wie andere uns wahrnehmen. Einige Ausdrucksformen unserer Heiligkeit sind nichts anderes als Scheinheiligkeit. Lassen wir das lieber gleich. Stattdessen steht am Beginn des Weges eine Kapitulation; wir geben zu, dass wir aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, wie Jesus zu werden. Wir sind völlig von Gott und seiner Hilfe abhängig. … Im Neuen Testament wird deutlich, dass nur Gott selbst durch das vollkommene Opfer seines eigenen Sohnes ein neues Leben für uns möglich machen und uns heiligen kann.“ (S. 168)

Diese Kapitulation beinhaltet auch die Erkenntnis: Nicht wir ändern unser Leben aus eigener Kraft, sondern ER verwandelt unser Leben in sein Bild, wenn wir im Aufschauen zu ihm unser Leben führen: „Verabschieden Sie sich also besser gleich vom ungesunden Unterdrücken und starten Sie mit einer Strategie, die wesentlich besser funktioniert: Vertrauen Sie sich Gottes Hilfe an. Tun Sie, was die Bibel Ihnen rät, um wie Jesus zu werden: Schauen Sie ihn an. Beim Lesen der Bibel, im stillen Gebet, im Nachdenken über seine Worte, indem Sie sich in eine biblische Person hineinversetzen und nachspüren, wie deren Begegnung mit Jesus war. … Anstatt sich anzustrengen, nutzen Sie Ihre Zeit und Energie lieber dafür, Gott besser kennenzulernen. Nehmen Sie sich Zeit, um ihn in seiner Schönheit zu betrachten. Wenn Sie erst einmal gesehen haben, wie schön er ist, und gespürt haben, wie sehr er Sie liebt, werden Sie sich nicht mehr so leicht mit Ersatzlösungen zufriedengeben. In der Nähe Gottes wird in Ihnen eine geheimnisvolle Kraft aufsteigen, die Sie nach und nach entdecken lässt: Ich habe mich wirklich verändert.“ (S. 166/167) Wenn Gott uns beschenkt, können wir sehr viel leichter die sündigen Dinge loslassen, die uns selbst und Anderen schaden: „Wer gelernt hat, durch Gottes Liebe in seiner Seele satt zu werden, wird in die Lage versetzt, plötzlich Dinge loslassen zu können, die zuvor sehr bedeutend für sein Leben waren, die aber vielleicht zur Sammlung seiner Ersatzlösungen gehört haben oder schlicht Sünde sind.“ (S.186)

Ein weitere Grundlage für einen gesunden Prozess der Heiligung ist die Entscheidung, dass Jesus der Herr unseres Lebens sein soll: „Es ist Zeit für eine Palastrevolution. Anstatt weiter den König „ICH“ unseren Herrn sein zu lassen, sollten wir den König der Heiligkeit wählen, der uns heil machen kann und durch uns seine Heiligkeit in diese Welt bringen möchte.“ (S. 204)

Die Heiligkeit Gottes: Ein Schlüssel für gesunden Glauben und eine attraktive Kirche

Heiligung ist also möglich. Und die Bibel macht immer wieder deutlich: Sie ist ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens als Nachfolger Jesu:

„Ihr sollt heilig sein, weil ich heilig bin.“ (3. Mose 11,44; 19,2; 1.Petr. 1,16)

Rainer Harter schreibt dazu: „Eine Kirche ohne Heiligkeit kann nicht Kirche Jesu sein. Wenn die Menschen draußen die verändernde Kraft der Gnade Gottes nicht an uns sehen können, werden sie auch nicht auf die Idee kommen, dass Gott mit uns ist, und nicht nach ihm fragen. Kirche muss „anders“ sein, um attraktiv für Menschen zu sein, die Gott noch nicht kennen. Kirche muss Anleitung dafür geben, wie ihre Mitglieder ein Leben der Heiligung führen können, um so von Jesus zu zeugen. Wir sind schlechte Botschafter, wenn wir unsere Botschaft vergessen haben und denjenigen, der uns gesandt hat, nur aus der Ferne kennen. Vielfach stehen wir als Kirche heute vor den Menschen dieser Welt und versuchen, auf unterschiedliche Art und Weise ihre Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Doch wenn die grundlegende und lebensverändernde Wahrheit über Gottes Wesen und die daraus resultierenden Handlungen Gottes nicht mehr verstanden und gepredigt werden und deshalb unser eigenes Leben nicht von ihm zeugt, wird das auf Dauer nicht funktionieren. Was wir wirklich brauchen, ist die Gegenwart des heiligen Gottes. Wir brauchen sie in unseren Familien und an unserem Arbeitsplatz, in unseren Versammlungen und Gottesdiensten. Wenn Menschen dann in Berührung mit dem Geheimnis seines Wesens und seiner Kraft kommen, werden Gemeinden wieder wachsen, und das Evangelium wird unsere Städte durchdringen.“ (S. 208/209)

Wie wahr! Ich kann deshalb das neu aufgelegte Buch „Majestät“ von Rainer Harter nur von Herzen empfehlen und hoffe, dass dieser wichtige Impuls weite Verbreitung findet.

Das Buch „Majestät“ von Rainer Harter kann hier direkt vom Gebetshaus Freiburg bezogen werden:
https://www.gebetshaus-freiburg.org/product-page/buch

Brauchen wir eine neue Sexualmoral?

Eindrücke aus dem Buch „Freie Liebe: Über neue Sexualmoral“ von Bernhard Meuser

Der katholische Theologe Bernhard Meuser hat ein bewegendes Buch geschrieben, das ich auch uns Evangelikalen sehr ans Herz legen möchte. Zwischen Katholiken und Evangelikalen gibt es bedeutende theologische Differenzen, die nicht kleingeredet werden dürfen. In diesem Buch geht es jedoch um eine Herausforderung, mit der Evangelikale und Katholiken gleichermaßen konfrontiert sind.

Plötzlich sind wir ein Ärgernis

Über viele Jahre haben wir eine Sexualethik vertreten, die in wesentlichen Teilen auch in unserer christlich geprägten Gesellschaft hohe Anerkennung fand – weshalb es keinen Grund zu geben schien, sie vertieft zu durchdenken und zu begründen. Diese Situation hat sich nun in relativ kurzer Zeit dramatisch gewandelt. Plötzlich sind wir mit unseren Ansichten nicht nur Exoten sondern ein Ärgernis geworden. Bernhard Meuser begründet diese Umkehrung der Verhältnisse mit der wachsenden Dominanz von kirchenferner „Zivilmoral“:

„Kennzeichen der Zivilmoral ist, dass sie keinen Begriff von wahr und falsch hat (und haben kann), wie sie auch nicht von gut oder böse sprechen kann. … Toleranz ist ihre höchste und einzige Tugend, die sie mit höchster Intoleranz … einfordert. Der Andere ist anders. Mehr ist über ihn nicht zu sagen, darf über ihn nicht gesagt werden. … Höchste Unmoral ist die Ausgrenzung von etwas, das jemand als böse oder falsch klassifiziert. … Den Ausgrenzer muss man ausgrenzen. Das Gute gut und das Böse böse zu nennen, ist inkorrekt, weil darin Absolutheitsansprüche zum Ausdruck kommen, die mangelnde Toleranz verraten und damit gegen das Ich-bin-okay-du-bist-okay-Gebot verstoßen wird.“ (S. 77)

Bernhard Meuser weist zwar zurecht darauf hin, dass diese Zivilmoral „verdeckt antiintellektuell und vernunftfeindlich“ ist, weil sie Denkverbote erlässt und uns daran hindert, offen und ehrlich darüber nachzudenken, welche Konsequenzen sich aus welchen Lebensmodellen ergeben. Aber das ändert nichts an dem wachsenden Druck, den diese gesellschaftliche Entwicklung auf Christen ausübt.

Die Folge ist bei Katholiken wie bei Evangelikalen ähnlich: Wir spalten uns. Die einen wollen den gesellschaftlichen Trend mitgehen, um die Kirche aus der Schusslinie (bzw. „aus der Sackgasse“) zu holen. Die Anderen wollen an der traditionellen Sexualethik festhalten, haben aber kaum gelernt, diese Position vor sich selbst und vor anderen durchdacht zu begründen.

Die Schattenseiten des sexualethischen Wandels

In seinem Buch schildert Bernhard Meuser offen, wie er selbst eine Missbrauchserfahrung durch einen katholischen Priester erlitten hat. Umso bemerkenswerter ist es, dass Meuser sich leidenschaftlich dagegen wendet, die kirchliche Sexualmoral im Sinne des sogenannten „Synodalen Wegs“ zu verändern. Er entlarvt gründlich, dass die Missbrauchsskandale oft nur als Vorwand genutzt werden, um biblische Gebote über Bord werfen zu können, die doch vor Missbrauch gerade schützen würden. Das Buch von Meuser ist zudem mutig, weil es sich modernen Denkverboten in keiner Weise unterwirft. Meuser weist vielmehr schonungslos auf die Schattenseiten und blinden Flecken des sexualethischen Wandels hin:

„Für freie Liebe muss man Kinder töten. … Neun von zehn Kindern mit Down-Syndrom werden heute abgetrieben, als wären sie keine Menschen. Über 100.000 Kinder wurden 2018 in Deutschland im Mutterleib getötet. Ein Kind aber darf niemals der Kollateralschaden von Sex sein.“ „Die Begründungen … laufen in der Regel auf die Entpersonalisierung des Kindes hinaus. Das Kind im Bauch der Mutter darf kein „Jemand“ sein; deshalb ist es ein „werdendes Leben“, ein „Zellhaufen“, ein „Fötus“, eine „Schwangerschaft“, die man „unterbrechen“ kann. Um sie danach fortzusetzen?“ (S. 339/340) „Das Europaparlament hat 2019 … eine Resolution verabschiedet, mit der Polen gerügt wurde, weil die osteuropäischen Ignoranten in puncto Sexualaufklärung nicht auf der Höhe der allgemeinen Standards sind … : Damit … »Jugendliche […] gefahrlos sexuelle Erfahrungen […] machen können«, sei der Zugang zu »sicheren und rechtmäßigen Abtreibungen unabdingbar. « Mit anderen Worten: Damit etwas größere Kinder sorgenfreien Spaß im Bett haben, soll der polnische Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass kleine Kinder, die dabei zufällig entstehen, getötet werden dürfen. Und für diesen mörderischen Vorschlag findet sich eine Mehrheit von 471 Stimmen (!), bei 128 Gegenstimmen und 57 Enthaltungen.“ (S. 99) „Eine »neue Sexualmoral«, die ihre Kinder umbringt, ist weder sexy noch moralisch. Sie ist eine Lüge.“ (S. 109)

Meuser sieht beim Thema Abtreibung auch keinerlei Kompromissmöglichkeiten. Im Gegenteil fordert er: „Jetzt ist die Zeit gekommen, in „Abtreibung“ den Clearingpoint einer neuen Sexualmoral und die präzise Wasserscheide der Anthropologie zu sehen. Hier scheidet sich alles, was fließt. Die Wasser, die in die Zivilisation der Liebe fließen, fließen nicht in die Kultur des Todes und umgekehrt. Zwei nicht miteinander vereinbare Anthropologien trennen sich.“ (S. 343)

Die naive Sicht von “Lust”

Der Wandel in der Sexualethik zerstört aus Meusers Sicht aber nicht nur das Leben von Kindern, sondern auch die Seele von Erwachsenen, denn:

„Jede sexuelle Begegnung schafft Bindung; sie zu zerreißen, schlägt seelische Wunden, beim einen tiefer, beim anderen weniger tief. Nicht ich war gemeint, sondern mein Körper, lautet die Ent-Täuschung, die das Gift des Misstrauens in alle künftigen Lieben mischt. Wunden können vernarben; aber Narben machen auch gefühllos und taub an der Stelle, wo ich mich von Herzen und rückhaltlos verschenken sollte und künftig nur noch einen Teil von mir gebe – „fünfzig oder siebzig Prozent, besser nicht mehr!“, denn man könnte wieder enttäuscht werden. Was man landauf, landab noch immer als große Errungenschaft der sexuellen Revolution feiert – die Trennung von Sex und Liebe -, ist in Wahrheit der Sündenfall der Moderne.“ (S. 333)

