Leserbrief zum ARD Film “Mission unter falscher Flagge”

Nachfolgend mein Leserbrief zur ARD-Sendung “Mission unter falscher Flagge”, der in der aktuellen Ausgabe von idea-spektrum veröffentlicht wurde.
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“Mehr noch als die katastrophale Leistung der ARD-Journalisten bedrückt mich, dass es Vertreter meiner evangelischen Landeskirche Württemberg waren, die in massiver Weise Mitchristen öffentlich angegriffen haben. Auf meine Nachfrage hin konnten mir bislang weder der interviewte Klinikseelsorger noch die im Hintergrund beteiligte Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen nachvollziehbare Belege für die im Film genannten schlimmen Vorwürfe nennen, auch nicht für die behaupteten theologischen Entgleisungen. Wer sich das Material der Weltanschauungsbeauftragten durchsieht, erschrickt, wie dort bibeltreue Christen mit Sekten und islamischen Fundamentalisten verglichen und welch einseitige Klischees charismatischer Theologie und Frömmigkeit verbreitet werden. Ich halte es für dringend erforderlich, dass die evangelische Kirche ihren Umgang mit Christen anderer Prägung gründlich überdenkt.”
Unter der Überschrift “Miteinander reden – nicht übereinander!” (Teil 1 und Teil 2) habe ich mich ja bereits ausführlicher zu diesem Thema geäußert. Mich würde interessieren, was meine Leser dazu denken und freue mich über Rückmeldungen, gerne auch persönlich (Kontakt).

Miteinander reden – nicht übereinander! (Teil 2)

Nach der Sendung „Mission unter falscher Flagge“ habe ich den im Film interviewten Klinikseelsorger sowie die im Hintergrund beteiligte Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen angeschrieben und nach Belegen für die im Film genannten Vorwürfe gefragt. Die Rückmeldungen haben mich sehr beschäftigt. Keine Frage: Der Seelsorger hatte diese Äußerungen gut gemeint. Er wollte Mitmenschen schützen vor Gruppen, die er auf Basis seiner persönlichen Erfahrungen für problematisch oder schädlich hielt. Aus biblischer Sicht könnte solch ein Vorgehen durchaus berechtigt sein, schließlich hat auch Paulus z.B. in Bezug auf die Gefährlichkeit gesetzlicher Irrlehrer kein Blatt vor den Mund genommen. Es mag also tatsächlich Fälle geben, in denen es sogar notwendig ist, laut und deutlich vor bestimmten Gruppen oder theologischen Fehlentwicklungen zu warnen.

FingerzeigenDie große Frage ist: Wann ist ein solch dramatischer Schritt (mit all den schlimmen Verletzungen und Schäden, die daraus entstehen) tatsächlich angemessen? Welche Kriterien müssen erfüllt sein, die es berechtigt erscheinen lassen, Negatives über andere Christen zu verbreiten? In meinem Buch „AUFATMEN in Gottes Gegenwart“ habe ich dazu folgende Gedanken formuliert (Seite 107): Bevor wir über einen Menschen, eine Gruppe, eine Gemeinde, eine bestimmte christliche Prägung oder Bewegung etwas Negatives verbreiten, sollten wir uns unbedingt diese Fragen stellen: Ist es wirklich ganz sicher wahr, was ich sage? Kenne ich diese(n) Menschen denn wirklich? Ist meine Motivation in Ordnung? Bin ich mir sicher, dass ich mich nicht durch die Fehler von Anderen selbst auf einen Sockel stellen möchte? Habe ich Liebe für die, über die ich rede? Ist es wirklich hilfreich, jetzt über diese(n) Menschen zu sprechen? Wenn wir eine oder mehrere dieser Fragen nicht mit einem eindeutigen „ja“ beantworten können, sollten wir vermutlich besser schweigen.

