Direkt vor dem diesjährigen ESC hat eine evangelische Pastorin im Wort zum Sonntag dem deutschen Fernsehpublikum die Bedeutung von Pfingsten so erklärt: „Musik kennt keine Grenzen. Pfingsten übrigens auch nicht. Das ist das christliche Fest an diesem Wochenende, an dem wir feiern, dass Menschen sich verstehen können auch ohne gemeinsame Sprache, dass es universale Sprachen gibt, von Herz zu Herz, über alle Grenzen hinweg. Wie zum Beispiel die Musik.“
Hm. Ich habe nochmal nachgeschaut. Von einer interreligiösen wortlosen Herzenssprache habe ich im Pfingstbericht nirgends etwas gefunden. Ganz im Gegenteil: Da wird wortreich Klartext geredet! Da wird zur Buße gerufen, und zwar nicht wegen einem Mangel an Toleranz:
„Kehrt euch ab von euren Sünden und wendet euch Gott zu. Lasst euch alle taufen im Namen von Jesus Christus zur Vergebung eurer Sünden. Dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“ (Apostelgeschichte 2, 38)
Als Antwort darauf haben sich damals 3000 Menschen bekehrt und taufen lassen. Die Kirche war geboren. Aber wie würde meine Kirche wohl heute auf diese wortmächtige Pfingstpredigt antworten?
Dass man doch bitte keine Juden missionieren soll? Dass doch niemand für sich in Anspruch nehmen darf, wirklich zu wissen, was richtig und was falsch, was Sünde, was Wahrheit und was ein Irrweg ist? Dass ein Absolutheitsanspruch der Sündenvergebung nur durch Jesus doch intolerant gegenüber anderen Religionen sei? Dass Jesus nur aus Solidarität mit menschlichem Leid am Kreuz starb und nicht als Sühneopfer für unsere Sünden? Dass die in der Kindertaufe ausgedrückte vorauseilende, bedingungslose Gnade die Menschen unabhängig von ihrem Lebensstil rettet, weil es ja nur auf Gnade und nicht auf Werke ankommt? Hoffentlich nicht.
Bereits im Jahr 1937 hat sich Dietrich Bonhoeffer mit dem Phänomen beschäftigt, dass die Kirche dazu neigt, den Menschen grenzenlose Annahme zu predigen und dabei den Preis der Nachfolge zu verschweigen. Er hat dieses Phänomen als „billige Gnade“ bezeichnet und behauptet: Daran geht die Kirche zugrunde! Seine Worte sind noch heute aktuell. Ich finde: Wir sollten mehr denn je auf ihn hören.
Dietrich Bonhoeffer: Die teure Gnade
Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf geht heute um die teure Gnade.
Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderten Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. … Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. … In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. …
Das ist billige Gnade als Rechtfertigung der Sünde, aber nicht als Rechtfertigung des bußfertigen Sünders, der von seiner Sünde lässt und umkehrt. … Billige Gnade ist die Gnade, die wir mit uns selbst haben.
Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ist Taufe ohne Gemeindezucht, ist Abendmahl ohne Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.
Teure Gnade ist der verborgene Schatz im Acker, um dessentwillen der Mensch hingeht und mit Freuden alles verkauft, was er hatte; die köstliche Perle, für deren Preis der Kaufmann alle seine Güter hingibt; die Königsherrschaft Christi, … der Ruf Jesu Christi, auf den hin der Jünger seine Netze verlässt und nachfolgt.
Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt; teuer ist sie, weil sie die Sünde verdammt, Gnade, weil sie den Sünder rechtfertigt. Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat – „ihr seid teuer erkauft“ -, und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist. Gnade ist sie vor allem darum, weil Gott sein Sohn nicht zu teuer war für unser Leben, sondern ihn für uns hingab. … Teuer ist die Gnade, weil sie den Menschen unter das Joch der Nachfolge Jesu Christi zwingt, Gnade ist es, dass Jesus sagt: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ …
Wie die Raben haben wir uns um den Leichnam der billigen Gnade gesammelt, von ihr empfingen wir das Gift, an dem die Nachfolge Jesu unter uns starb. … Aber wissen wir auch, dass diese billige Gnade in höchstem Maße unbarmherzig gegen uns gewesen ist? Ist der Preis, den wir heute mit dem Zusammenbruch der organisierten Kirchen zu zahlen haben, etwas anderes als eine notwendige Folge der zu billig erworbenen Gnade? Man gab die Verkündigung und die Sakramente billig, man taufte, man konfirmierte, man absolvierte ein ganzes Volk, ungefragt und bedingungslos, man gab das Heiligtum aus menschlicher Liebe den Spöttern und Ungläubigen, man spendete Gnadenströme ohne Ende, aber der Ruf in die strenge Nachfolge Christi wurde seltener gehört. Wo blieben die Erkenntnisse der alten Kirche, die im Taufkatechumenat so sorgsam über der Grenze zwischen Kirche und Welt, über der teuren Gnade wachte? Wo blieben die Warnungen Luthers vor einer Verkündung des Evangeliums, die die Menschen sicher machte in ihrem gottlosen Leben? …
Unbarmherzig ist die billige Gnade gewiss auch den meisten von uns ganz persönlich gewesen. Sie hat uns den Weg zu Christus nicht geöffnet, sondern verschlossen. Sie hat uns nicht in die Nachfolge gerufen, sondern in Ungehorsam hart gemacht. … Der glimmende Docht wurde unbarmherzig ausgelöscht. Es war unbarmherzig, zu einem Menschen so zu reden, weil er, durch solches billiges Angebot verwirrt, seinen Weg verlassen musste, auf den ihn Christus rief, weil er nun nach der billigen Gnade griff, die ihm die Erkenntnis der teuren Gnade für immer versperrte. Es konnte ja auch nicht anders kommen, als dass der betrogene schwache Mensch sich im Besitz der billigen Gnade auf einmal stark fühlte und in Wirklichkeit die Kraft zum Gehorsam, zur Nachfolge verloren hatte. Das Wort von der billigen Gnade hat mehr Christen zugrunde gerichtet als irgendein Gebot der Werke.
Aus: Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, Kapitel 1. Es lohnt sich, das ganze Kapitel zu lesen!
Siehe auch:
- Change! Ein Plädoyer für eine Kirche mit Profil