Eindrücke aus dem Buch „Freie Liebe: Über neue Sexualmoral“ von Bernhard Meuser
Der katholische Theologe Bernhard Meuser hat ein bewegendes Buch geschrieben, das ich auch uns Evangelikalen sehr ans Herz legen möchte. Zwischen Katholiken und Evangelikalen gibt es bedeutende theologische Differenzen, die nicht kleingeredet werden dürfen. In diesem Buch geht es jedoch um eine Herausforderung, mit der Evangelikale und Katholiken gleichermaßen konfrontiert sind.
Plötzlich sind wir ein Ärgernis
Über viele Jahre haben wir eine Sexualethik vertreten, die in wesentlichen Teilen auch in unserer christlich geprägten Gesellschaft hohe Anerkennung fand – weshalb es keinen Grund zu geben schien, sie vertieft zu durchdenken und zu begründen. Diese Situation hat sich nun in relativ kurzer Zeit dramatisch gewandelt. Plötzlich sind wir mit unseren Ansichten nicht nur Exoten sondern ein Ärgernis geworden. Bernhard Meuser begründet diese Umkehrung der Verhältnisse mit der wachsenden Dominanz von kirchenferner „Zivilmoral“:
„Kennzeichen der Zivilmoral ist, dass sie keinen Begriff von wahr und falsch hat (und haben kann), wie sie auch nicht von gut oder böse sprechen kann. … Toleranz ist ihre höchste und einzige Tugend, die sie mit höchster Intoleranz … einfordert. Der Andere ist anders. Mehr ist über ihn nicht zu sagen, darf über ihn nicht gesagt werden. … Höchste Unmoral ist die Ausgrenzung von etwas, das jemand als böse oder falsch klassifiziert. … Den Ausgrenzer muss man ausgrenzen. Das Gute gut und das Böse böse zu nennen, ist inkorrekt, weil darin Absolutheitsansprüche zum Ausdruck kommen, die mangelnde Toleranz verraten und damit gegen das Ich-bin-okay-du-bist-okay-Gebot verstoßen wird.“ (S. 77)
Bernhard Meuser weist zwar zurecht darauf hin, dass diese Zivilmoral „verdeckt antiintellektuell und vernunftfeindlich“ ist, weil sie Denkverbote erlässt und uns daran hindert, offen und ehrlich darüber nachzudenken, welche Konsequenzen sich aus welchen Lebensmodellen ergeben. Aber das ändert nichts an dem wachsenden Druck, den diese gesellschaftliche Entwicklung auf Christen ausübt.
Die Folge ist bei Katholiken wie bei Evangelikalen ähnlich: Wir spalten uns. Die einen wollen den gesellschaftlichen Trend mitgehen, um die Kirche aus der Schusslinie (bzw. „aus der Sackgasse“) zu holen. Die Anderen wollen an der traditionellen Sexualethik festhalten, haben aber kaum gelernt, diese Position vor sich selbst und vor anderen durchdacht zu begründen.
Die Schattenseiten des sexualethischen Wandels
In seinem Buch schildert Bernhard Meuser offen, wie er selbst eine Missbrauchserfahrung durch einen katholischen Priester erlitten hat. Umso bemerkenswerter ist es, dass Meuser sich leidenschaftlich dagegen wendet, die kirchliche Sexualmoral im Sinne des sogenannten „Synodalen Wegs“ zu verändern. Er entlarvt gründlich, dass die Missbrauchsskandale oft nur als Vorwand genutzt werden, um biblische Gebote über Bord werfen zu können, die doch vor Missbrauch gerade schützen würden. Das Buch von Meuser ist zudem mutig, weil es sich modernen Denkverboten in keiner Weise unterwirft. Meuser weist vielmehr schonungslos auf die Schattenseiten und blinden Flecken des sexualethischen Wandels hin:
„Für freie Liebe muss man Kinder töten. … Neun von zehn Kindern mit Down-Syndrom werden heute abgetrieben, als wären sie keine Menschen. Über 100.000 Kinder wurden 2018 in Deutschland im Mutterleib getötet. Ein Kind aber darf niemals der Kollateralschaden von Sex sein.“ „Die Begründungen … laufen in der Regel auf die Entpersonalisierung des Kindes hinaus. Das Kind im Bauch der Mutter darf kein „Jemand“ sein; deshalb ist es ein „werdendes Leben“, ein „Zellhaufen“, ein „Fötus“, eine „Schwangerschaft“, die man „unterbrechen“ kann. Um sie danach fortzusetzen?“ (S. 339/340) „Das Europaparlament hat 2019 … eine Resolution verabschiedet, mit der Polen gerügt wurde, weil die osteuropäischen Ignoranten in puncto Sexualaufklärung nicht auf der Höhe der allgemeinen Standards sind … : Damit … »Jugendliche […] gefahrlos sexuelle Erfahrungen […] machen können«, sei der Zugang zu »sicheren und rechtmäßigen Abtreibungen unabdingbar. « Mit anderen Worten: Damit etwas größere Kinder sorgenfreien Spaß im Bett haben, soll der polnische Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass kleine Kinder, die dabei zufällig entstehen, getötet werden dürfen. Und für diesen mörderischen Vorschlag findet sich eine Mehrheit von 471 Stimmen (!), bei 128 Gegenstimmen und 57 Enthaltungen.“ (S. 99) „Eine »neue Sexualmoral«, die ihre Kinder umbringt, ist weder sexy noch moralisch. Sie ist eine Lüge.“ (S. 109)
Meuser sieht beim Thema Abtreibung auch keinerlei Kompromissmöglichkeiten. Im Gegenteil fordert er: „Jetzt ist die Zeit gekommen, in „Abtreibung“ den Clearingpoint einer neuen Sexualmoral und die präzise Wasserscheide der Anthropologie zu sehen. Hier scheidet sich alles, was fließt. Die Wasser, die in die Zivilisation der Liebe fließen, fließen nicht in die Kultur des Todes und umgekehrt. Zwei nicht miteinander vereinbare Anthropologien trennen sich.“ (S. 343)
Die naive Sicht von “Lust”
Der Wandel in der Sexualethik zerstört aus Meusers Sicht aber nicht nur das Leben von Kindern, sondern auch die Seele von Erwachsenen, denn:
„Jede sexuelle Begegnung schafft Bindung; sie zu zerreißen, schlägt seelische Wunden, beim einen tiefer, beim anderen weniger tief. Nicht ich war gemeint, sondern mein Körper, lautet die Ent-Täuschung, die das Gift des Misstrauens in alle künftigen Lieben mischt. Wunden können vernarben; aber Narben machen auch gefühllos und taub an der Stelle, wo ich mich von Herzen und rückhaltlos verschenken sollte und künftig nur noch einen Teil von mir gebe – „fünfzig oder siebzig Prozent, besser nicht mehr!“, denn man könnte wieder enttäuscht werden. Was man landauf, landab noch immer als große Errungenschaft der sexuellen Revolution feiert – die Trennung von Sex und Liebe -, ist in Wahrheit der Sündenfall der Moderne.“ (S. 333)
Meuser prangert an, dass eine naive und verklärende Sichtweise von „Lust“ im Umlauf ist: „Nun ist Lust zweifelsfrei ein Wert. Aber Lust ist ein der Liebe nachgeordneter, ihr in glücklichen Umständen mitgegebener Wert. Liebe kann durchaus noch sein, wo kein Vergnügen mehr dabei ist – etwa am Bett eines kranken Partners. Aber Lust kann nicht sein, wo es an Liebe fehlt. Da nämlich mutiert die Lust ins Böse.“ (S. 219) Denn: „Sex ist jenseits von Liebe nicht denkbar ohne Entwürdigung der Person, die ich für meine Befriedigung benutze. Das ist selbst dann so, wenn Sex ohne Liebe eine Vereinbarung auf beiderseitigen Wunsch – eine „Harmonie von Egoismen“ – wäre.“ (S. 299) „Für eine Lebensweise, in der wir jemanden als Person ansehen und ihn nicht benutzen, haben wir das Wort ‚Liebe‘. … Liebe sucht den ganzen Menschen – die Person – und nicht den anderen Körper zur Triebabfuhr.“ (S. 297/298)