Meuser prangert an, dass eine naive und verklärende Sichtweise von „Lust“ im Umlauf ist: „Nun ist Lust zweifelsfrei ein Wert. Aber Lust ist ein der Liebe nachgeordneter, ihr in glücklichen Umständen mitgegebener Wert. Liebe kann durchaus noch sein, wo kein Vergnügen mehr dabei ist – etwa am Bett eines kranken Partners. Aber Lust kann nicht sein, wo es an Liebe fehlt. Da nämlich mutiert die Lust ins Böse.“ (S. 219) Denn: „Sex ist jenseits von Liebe nicht denkbar ohne Entwürdigung der Person, die ich für meine Befriedigung benutze. Das ist selbst dann so, wenn Sex ohne Liebe eine Vereinbarung auf beiderseitigen Wunsch – eine „Harmonie von Egoismen“ – wäre.“ (S. 299) „Für eine Lebensweise, in der wir jemanden als Person ansehen und ihn nicht benutzen, haben wir das Wort ‚Liebe‘. … Liebe sucht den ganzen Menschen – die Person – und nicht den anderen Körper zur Triebabfuhr.“ (S. 297/298)

Das verzerrte Verständnis von “Moral”

Meuser beleuchtet in diesem Zusammenhang einen der großen Widersprüche unserer Zeit: Während die MeToo-Debatte unseren Hang zur sexuellen Übergriffigkeit und Missbrauch ins Scheinwerferlicht rückt, wird zugleich beim Thema „Lust“ die Sündhaftigkeit des Menschen weitgehend ausgeblendet. Dieser blinde Fleck zeigt sich vor allem an der modernen Tendenz, „Moral“ prinzipiell als etwas Negatives anzusehen – so als ob es der heutige Mensch gar nicht nötig hätte, durch ethische Gebote zu einem Handeln animiert zu werden, das für ihn selbst und für die Menschen um ihn herum lebensdienlich ist:

„Für viele Menschen ist „christliche Moral“ heute noch identisch mit Sanktionen, Leibfeindlichkeit, Sexualpessimismus, Lustverboten und restriktiven Anweisungen zum Sex.“ (S. 266)

An dieser Situation ist die Kirche nicht unschuldig, im Gegenteil. Die Kirche selbst hat die heilsame biblische Ethik oft verzerrt, „indem eine nach vorne reißende, mit langem Atem zum Guten verlockende, zu Fehlertoleranz befreiende, biblische fundierte, christologisch zentrierte und geistlich inspirierte „Tugendethik“ ersetzt wurde durch eine drohende, zum Guten schiebende, kurzatmige, gnadenlos knechtende, bibelferne, jesuslose und ungeistliche „Sollensethik“ oder Pflichtethik“. Du hast die Pflicht – statt: Du kannst das Leben gewinnen.“ (S. 275)

Kein Wunder, dass die Gesellschaft diese Pflichtethik abgeworfen hat – allerdings ohne sich die Konsequenzen bewusst zu machen. Extrem eindrücklich in Meusers Buch war für mich die fast dystopische Schilderung zur Situation in ehemals kommunistischen Ländern, die seit vielen Jahrzehnten die biblische Sexualethik verworfen haben. Eine Frau berichtet, dass ganze Generationen von Männern als Familienväter ausgefallen seien, weil sie zwar Sex wollten, aber die dauerhafte Verantwortung für Familie und Kinder von sich wiesen – ein Trend, der sich längst auch in den westlichen Ländern zeigt mit allen zerstörerischen Auswirkungen für die Kinder und für die Gesellschaft insgesamt. Umso dringender braucht es eine positive Definition von „Moral“, die Meuser wie folgt formuliert:

„»Moral« nenne ich alle flankierenden Maßnahmen, die »gutes Leben« ermöglichen.“ (S. 18) Es geht um den „Schutz von Leben, Liebe, Freiheit und Lust“. (S. 210)

Grundlegend für diesen Moralbegriff ist die Erkenntnis:

„Die Gebote Gottes sind menschengemäße Hilfestellungen Gottes und keine von oben ergangenen Willkürakte.“ (S. 293) „Jesus hat das Gesetz des Alten Bundes in keiner Weise relativiert, aber er hat es mit zwei Vorzeichen versehen, unter denen sie erst im richtigen Licht erscheinen. Das erste Vorzeichen heißt Leben: „Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote.“ (Mt. 19, 16) Die Gebote sind also kein Selbstzweck; sie führen zum Leben, sind Hinweise und Ermöglichungen guten Lebens.“ (S. 313) „Das zweite, noch bedeutendere Vorzeichen, unter das Jesus die Gebote gestellt hat, heißt Liebe.“ (S. 314) „Die Liebe und das Befolgen der Gebote sind ineinander verflochten und permanent miteinander im Gespräch.“ (S. 315) „Dass Gott das Beste für den Menschen will, ist sicher. Dass Menschen immer wissen, was das Beste für sie ist, steht dahin. Wer den Willen Gottes … als Fremdbestimmung auffasst, hat weder das Menschliche am Menschen noch das Göttliche an Gott verstanden.“ (S. 318)

Moral und Gottesbeziehung gehören zusammen!

Das Überraschende an diesem Buch war für mich: Meuser plädiert tatsächlich für eine NEUE Sexualmoral, weil die Kirche mit ihrem Moralismus vollständig gescheitert ist. Der Grundfehler der Kirche war aber nicht, dass sie die modernen sexualethischen Trends verpasst hat. Der Grundfehler war vielmehr die Trennung zwischen der Liebe zu Gott und dem Halten seiner Gebote:

„Es gibt christlich gesehen keine außerpersonale Ethik, kein beziehungsloses Regelwerk, keine anonyme Gesetzlichkeit. Ethik ist, dem nicht aus dem Weg zu gehen, dem ins Gesicht zu sehen, der sagt: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.“ (Joh. 14, 15)“ (S. 252)

Die Liebesbeziehung mit Gott ist es, die Gottes Gebote herausholt aus der Sphäre einer kalten, lebensfremden Gesetzlichkeit:

„Das eigentlich Stabilisierende ist die stabile Treue Gottes, an die eine menschliche Liebesgeschichte andocken kann. „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ (Mt. 19, 6) An diese größere Liebe Gottes angeschlossen, können zwei Menschen zu „Personen“ werden, sich bedenkenlos verschenken und dabei „für immer“ sagen: Ich mache mich Dir zum Geschenk. … Das ist es, worin die sexuellen Jäger- und Sammlerinstinkte der Männer gezähmt werden und worin auch Frauen ganzheitlich ankommen in ihrer rastlosen Suche nach Mr. Right. … Und darüber entsteht in gelassener Freude und wie beiläufig das Wärme und Sicherheit ausstrahlende Nest, auf das Kinder ein göttliches Recht haben.“ (S. 304-306)

Gottes lebensspendender Masterplan

Auf diesem gesunden Boden kann eine biblische Sexualmoral gedeihen, die Meuser wie folgt zusammenfasst:

„Die Heilige Schrift ist von der ersten bis zur letzten Seite unter der Prämisse der von Gott gegebenen Schöpfungsordnung in Genesis 1 und 2 zu lesen.“ (S. 247) „Erst kommt die Liebe, dann das »Für immer«-Versprechen, dann ist das sichere Nest gegeben für die Vereinigung, dann kann das Kind kommen und in der Liebe von Vater und Mutter selbst ein liebender Mensch werden. Diese Reihenfolge entspricht aus guten Gründen dem Masterplan Gottes.“ (S. 235)

Meuser weist darauf hin, dass genau diese Sichtweise historisch gesehen zu allen Zeiten die jüdische und die christliche Sexualethik geprägt hat, obwohl sie schon immer extrem exotisch war:

„Während der gesamten ersten christlichen Jahrhunderte, als jede Art von Sexualpraktik, die in der Menschheit jemals bekannt war, in der antiken griechischen und römischen Gesellschaft weit verbreitet war, bestanden Christen wie Juden darauf, dass die ausgelebte Sexualität auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau zu beschränken sei. Heute wie damals denkt der Rest der Welt, das sei verrückt. Der Unterschied besteht leider darin, dass heute auch die halbe Kirche dasselbe denkt.“ (Zitat N.T. Wright S. 246)

Der Auftrag der Kirche: Mutig Position beziehen!

Deshalb ist die Kirche Jesu heute ganz neu herausgefordert, die Schönheit und Sinnhaftigkeit der biblischen Sichtweise zur Sexualethik zu verteidigen:

„Es sind drei Momente, die in der „alten Sexualmoral“, so ergänzungsbedürftig sie sein mag, die Menschlichkeit menschlicher Sexualität ausmachten und die es auch heute unter allen Umständen zu hüten gilt:

1. Die Urgegebenheit des menschlichen Leibes als Mann oder Frau und die bleibende Komplementarität der beiden Geschlechter. Das ist auch heute zu sagen, und zwar gegen die neognostische Ideologie, der Mensch habe einen neutralen Körper und er könne ihn frei überschreiben mit einer willkürlichen Identität.

2. Die unbedingte Verknüpfung von Sexualität und Liebe, genannt „Ehe“, in der allein Mann und Frau – indem sie „ein Fleisch“ werden – zu sich und zum Anderen kommen. Das ist auch heute zu sagen, und zwar gegen die Trennung von Sexualität und Liebe … und gegen die Banalisierung der Sexualität als sinnfreies Spielzeug der Lustbeschaffung oder als bloßes Kommunikationsmittel zwischen unspezifischen Gleichgesinnten.

3. Der unauflösbare Zusammenhang von Sexualität und Generativität. Das ist auch heute zu sagen, und zwar … gegen die aberwitzigen Versuche, Abtreibung als Menschenrecht zu etablieren. Was an Fragmenten aus der ganzheitlichen Matrix herausgebrochen wird, rächt sich in dem, was ich die „Kollateralschäden fragmentierter Sexualität“ genannt habe.“ (S. 374/375)

Bernhard Meuser ist sich dabei bewusst, dass diese Sichtweise in unserer auf die menschliche Autonomie pochenden Gesellschaft unpopulär bleiben wird, denn:

„Man müsste seinen Lifestyle ändern. … Man müsste so leben, dass Sex dann an der Tagesordnung ist, wenn ein Kind kommen kann und von Herzen willkommen ist, weil es einen Mann und eine Frau gibt, die sich von Herzen lieben und volle Verantwortung füreinander und für ein weiteres Menschenwesen übernehmen. Aber wer denkt denn nach einer prickelnden Nacht im Club an so etwas?“ (S. 341)

Meuser meint jedoch: Trotzdem sollten wir Christen uns auf keinen Fall verbiegen lassen! Denn wir sind davon überzeugt, dass es einen liebenden Gott gibt, der die Wahrheit über uns Menschen kennt und der uns deshalb aus guten Gründen seine lebensspendenden Gebote mit auf den Weg gegeben hat. Für uns muss deshalb das Prinzip gelten: „Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, wir müssen uns nach der Wahrheit richten“ (S. 281), wenn wir einen gesunden und heilsamen Umgang mit uns selbst und unseren Mitmenschen finden wollen.

Zudem gilt für uns Christen ein Prinzip, das wir im Westen wohl wieder ganz neu durchbuchstabieren müssen:

„Das Erste der Zehn Gebote („Ich bin der Herr, Dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“) … ist sozusagen die Magna Charta der christlichen Freiheit. Vor nichts und niemand muss sich unterwerfen, wer den einen wahren Gott zum Herrn hat. Wer sich zum Gott des Ersten Gebots bekennt, ist ein Königskind; er darf sich gar nicht unterwerfen. Mit der Anerkennung Gottes und seiner Gebote tut sich das Land der Freiheit auf und die Chance, wieder Luft zu bekommen zum freien Atmen. (S. 320)

Die Welt braucht den prophetischen Dienst der Kirche

Meuser beendet sein Buch mit einem feurigen Plädoyer an die Kirche Jesu, dem sich meines Erachtens auch die evangelikale Bewegung dringend stellen sollte. Ich möchte dieses Plädoyer deshalb am Ende für sich sprechen lassen:

„Wenn heute drei Leute zusammenstehen, hat einer von den dreien eine Geschichte von Missbrauch zu erzählen. Wie können ausgerechnet die Kirchen in naiven Sexualoptimismus verfallen und zur Verharmlosung der sexuellen Begierde beitragen, als sei sie [im Original: die Konkupiszenz] ein fröhliches Spaßteil für alle?! Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die endlich all die vielfältigen Instrumente von Kultur, Religion und Moral bündelt, um diese Urkraft zu zähmen und im Garten des Menschlichen zu beheimaten?

Starke politische Kräfte etablieren Abtreibung als Methode der Verhütung und als Menschenrecht. In Deutschland wird jedes vierte Kind im Mutterleib getötet. … Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die endlich den systemischen Zusammenhang von Sexualverhalten und Lebensschutz thematisiert?

Pornografie ist ein Milliardengeschäft, das dem internationalen Drogenhandel gerade den Rang abläuft. Schon 10- und 11-jährige Kinder werden in visuelle Prostitution eingeweiht, als Suchtkunden konditioniert und zu übergriffigem Sexualverhalten erzogen; sie verwahrlosen dabei seelisch. Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die der Pest des 21. Jahrhunderts die Stirn bietet?