Natürlich muss sich jeder diese Fragen selbst beantworten. Das kann ich auch nicht für den interviewten Klinikseelsorger oder die Weltanschauungsbeauftragte tun. Nachvollziehbare Belege für die im Film geäußerten harten Vorwürfe konnten mir jedenfalls beide bislang nicht nennen. Und wenn ich mir anschaue, was die Weltanschauungsbeauftragte öffentlich über bibeltreue charismatische Christen verbreitet kommen mir angesichts der enthaltenen einseitigen Klischees größte Zweifel, dass sie diese Christen wirklich kennt: So schreibt sie z.B., es handele sich um „Fundamentalisten“, die aus einer „Froh-Botschaft“ eine „Droh-Botschaft“ machten, ein Wohlstandsevangelium predigten und den Glauben als Allheilmittel verkauften. Immer wieder fallen Begriffe wie „aggressiv“, „intolerant“, „gefährlich“, „ideologisch“. Selbst die betenden „Mütter in Kontakt“ werden als „radikale Christen“ bezeichnet. Besonders erschrocken bin ich über die Bemerkung, dass diese „fundamentalistischen” Christen mit „muslimischen Fundamentalisten viele Gemeinsamkeiten“ hätten. Angesichts der hetzerischen und gewalttätigen Fratze des islamischen Fundamentalismus bleibt mir bei dieser Aussage die Spucke weg.

Ich weiß nicht, woher die Weltanschauungsbeauftragte ihre Informationen bezieht. Ich kann nur sagen, dass ich mich schon seit langer Zeit in charismatischen Kreisen bewege und viele Gemeinden und Gruppen kennen gelernt habe. Ja, auch dort gibt es leider Probleme, Missstände und Entgleisungen. Aber ein Wohlstandsevangelium oder Drohbotschaften sind mir ebenso wenig begegnet wie aggressive, intolerante Menschen, die für unsere Gesellschaft gefährlich wären.

Ich halte es für dringend erforderlich, dass meine evangelische Kirche ihren Umgang mit Christen anderer Prägung oder Konfession gründlich überdenkt. Besser heute als morgen sollte eine innerkirchliche Diskussion dazu beginnen. Jesus hat uns intensiv davor gewarnt, über andere Christen zu urteilen. Hören wir doch noch einmal bewusst auf seine eindringlichen Worte:

„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“

O ja, da gibt es wahrlich genügend Balken in meinem Leben und in meiner Kirche, die mich und uns wirklich beschäftigen sollten. Wir leben alle aus der Gnade. Diese Gnade sollten wir auch für Andere haben. Der Schrei Jesu nach Einheit sollte auch unser aller Schrei sein. Die Band „Casting Crowns“ hat dazu ein Gebet formuliert, das wir uns immer wieder zu Eigen machen sollten:

Oh Jesus, friend of sinners,
open our eyes to the world at the end of our pointing fingers.

Let our hearts be led by mercy.
Help us reach with open hearts and open doors.

Oh Jesus, friend of sinners, break our hearts for what breaks yours.

Tatort Münster – ein hochbrisanter Fall der Kirchengeschichte

Warum wir die gnadenlose Verfolgung der Täufer nicht vergessen dürfen

Die Stadt Münster ist Tatortfans als Krimihochburg bestens bekannt. Hier löst das geniale Ermittlerduo Boerne und Thiel seine Fälle. Bei meinem Besuch in Münster fiel mir auf, dass diese Stadt aber auch reale Mordfälle zu bieten hat: Im Turm der Lambertikirche hängen noch immer die 3 Käfige, in denen 1536 die Leichen der öffentlich hingerichteten Anführer der Täuferbewegung zur Schau gestellt wurden. Der makabre Anblick hat mich betroffen gemacht. Seit ich vor ein paar Jahren das (äußerst empfehlenswerte!) Buch „Feuertaufe“ von Peter Hoover gelesen habe lässt mich das Drama der Täufer nicht mehr los.

Käfige LambertikircheLeider ist nur Wenigen bekannt, was sich damals abgespielt hat: Im 16. Jahrhundert entstand neben den reformierten Kirchen eine weitere reformatorische Bewegung, die noch einen Schritt weiter gehen wollte: Die Verbindung von Kirche und Staat sollte aufgelöst werden. Die Taufe sollte Ausdruck einer persönlichen Glaubensentscheidung sein, weshalb die Kindertaufe nicht anerkannt wurde. Stattdessen ließen sich Erwachsene taufen, ohne dabei die Einmaligkeit der Taufe in Frage zu stellen (der leider immer noch benutzte Begriff „Wiedertaufe“ war ein Schimpfwort, der den Täufern eine Irrlehre unterstellte, die sie nie vertreten haben und der deshalb dringend abgeschafft gehört).