Das verzerrte Verständnis von “Moral”
Meuser beleuchtet in diesem Zusammenhang einen der großen Widersprüche unserer Zeit: Während die MeToo-Debatte unseren Hang zur sexuellen Übergriffigkeit und Missbrauch ins Scheinwerferlicht rückt, wird zugleich beim Thema „Lust“ die Sündhaftigkeit des Menschen weitgehend ausgeblendet. Dieser blinde Fleck zeigt sich vor allem an der modernen Tendenz, „Moral“ prinzipiell als etwas Negatives anzusehen – so als ob es der heutige Mensch gar nicht nötig hätte, durch ethische Gebote zu einem Handeln animiert zu werden, das für ihn selbst und für die Menschen um ihn herum lebensdienlich ist:
„Für viele Menschen ist „christliche Moral“ heute noch identisch mit Sanktionen, Leibfeindlichkeit, Sexualpessimismus, Lustverboten und restriktiven Anweisungen zum Sex.“ (S. 266)
An dieser Situation ist die Kirche nicht unschuldig, im Gegenteil. Die Kirche selbst hat die heilsame biblische Ethik oft verzerrt, „indem eine nach vorne reißende, mit langem Atem zum Guten verlockende, zu Fehlertoleranz befreiende, biblische fundierte, christologisch zentrierte und geistlich inspirierte „Tugendethik“ ersetzt wurde durch eine drohende, zum Guten schiebende, kurzatmige, gnadenlos knechtende, bibelferne, jesuslose und ungeistliche „Sollensethik“ oder Pflichtethik“. Du hast die Pflicht – statt: Du kannst das Leben gewinnen.“ (S. 275)
Kein Wunder, dass die Gesellschaft diese Pflichtethik abgeworfen hat – allerdings ohne sich die Konsequenzen bewusst zu machen. Extrem eindrücklich in Meusers Buch war für mich die fast dystopische Schilderung zur Situation in ehemals kommunistischen Ländern, die seit vielen Jahrzehnten die biblische Sexualethik verworfen haben. Eine Frau berichtet, dass ganze Generationen von Männern als Familienväter ausgefallen seien, weil sie zwar Sex wollten, aber die dauerhafte Verantwortung für Familie und Kinder von sich wiesen – ein Trend, der sich längst auch in den westlichen Ländern zeigt mit allen zerstörerischen Auswirkungen für die Kinder und für die Gesellschaft insgesamt. Umso dringender braucht es eine positive Definition von „Moral“, die Meuser wie folgt formuliert:
„»Moral« nenne ich alle flankierenden Maßnahmen, die »gutes Leben« ermöglichen.“ (S. 18) Es geht um den „Schutz von Leben, Liebe, Freiheit und Lust“. (S. 210)
Grundlegend für diesen Moralbegriff ist die Erkenntnis:
„Die Gebote Gottes sind menschengemäße Hilfestellungen Gottes und keine von oben ergangenen Willkürakte.“ (S. 293) „Jesus hat das Gesetz des Alten Bundes in keiner Weise relativiert, aber er hat es mit zwei Vorzeichen versehen, unter denen sie erst im richtigen Licht erscheinen. Das erste Vorzeichen heißt Leben: „Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote.“ (Mt. 19, 16) Die Gebote sind also kein Selbstzweck; sie führen zum Leben, sind Hinweise und Ermöglichungen guten Lebens.“ (S. 313) „Das zweite, noch bedeutendere Vorzeichen, unter das Jesus die Gebote gestellt hat, heißt Liebe.“ (S. 314) „Die Liebe und das Befolgen der Gebote sind ineinander verflochten und permanent miteinander im Gespräch.“ (S. 315) „Dass Gott das Beste für den Menschen will, ist sicher. Dass Menschen immer wissen, was das Beste für sie ist, steht dahin. Wer den Willen Gottes … als Fremdbestimmung auffasst, hat weder das Menschliche am Menschen noch das Göttliche an Gott verstanden.“ (S. 318)
Moral und Gottesbeziehung gehören zusammen!