Im 19. und 20. Jahrhundert ging der Kampf um die Produktionsmittel; heute geht der Kampf um die Reproduktionsmittel. Leihmutterschaft und eine immer skrupellosere Fortpflanzungs-Industrie machen die Beurt eines (passend designten) Kindes zu einem Geschäft oder einem technischen Akt. Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die das Geschenk des Lebens vor dem Zugriff von Macht und Markt schützt?

Die ideologische Dekonstruktion der klassischen Familie, der Entzug ihrer ökonomischen und rechtlichen Grundlagen … zerstört die Keimzelle der Gesellschaft und den natürlichen Schutzraum von Kindern, die immer häufiger Opfer von Missbrauch werden. Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die für das Leitbild der natürlichen Familie in die Offensive geht? …

Wo ist sie, die Kirche, die dafür kämpft?

Ich fürchte, sie ist auf der Reise nach Tarschisch. Eine Kirche aber, die aus Feigheit und Populismus ihren prophetischen Dienst verweigert und dem Gott des Lebens entkommen möchte, wird wie Jona über Bord geworfen. Sie wird – schwerer als die sie umgebenden Wasser – hinabsinken in das Meer des Vergessens, wird verschluckt werden von der öffentlichen Meinung. … Sie wird so lange mit Irrelevanz bestraft sein, bis sie – um des Wohles der großen Stadt willen – ausgerichtet hat, was zu sagen ihr auferlegt ist. Frei. Und aus Liebe.“ (S. 383)

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Das Buch „Freie Liebe: Über neue Sexualmoral“ von Bernhard Meuser ist 2020 im Fontis Verlag erschienen und kann hier bestellt werden.

Untergehen oder umkehren

Eine dramatische Analyse – Ein Ruf zur Umkehr – Ein Mutmacher für einen neuen Aufbruch

„Wir stehen auf der Schwelle in eine neue Ära der Kirche. Die Volkskirche, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, gibt es bald nicht mehr.“(S. 149)

Diese Grundthese des Buchs „Untergehen oder Umkehren“ begründet der Autor Alexander Garth mit zwei nicht aufzuhaltenden Megatrends: „Der Niedergang institutioneller Religiosität bzw. geerbter Religion und der Aufschwung individueller Religiosität bzw. gewählter Religion.“ (S. 69) Die Zeiten sind demnach vorbei, in denen es genügte, irgendwie mit der Kirche zu glauben. „Die Menschen brauchen ihren persönlichen Zugang, ihr eigenes Erweckungserlebnis.“ (S. 25)

Bekehrung rückt in den Fokus

Für die großen Kirchen bringt dieser Wandel eine dramatische Konsequenz mit sich: „Eine Kirche, die aus dem volkskirchlichen Betreuungsmodell nicht gewählter Religion hin zu einer Kirche der Zukunft aufbrechen will, wo gewählte Religion zur Normalität wird, muss dem Thema Konversion (früher sagte man »Bekehrung« dazu) höchste Priorität einräumen. Denn die Übermorgenkirche wird aus Menschen bestehen, die Glaube und Kirche gewählt haben.“ (S. 153) Dabei ist diese zentrale Bedeutung von „Bekehrung“ für Garth nichts Neues: „Das Thema Bekehrung zieht sich wie eine Leuchtspur durch die ganze Kirchengeschichte. In den dynamisch wachsenden Kirchen Afrikas, Asiens und Leinamerikas ist Bekehrung ein Massenphänomen. Und bei uns? Es wird wieder ein wichtiges Thema in der Kirche, oder aber es gibt sie nicht mehr.“ (S. 177)

Volkskirche ist von Haus aus antimissionarisch

Der grundlegende Wandel in Richtung gewählter Religiosität stellt die großen Volkskirchen vor eine doppelte Herausforderung. Einerseits ist sie seit der konstantinischen Wende geradezu antimissionarisch aufgestellt, denn: „Wenn alle Bürger schon irgendwie Christen sind, dann ist Mission eigentlich überflüssig, ja sogar schädlich, weil es dann Christen gibt, die etwas Besseres sein wollen, bekehrter, echter, hingegebener. Es genügt dann, dass die Kirchenmitglieder in ihrem (Minimal)-Glauben betreut und gestärkt werden. Sie werden parochialisiert (Gemeinden zugeordnet), sakramentalisiert, aber nicht missioniert.“ (S. 45/46) Den getauften Kirchenmitgliedern wieder zu sagen, dass sie sich bekehren müssen, würde einen grundlegenden Paradigmenwechsel bedeuten, der momentan nicht erkennbar ist. Stattdessen ist Garth‘s Beobachtung: „Mission ist für die liberalen Kirchen des Westens peinlich. Sie gilt als übergriffiger Akt, der das emanzipierte, mündige Gegenüber nicht ernst nimmt. … Es geht nicht mehr um Konversion, sondern um Entwicklungshilfe, um Dialog, um Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Der Missionsauftrag Jesu, alle Völker zu Jüngern zu machen, wird auf die Ethik reduziert.“ (S. 99/100)

Auch die Kirche selbst hat die Bevölkerung gegen den Glauben immunisiert

Hinzu kommt ein zweites Problem: Während überall in der Welt der christliche Glaube an Dynamik gewinnt, scheint in Deutschland geradezu eine „Herdenimmunität“ gegenüber dem christlichen Glauben zu bestehen. Aber warum ist das eigentlich so, dass die „Menschen bei uns weithin allergisch auf den christlichen Glauben reagieren“ (S. 55)? Garth nennt 5 Faktoren:

  1. Die über sehr lange Zeit währende Verbindung von staatlicher Macht und Kirche hat die Menschen misstrauisch gemacht.
  2. Das volkskirchliche Minimalchristentum macht immun gegen den echten christlichen Glauben.
  3. Der Religionsmonopolismus eines religiösen Anbieters kann nicht genügend Zugänge zum Glauben anbieten, was aber in einer offenen, diversen Gesellschaft erforderlich ist.“
  4. Reduktive Theologien … haben die Volksfrömmigkeit beschädigt“.
  5. DieMoralisierung des Glaubens führt dazu, dass Menschen sich sagen: Glauben brauche ich nicht, denn ich kann auch ohne ein guter Mensch sein.“ (S. 51/52) „Religion, die sich in sozialem Engagement, Klimarettung, Geschlechtergerechtigkeit und Weltverantwortung erschöpft, schafft sich ab.“ (S. 81)

Anpassung ist nicht die Lösung, sondern das Problem

Die gängige Frömmigkeit, die man in den Kirchen antreffen kann, beschreibt Garth in deutlichen Worten: „Statt des Glaubens, wie ihn z.B. die altkirchlichen Bekenntnisse bezeugen, finden wir eine diffuse Religiosität an einen Kuschelgott, der für das persönliche Wohlergehen zuständig ist und die Freiheit nicht einschränken darf.“ (S. 60) „Dass im Zentrum des christlichen Glaubens der Erlösungsgedanke steht, ist komplett außerhalb des Blickfeldes.“ (S. 78)

Aber ist es nicht zwangsläufig notwendig, dass die Kirche sich an die Menschen anpassen muss, wenn sie nicht noch mehr Mitglieder verlieren möchte? Garth schreibt dazu: „Liberale Christen vereint eine Illusion: Sie glauben, dass moderne Zeiten eine moderne Religion erfordern. … Die Religion der Zukunft muss sanft und moderat sein, pluralistisch und nicht exklusiv, spirituell, aber nicht dogmatisch, den Menschen bestätigend, nicht hinterfragend, eine gefällige Religion, die sich an die Erwartungen der Gesellschaft anpasst und keine Forderungen an die Gläubigen stellt. Dean M. Kelleys Studie und auch andere religionssoziologischen Erhebungen kommen zu dem gegenteiligen Schluss, nämlich dass diese Form von Softreligion das sicherste Rezept für Erfolgslosigkeit ist.“ (S. 112/113)

Aber warum ist das so? Garth beschreibt die selbstzerstörerische Dynamik der kirchlichen Anpassung so: Das Resultat der Anpassung ist ein weichgespültes Evangelium und eine profillose Kirche. … Dennoch verstärkt sich der Trend zum Kirchenaustritt. Die Logik geht nicht auf. Der Nivellierungskurs führt zu einer Banalisierung des Glaubens. Kaum einer weiß noch, wofür die evangelische Kirche eigentlich steht – außer natürlich für das, wofür auch der gesellschaftliche Mainstream steht. Aber dafür braucht es keine Kirche. Wer in der Kirche auf Anpassung setzt, schafft sie ab. … Eine an die Allgemeinheit angepasste Kirche produziert Langeweile und Gleichgültigkeit. Und sie trägt bei zur Immunisierung gegenüber dem Evangelium, erworben durch den schleichenden Kontakt mit einem harmlosen, verdünnten Christentum.“ (S. 61/62)

Die Entstehung einer „reduktiven Theologie“

Eine große Rolle spielen für Garth dabei die Entwicklungen an den theologischen Fakultäten in den letzten 200 Jahren: „Unter den Bedingungen einer Staats- und Volkskirche, in der man Mission nicht nötig hatte, weil alle dazu gehörten, konnte sich ein theologisches Denkmodell entwickeln, das … den missionarischen Aufbruch des Glaubens behindert und verhindert: Das liberale Denkraster. Die sogenannte liberale Theologie des Westens – global betrachtet ein Randphänomen – hat mit ihrem Erkenntnisreduktionismus, der einem materialistischen Weltbild verpflichtet ist, das Fundament des christlichen Glaubens in einen Sumpf verwandelt und die missionarische Kraft der Kirchen beschädigt. Das ist das geistliche Drama des Westens mit der Folge einer desaströsen geistlichen Frucht- und Vollmachtslosigkeit.“ (S. 26/27) Diese „reduktive Theologie, die den Zweifel zum normativen Prinzip erhob, hat einen großen Anteil an der Immunisierung vieler Menschen gegen den christlichen Glauben.“ (S. 77) Garth spricht dabei lieber von „reduktiver“ statt von „liberaler“ Theologie, denn: „Das liberale reduktive Denkraster ist das Resultat einer reduktiven Vorannahme, nämlich der wissenschaftlich nicht begründbaren Entscheidung, Wunder, Offenbarungen und göttliches Eingreifen von vornherein auszuschließen. … Dieser Grundsatz dominiert bis heute als methodisches Axiom die exegetischen Wissenschaften und entzieht damit den anderen theologischen Disziplinen ihr biblisches Fundament.“ (S. 84)

Die entscheidende Rolle der Theologie

Heute ist oft der Ruf zu hören: Lasst uns doch nicht um Theologie streiten, sondern gemeinsam evangelisieren! Garth macht hingegen deutlich: Gerade um der Mission willen muss dringend um Theologie gestritten werden, denn: „Es besteht ein Zusammenhang zwischen liberaler westlicher Theologie und dem Niedergang von Gemeinden. Es sind fast ausschließlich liberale Kirchen, die teilweise dramatisch Mitglieder verlieren.“ (S. 108) Umgekehrt ist für Garth ebenso klar: „Wenn man in der Welt aufstrebende Gemeinden und Bewegungen bestimmen möchte, die nicht evangelikal sind, so würde man kaum etwas finden. Zumindest gehört das zu den gesicherten Forschungsergebnissen der Religionssoziologie.“ (S. 174) Diese Aussage ist umso erstaunlicher, da Garth sich selbst gar nicht unbedingt als Evangelikaler sieht. Seine Selbstbeschreibung lautet vielmehr: „Heute bin ich vielleicht so etwas wie ein evangelikal-liberaler Lutheraner mit katholischen und pentekostalen Neigungen.“ (S. 206)

Aber warum führt „reduktive Theologie“ zur Schrumpfung der Kirchen? Garth erklärt: „Dieser fundamentalistische Rationalismus macht aus der großen Geschichte Gottes mit der Menschheit ein armseliges Trauerspiel der Auflösung des Glaubens in lauter harmlose Existenzialismen und Moralismen. Das ist nicht nur eng, das ist langweilig.“ (S. 90) Er ist zudem „ein Commitment-Killer erster Güte. Eine Kirche mit einer beschädigten Christologie vermag nicht das Commitment zu generieren, das für einen missionarischen Aufbruch des Glaubens notwendig ist.“ (S. 147) Warum trotz dieser klaren Fakten ein Teil der freikirchlichen Evangelikalen ernsthaft mit der Theologie der großen Kirchen flirtet, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben.