Die Täuferbewegung wuchs schnell und konnte in weiten Teilen Mitteleuropas Gemeinden gründen. Von den Kirchen wurde sie aber als Bedrohung empfunden. Mit dem Wiedertäufermandat von Speyer und dem Augsburger Bekenntnis begann ab 1529 eine etwa 300 Jahre lang andauernde systematische Verfolgung. Viele tausend Menschen wurden dabei grausam vertrieben, eingesperrt, gefoltert, verbrannt, enthauptet oder ertränkt, und zwar nicht nur in katholischen sondern auch in vielen reformierten Regionen – und mit ausdrücklicher Unterstützung Martin Luthers! Diese gezielte und organisierte Ausrottung einer ganzen kirchlichen Bewegung wurde vom mennonitischen Täuferforscher Wolfgang Krauß zurecht als „Kirchenmord“ („Ekklesiozid“ in Anlehnung an den Begriff “Genozid” für Völkermord) bezeichnet. Eindrücklich schildert er, wie das Trauma bei den Nachfahren der in die ganze Welt vertriebenen Täufer (Mennoniten, Hutterer und Amische) bis heute nachwirkt.

Die Gründe für diese Verbrechen bleiben weitgehend rätselhaft. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. in Münster) waren die Täufer absolut friedlich und pazifistisch. Sogar ihre Gegner bescheinigten ihnen höchste moralische Integrität. Umso beschämender ist es, dass es fast 500 Jahre gedauert hat, bis endlich im Jahr 2010 Vertreter der lutherischen Kirchen die Täuferbewegung um Vergebung gebeten haben. Ist damit dieser Fall jetzt abgeschlossen? Nein, auf keinen Fall. Die Aufarbeitung der fürchterlichen Verfolgung der Täufer ist längst noch nicht bewältigt. Und die Erinnerung an die historische Schuld muss uns sensibel machen für unsere Gegenwart:

Leider haben wir Christen oft die Neigung, die Stillen im Land sein zu wollen. Lieber nichts sagen, um nirgends anzuecken. Aber ich glaube nicht, dass das eine Tugend ist. Gerade in Deutschland sollten wir wissen, wohin das führen kann. Auch deshalb unterstütze ich von Herzen die Initiative Zeit zum Aufstehen, damit wir Christen neu auf das schauen, was uns eint und gemeinsam eine Stimme finden für Gewissens- und Religionsfreiheit und gegen jede Benachteiligung und Verfolgung von Christen und Angehörigen aller Religionen weltweit“. Und natürlich müssen wir noch viel mehr tun: Gemeinsam beten, spenden, die Stimme auf vielfältige Weise erheben und uns einsetzen für Schwache und Verfolgte und für die Einheit der Christen, um die Jesus so intensiv gebetet hat. Es ist höchste Zeit, dass der Leib Jesu die historische Spaltung vollends überwindet und in seiner Vielfalt an Prägungen über die Konfessionsgrenzen hinweg zu einer Herzenseinheit findet. Nicht zuletzt das 500-jährige Reformationsjubiläum im Jahr 2017 wäre dafür ein großartiger Anlass!

Miteinander reden – nicht übereinander!

Gedanken zur ARD-Doku “Mission unter falscher Flagge”

Am 4. August wurde Deutschland in einer ARD-Doku über „radikale Christen in Deutschland“ aufgeklärt, die angeblich „Mission unter falscher Flagge“ betreiben. Obwohl dabei nur einige freikirchliche Gruppen mit charismatisch/pfingstlicher Prägung gezeigt wurden hat der Film letztlich die gesamte evangelikale Bewegung ins Zwielicht gerückt.

Die völlig einseitige, undifferenzierte und reißerische Darstellung mit subtilen Schnitten und düsteren Klängen hat viele Christen sehr empört. Das ging auch mir so. Nicht zuletzt die inzwischen verfügbaren Stellungnahmen des Gospel Forums, der FCJG Lüdenscheid, der TOS Tübingen oder des Werks Mission Freedom (inkl. der Pressemitteilung des MdB Frank Heinrich) haben die äußerst mangelhafte journalistische Qualität des Films überdeutlich werden lassen.