Das Überraschende an diesem Buch war für mich: Meuser plädiert tatsächlich für eine NEUE Sexualmoral, weil die Kirche mit ihrem Moralismus vollständig gescheitert ist. Der Grundfehler der Kirche war aber nicht, dass sie die modernen sexualethischen Trends verpasst hat. Der Grundfehler war vielmehr die Trennung zwischen der Liebe zu Gott und dem Halten seiner Gebote:
„Es gibt christlich gesehen keine außerpersonale Ethik, kein beziehungsloses Regelwerk, keine anonyme Gesetzlichkeit. Ethik ist, dem nicht aus dem Weg zu gehen, dem ins Gesicht zu sehen, der sagt: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.“ (Joh. 14, 15)“ (S. 252)
Die Liebesbeziehung mit Gott ist es, die Gottes Gebote herausholt aus der Sphäre einer kalten, lebensfremden Gesetzlichkeit:
„Das eigentlich Stabilisierende ist die stabile Treue Gottes, an die eine menschliche Liebesgeschichte andocken kann. „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ (Mt. 19, 6) An diese größere Liebe Gottes angeschlossen, können zwei Menschen zu „Personen“ werden, sich bedenkenlos verschenken und dabei „für immer“ sagen: Ich mache mich Dir zum Geschenk. … Das ist es, worin die sexuellen Jäger- und Sammlerinstinkte der Männer gezähmt werden und worin auch Frauen ganzheitlich ankommen in ihrer rastlosen Suche nach Mr. Right. … Und darüber entsteht in gelassener Freude und wie beiläufig das Wärme und Sicherheit ausstrahlende Nest, auf das Kinder ein göttliches Recht haben.“ (S. 304-306)
Gottes lebensspendender Masterplan
Auf diesem gesunden Boden kann eine biblische Sexualmoral gedeihen, die Meuser wie folgt zusammenfasst:
„Die Heilige Schrift ist von der ersten bis zur letzten Seite unter der Prämisse der von Gott gegebenen Schöpfungsordnung in Genesis 1 und 2 zu lesen.“ (S. 247) „Erst kommt die Liebe, dann das »Für immer«-Versprechen, dann ist das sichere Nest gegeben für die Vereinigung, dann kann das Kind kommen und in der Liebe von Vater und Mutter selbst ein liebender Mensch werden. Diese Reihenfolge entspricht aus guten Gründen dem Masterplan Gottes.“ (S. 235)
Meuser weist darauf hin, dass genau diese Sichtweise historisch gesehen zu allen Zeiten die jüdische und die christliche Sexualethik geprägt hat, obwohl sie schon immer extrem exotisch war:
„Während der gesamten ersten christlichen Jahrhunderte, als jede Art von Sexualpraktik, die in der Menschheit jemals bekannt war, in der antiken griechischen und römischen Gesellschaft weit verbreitet war, bestanden Christen wie Juden darauf, dass die ausgelebte Sexualität auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau zu beschränken sei. Heute wie damals denkt der Rest der Welt, das sei verrückt. Der Unterschied besteht leider darin, dass heute auch die halbe Kirche dasselbe denkt.“ (Zitat N.T. Wright S. 246)
Der Auftrag der Kirche: Mutig Position beziehen!
Deshalb ist die Kirche Jesu heute ganz neu herausgefordert, die Schönheit und Sinnhaftigkeit der biblischen Sichtweise zur Sexualethik zu verteidigen:
„Es sind drei Momente, die in der „alten Sexualmoral“, so ergänzungsbedürftig sie sein mag, die Menschlichkeit menschlicher Sexualität ausmachten und die es auch heute unter allen Umständen zu hüten gilt:
1. Die Urgegebenheit des menschlichen Leibes als Mann oder Frau und die bleibende Komplementarität der beiden Geschlechter. Das ist auch heute zu sagen, und zwar gegen die neognostische Ideologie, der Mensch habe einen neutralen Körper und er könne ihn frei überschreiben mit einer willkürlichen Identität.
2. Die unbedingte Verknüpfung von Sexualität und Liebe, genannt „Ehe“, in der allein Mann und Frau – indem sie „ein Fleisch“ werden – zu sich und zum Anderen kommen. Das ist auch heute zu sagen, und zwar gegen die Trennung von Sexualität und Liebe … und gegen die Banalisierung der Sexualität als sinnfreies Spielzeug der Lustbeschaffung oder als bloßes Kommunikationsmittel zwischen unspezifischen Gleichgesinnten.
3. Der unauflösbare Zusammenhang von Sexualität und Generativität. Das ist auch heute zu sagen, und zwar … gegen die aberwitzigen Versuche, Abtreibung als Menschenrecht zu etablieren. Was an Fragmenten aus der ganzheitlichen Matrix herausgebrochen wird, rächt sich in dem, was ich die „Kollateralschäden fragmentierter Sexualität“ genannt habe.“ (S. 374/375)
Bernhard Meuser ist sich dabei bewusst, dass diese Sichtweise in unserer auf die menschliche Autonomie pochenden Gesellschaft unpopulär bleiben wird, denn:
„Man müsste seinen Lifestyle ändern. … Man müsste so leben, dass Sex dann an der Tagesordnung ist, wenn ein Kind kommen kann und von Herzen willkommen ist, weil es einen Mann und eine Frau gibt, die sich von Herzen lieben und volle Verantwortung füreinander und für ein weiteres Menschenwesen übernehmen. Aber wer denkt denn nach einer prickelnden Nacht im Club an so etwas?“ (S. 341)
Meuser meint jedoch: Trotzdem sollten wir Christen uns auf keinen Fall verbiegen lassen! Denn wir sind davon überzeugt, dass es einen liebenden Gott gibt, der die Wahrheit über uns Menschen kennt und der uns deshalb aus guten Gründen seine lebensspendenden Gebote mit auf den Weg gegeben hat. Für uns muss deshalb das Prinzip gelten: „Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, wir müssen uns nach der Wahrheit richten“ (S. 281), wenn wir einen gesunden und heilsamen Umgang mit uns selbst und unseren Mitmenschen finden wollen.