Was sich ändern muss: Die Bibel hochhalten und eine gesunde Christologie entwickeln

Trotz der harten Diagnose ist Garth keineswegs ein Pessimist in Bezug auf die Zukunft der Kirche, im Gegenteil: Er ist überzeugt, dass der christliche Glaube seine beste Zeit noch vor sich hat. Aber was muss denn nun aus seiner Sicht nun geschehen, damit Kirche Zukunft hat? Sie muss zunächst einen anderen Umgang mit der Bibel finden: „Die Kirche der Zukunft wird auf jeden Fall die Bibel als einzigartiges Dokument der Offenbarung Gottes hochhalten.“ (S. 92) Denn: „Das Christentum ist wesensmäßig eine Offenbarungsreligion.“ (S. 97)

Garths Ausführungen zum Thema Bibelverständnis bleiben allerdings ein wenig vage. Wichtiger scheint ihm zu sein, dass die Kirche wieder eine solide Christologie (Lehre von Christus) entwickelt. Denn im Moment ist seine Wahrnehmung: „In der evangelischen Kirche ist überhaupt nicht mehr klar, wer Jesus Christus ist.“ (S. 152) Wenn aber „der Christus der Verkündigung nicht mehr der Christus der Bibel und der kirchlichen Bekenntnisse ist (vom Apostolischen Glaubensbekenntnis bis zum Bekenntnis von Barmen), dann sind die Folgen leere Kirchen, frustrierte Prediger, gelangweilte Menschen, keine Bekehrungen. Dann wird das ganze Christentum müde und farblos. Der Grund? Gottes Geist macht sich rar. … Der Heilige Geist sagt: »Nicht mein Jesus! Da bleib ich zu Hause.«“ (S. 118/119) Deshalb ist Garth überzeugt: „Die Neuformatierung von einer Volkskirche zu einer missionarischen Kirche benötigt eine gesunde, biblische, und gemäß den altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnissen geformte Christologie.“ (S. 26)

Die Jungfrauengeburt ist entscheidend

Eine gesunde Christologie macht Garth ganz besonders auch an der Jungfrauengeburt fest: „Dass Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, findet seinen unüberbietbaren Ausdruck in der Jungfrauengeburt. Nur ein paar Theologen des Westens, welche eine unglaublich arrogante Skepsis zur norma normans, zum normierenden Prinzip gemacht haben und in ihrer Gefolgschaft einige von Zweifeln beseelte Abendländler, meinen, dass der Glaube unbeschadet bleibt ohne »Jungfrau.«“ (S. 96) Hier muss die Kirche also zwingend zurück zu ihren Bekenntnisgrundlagen, denn: „Ohne eine von reduktiver Überfremdung gereinigte Christologie gibt es keinen Aufbruch des Glaubens.“ (S. 157) Punkt. Auch seine vielen internationalen Erfahrungen bestärken Garth in dieser Sichtweise: „Ich war öfters in Afrika, Indien und in anderen Teilen der Welt und habe dort studiert, wie Gemeinden sich entwickeln, welche missionarischen Konzept sie vertreten und was ihre Theologie ausmacht. Ich habe von verschiedenen Pastoren und Gemeindegründern mehrfach einen Satz gehört: »Wenn du willst, dass deine Gemeinde stirbt und dass dein Dienst ohne Frucht bleibt, dann übernimm die Theologie Europas!«“ (S. 160) Umso wichtiger ist es Garth, dass das Christentum in Deutschland endlich von den weltweit wachsenden Kirchen lernt.

Konservativ ist auch keine Lösung

Die Lösung besteht für Garth aber keineswegs darin, einfach nur konservativ zu werden. Stattdessen schreibt er: Die globale religionssoziologische Perspektive zeigt: Wachsende Gemeinden sind nicht einfach nur konservativ. Sie haben eine Doppelstrategie. Einerseits haben sie eine konservative Christologie verbunden mit dem Enthusiasmus, Menschen in die Nachfolge Jesu zu rufen. Im Bereich Moral sind diese Gemeinden zumeist sehr konservativ. Besonders in Sachen Sexualmoral vertreten sie Ansichten, die – zumindest aus westlicher Sicht – unerträglich streng und gestrig sind. Andererseits sind diese Gemeinden auffällig progressiv. Sie sind digital gut vernetzt bei Facebook, Youtube, Instagram und Twitter. … Überhaupt ist das ganze Erscheinungsbild aufstrebender Kirchen auffällig zeitgemäß.“ (S. 199) Parallelen dazu sieht Garth auch schon in der frühen Kirche: „In unserer heutigen sexualisierten Kultur fällt auf, dass in der frühen Kirche eine strenge Sexualmoral gelebt wurde, die sich von der Moral der Heiden unterschied. Sex außerhalb der Ehe galt als Unzucht.“ (S. 37) Kulturelle Differenzen sind für Garth aber kein Problem, sondern eine Chance auch für die heutige Kirche: „Ich sehe im Niedergang des Systems Volkskirche, der sicher ein schmerzhafter Prozess ist, die enorme Chance, dass Kirche wieder das werden kann, wozu sie berufen ist: eine Kontrastgesellschaft zur Bürgergesellschaft, ein göttlicher Gegenentwurf zur Welt, eine Einladung Christi, Gottes Alternative zu leben.“ (S. 27/28) Eine Kirche, die sich so auf den Weg macht, wird aus Garth’s Sicht auch keine finanziellen Probleme haben, denn: „Wo der Heilige Geist ist, da ist auch Geld. Finanzielle Großzügigkeit verrät immer, dass da etwas geschieht, was Menschen begeistert.“ (S. 190)

Hat die Umkehr schon begonnen?

Garths Analyse und Ruf zur Umkehr spricht mir insgesamt sehr aus dem Herzen. Sein Optimismus, dass in der evangelischen Kirche nicht nur in einzelnen Gemeinden sondern auf breiter Front eine Umkehr stattfinden wird, kann ich im Moment allerdings noch nicht wirklich teilen. Ich bin eher skeptisch, wenn Garth schreibt: „Auch die universitäre Theologie wird in einen Prozess der Erneuerung eintauchen, wenn nämlich immer mehr Studenten nach der Aneignung missionarischer und kybernetischer Kompetenz verlangen.“ (S. 164) Garth sieht sogar schon erste zarte Pflänzchen wachsen: „Die neue Pfarrergeneration, die viele Ideen für einen Aufbruch der Kirche hat, organisiert sich bereits in dem Netzwerk Churchconvention. Sie wollen eine »Mission-Shaped Church«, eine missionsgeformte Kirche.“ (S. 158) Ich wünschte, er hätte recht. Aber meine Beobachtung ist eher: Die auch von Garth erwähnte „Evangelikalenphobie“ in kirchlichen Fakultäten und Gremien ist ungebrochen und nimmt sogar eher noch zu. Auch der Niedergang der Kirche oder der Pfarrermangel ändert daran bisher überhaupt nichts. Wie strikt die Abwehrhaltung gegenüber evangelikal ausgebildeten Theologen selbst in der als vergleichsweise konservativ geltenden württembergischen Landeskirche noch ist, musste ich jüngst in meiner eigenen Gemeinde schmerzhaft erleben.

Die Kirche wird nicht durch die Konzentration auf Kirchenrettung gerettet

Lange Jahre war ich Teil der Initiative „Network XXL“, die stark inspiriert war von der anglikanischen Gemeindegründungsbewegung „Fresh Expressions of church“, die auch im Garths Buch thematisiert wird. Die Berichte aus England hatten mich begeistert und die Hoffnung geweckt, dass „Fresh X“ auch in Deutschland ein Motor der Erneuerung werden könnte. Inzwischen bin ich tief enttäuscht. Der deutsche Fresh X-Zweig hat sich progressiven und teilweise sogar tief liberalen theologischen Vertretern geöffnet. Die „reduktive Theologie“ führt auch hier dazu, dass theologisches Profil verloren geht.

Wer aber nur die Formen, nicht aber die theologischen Fundamente der Kirche erneuert, bleibt letztlich verhaftet in einem „Ekklesiozentrismus“, denn man daran erkennt, „dass die Kirche zu sich einlädt, statt zu Jesus, von sich schwärmt, aber nicht von Jesus.“ (S. 186) Garth hingegen stellt klar: „Es geht nicht um Mitgliedergewinnung. Es geht darum, dass Menschen sich rufen lassen, Jünger und Jüngerinnen Christi zu werden.“ (S. 170) Damit das gelingt, benötigt die Kirche der Zukunft im Kern ein solides Bibelverständnis, aus dem eine gesunde Christologie und damit auch eine dynamische, geisterfüllte, missionarische Gemeindearbeit in vielfältigen Formen erwachsen kann. Dann wird die Kirche Jesu in der Lage sein, unsere vielfältige Gesellschaft mit dem Evangelium zu erreichen. Eine Abkürzung oder ein alternativer Weg existiert nicht. Die Alternative wäre Untergang. Ich bin Alexander Garth sehr dankbar, dass er das in diesem Buch so eindrücklich deutlich gemacht hat.

Das Buch “Untergehen oder Umkehren – Warum der christliche Glaube seine beste Zeit noch vor sich hat” von Alexander Garth ist hier erhältlich.

Johannes Traichel: Evangelikale und Homosexualität – Mehr als eine Rezension

Um es gleich vorweg zu sagen: Das Buch „Evangelikale und Homosexualität“ ist aus meiner Sicht schon jetzt das Buch des Jahres 2022. Wenn es die Möglichkeit gäbe, dass ich jedem evangelikalen Leiter ein bestimmtes Buch zum Lesen empfehlen dürfte, dann wäre es dieses. Manche Leser wird das überraschen. Handelt es sich beim Thema Homosexualität nicht um ein Randthema? Wurde darüber nicht schon genügend gestritten? Sollten wir das nicht endlich ruhen lassen und uns lieber gemeinsam auf Evangelisation und Gemeindebau konzentrieren?

So sehr ich diese Anliegen teile, so klar sehe ich aber auch: Man kann das Thema Homosexualität zwar auf Konferenzen und Kongressen an den Rand schieben, aber auf Gemeindeebene gilt: „Die ethische Beurteilung kann nicht offenbleiben, da hier spätestens in der Praxis in der Ortsgemeinde unüberbrückbare Spannungen aufkommen werden, die auch auf Denominationen ausstrahlen und gewaltiges Konfliktpotenzial ausstrahlen. Ob Menschen mit gleichgeschlechtlichen Sexualpartnern in der Gemeinde mitarbeiten können (und wenn ja, in was für einem Umfang), oder ob Trauungen und Segenshandlungen möglich sein werden, ist eine Frage, in der eine Entscheidung zu treffen ist.“ (S. 251) Zudem äußert Traichel: „Die Heftigkeit dieser Debatte liegt nach Hempelmann darin verortet, dass sie im Kern eine Stellvertreterdebatte um die Frage ist, welche Geltung die Bibel hat.“ (S. 11) „Es geht aus traditioneller oder konservativer Sicht schlussendlich um die Frage, wer am Ende definiert, was gut und böse ist; der Mensch und seine vorläufigen anthropologischen Überlegungen und Modelle, oder Gott und sein in der Bibel offenbartes Wort?“ (S. 22) Wenn es stimmt, dass hinter den sexualethischen Debatten letztlich die Bibelfrage steht, dann geht es hier tatsächlich ans Eingemachte. In meinem Buch „Zeit des Umbruchs“ hatte ich dargelegt, dass die Bibelfrage tatsächlich DAS Knackpunktthema ist, an dem sich zahlreiche Konflikte im evangelikalen Umfeld entzünden.

Der Zusammenhang zwischen sexualethischen Positionen und dem Bibelverständnis wird gegenwärtig aber oft eher kleingeredet. Behauptet wird, man könne die Bibel als höchste Autorität ernst nehmen und trotzdem praktizierte Homosexualität mit der Bibel für vereinbar halten. Deshalb widmet sich Johannes Traichel diesem Thema sehr intensiv. Der Bundessekretär des Bunds freier evangelischer Gemeinden Reinhard Spincke schreibt dazu: „Johannes schildert die aktuelle Diskussion im evangelikalen Raum sowohl von ihrer historischen Entwicklung als auch von den biblisch-theologischen Argumenten sehr gut.“ (S. 4) Und der katholische Publizist Bernhard Meuser attestiert gar: „Ich halte die Darlegung von Johannes Traichel für eine der theologisch gründlichsten und besten Arbeiten, die ich zum Thema kenne.“ (S. 5) Lothar Krauss vom LEITERBLOG ergänzt: „In über 500 Fußnoten erschließen sich dem Leser die reichhaltigen Quellen, auf denen seine Arbeit gründet.“ (S. 5) Tatsächlich waren die vielen Zitate von hochrangigen Experten auch für mich besonders wertvoll, weil sie hochinteressante Schlaglichter werfen sowohl auf die historische Situation als auch auf die tatsächliche Aussageabsicht der biblischen Autoren. Und sie machen deutlich, dass Traichel sich auch mit vielen Verfechtern der progressiven Position (z.B. Thorsten Dietz) gründlich auseinandergesetzt hat.