Bei allem Ärger über die ARD-Journalisten gibt es jedoch eine Sache, die mich offen gesagt noch mehr bedrückt: Es war ein Pfarrer meiner evangelischen Landeskirche Württemberg, der diese Mitchristen im Film so massiv angegriffen hat. Sein harmlosester Vorwurf war dabei noch, dass in den Veranstaltungen der freien Gemeinden das Evangelium wie in schlechten Managerseminaren angepriesen würde. Viel schlimmer war seine Aussage, dass es nach seinem „Eindruck“ hinter den Kulissen der freien Gemeinden Machtmissbrauch, Manipulation und sogar Gewalt gäbe. Die Belege dafür waren dünn. Außer ein paar vorgelesenen Behauptungen anonymer „Aussteiger“ wurden in dem ganzen Film praktisch keine Fakten genannt, um die harten Vorwürfe zu belegen, und das, obwohl die ARD-Journalisten hinter der Kamera offenbar kräftig von der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der württembergischen Landeskirche unterstützt wurden, wie die Filmemacher im Interview berichten.

Was mich dabei umtreibt ist: Vertreter meiner eigenen Kirche tun hier doch genau das, wofür der Papst gerade eben bei den Pfingstkirchen um Vergebung gebeten hat, nämlich die Beförderung einer undifferenzierten und einseitigen Stigmatisierung pfingstlich/charismatischer Mitchristen.

Natürlich ist mir aus persönlicher schmerzlicher Erfahrung sehr bewusst, dass es Manipulation, Gewalt und Machtmissbrauch tatsächlich auch in christlichen Kreisen gibt. ABER: Diese Probleme gibt es überall, wo Menschen mit verletzter Identität versuchen, ihre persönlichen Defizite durch menschliche Anerkennung und Macht zu kompensieren. Das ist keine Spezialität charismatisch/pfingstlicher Gruppen. Hier muss jede Gemeinde und Kirche zuerst vor ihrer eigenen Haustüre kehren.

Miteinander redenUnd wenn wir den Eindruck gewinnen, dass solche Probleme anderswo gerade gehäuft auftauchen, dann sollten wir MITEINANDER und nicht ÜBEREINANDER sprechen, so wie es Paulus gemacht hat. Wir lesen ja in der Bibel, dass es auch in den urchristlichen Gemeinden z.T. schlimme Fehler und Fehlentwicklungen gab. Gut, dass Paulus das direkt mit den Gemeinden besprochen hat statt die Bevölkerung Korinths oder Galatiens öffentlich vor den christlichen Gemeinden zu warnen!

Gerade jetzt kämpft meine Kirche wieder mit einer neuen Austrittswelle. Das drückt mich sehr. Noch bedrückender finde ich, dass unsere Gesellschaft große Probleme hat und mehr denn je die gute Nachricht des Evangeliums benötigt. Dafür brauchen wir Christen eine starke gemeinsame Stimme im Land! Jesus hat deutlich gemacht, dass unser Zeugnis erst dann an Strahlkraft gewinnt, wenn die Christen in Einheit zusammenstehen.

Deshalb meine ich: Wir können wir es uns nicht leisten, öffentlich auf einander loszugehen! Denn damit schaden wir am Ende dem Ruf ALLER Christen, auch dem unserer eigenen Kirche!

Ich wünsche mir deshalb sehr, dass meine Kirche dem Beispiel des Papstes folgt und klar zum Ausdruck bringt, dass…

… es nicht der Wahrheit entspricht, wenn charismatisch/pfingstliche Christen derart einseitig und undifferenziert negativ dargestellt werden.

… es nicht in Ordnung ist, Mitchristen (so wie überhaupt niemanden) ohne klare Faktenlage öffentlich niederzumachen.

… evangelikal und charismatisch geprägte Christen auch in vielen evangelischen Gemeinden äußerst wertvolle ehrenamtliche Arbeit leisten und ein wichtiger und wertgeschätzter Bestandteil der evangelischen Kirche sind.

… moderne, jugendgemäße Formen, wie sie im Film zu sehen waren, auch innerhalb der Kirche gefördert und begrüßt werden als wertvolle Hilfe gegen den massiven Bindungsabbruch von Jugendlichen zur Kirche.

Ob mein Wunsch wohl in Erfüllung geht? Ich habe den Pfarrer, der in der Sendung zu Wort kam, und meine Kirchenleitung darauf angesprochen. Vielleicht kommen wir ja miteinander ins Gespräch und gemeinsam einen Schritt vorwärts auf dem Weg zu der Einheit, für die Jesus so intensiv gebetet hat. Dann hätte dieser ARD-Film doch noch etwas Gutes bewirkt…