Zudem gilt für uns Christen ein Prinzip, das wir im Westen wohl wieder ganz neu durchbuchstabieren müssen:
„Das Erste der Zehn Gebote („Ich bin der Herr, Dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“) … ist sozusagen die Magna Charta der christlichen Freiheit. Vor nichts und niemand muss sich unterwerfen, wer den einen wahren Gott zum Herrn hat. Wer sich zum Gott des Ersten Gebots bekennt, ist ein Königskind; er darf sich gar nicht unterwerfen. Mit der Anerkennung Gottes und seiner Gebote tut sich das Land der Freiheit auf und die Chance, wieder Luft zu bekommen zum freien Atmen.“ (S. 320)
Die Welt braucht den prophetischen Dienst der Kirche
Meuser beendet sein Buch mit einem feurigen Plädoyer an die Kirche Jesu, dem sich meines Erachtens auch die evangelikale Bewegung dringend stellen sollte. Ich möchte dieses Plädoyer deshalb am Ende für sich sprechen lassen:
„Wenn heute drei Leute zusammenstehen, hat einer von den dreien eine Geschichte von Missbrauch zu erzählen. Wie können ausgerechnet die Kirchen in naiven Sexualoptimismus verfallen und zur Verharmlosung der sexuellen Begierde beitragen, als sei sie [im Original: die Konkupiszenz] ein fröhliches Spaßteil für alle?! Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die endlich all die vielfältigen Instrumente von Kultur, Religion und Moral bündelt, um diese Urkraft zu zähmen und im Garten des Menschlichen zu beheimaten?
Starke politische Kräfte etablieren Abtreibung als Methode der Verhütung und als Menschenrecht. In Deutschland wird jedes vierte Kind im Mutterleib getötet. … Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die endlich den systemischen Zusammenhang von Sexualverhalten und Lebensschutz thematisiert?
Pornografie ist ein Milliardengeschäft, das dem internationalen Drogenhandel gerade den Rang abläuft. Schon 10- und 11-jährige Kinder werden in visuelle Prostitution eingeweiht, als Suchtkunden konditioniert und zu übergriffigem Sexualverhalten erzogen; sie verwahrlosen dabei seelisch. Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die der Pest des 21. Jahrhunderts die Stirn bietet?
Im 19. und 20. Jahrhundert ging der Kampf um die Produktionsmittel; heute geht der Kampf um die Reproduktionsmittel. Leihmutterschaft und eine immer skrupellosere Fortpflanzungs-Industrie machen die Beurt eines (passend designten) Kindes zu einem Geschäft oder einem technischen Akt. Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die das Geschenk des Lebens vor dem Zugriff von Macht und Markt schützt?
Die ideologische Dekonstruktion der klassischen Familie, der Entzug ihrer ökonomischen und rechtlichen Grundlagen … zerstört die Keimzelle der Gesellschaft und den natürlichen Schutzraum von Kindern, die immer häufiger Opfer von Missbrauch werden. Wo ist sie – die „neue Sexualmoral“, die für das Leitbild der natürlichen Familie in die Offensive geht? …
Wo ist sie, die Kirche, die dafür kämpft?
Ich fürchte, sie ist auf der Reise nach Tarschisch. Eine Kirche aber, die aus Feigheit und Populismus ihren prophetischen Dienst verweigert und dem Gott des Lebens entkommen möchte, wird wie Jona über Bord geworfen. Sie wird – schwerer als die sie umgebenden Wasser – hinabsinken in das Meer des Vergessens, wird verschluckt werden von der öffentlichen Meinung. … Sie wird so lange mit Irrelevanz bestraft sein, bis sie – um des Wohles der großen Stadt willen – ausgerichtet hat, was zu sagen ihr auferlegt ist. Frei. Und aus Liebe.“ (S. 383)
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Das Buch „Freie Liebe: Über neue Sexualmoral“ von Bernhard Meuser ist 2020 im Fontis Verlag erschienen und kann hier bestellt werden.