Auf dieser soliden Grundlage kommt Traichel zu einem (für Viele vielleicht überraschend) klaren Fazit: „Das Ergebnis der Untersuchung des Schriftbefundes und der ethischen Beurteilung ist, dass der biblische Schriftbefund praktizierte Homosexualität kennt und diese als Sünde deklariert.“ (S. 239) „Insgesamt bleibt einer christlichen Ethik, die an die Heilige Schrift gebunden ist, nichts anderes übrig, als daran festzuhalten, dass der Ort der ausgelebten Sexualität exklusiv in eine Ehe von Mann und Frau zu verorten ist und auch aus biblischer Sicht nirgend anders ihren Platz hat.“ (S. 198) „Revisionistische Versuche zu begründen, dass die biblischen Verfasser keine homosexuellen Beziehungen kannten und daher nicht auf solche bezogen werden können, scheitern sowohl an den außerbiblischen historischen Quellen als auch an der gründlichen Exegese der biblischen Texte.“ (S. 269)

Deutlich wird zudem, dass das Thema Sexualethik in der Bibel durchaus keine Nebensache ist: „Es ist zu beachten, dass die Ethik eng mit der Dogmatik verbunden ist und dass die Bibel eine Trennung von Leben und Lehre nicht kennt. … Ulrich Wilckens schreibt: »In allen Mahnungen zum christlichen Leben nimmt das sexuelle Verhalten den obersten Rang ein.«“ (S. 261) Deshalb folgert Traichel: „Kompromisse in der Sexualethik, die über den Rahmen der Bibel hinausgehen, sind schädlich für die Gemeinde. Hier ist es notwendig, dass auch Grenzen gezogen werden, wenn die Gemeinde geistlich gesund gedeihen soll.“ (S. 270/271)

Zugleich fordert Traichel auch die Konservativen sehr heraus. Er hält nicht weniger als eine neue Kultur im Umgang mit Singles und mit gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen für geboten: „Evangelikale Gemeinden brauchen eine Kultur des offenen Umgangs mit ihren Sehnsüchten, Kämpfen und ihrem Scheitern. Gleichzeitig ist eine Kultur der Gnade und Barmherzigkeit zwingend, wenn wir Gemeinde im Sinne Jesu sein wollen. Unerlässlich ist eine Kultur der Vertrautheit und Freundschaft, um auch den zölibatären Lebensstil als eine gangbare Alternative zu leben.“ (S. 269) Mir wurde beim Lesen deutlich: Es gibt enorm viel zu tun und zu verändern, wenn uns ein liebevoller Umgang mit gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen wirklich am Herzen liegt. Und das muss es uns unbedingt, denn: „Gott liebt homosexuell empfindende Menschen unendlich. Die Aufgaben der Christen ist es, homosexuell empfindende Menschen zu lieben, wie sich selbst! Hier darf es keine Abstriche geben. Die zweite Wahrheit lautet: Geschlechtsverkehr gehört nur in eine heterosexuelle Ehe. Jegliche Abweichung davon ist Sünde. Beide Wahrheiten gehören zusammen. Wenn eine der beiden Wahrheiten (scheinbar) zugunsten der anderen Wahrheit abgeschwächt wird, kommt eine geistliche Schieflage herein. Zu oft wurde die gesunde Spannung dieser Wahrheiten künstlich harmonisiert. Dies hat entweder zu einer Diskriminierung von homosexuell Empfindenden geführt oder zu einer libertinistischen Ethik, die sich über Gottes Rahmen hinwegsetzte und am Ende selbst definierte, was Gut und Böse ist. … Die eine Gefahr ist die Lieblosigkeit und Verachtung. … Die zweite Gefahr ist eine ethische Beliebigkeit, wenn die Liebe (oder was dafür ausgegeben wird) gegen die Wahrheit ausgespielt wird.“ (S. 272) Dieser ausgewogenen Sichtweise kann ich nur rundum zustimmen.

Besonders wertvoll wurde für mich Traichels Buch aber auch durch seine Darstellung der aktuellen Konflikte im evangelikalen Umfeld, die ja auch mich in den letzten Jahren sehr beschäftigt haben. Das nachfolgende etwas längere Zitat macht die Brisanz besonders deutlich:

„Das Thema Homosexualität polarisiert und spaltet bekanntlich. Dies muss allen Beteiligten mehr als deutlich sein. Gleichzeitig bauen viele Beteiligte eine emotionale Spannung auf, die einen sachgerechten Dialog kaum möglich macht. Hier werden unsachgemäße Vorwürfe geäußert, homosexuell empfindende Menschen seien in evangelikalen Gemeinden nicht willkommen. … Oder Vorwürfe, dass die traditionelle christliche Ethik grundsätzlich eine Diskriminierung darstelle, für Suizide verantwortlich ist und der Art Jesu widerspricht. Ob dies ein guter Stil ist, das dürfte eine andere Frage sein, die nicht allzu schwer zu beantworten sein sollte. … Während es, vermutlich ohne besondere Verwerfungen möglich sein dürfte, sich in bestehenden liberal geprägten Gemeindestrukturen, wie den evangelischen Landeskirchen, zu organisieren und LGBTQ-Gemeinden (die auch bereits vorhanden sind) zu gründen, erscheint es mir nun, dass hier der Weg des maximalen Konfliktes gewählt wird. So ist zu beobachten, dass auch in Denominationen, die traditionell eine konservative Ethik vertreten, eine gut vernetzte und teilweise auch recht offensiv auftretende Minderheit versucht, diesen Konsens zu kippen. Die Methodik ist hier zwar teilweise leicht zu durchschauen und simpel in der Art, aber dennoch erfolgreich. Hier wird meiner Beobachtung nach zuerst mit einem großen Selbstbewusstsein Toleranz und Akzeptanz für die liberale Position eingefordert, in dem Wissen, dass diese nicht mit dem Konsens der Denomination in Einklang zu bringen ist. Sie werben um Verständnis und beginnen die Gewissensfreiheit ins Feld zu führen. Die zweite Stufe ist dann, dass sie die neue Position auch offiziell zu Gehör bringen wollen. Wenn ein offizielles Papier der Denomination verabschiedet wird, das ganz selbstverständlich die bisherige Sicht darlegt, legen sie zuerst leichten und dann immer deutlicheren Protest ein und erheben die Forderung, dass auch die neue liberale/progressive Position zumindest positiv als Alternative und anschlussfähige Sichtweise genannt wird. Eine Phase, die immer danach mehr zu beobachten ist, ist die scharfe Verurteilung der traditionellen Position, indem sie diese mit emotional aufgeladenen Vorurteilen verleumden. So wird regelmäßig in sozialen Medien oder in Veranstaltungsforen die traditionelle Form als unerträglich, als diskriminierend, als schädlich und als menschenverachtend beschrieben. Eine Sichtweise, die heute nicht mehr vertretbar sei, wenn man gesellschaftsrelevante Gemeinde bauen, missional aktiv sein möchte und den Menschen keine Hindernisse zum Glauben aufbauen will. Auf diese Art und Weise wird ein Weg eingeschlagen, der meines Erachtens die Spaltung von Gemeinden und Denominationen billigend in Kauf nimmt, wenn nicht gar aktiv befeuert.“ (S. 241 – 243)

Ich kann diese Warnung aus meinen Beobachtungen heraus nur voll und ganz unterstreichen. In meiner evangelischen Kirche sind wir längst soweit, dass die traditionelle Position aus den Machtpositionen der meisten Gremien und Ausbildungsstätten weitestgehend hinausgedrängt wurde. Es ist also ein großer Irrtum, zu glauben, dass man ein friedvolles Miteinander erreicht, indem man diese Fragestellung einfach zur Randfrage erklärt, die jede Gemeinde frei entscheiden kann. Im Gegenteil: Wenn ein Gemeindebund sich zu dieser Frage nicht positionieren will, dann wird der Konflikt nicht gelöst sondern nur von der obersten Leitungsebene auf die Ebene der lokalen Gemeinden verschoben – und damit um ein vielfaches multipliziert.

Zudem teile ich mit Traichel „die brennende Sorge, dass Gemeinden, die hier liberal (sie würden es progressiv nennen) werden, großen geistlichen Schaden erleiden werden, weil Gott sich aus diesen Gemeinden, aufgrund einer deutlichen Opposition gegen sein Wort (siehe auch Jes 5,20), zurückziehen könnte und sie dann dem geistlichen Untergang dahingegeben werden. … Beispiele von Gemeinden, die den liberalen Weg eingeschlagen sind und geistlich untergingen, gibt es leider genug.“ (S. 262) Wie wahr! Deshalb hoffe ich gerade um der Einheit und der missionarischen Dynamik willen, dass gerade auch Leitungspersonen im evangelikalen Umfeld dieses Buch studieren.

Auch sonst lege ich die Lektüre jedem Jesusnachfolger sehr ans Herz. Die biblische Tugend, dass neue Lehren anhand der Schrift geprüft werden müssen (Apg. 17, 11), scheint heute etwas aus der Mode gekommen zu sein. Trotzdem brauchen wir sie in unserer vielstimmigen Zeit mehr denn je. Johannes Traichel macht vor, wie das geht: Sachlich, differenziert und doch leidenschaftlich und mit einem klaren Ziel, das ich zu 100% teile: „Ich wünsche mir und bete für eine Rückbesinnung und neue Konzentration auf die Werte, die in der Kirchengeschichte die Erfolgsgeschichte der evangelikalen Bewegung begründet haben: Den persönlichen Glauben und die begeisterte Nachfolge von Christus, das Vertrauen, dass sein Wort, die Bibel, Wahrheit ist und unser Leben bestimmt und den Heißhunger nach diesem lebendigen Wort Gottes. Das Gebet um Erweckung und Erneuerung. Die brennende Liebe zur Welt, mit dem Hunger nach Gerechtigkeit und Erlösung für alle Menschen.“ (S. 274)

Das Buch “Evangelikale und Homosexualität” von Johannes Traichel ist hier erhältlich.

Anhang: Einige der Zitate, die ich mir in diesem Buch angestrichen habe:

„Es kann durchaus gesagt werden, dass die Trennung von Gottes Wort und Heiliger Schrift sowie die Trennung von Geschichte und Glauben Grundwurzeln der Krise des Bibelverständnisses darlegt.“ (S. 25)

Zitat N.T. Wright: „There is a popular belief just now that the ancients didn’t know about lifelong same-sex relationships, but this is easily refuted by the evidence both literary and archaeological.” (S. 82)

Zitat Armin Baum.: „Obwohl es in der Antike noch nicht unser modernes Wort „homosexuell“ gab, kannte man sowohl gleichgeschlechtliche Handlungen als auch gleichgeschlechtliche Neigungen.” (S. 82)

Zitat Joel White: „„Die Ansicht, dass Menschen in der Antike nichts von einer homosexuellen Orientierung wussten, wird immer wieder in die Diskussion eingebracht, seitdem John Boswell 1980 diese These erörterte. Sie ist nachweislich falsch. Viele antike Autoren nehmen wahr, dass manche Menschen grundsätzlich homoerotisch veranlagt sind, und es fehlt nicht an Diskussionen über die Ursachen hierfür.“ (S. 84)

Zitat Stefan Scholz (WiBiLex): „Ganz selbstverständlich galt dem Frühjudentum gleichgeschlechtliches Verhalten als Sünde der Heiden.“ (S. 84)

„Die jüdische und später die christliche Sexualethik stand in einem starken Kontrast zur griechisch-römischen Welt.“ (S. 85) … Zitat N.T. Wright: „Throughout the early centuries of Christianity, when every kind of sexual behaviour ever known to the human race was widely practised throughout ancient Greek and Roman society, the Christians, like the Jews, insisted that sexual activity was to be restricted to the marriage of a man and a woman. The rest of the world, then as now, thought they were mad. The difference, alas, is that today half the church seems to think so too.“ (S. 85)

Zitat Carsten Schmelzer (der eine liberale Position in der Frage der Homosexualität vertritt): „Einige Bibelstellen sind aus unserer modernen Sicht genauso „homophob“, wie sie klingen. Sie umzudeuten bedeutet, der Schrift Gewalt anzutun, indem man sie unter einen modernen Blickwinkel stellt.“ (S. 120)

„Die These, dass Paulus zu einem anderen Urteil kommen würde, wenn er einvernehmliche und lebenslange Beziehungen von Erwachsenen kennen würde (ob er solche kannte oder nicht bleibt am Ende unbekannt, es ist allerdings nicht unwahrscheinlich), ist dagegen nicht nur äußerst spekulativ, sondern mit großer Sicherheit falsch.“  (S. 111)

Der Begriff „»porneia« … schloss sämtlichen Geschlechtsverkehr außerhalb einer Ehe von Mann und Frau ein. … In seinen Äußerungen über sexuelle Unmoral benennt Jesus Homosexualität nicht direkt, aber er schließt sie mit ein.“ (S. 114/115)

„Gerrit Hohage folgert aus den Aussagen von Jesus im Zusammenhang mit der Schöpfungserzählung sechs Kennzeichen einer christlichen Ehe: »1. Es handelt sich um eine exklusive Zweierbeziehung. 2. Die Zweierbeziehung ist gegengeschlechtlich, auf Fortpflanzung angelegt. 3. Sie hat einen offiziellen Charakter (erkennbar am sichtbaren „Verlassen“ des Elternhauses), soll also keine geheime Verbindung sein. 4. Sie ist der legitime Ort sexueller Begegnung. 5. Sie wird auf Lebenszeit geschlossen und soll nicht vom Menschen geschieden werden. 6. Sie ist geschützt und soll nicht gebrochen werden (Bezugnahme auf das 6. Gebot). Ehebruch des Partners ist denn auch der einzige Grund, der die Fortsetzung der Partnerschaft in Frage stellt.«“ (S. 117)

„Die Sichtweise, dass Christus mit dem Prinzip der Liebe Einzelgebote außer Kraft setzte, ist ein populärer Irrtum, der theologisch nachweislich völlig falsch ist. … Der Christus, den die Bibel bezeugt, stellt nicht die Liebe gegen die Gebote, sondern er erklärt mit der Liebe die Gebote und ihr Verständnis. Eine Trennung der Gebote von dem Doppelgebot der Liebe … führt am Ende dazu, dass der Liebesbegriff zu einer offenbarungsfremden Leerformel wird.“ (S. 136/137)

„Zur Beurteilung der außerehelichen Sexualität sei festgestellt, dass in der Bibel die Verortung des Geschlechtsverkehrs in der Ehe zwingend war, was im alten Israel als selbstverständlich galt, insbesondere, wenn man den Schriftbefund mit Aussagen zur damaligen Zeit vergleicht. … So zitiert Baltes den Philosophen Philo (Joseph, 43): »Bei den anderen Völkern ist es für Jugendliche ab vierzehn Jahren üblich, dass sie zu Prostituierten gehen oder mit Frauen schlafen, mit denen sie nicht verheiratet sind. … Aber bei uns ist es anders: Bevor wir gesetzlich verheiratet sind, wissen wir nichts von irgendwelchen anderen Frauen, sondern wir kommen als unerfahrene Bräutigame und unerfahrene Bräute zusammen.«“ (S. 150/151)

Zitat Guido Baltes: „Auch für Jesus und Paulus war die Frage der Gestaltung von Sexualität übrigens keine Nebensache, auch wenn es manchmal so zu lesen ist. […] Wer sich stattdessen die Mühe macht, die jüdische Welt von Jesus und Paulus besser kennenzulernen, der entdeckt, dass sich beide in diesen Fragen einig waren mit den meisten ihrer jüdischen Zeitgenossen. Und dass sie deshalb nicht viel dazu sagen mussten. Ein Thema, über das man nicht viel reden muss, ist entweder eine Nebensache oder eine Selbstverständlichkeit. In dieser Frage gilt aber mit Sicherheit das Zweite: Das wird dort deutlich, wo Jesus und Paulus die wichtigsten Grundregeln eines gottgemäßen Lebensstils in kurzen Listen zusammenfassen. In solchen Aufzählungen nennen sie stets das griechische Wort porneia (hebr. zenuth). Dieses Wort schließt nach jüdischem Verständnis alle sexuellen Beziehungen außerhalb der Ehe ein. Mehr Worte musste man deshalb in der jüdischen Welt gar nicht verschwenden, um eindeutig Position zu beziehen.“ (S. 151)

„Es gibt nichts daran zu rütteln. Wir Christen und Evangelikale sind schuldig an homosexuell Empfindenden geworden. Wir wurden schuldig durch unseren lieblosen und verachtenden Umgang mit ihnen; wir wurden schuldig, in dem wir sie ausgegrenzt und diskriminiert haben; wir wurden schuldig, indem wir keinen Raum in unserer Gemeinde für sie hatten; wir wurden schuldig, indem wir ihnen die liebevoll annehmende seelsorgerliche Begleitung nicht gaben.“ (S.167)

Zitat Richard B. Hays: „Während Paulus das Zölibat als ein Charisma ansah, nahm er deswegen nicht an, dass diejenigen, denen dieses Charisma fehlte, frei waren, ihre sexuellen Begierden außerhalb der Ehe zu genießen. Heterosexuell orientierte Personen werden ebenfalls zur Abstinenz vom Sex gerufen, wenn sie nicht verheiratet sind (1.Kor.7,8-9). Der einzige Unterschied – zugegeben ein auffälliger – im Falle von homosexuell orientierten Personen besteht darin, dass sie nicht die Option einer homosexuellen »Ehe« haben. Wo stehen sie damit? Sie stehen damit in genau derselben Position wie ein Heterosexueller, der heiraten möchte, aber nicht den passenden Partner finden kann (und es gibt viele in dieser Lage): Sie sind zu einem schwierigen, kostspieligen Gehorsam gerufen, während sie »seufzen nach der Erlösung unseres Körpers« (Römer 8,23). Wer dies nicht als eine Beschreibung der authentischen christlichen Existenz erkennt, hat niemals ernsthaft mit den Imperativen des Evangeliums gerungen, die unsere »natürlichen« Impulse auf zahllosen Wegen herausfordern und frustrieren. Ein Großteil der zeitgenössischen Debatte dreht sich um diesen letzten Punkt. Viele der Verteidiger einer unqualifizierten Akzeptanz der Homosexualität scheinen mit einer simplizistischen Anthropologie zu operieren, die annimmt, dass alles gut sein muss, was ist: Sie haben eine Theologie der Schöpfung, aber keine Theologie der Sünde und Erlösung.“ (S. 176/177)

„So ist ohne das Evangelium die ethische Forderung gesetzlich und unbarmherzig. Aber ohne ethische Forderung wird das Evangelium harmlos gemacht und Gottes Heiligkeit missachtet.“ (S. 226)

„So wird eine Gemeinde vor Gott schuldig, wenn sie es duldet, dass in ihrer Mitte Lehren verbreitet werden, die Menschen zu sexuellen Sünden führen. Vielmehr müssen sie dem entgegentreten. Wenn sexuelle Sünden zu einer Frage der persönlichen Meinung werden, über die man in der Gemeinde unterschiedlich denken kann, dann wird Christus dies der Gemeinde als Sünde vorhalten. Leiter von Gemeinden haben hier als Hirten ihre Gemeinden und Mitglieder vor Irrwegen zu schützen. Hier wären manche „Formen von Toleranz […] Sünde“. (S. 248)

„Eine jede Gemeinde und jede Denomination hat im Idealfall Grenzen und auch eine gemeinsame Mitte. Weder das Ziel einer Mitte noch die Ziehung von Grenzen dürften grundsätzlich abgelehnt werden, wenn keine pluralistische Beliebigkeit erfolgen soll, in der jegliche geistliche Einheit verschwimmt. … Die evangelikalen Gemeinden der Zukunft werden beide Elemente aufweisen, oder sie hören auf, evangelikal zu sein.“ (S. 249)

„Evangelikale sollen gute Zuhörer und freundliche Redner sein. Sie sollen gut und präzise, deutlich und verständlich darlegen, was die eigenen Positionen sind, und diese in einer wertschätzenden Freundlichkeit vortragen. Unvereinbare Positionen bedeuten keine Feindschaft. Gegensätzliche Handhabungen bedeuten nicht, dass es keine Gespräche und keinen Dialog geben kann oder geben sollte. … Kompromisse in der Lehre sollten allerdings in dieser Frage nicht eingegangen werden. Es braucht das klare eigene Profil und den freundlichen Dialog mit den Andersdenkenden.“ (S. 264)

„Die Kirche der Zukunft wird theologisch konservativ und in ihren Formen vielfältig und kreativ sein, oder sie wird gar nicht sein.“ (S. 264)

„Die Kirche der Zukunft wird eine ethische Kontrastgesellschaft sein, die sich aus dem Wort Gottes her definiert und sich auf Gottes Weisungen ausrichtet, auch wenn sie damit im Widerspruch zum Zeitgeist steht. Die frühe Kirche ist diesen Weg gegangen. Die Geschichte der frühen Christen war auch deshalb eine Erfolgsgeschichte, weil sie die biblische Ethik im Kontrast zur Umwelt lebten.“ (S. 265)

„Dass die Kirche im ganzen eine alternative Art von Gesellschaft sein müßte, ist den Christen Westeuropas nicht mehr bewußt oder gelangt gerade erst in den letzten Jahren langsam wieder in ihr Bewußtsein. Die Kirche der Zukunft wird sich im Bewusstsein halten müssen, dass gerade in der Ethik eine Anpassung an den Zeitgeist geistlich vernichtend ist. Die Kirche der Zukunft lässt sich dagegen nicht davon beirren, wenn ihre ethischen Positionen und Lebensweisen denen der Gesellschaft widersprechen oder von ihr als antiquiert wahrgenommen wird. Die Kirche der Zukunft wird der heranwachsenden Generation die christliche Ethik verständlich und einleuchtend vermitteln und sie ausrüsten, auch im gesellschaftlichen Druck den Weg der Christusnachfolge zu gehen. Die Kirche der Zukunft braucht daher auch lehrmäßige und geistliche tiefe Wurzeln. Sie hat ein Vertrauen in das offenbarte Wort Gottes, die Bibel. So kann gesagt werden: »Für die Zukunft der Gemeinde ist es entscheidend, dass wir von der Zuverlässigkeit der Schrift, von ihrem geistlichen Wert für unser Leben und auch von ihrer intellektuellen Kraft zutiefst überzeugt sind.« (Reinhard Spincke)“ (S. 266/267)

Zitat David Bennett: „Die Lüge, die wir uns einreden, lautet, wir könnten für Gemeindewachstum sorgen, indem wir Abstriche bei der Heiligung machen. Das ist falsch. Was dagegen in der Welt anziehend wirken wird, ist, wenn wir diejenigen willkommen heißen und stärken, die sexuell treu und gehorsam sind, als Zeugen gegenüber unserer Kultur. Ohne Heiligung kann die Welt Jesus Christus in uns nicht erkennen; und ohne Liebe wird die Welt sich gegen die Wahrheit dieser Heiligung sträuben.“ (S. 267)

„Evangelikale Gemeinden brauchen eine Kultur des offenen Umgangs mit ihren Sehnsüchten, Kämpfen und ihrem Scheitern. Gleichzeitig ist eine Kultur der Gnade und Barmherzigkeit zwingend, wenn wir Gemeinde im Sinne Jesu sein wollen. Unerlässlich ist eine Kultur der Vertrautheit und Freundschaft, um auch den zölibatären Lebensstil als eine gangbare Alternative zu leben.“ (S. 269)

„Evangelikal geprägte Gemeinden brauchen auch eine gut durchdachte Lehre zum Leben als Single und für den zölibatären Lebensstil. Es braucht Formen der Unterstützung für diejenigen, die sexuell enthaltsam leben, damit sie nicht unter der Einsamkeit leiden. Evangelikal geprägte Gemeinden brauchen aber auch eine profilierte biblische Ethik, was die Sexualität betrifft. Es wird eine Ethik sein, die Sexualität in der heterosexuellen Ehe würdigt und feiert, aber ihren Ort nur in dieser Form sieht. Ein klares Profil in diesen Fragen bedeutet auch eine lehrmäßige Abgrenzung.“ (S. 273)

 

 

 

 

Michael Diener („Raus aus der Sackgasse!“) und Markus Till („Zeit des Umbruchs“) – eine Gegenüberstellung

Von Pfarrer Christian Schwark

A) Wo sich Diener und Till einig sind

1. Beide betonen, dass es wichtig ist, einander zu begegnen und miteinander ins Gespräch zu kommen (Diener, S.64: „Hoffnung, dass das Brückenbauen gelingt“; Till, S.183: „Gut geführter Dialog kann uns helfen, Schritt für Schritt in eine Reife und Ausgewogenheit zu finden,…“).

2. Beide betonen, dass es bei unterschiedlichen Meinungen um die Lehre geht, nicht um den Glauben des anderen
– Diener, S.80: „Und wenn jemand anderes, dessen Lehrmeinung ich nicht teile, dennoch in Verbindung mit Gottes Geist steht, dann sollte mich das von einer klaren Auseinandersetzung in Lehrfragen nicht abhalten, aber ohne, dass ich deswegen über den geistlichen Stand meines Gegenübers ein Urteil abgebe.
– Till, S.162: „Wir dürfen und müssen uns mit anderen Meinungen und Positionen auseinandersetzen. Aber wir dürfen uns niemals an Gottes Stelle setzen und uns zum Richter über andere Menschen machen.

3. Beide betonen, dass es auf beiden Seiten persönliche Verletzungen gab, die manche Schärfe erklären und die lähmend wirken
– Diener, S.21-22: Biographische Beschreibung von gegenseitigen Verletzungen
– Till, S.41-57: Konkrete Punkte, bei denen es gegenseitige Verletzungen gab

4. Beide betonen, dass die entscheidende Frage in der Diskussion das Bibelverständnis ist
– Diener, S.64: „Wir beginnen mit der Hermeneutik, dem Verständnis der Bibel, weil sich daran zu Recht ganz viel entscheidet.
– Till, S.135-136: „Ist der Bibeltext eine fehlerfreie göttliche Offenbarung? … Es entspricht auch meiner Beobachtung, dass wir hier tatsächlich im Kern der Auseinandersetzung angelangt sind.

5. Beide betonen, dass die biblische Wissenschaft hilfreich und notwendig für die Bibelauslegung ist
– Diener, S.70: „…mithelfen, dass zu dem kindlich-vertrauensvollen Lesen der Bibel, das ich nie verloren habe, auch eine wissenschaftlich-reflektierte Hermeneutik tritt.
– Till, S.109: „Ohne Zweifel sind bibelwissenschaftliche Methoden wichtig für eine solide und verantwortliche Bibelauslegung.”

6. Beide betonen, dass es Vielfalt gibt, diese aber nicht zu Beliebigkeit werden darf
– Diener, S.112: „…Den evangelischen Landeskirchen … muss es ein Anliegen bleiben, das gemeinsam Identitätsstiftende so in den Mittelpunkt zu stellen, dass Unterschiede in einzelnen Sachfragen ausgehalten werden können.
– Till, S.195: „Vielfalt ohne rote Linien kann man sich schönreden.

7. Beide betonen, dass es Positionen gibt, die sich nicht mehr miteinander vereinbaren lassen
– Diener, S.53: „…gibt es leider einen (bekenntniskonservativen) Flügel in der pietistischen und evangelikalen Welt, der nicht mehr ‚einheitsfähig‘ ist“; S.31: „Wer Olaf Latzel zum ‚evangelikalen Märtyrer‘ stilisieren will,…untergräbt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung
– Till, S.171: „Natürlich sollen wir Einheit anstreben, wo immer das möglich ist. Aber wo das nicht geht, sollten wir das auch nicht übertünchen…Viel besser ist eine geklärte, möglichst versöhnte Verschiedenheit, in der wir einander die Freiheit zugestehen, unterschiedliche Wege zu gehen“; S. 154: „wenn sich die Bibelverständnisse der leitenden Mitarbeiter grundlegend voneinander unterscheiden, dann werden aus Spannungen leicht lähmende Dauerkonflikte.

B) Wo sich Diener und Till unterscheiden

1. Aussagen zum Bibelverständnis

a) Während Diener die Bibel auch historisch-kritisch liest und damit Bibelkritik im Sinne einer Sachkritik zulässt, lehnt Till Sachkritik an der Bibel ab – entsprechend der Diskussion zwischen Stuhlmacher und Maier:
– Diener folgt Stuhlmacher, so S.70: „Stuhlmachers Grundpositionierung einer ‚Hermeneutik des Einverständnisses’ halte ich bis heute für hilfreich“, vgl. Stuhlmacher, Vom Verstehen des Neuen Testaments“, S.239-240: „…sollte eigentlich deutlich sein, dass der Grundsatz, das biblische Offenbarungswort könne und dürfe nicht Gegenstand von (historischer und dogmatischer) Kritik sein, unhaltbar ist
– Till folgt Maier, so S.145: „Gerhard Maier erteilt entsprechend auch gemäßigten Versuchen einer sachkritischen Herangehensweise an die Bibel eine Absage“, vgl. Maier, Das Ende der historisch-kritischen Methode, S.104: „Der Offenbarung entspricht nicht Kritik, sondern Gehorsam
– Sowohl Stuhlmacher als auch Maier beziehen sich an den zitierten Stellen auf den jeweils anderen.

b) Während Diener bei der Auslegung der Bibel neben den biblischen Aussagen selbst auch andere Faktoren als bestimmend ansieht, betont Till die Autorität der Bibel als Wort Gottes
– Diener, S.76: „SO vollzieht sich evangelische Schriftauslegung – im geistlichen Miteinander von Bibel, Christus und Gegenwart“; vgl. S.21: „Außenwirkung in der heutigen Zeit und Gesellschaft“ als Kriterium; vgl. auch „Ethik zum Selberdenken“ von Dietz/Faix, der sich Diener „vollumfänglich“ anschließt (S. 175-176): Dietz/Faix, Transformative Ethik – Wege zum Leben, S. 308: „Denn wie es einschneidende geschichtliche Erfahrungen waren, die zu dieser Zuspitzung führten [gemeint ist die Anerkennung der Menschenrechte, Anm. CS], so ist damit zu rechnen, dass neue Erfahrungen ihrerseits eine Weiterentwicklung der Ethik nötig machen werden.
– Till, S.147 (zu Luther): „die Bibel…eine Autoritätsinstanz…, der weder Vernunft, Weltwissen, Erfahrung, Auslegungs- und Wirkungsgeschichte, Bekenntnisse, kirchliches Lehramt oder Wissenschaft gleichgestellt werden darf“; vgl. auch Gerhard Maier, Biblische Hermeneutik, S.331, aus der Till zitiert (S.145): „Indem sie [gemeint ist die gemäßigte Kritik, Anm. CS] die Schrift und Offenbarung voneinander trennt und nur bestimmte Aussagedimensionen als Gottes Wort anerkennt, fördert sie den Hang zur Erfahrungstheologie.
– Ein praktisches Beispiel: Während Diener bei der Ablehnung der Sklaverei die „kulturelle Sensibilität“ erwähnt (S.75), verweist Till auf „gute biblische Gründe für die Ablehnung der Sklaverei“ (S. 152).

2. Aussagen zu konkreten Themen

a) Gottesbild: Während Diener allein die Liebe Gottes in den Vordergrund stellt, betont Till neben der Liebe Gottes auch den Zorn Gottes
– Diener, S.142: „Ich streiche das biblische ‚Reden von einer Hölle‘ nicht einfach aus meiner Bibel, aber ich ordne diese Aussagen in den größeren Zusammenhang dieses Heilswillen Gottes ein“; S.141: Frage, „ob es philosophisch betrachtet Sinn macht, zeitliche Sünden, und seien sie noch so schwer, mit ewigen Strafen zu bedenken“, auch im Blick auf Hitler und Stalin;
– Till, S.133 (mit Verweis auf John Stott): „…dass die weitverbreitete Seichtigkeit der westlichen Kirche die direkte Folge einer Theologie ist, die Gottes Zorn ignoriert.
– Dazu passt, dass bei Till das Kreuz eine wesentlich größere Bedeutung hat als bei Diener (Bei Diener wird das Kreuz kaum erwähnt, bei Till ist die Gnade Gottes „ohne die Demütigung des Kreuzes nicht zu haben“, das Kreuz ist darum „unser ganzes Christenleben lang von täglicher Bedeutung.“ (vgl. S.215)

b) Einordnung anderer Religionen: Während Diener neben der Hochschätzung von Jesus im Anschluss an das Zweite vatikanische Konzil auch das „Wahre und Heilige“ in anderen Religionen anerkennt (S.150) und betont, dass auch Andersgläubige gute Gründe für ihren Glauben haben und keiner „verbindlich…sagen kann, was nun richtig und falsch ist“ (S.153), erwähnt Till die „Wahrheitsansprüche des Christentums“ (S.220).

c) Welt- und Menschenbild: Während Diener „Zeit“, „Geschichte“, „Kultur“ u.a. als „Gaben Gottes“ (S. 73) und damit den Menschen eher positiv sieht (vgl. auch S.216: Ablehnung einer „Distanzierung von einer aufgeklärten, autonomen und komplexer werdenden Welt in Verbindung mit einer eher pessimistischen Weltdeutung“), betont Till eher die Sündhaftigkeit und die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen (vgl. S.110: „Der Mensch braucht … nicht nur Erlösung von bösen Umständen, sondern primär auch Erlösung vom ‚Gesetz der Sünde‘“).

d) Einschätzung der Situation in der Evangelischen Kirche: Während Diener die Ev. Kirche theologisch insgesamt auf einem guten Weg sieht, betont Till die Kritik
– Diener, S.106: „…ist die evangelische Volkskirche heute plural und nicht pluralistisch, da sie sehr wohl über einen Kriterienrahmen verfügt“; vgl. auch positive Beurteilung der Beratung nach § 218 auf S.182: „ethische Verantwortlichkeit des evangelischen Beratungsweges
– Till, S.208: „Orientierungslosigkeit der Kirche“; vgl. S.217: „Lauheit einer Christenheit, die selbstgerecht glaubt, auf das Thema Kreuz, Sünde, Buße und Umkehr verzichten zu können.

e) Sexualität

– Homosexualität: Während bei Diener allgemein formuliert und nach seiner Auffassung „Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit leitende Prinzipien für eine christlich-ethische Entscheidung in der heutigen Zeit sein sollen“, auch für den Umgang mit schwulen und lesbischen Menschen (S.192), hebt Till die Bedeutung der konkreten biblischen Aussagen hervor: „Wenn wir angesichts des klaren biblischen Befunds dem Wort Gottes beim Thema Homosexualität nicht folgen, dann gibt es keine Klarheit der Schrift mehr“ (S.152).
– Diener richtet sich vehement dagegen, dass diese Frage eine Bekenntnisfrage ist („unerträglich“) und will „gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen Gottes nicht verweigern” (S.193; vgl. auch S.195: Frage, wie sich „liebevoller und diskriminierungsfreier Umgang“ damit vereinbaren lässt, dass „nur enthaltsam lebende homosexuelle Menschen einen Platz als Mitarbeitende in einer Gemeinde finden“).
– Till betont, dass es wichtig ist, „einen respektvollen und liebevollen seelsorgerlichen Umgang mit den Betroffenen zu finden“ (S.153), schreibt aber auch: „Die Befürwortung ausgelebter Homosexualität lässt sich mit den biblischen Aussagen zur Sexualethik nicht vereinbaren.“ (S.152)

– Vorehelicher Geschlechtsverkehr: Bei Diener findet sich eine eindeutige Befürwortung, bei Till wird angedeutet, dass er hier Probleme sieht.
– Diener, S.201: „Aufgrund der veränderten und kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen meine ich nicht, dass eine derart verantwortlich gelebte Sexualität ihrem Rahmen nur in einer Ehe finden kann
– Till, S.154: Hinweis auf Gräben bei der Sexualethik in der Jugendarbeit, „zum Beispiel die wichtige Frage: Gehört Geschlechtsverkehr ausschließlich in die Ehe?“, in den Anmerkungen wird auf einen Aufsatz des Neutestamentlers Armin Baum hingewiesen, der eine kritische Haltung zum Geschlechtsverkehr vor der Ehe einnimmt (S.252, Anm. 160).

C) Welche unterschiedlichen Tendenzen es bei Diener und Till in Bezug auf die Einheit gibt

Während es bei Till eine Tendenz zur Einheit durch Konsens gibt (vgl. Einheit durch Jesus und dadurch, dass wir „an der Wahrheit festhalten“, nicht dadurch, dass „alle Beteiligten – und gemeint sind dabei meist die Konservativen – einfach gelassener, weitherziger, toleranter und gnädiger wären“, vgl. S.226-228), findet sich bei Diener eine Tendenz zur Einheit durch Toleranz (vgl. S.20: Kriterium: „pluralitätsfähig“, S. 37: Vorwurf der „Pluralitätsverweigerung“; vgl. S.98: „die zwischen Christ*innen erkennbaren Unterschiede nicht mehr als Bedrohung, sondern als Bereicherung verstehen“).

Lässt sich die Evolutionstheorie mit der Bibel vereinbaren?

Diese Frage beschäftigt mich seit langem. Deshalb war ich gespannt, ob der US-amerikanische Philosoph Matthew Nelson Hill in seinem aktuellen Buch „Und Gott schuf die Evolution“ dazu neue Argumente liefern kann?

Diese Rezension kann hier auch als PDF heruntergeladen werden.

Hill’s Buch plädiert für eine „evolutionäre Schöpfung“, also Schöpfung durch Evolution. Gemäß dem Buchtitel ist für Hill der Evolutionsprozess selbst ein Schöpfungswerk Gottes. Die Idee ist nicht neu. Ebenso bekannt sind die Probleme dieses Ansatzes. Hill spricht einige davon selbst offen an – ohne Antworten dazu anzubieten:

  • „Diese Aussage ist schwer zu verkraften, aber der Tod ist nicht die Folge der Sünde, sondern die Voraussetzung für das Leben.“ (S. 76)
  • „Die Grausamkeiten im Tierreich als notwendiger Teil der Evolution lassen sich besonders schlecht mit der Bibel und der überlieferten Lehre vereinbaren.“ (S. 77)
  • „Es ist kein schöner Gedanke, dass die Evolution oft als Folge eines Massenaussterbens an Fahrt aufnimmt – als ob der Tod notwendig wäre, um neues Leben hervorzubringen. Meines Erachtens ist das eine der schwierigsten Stellen für Christen, die sich mit dem Konzept der Evolution anfreunden wollen.“ (S. 108)

Eine derart erfrischende Ehrlichkeit in Bezug auf die Schwächen des eigenen Ansatzes ist leider eher selten. Dabei wäre die Fähigkeit zur Selbstkritik auf allen Seiten angebracht. Ich kenne kein Ursprungsmodell, das nicht unter enormen Schwierigkeiten leidet. Es spricht für die Glaubwürdigkeit des Autors, dass er hier mit gutem Beispiel vorangeht.

Wie passt ein planvoller Schöpfer zum planlosen Evolutionsgeschehen?

Jedoch hat die Vorstellung einer „evolutionären Schöpfung“ natürlich noch weitaus mehr Schwierigkeiten. Diese können beim aufmerksamen Lesen des Buchs zwar durchaus auffallen, aber Hill thematisiert sie nicht explizit. Das gilt zum Beispiel für den grundlegenden Widerspruch zwischen einem planvollen Schöpferhandeln und dem planlosen Evolutionsgeschehen. Hill bekennt sich zwar immer wieder dazu, dass Gott der Schöpfer ist, der den Menschen nach seinem Bild erschaffen hat. Zugleich schreibt er aber auch: „Mir gefällt es nicht, wenn man das Gefühl bekommt, die Evolution würde ein bestimmtes Ziel verfolgen.“ (S. 84) Hill unterwirft sich also dem heute vorherrschenden Paradigma, dass auch in der Ursprungsforschung ausschließlich mit ziellosen, materiell erklärbaren Prozessen gerechnet werden dürfe. Wo und wie dann aber noch Raum für die Wirksamkeit eines zielorientierten Schöpfers bleiben soll, bleibt offen.

Ein kritikloser Blick auf die Evolutionstheorie

Auch diskutiert Hill mit keinem Wort die Sinnhaftigkeit dieses außerwissenschaftlichen Paradigmas, das zur Folge hat, dass heutzutage selbst die offenkundigsten Designmerkmale in der Natur schlicht ignoriert werden. Mit keinem Wort geht er darauf ein, dass die Fragen nach der Entstehung von Information, komplexen biologischen Bauplänen, Schönheit, Moral und Geist durch ziellose, materielle Prozesse bislang weitgehend unbeantwortet sind. Stattdessen übernimmt er kritiklos selbst so waghalsige Annahmen wie z.B. die Vorstellung, die erste Zelle könne in Tiefseeschloten von selbst entstanden sein oder das Leben sei vielleicht durch einen Meteoriten auf die Erde „gesät“ worden. Und er schreibt: „Auf jeden Fall hat das Leben ganz einfach angefangen, darin ist man sich einig.“ (S. 104) Das Leben hat „ganz einfach“ angefangen? Da frage ich mich: Weiß der Autor denn nichts darüber, wie unfassbar komplex und hoch organisiert selbst die einfachst denkbaren lebenden Zellen sind mit ihren phantastischen molekularen Maschinen und mit dem koordinierten Zusammenspiel von mindestens 300 Genen? Wie auch immer das Leben angefangen hat – “einfach” war es jedenfalls zu keiner Zeit.

Bibelverständnis: Klischees und blinde Flecken

In seinen Erläuterungen zum Umgang mit der Bibel macht Hill die typisch klischeehafte Alternative auf zwischen historischem und „wörtlichem“ Bibelverständnis – so als ob eine konservativ-bibelorientierte Herangehensweise nicht ebenso vor Augen hätte, dass bei jedem Text natürlich die Textgattung und das historische Umfeld beachtet werden muss. Hill behauptet zudem ganz einfach, die Bibel sei kein Geschichtsbuch (S. 63+73), ohne auf die vielen biblischen Texteigenschaften wie Ahnentafeln, Orts- Zeit- und Maßangaben einzugehen, die auch schon der biblischen Urgeschichte durchaus einen historischen Charakter verleihen. Wie sind diese Angaben zu verstehen, wenn die Texte keine wirkliche Geschichte erzählen wollen?

Woher kommen unsere sündigen Triebe?

Im zweiten Teil des Buchs möchte Hill den Gedanken vermitteln: Wenn wir unser evolutionäres Erbe verstehen, dann können wir besser lernen, unsere Triebe zu beherrschen und dadurch einen geheiligteren Lebensstil entwickeln. Unser Kampf ist es laut Hill, „die Laster zu überwinden, die uns von Natur aus anhaften.“ (S. 203) Hills Gedanken zur Heiligung stimme ich weitgehend zu, sie unterscheiden sich nur wenig von klassisch evangelikalen Sichtweisen. Dabei geht aber das grundlegendste Problem des Buchs weitgehend unter: Wenn Gott die Evolution geschaffen hat, dann stammt natürlich auch unser sündiger Lebensstil von Gott. Denn dann hat ja der Schöpfer selbst uns im Zuge der Evolution unter anderem mit einem „Reptiliengehirn“ ausgestattet, das uns „nur mit Fragen der Sicherheit, der Suche nach Nahrung und dem Verlangen nach Sex beschäftigt. Dieser Gehirnteil hat uns aber über unzählige Generationen hinweg am Leben erhalten und eine Weiterentwicklung möglich gemacht.“ (S. 153/154) Es ist dann also auch das Werk des Schöpfers, dass „die fortschreitenden Entwicklungen des Gehirns einerseits eine große Verbesserung, andererseits aber auch der Beginn von Manipulation, Nötigung und Lüge“ waren. (S. 155)

Unsere sündigen Verhaltensweisen sind in Hills Ansatz also nicht ein Ergebnis des Sündenfalls, sondern ein wichtiger Evolutionsmotor und damit ein wichtiges Element im göttlichen Schöpfungsprozess. Wenn wir Christen heute einen maßvollen Lebensstil entwickeln und sexuelle Treue bzw. Enthaltsamkeit im außerehelichen Bereich leben wollen, dann kämpfen wir somit gegen genau die Triebe an, die Gott selbst benutzt hat, um uns zu erschaffen:

  • „Es ist nicht ohne Bedeutung, dass unsere männlichen Jäger- und Sammler-Vorfahren häufig Sex hatten und auf der Suche nach mehr Partnerinnen ihre Familien verließen.“ (S. 144/145)
  • „Viele unserer Triebe, von der Lust aufs Essen bis zum Verlangen nach Sex, waren für unsere Vorfahren überlebenswichtig.“ (S. 145)
  • „Lebewesen, die früher nicht dadurch auffielen, dass sie ständig essen und Sex haben wollten, sind ausgestorben.“ (S. 146)

Wir Menschen sind demnach also die Sieger eines rücksichtslosen, animalischen evolutionären Verdrängungskampfes, den Gott selbst so auf den Weg gebracht hat. Und zu diesem Schöpfungswerk sagt Gott, dass wir „sehr gut“ und nach Gottes Ebenbild geschaffen sind?

Ist der Mensch gottesebenbildlich und einzigartig?

Damit sind wir bei einem weiteren schwerwiegenden Problem in Hills Modell. Für ihn ist klar: „Obwohl Homo sapiens erst relativ kurz auf der Erde existiert, haben wir uns in rasantem Tempo entwickelt und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.“ (S. 117) Wenn der Evolutionsprozess des Menschen demnach immer noch weiterläuft, dann wirft das Fragen auf: Gibt es dann heute schon Menschen, die höher entwickelt sind als andere? Sind denn nicht alle Menschen gleich? Werden zukünftige Menschen auf Jesus zurückschauen und in ihm einen unterentwickelten Vormenschen sehen? Was bedeutet das für die biblische Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und für die Wiederkunft Jesu?

Und inwiefern ist der Mensch noch einzigartig, wenn er eigentlich nur ein weiterentwickeltes Tier ist? Hill schreibt dazu: „Aber da wir Menschen gemeinsame Vorfahren mit den höherentwickelten Tieren haben, wurde Jesus nicht nur Mensch, er wurde auch ein Tier – wodurch alle Tiere etwas ganz Besonderes sind, denn Gott wurde einer von ihnen. … Jesus betrat die Erde auch nicht als irgendein Tier, sondern als menschliches Tier.“ (S. 202) Hill möchte also die Tiere aufwerten, indem er zwischen Mensch und Tier nur graduelle statt prinzipielle Unterschiede sieht. Aber wird damit der Mensch nicht zwangsläufig auch abgewertet? Und wollte Jesus sich wirklich auch mit den Tieren identifizieren?

In der Bibel ist Jesus zwar tatsächlich der Löwe von Juda und das geschlachtete Lamm. Aber mit diesen Bildern wollte die Bibel sicher nicht sagen, dass Jesus und wir Menschen letztlich nur höher entwickelte Formen innerhalb des Tierreichs sind. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen mit allen Konsequenzen für seine unveräußerliche Würde und für seine einzigartige Verantwortung, für die er im Gericht zur Rechenschaft gezogen wird, ist in der Bibel ausschließlich dem Menschen vorbehalten.

Ist der Glaube an die Evolution eine Befreiung?

Das Buch enthält ein Nachwort der Übersetzerin, in dem sie schildert, wie sie aufgrund ihres christlich-konservativen Hintergrunds zunächst mit dem Inhalt des Buchs gefremdelt hat. Dann aber wurde sie „in eine neue Freiheit geführt“ (S. 205), die es ihr jetzt ermögliche, auch Widersprüche zwischen der Bibel und wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie innerbiblische Widersprüche fröhlich stehen zu lassen, ohne dass ihr Glaube beeinträchtigt werde. Dabei seien ihr Publikationen und Vorträge von Worthaus, Siegfried Zimmer, Thorsten Dietz und anderen eine große Hilfe gewesen.

Mir ging es nach der Lektüre des Buchs genau umgekehrt. Deutlicher als je zuvor stand mir vor Augen, in welch grundlegende Widersprüche und Schwierigkeiten man gerät, wenn man die Evolutionstheorie mit der Bibel vereinbaren will. Angesichts der gewaltigen Probleme, unter denen die Evolutionstheorie insgesamt leidet, kann ich auch nicht erkennen, inwiefern denn die Übernahme des Evolutionsmodells ins christliche Weltbild eine Befreiung sein soll? Wovon werde ich denn da befreit?

Richtig ist natürlich: Glaube und Wissenschaft können und sollen Hand in Hand gehen. Wir Christen sollten uns ehrlich den wissenschaftlichen Fakten stellen und intellektuell redlich mit ihnen umgehen. Faktenresistenz und Wissenschaftsfeindlichkeit kann keine christliche Antwort sein. Es waren ja vielfach tiefgläubige Christen, die die Erfolgsgeschichte der modernen Wissenschaft vorangetrieben haben. Aber eine undifferenzierte Wissenschaftsgläubigkeit, die blind ist gegenüber den offenkundigen Problemen der Evolutionstheorie und die auch nicht die philosophischen Paradigmen kennt, die die heutige Dominanz des Evolutionsmodells verursachen, kann ganz sicher auch kein Weg sein, den wir Christen beschreiten sollten.

Angesichts der vielen ungeklärten Fragen in der Ursprungsforschung empfinde ich es als befreiend, mein Weltbild nicht allein von unserem vorläufigen und sich rasch wandelnden Weltwissen abhängig machen zu müssen. Vielmehr darf ich aus guten Gründen und guten Gewissens der Schrift das letzte Wort geben, wenn es um die existenziellen Fragen nach dem „woher“ und „wohin“ des Menschen geht.

Das Buch „Und Gott schuf die Evolution“ von Matthew Nelson Hill ist bei Gerth Medien erschienen und kann hier bestellt werden.

Eine Kurzversion dieser Rezension ist in IDEA 11.2022 erschienen.

Weiterführende Hinweise: