Warum das Bibelverständnis so weitreichende Konsequenzen hat

Der nachfolgende Text ist ein Transskript des Vortrags, den Pfarrer Johannes Röskamp am 9.12.2022 beim Allianz-Symposium “Verbindende Glaubensschätze – Wie gelingt Einheit in Vielfalt” in Bad Blankenburg gehalten hat. Der Text wurde an einigen Stellen leicht angepasst, um das gesprochene Wort in eine gut lesbare Schriftsprache zu bringen. Er wird mit freundlicher Genehmigung von Johannes Röskamp veröffentlicht.

Der Titel für meinen Impuls lautet: „Warum das Bibelverständnis so weitreichende Konsequenzen hat“. Ich muss gestehen: Als ich gefragt wurde, ob ich das machen könnte, da war ich zuerst ziemlich zögerlich. Ich wusste: Hier werden viele bekannte Leute sein mit langjähriger Leitungserfahrung, dazu akademische Theologen mit internationalem Ruf. Da habe ich gedacht: Und ich als kleiner Gemeindepfarrer aus einer kleinen landeskirchlichen Gemeinde in Minden? Kein Mensch weiß, wo das liegt! Klar, ich bin auch Theologe, ich habe Theologie studiert. Ich habe das auch gerne gemacht. Aber mir war schon mein ganzes Studium lang klar: Ich will in die Praxis! Ich will Pastor werden. Ich will meine Kraft und meine Zeit dafür einsetzen, die gute Botschaft von Jesus Christus zu den Menschen zu bringen. Ich will das, was ich von Jesus verstanden habe, an andere weitergeben. Ich will evangelistisch tätig sein unter Menschen, die Jesus noch nicht glauben. Ich will Ihnen die Schönheit, die Liebe Christi vor Augen malen. Und ich will gemeinsam mit Ihnen Jesus immer tiefer kennenlernen, ihm immer besser nachfolgen. Ich will das, weil ich mit 17 Jahren selbst am eigenen Leib erfahren habe, wie sich das ganze Leben verändert, wie alles neu wird, wenn ich die Liebe von Jesus mit Kopf und Herz begreife. Und seitdem bin ich zutiefst davon überzeugt: Es gibt nichts Schöneres, es gibt nichts Lohnenderes, als dieser Liebe Christi mein Leben hinzugeben und mit ihm zusammen unterwegs zu sein. Dafür möchte ich leben. Dafür möchte ich arbeiten, solange ich kann. Was ich nie wollte, war: Promovieren. In die theologische Forschung gehen. Zu Symposien fahren. Mich an theologischen Debatten beteiligen.

Trotzdem bin ich heute hier und ich spreche heute zu euch über ein zutiefst theologisches Thema, nämlich über das Schriftverständnis. Warum mache ich das? Weil ich überzeugt bin: Bei der Frage, wie wir die Bibel eigentlich verstehen, geht es um alles. Ich glaube, es geht um nicht weniger als die Grundlage für das, was ich gerne mit Liebe und mit Leidenschaft tue und auch weiterhin tun will. Wie wir die Bibel lesen, wie wir sie verstehen, das ist nicht zweitrangig, das ist kein Randthema. Das ist nicht eine Geschmacksfrage wie die Frage nach liturgischen Formen. Es ist nicht so wie die Frage nach der Präsenz Christi im Abendmahl, bei der wir uns darauf verständigt haben, dass man das als zweitrangig ansehen kann. Oder die Frage nach der Taufe von Unmündigen. Nein, wie wir die Bibel verstehen, das hat fundamentale Auswirkungen.

Ich will ausdrücklich dazu sagen: Damit meine ich nicht jede einzelne Detailfrage des Schriftverständnisses. Ich glaube, wir brauchen keine Einheit bis in die letzte Verästelung der Inspirationslehre hinein. Aber ich glaube doch, dass mindestens eine Frage beim Schriftverständnis entscheidend ist. Theologen haben ja oft ein wenig Bauchschmerzen damit, wenn Sachen zu sehr vereinfacht werden. Ich habe mich entschieden: Ich traue mich das trotzdem heute, weil ich denke, dass es wichtig ist, das klar zu benennen: Ich glaube, dass es beim Schriftverständnis am Ende auf eine Frage entscheidend ankommt und die heißt: Ist die Bibel Gottes Wort an uns? Oder enthält sie nur Gottes Wort – und das müssen wir dann irgendwie identifizieren und freilegen.

Mir ist klar, dass es beim Schriftverständnis noch um viel mehr geht, dass da noch viel mehr Themen dranhängen, dass es da Einzelfragen gibt und Differenzierungen. Mir ist auch klar: Wenn man diese eine Frage beantwortet, sind anschließend nicht alle Probleme gelöst. Aber ich bin überzeugt:

Wenn wir beieinander bleiben wollen, dann brauchen wir mindestens in dieser einen Frage Einheit und Übereinstimmung miteinander: Ist die Bibel göttliche Rede an uns in menschlichen Worten oder ist die Bibel nur menschliche Rede über Gott, die Gott dann vielleicht in seiner Güte hier und da gebraucht, um sein Wort da mit hinein zu legen? Ist die Bibel Gottes Wort oder enthält sie nur Gottes Wort? Das ist aus meiner Sicht die eine hermeneutische Bruchlinie, die ganz entscheidend ist.

Und ich sage das als Landeskirchler aus leidvoller Erfahrung, dass das tatsächlich eine entscheidende Bruchlinie ist. Und ich werde nachher gleich noch ein etwas mehr dazu sagen, welche Auswirkungen und Konsequenzen das hat.

Und ich sage auch: Ich sehe mit großer Sorge, dass diese Frage auch in unseren Kreisen, auch in evangelikalen Kontexten, nicht mehr wirklich in jeder Hinsicht klar ist, nicht mehr so eindeutig, wie das vielleicht einmal gewesen ist. Ich weiß, dass mir jetzt manche direkt entgegenhalten würden: Johannes, so wichtig, wie du sagst, ist die Bibel doch auch wieder nicht. Das ist ja kein Papst aus Papier. Unsere Mitte ist doch bitte kein Buch, sondern unsere Mitte ist doch Jesus Christus. Und ja, natürlich ist Christus unsere Mitte. Natürlich ist er das eine Wort Gottes. Selbstverständlich. Aber gerade mein Verhältnis zu Christus hängt doch daran, wie ich die Bibel lese und verstehe. Woher kenne ich denn Christus und sein Wort überhaupt, wenn nicht aus der Bibel? Die Bibel ist die Quelle für alles, was wir überhaupt über Gott, über Jesus Christus und auch über uns als Menschen wissen und sagen können. „Sola scriptura“ hat Luther gesagt. Allein aus der Schrift haben wir Kenntnis von Christus und kennen wir überhaupt nur sein Evangelium. Und deshalb ist die Frage, wie wir die Bibel verstehen, so fundamental wichtig.

In meiner Landeskirche erlebe ich das immer wieder, dass das Schriftverständnis unklar ist, dass es da keine Einigkeit gibt. Und ich erlebe, dass das ganz praktische Konsequenzen und Auswirkungen hat. Und ich möchte euch das gerne anhand von zwei Beispielen zeigen:

Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie mir dieser tiefe Graben zum ersten Mal bewusst geworden ist, der sich auftut und uns trennt, wenn wir die Bibel so fundamental unterschiedlich lesen. Und zwar war das im Studium. Ich hatte einen Kommilitonen, mit dem ich mich wirklich gut verstanden habe. Wir haben oft etwas zusammen unternommen. Es war ein schönes, freundschaftliches Verhältnis, das wir zueinander hatten. Eines Tages waren wir zusammen zu Fuß auf dem Rückweg von der Uni in unser Wohnheim. Ich weiß das noch wie heute. Wir kamen ins Gespräch über solche Fragen wie: Ist der Mensch im Kern gut oder schlecht? Kann man das so sagen, dass Alle Sünder sind? Brauchen wir tatsächlich Jesus für unsere Erlösung? Darüber kamen wir ins Gespräch. Und aus meiner Sicht war das alles völlig eindeutig. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass es dazu unzählige Belegstellen gibt. Ich kann jetzt gar nicht alle aufführen, nur eine einzige: In Römer 3, 12 schreibt Paulus: „Alle sind abgewichen, sie sind allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.“ Das war für mich klar. Auch dass wir Jesus brauchen, um gerettet zu werden und um zu Gott kommen zu können, fand ich ganz eindeutig. Schließlich sagt Jesus ja selber diesen berühmten Satz, den ihr alle schon 100.000 Mal gehört habt. In Johannes 14, 6 sagt Jesus: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand – sagt er – niemand kommt zum Vater, es sei denn durch mich. Für mich war das alles in diesem Gespräch so klar und so eindeutig aus einem Grund: Weil die Bibel da klar und eindeutig formuliert! Nur für meinen Kollegen war das gar nicht so klar. Er war da völlig anderer Meinung. Er sagte: Nein, der Mensch ist eigentlich gut und es sind die gesellschaftlichen Umstände, die ihn schlecht handeln lassen. Und der Tod Jesu ist nicht wirklich heilsnotwendig. Ihr kennt das wahrscheinlich alles. Was mich so schockiert und so betroffen gemacht hat, war nicht so sehr, dass wir unterschiedliche Ansichten und Meinungen hatten. Das gibt es unter Menschen. Aber was mich wirklich betroffen gemacht hat war, dass mir im Laufe dieser Diskussion klar wurde: Wir haben gar keine gemeinsame Gesprächsbasis mehr! Denn immer, wenn ich ein biblisch begründetes Argument brachte, dann wischte er das vom Tisch, weil er meinte: Ja, das steht da zwar, aber das ist ja nur eine zeitgebundene menschliche Meinung von Paulus oder von Johannes oder von wem auch immer. Und selbst wenn ich Aussagen brachte, die laut dem biblischen Text von Jesus selber sind, dann ist das doch nachösterliche Gemeindebildung und damit zweitrangig. Das zählt nicht. Und so ging das bei jedem einzelnen Punkt. So ging es bei jedem einzelnen Bibelvers, der nicht zu seinen Überzeugungen passte. Die biblischen Aussagen waren für ihn immer nur menschliche Meinungen, die man auch ganz anders sehen kann. Und die waren aus seiner Sicht jedenfalls nicht dazu geeignet, herauszufinden, was Gott denkt über dieses oder jenes Thema.

Und je länger dieses Gespräch ging, desto frustrierter und desto verzweifelter wurde ich, weil ich gemerkt habe: Das ist ein Freund und ein Theologe wie ich. Aber für ihn ist die Bibel gar nicht die letzte Autorität in Glaubensfragen, sondern eine Sammlung von menschlichen Aussagen über Gott. Und die kann man auch ganz anders beurteilen. Und da habe ich kapiert:

Wenn wir die Bibel so unterschiedlich ansehen, dann haben wir keine Basis mehr, auf der wir uns geistlich noch miteinander verständigen könnten.

Wir können dann zwar kommunizieren. Wir können uns auch hier treffen zu solchen Symposien oder Veranstaltungen. Aber wir können dann eigentlich nicht mehr wirklich miteinander reden, weil wir von vollkommen unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen auf geistlicher Ebene.

Genauso erlebe ich das auch – und das ist mein zweites Beispiel – in der Debatte um biblische Sexualethik, die uns seit Jahrzehnten beschäftigt. Ich bin kein großer Fan davon, ständig über Homosexualität, über gleichgeschlechtliche Ehen und neuerdings Genderdiversität zu reden. Das ist echt nicht mein Lieblingsthema. Aber ich kann es uns auch nicht ganz ersparen, weil ich die ganze Diskussion darum seit Jahren so erlebe, dass es zum Beispiel bei der Frage zur Bewertung der „Ehe für alle“ im Kern eigentlich nie wirklich um Sexualethik ging. Es ist im tiefsten Kern eine hermeneutische Frage. Es ging schon immer darum, wie wir eigentlich die Bibel lesen und sie verstehen.

Oft wird ja gerade denjenigen, die eher eine traditionelle christliche Sexualethik vertreten, vorgeworfen: Ihr nehmt ein biblisches Randthema, das ganz wenig Bedeutung in der Bibel hat, und stellt das so in den Mittelpunkt. Und ja, es ist richtig, dass Homosexualität und auch Gender von der von der reinen Häufigkeit her keine Hauptthemen der Bibel sind, das ist ganz klar. Aber: Es gibt eben Stellen, die dazu etwas sagen. Und es ist auch nicht bloß eine einzige oder zwei. Es gibt relevante biblische Aussagen dazu! Sogar die EKD hat 1996 noch eine Handreichung veröffentlicht, in der festgehalten wird, dass – wörtliches Zitat – es keine biblischen Aussagen gibt, die Homosexualität in eine positive Beziehung zum Willen Gottes setzen. Wenn die EKD das tut, dann muss dieser exegetische Befund echt eindeutig sein. Und dann ist aus meiner Sicht nur noch die schlichte Frage: Betrachten wir die Bibel als Gottes Wort? Lassen wir uns das sagen und gestehen ihr dann auch entsprechendes Gewicht zu, uns das auch sagen zu dürfen? Oder halten wir sie prinzipiell für Menschenwort und nehmen uns deshalb heraus, auch gegen den Wortlaut der Bibel anzuargumentieren?

Wie trennend das ist, wenn man das macht, das habe ich gerade erst kürzlich wieder erlebt. Wir haben bei uns im Kirchenkreis in Minden so ein kleines Werk für überregionale Jugendarbeit. Da sind vier Hauptamtliche, die die Jugendarbeit in den Gemeinden vor Ort unterstützen sollen. Und diese Hauptamtlichen sind tolle Leute, wirklich engagierte Menschen mit einem ganz großen Herzen, mit einer großen Liebe zu den Jugendlichen. Ich arbeite sehr gerne mit ihnen zusammen. Als Pfarrer bin ich in einem kirchlichen Ausschuss, der diese Arbeit „beaufsichtigen“ und begleiten soll. Und mit diesem Gremium haben wir neulich einen Klausurtag gehabt. An einem Samstag haben wir zusammengesessen. Unter anderem ging es um das Thema Genderdiversität in der Jugendarbeit. Das Thema hieß: Was sagt die Bibel zum Thema Gender? Gibt es mehr als zwei Geschlechter? Der erste Programmpunkt dieses Tages sollte eine biblische Einordnung zu dem Thema sein. Da habe ich gedacht: Das ist doch klasse, dass wir als Christen als allererstes nicht auf Psychologie oder auf gesellschaftliche Trends schauen, sondern dass wir gemeinsam in Gottes Wort schauen. Und dann waren zwei Pfarrer gebeten worden, jeweils 20 Minuten dazu etwas zu sagen aus verschiedenen Perspektiven. Der eine davon war ich. Ich sollte etwas aus der traditionellen Perspektive dazu sagen. Und dann war da ein Kollege, der vertrat eine liberaltheologische Sicht. Zwischenmenschlich war das super. Das lief alles sehr angenehm ab. Es war ganz fair, eine ganz gute Atmosphäre. Aber es war trotzdem für mich am Ende unglaublich frustrierend. Denn am Ende standen unsere beiden Kurzreferate nebeneinander im Raum. Und dann passierte: Nichts. Es passierte nichts! Man sagte uns höflich „Dankeschön“ für unsere Mühe, die wir uns gemacht hatten. Und dann ging es weiter in der Tagesordnung. Es gab überhaupt kein Gespräch über die Frage: Was stimmt denn jetzt eigentlich? Wir hatten zwei vollkommen unterschiedliche Referate zu ein und demselben Thema gehört und die Frage „Was ist denn jetzt richtig?“, die gab es gar nicht! Und der Grund, warum diese Frage überhaupt nicht gestellt wurde, der war für mich mit Händen zu greifen. Warum diese Frage jetzt nicht auf den Tisch kam, war ganz einfach: Es gab einfach kein gemeinsames Kriterium, nach dem man das Gehörte jetzt irgendwie hätte einordnen oder beurteilen können. Das gab es nicht. Ich hatte aus meiner Sicht relevante biblische Belege gebracht, bei denen ich der Überzeugung war, dass das zu dieser Frage etwas austrägt. Mein Kollege, der die Gegenposition hatte, hat auch Bibelstellen zitiert. Aber ganz ehrlich: Die meisten Bibelstellen zitierte er nur, um sie direkt im Anschluss als zeitgebundenes Menschenwort gleich wieder zu relativieren. Was es überhaupt nicht gab, war ein gemeinsames Verständnis darüber, dass die Bibel Gottes Wort für uns ist und wir uns deshalb gegebenenfalls auch von ihr korrigieren lassen wollen. Das gab es nicht.

Und ich glaube: Genau darum geht es eigentlich am Ende beim Bibelverständnis.

Es geht am Ende um diese Frage: Ist die Bibel Gottes Wort? Darf sie mir etwas sagen? Bin ich bereit, mich von den Aussagen der Bibel auch korrigieren zu lassen? Oder ist es anders herum? Darf ich zuallererst etwas über die Bibel sagen, was ich meine, in ihr korrigieren zu müssen?

Ich glaube, diesen Trend und diese Gefahr sehen wir im Moment auch im evangelikalen Kontext. Die sehen wir in Büchern wie „TheoLab“. Ich glaube, wir sehen sie bei Worthaus und – wie ich meine – auch zum Beispiel an manchen Stellen bei Michael Diener. Wenn die Bibel Gottes Wort an mich ist und wenn sie Autorität hat, dann werde ich mich ihrem Wort unterordnen. Darum geht es am Ende. Das ist eine Theologie der Demut. Wenn sie aber nur Gottes Wort enthält unter ganz vielen anderen Wörtern, dann werde ich mich automatisch zu einer höheren Warte irgendwie aufschwingen müssen. Denn dann muss ich ja – es geht gar nicht anders – anfangen zu urteilen, was darin denn jetzt Gottes Wort ist, das gilt. Und was ist in ihr nur zeitgebunden? Was kann ich weglassen? Was ist zu relativieren? Wenn wir das machen, dann gibt es ganz grundsätzlich nichts, was dann nicht mehr in Frage gestellt werden könnte. Glaube mir das. Ich bin Landeskirche, ich weiß das. Das zeigt uns der Blick in unsere eigene theologische Geschichte und – besonders schmerzhaft und auch zerstörerisch meiner Meinung nach – der Blick auf die Theologie meiner evangelischen Landeskirche. Da gibt es nichts mehr, was nicht in Frage gestellt werden könnte.

Wenn wir uns in der Evangelischen Allianz beim Schriftverständnis dieselbe Pluralität erlauben, wie das meine Landeskirche tut, und wenn wir sagen: Ach, weißte, Johannes, das Schriftverständnis ist so ein schwieriges und sperriges Thema, lass uns da mal nicht drüber streiten – ich glaube, dann wird die Evangelische Allianz auseinanderdriften. Beim Bibelverständnis geht es ums Ganze. Es geht darum, was wir als Christen gemeinsam glauben können, was wir gemeinsam bezeugen können, was wir gerade auch in der Evangelisation gemeinsam verkündigen können, was wir gemeinsam anbeten können.

Und das hat Auswirkungen, im Guten wie im Schlechten. Ich möchte es ausdrücklich auch positiv sagen: Wenn wir uns da einig sind, dann hat das total belebende positive Auswirkungen auf unsere geistliche Wirkkraft, die in der Bibel „Vollmacht“ heißt. Es hat Auswirkungen auf die Lebendigkeit unserer Gemeinden, auf unsere Einheit, auf unser missionarisches Zeugnis, auf die Hoffnung, die wir ausstrahlen in die Welt, auf die Ethik, nach der wir leben, auf die Standhaftigkeit, wenn uns Kritik aus der Gesellschaft entgegenschlägt, auf unsere Opferbereitschaft… auf alles!

Und deshalb ist es mir so ein Herzensanliegen, deshalb werbe ich so darum: Lasst uns an diesem einen zentralen Punkt klar bleiben! Und zwar so klar, wie es ja auch schon in der Glaubensbasis der Evangelischen Allianz formuliert ist. Da steht wörtlich: „Die Bibel ist von Gottes Geist eingegeben, zuverlässig und höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung.“ Und ich sage von ganzem Herzen “Amen” dazu.

Zeit des Umbruchs: Der Verlust der Selbstverständlichkeiten

Als im Oktober 2017 die erste Version meines Artikels über die Worthaus-Mediathek online ging, konnte ich nicht ahnen, was das alles auslösen und nach sich ziehen würde. 5 Jahre später scheint mir die Debatte intensiver denn je zu sein. Im Dezember 2022 durfte ich meine Perspektive einem Kreis von rund 100 Leitern aus dem allianzevangelikalen Umfeld im Rahmen des Allianz-Symposiums “Verbindende Glaubensschätze” darlegen. Da die Videoaufnahme nicht ganz vollständig ist, stelle ich hier zusätzlich mein Skript zur Verfügung. Was ist Ihre Meinung dazu? Schreiben Sie mir gerne einen Kommentar oder eine persönliche Nachricht.

Ich empfinde es als unglaubliches Vorrecht, dass ich heute zu euch / zu Ihnen sprechen darf. Ich freue mich sehr auf alle Gespräche und Begegnungen. Einige, die hier sind, kennen mich bereits. Aber da ich noch nicht allen bekannt, will ich mich noch einmal kurz vorstellen:

Mein Name ist Markus Till. Ich gehöre zur evangelischen Landeskirche. Gemeinsam mit meiner Frau bin ich in meiner Heimatgemeinde in Weil im Schönbuch aktiv. Ich komme aus dem schwäbischen Pietismus. Und diese tiefe, nüchterne Verwurzelung in der Bibel, die ich da mitbekommen habe, prägt mich bis heute. Aber wer mich kennt weiß, dass ich auch durch charismatische Einflüsse geprägt worden bin. Es gibt eine Lobpreis-CD von mir. Man findet meinen Namen in den Feiert Jesus-Büchern. Und ich habe einen Glaubenskurs entwickelt: Aufatmen in Gottes Gegenwart. Vor kurzem ist mein überarbeitetes Buch dazu erschienen und eine Homepage mit vielen Videos und Materialien ist online gegangen.

Im Jahr 2017 ist noch etwas dazu gekommen, was mich seither sehr beschäftigt. Auf meinem Blog hatte ich einen Artikel veröffentlicht über die Worthaus-Mediathek. Der Artikel ist viral gegangen. IDEA hat eine Kurzversion davon abgedruckt. Etwas später hat mich SCM gebeten, ein Buch über Postevangelikalismus zu schreiben, das 2019 erschienen ist unter dem Titel „Zeit des Umbruchs“. Und in der Folge wurde ich dann auch immer öfter angefragt, Artikel zu schreiben und Vorträge zu halten. Ulrich Parzany hat mich eingeladen, beim Netzwerk Bibel und Bekenntnis mitzuwirken, was ich seither sehr gerne tue. Und seit etwas mehr als 1 Jahr mit ich mitverantwortlich für die Mediathek offen.bar.

Eine Lebensfrage: Wie gelingt Einheit in Vielfalt?

Ein großes Thema, das sich durch mein ganzes Glaubensleben zieht, ist die Frage: Wie gelingt Einheit in Vielfalt? Das liegt zum einen daran, dass ich eine sehr schmerzhafte Spaltung durchlitten habe. Da sind viele persönliche Freundschaften zu Bruch gegangen. Für mich und meine Frau war das ein echtes Trauma. Zum anderen habe ich aber vor allem in den letzten 10 Jahren auch viele Versöhnungsprozesse erleben dürfen. Insgesamt hatte ich lange Zeit den Eindruck: Die Einheit wächst! Ich habe früher oft gelitten unter dieser Spaltung zwischen charismatisch und pietistisch geprägten Christen. Nie werde ich vergessen, wie ich 1991 beim Gemeindekongress in Nürnberg dabei sein durfte, als Klaus Eickhoff und Friedrich Aschoff sich gegenseitig um Vergebung baten für alle Vorurteile, für alles gegenseitige Misstrauen. Ich habe buchstäblich geweint an diesem Abend vor Freude. Und ich habe in den Folgejahren erleben dürfen, dass dieser tiefe Graben tatsächlich immer mehr überwunden wurde.

Wachsende Risse im evangelikalen Umfeld

Nur leider hat sich dieser Einheitstrend nicht verfestigt. Ulrich Eggers hat vor einiger Zeit in AUFATMEN geschrieben: „Wir alle merken: Gemeinsam – das fällt in diesen Zeiten, in denen sich viele gewachsene Traditionen auflösen, selbst Einheits- oder Allianz-gewillten Christen zunehmend schwer! … Zunehmend zieht Misstrauen und Entfremdung ein, bedroht Einheit – und damit auch die gemeinsame Arbeitsplattform für missionarische Bewegung.“ Und ich denke, wir merken alle: Das stimmt! Und meine Wahrnehmung ist: Wir haben etwas verloren im evangelikalen Umfeld: Wir haben eine Selbstverständlichkeit verloren. Was meine ich damit?

Ein selbstverständlicher verbindender Glaubenskern

Im Jahr 1994 waren meine Frau und ich in Berlin beim Marsch für Jesus. Gemeinsam mit etwa 70.000 Christen sind wir singend und betend durch Berlin gezogen. Wir haben dort gemeinsam ein Bekenntnis gesprochen: „Ich nehme die Bibel an als das heilige und ewige Wort Gottes. Die ganze Schrift ist inspiriert durch den Heiligen Geist; sie ist Gottes verbindliche Offenbarung.“ Ich habe das damals als völlig normal empfunden. Dass man sich auf einer evangelikalen Großveranstaltung zur Autorität und zum Offenbarungscharakter der Bibel bekennt, das war für mich etwas Selbstverständliches. Und für mich war klar: In den allianzevangelikalen Kreisen sind wir zwar in vielen Dingen sehr verschieden. Aber wenn es um die Bibel und ihre zentralen Aussagen geht, da sind wir ganz selbstverständlich beieinander. Das verbindet uns miteinander über alle Unterschiede hinweg.

Jürgen Mette hat das in seinem Buch „Die Evangelikalen“ einmal so formuliert: „Wer sich in Christologie und Soteriologie in der Mitte findet, der kann sich Differenzen an der Peripherie des Kirchenverständnisses, des Taufverständnisses, der Eschatologie leisten.“ Einfach ausgedrückt: Wer sich darin einig ist, wer Jesus ist und warum er am Kreuz für uns gestorben ist, der kann Differenzen bei Fragen zur Kirchenstruktur, zur Tauffrage oder zu Endzeitfragen aushalten. Das ist zwar keine Garantie für Einheit – das wissen wir alle. Aber jedenfalls wird Einheit möglich. Und der Aufbruch der Evangelikalen im letzten Jahrhundert hat gezeigt: Diese Einheit ist tatsächlich immer wieder in beeindruckender Weise gelungen, wenn ich da nur an die Lausanner Bewegung denke und an so viele übergemeindliche evangelikale Werke und Initiativen, die da gegründet aufgebaut worden sind.

Eine Grundlage für Einheit in Vielfalt: Konsens im Kern, Weite in Randfragen

Wie hat diese Einheit in Vielfalt funktioniert? Ich habe versucht, dieses Prinzip, das auch Jürgen Mette hier formuliert hat, einmal grafisch darzustellen. Die Kernaussage ist: Im Kern brauchen wir Konsens. Aber je randständiger die Themen sind, umso mehr Weite brauchen wir. Bei Paulus können wir das auch erkennen: Paulus war bei kulturellen Fragen enorm flexibel. Er hat geschrieben: Ich bin allen alles geworden, damit ich einige retten kann. Aber im Kern, wenn es ums Evangelium ging, da konnte der gleiche Paulus plötzlich enorm scharf werden. Da hat er sich nicht gescheut, sogar Petrus namentlich öffentlich anzugreifen. Den Galatern hat er geschrieben: „Wer euch eine andere Gute Nachricht verkündet als die, die ihr bereits angenommen habt, soll verflucht sein!“ Welch harte Worte! Wenn es ums Evangelium ging, war Paulus absolut kompromisslos.

Bekenntnisse fassen den unaufgebbaren Kern unseres Glaubens in Worte

Die große Frage ist aber jetzt: Was ist denn das Evangelium? Was ist der Kern unseres Glaubens, an dem wir unbedingt festhalten müssen? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Wie gut ist es da, dass wir dieses Rad nicht neu erfinden müssen! Denn diese Frage hat ja schon so viele Christen vor uns beschäftigt. Sie haben hart gearbeitet, intensiv die Bibel gelesen und hart miteinander gerungen, bis sie diese wundervollen Bekenntnisse formuliert hatten. Das waren keine langen Texte. Aber zu diesen wenigen Sätzen haben sie gesagt: Das sind Aussagen, die aus der Bibel vollkommen klar und eindeutig hervorgehen. Deshalb kann und darf es zu diesen Aussagen unter uns keine zwei Meinungen geben.

Dass wir solche Bekenntnisse brauchen, haben Christen schon immer gespürt. Wir finden sie schon in der Bibel selbst. Wir kennen alle diese wunderbaren altkirchlichen Bekenntnisse. Und bis heute werden immer wieder solche bekenntnisartigen Texte formuliert. Einer der wichtigsten Texte aus der Neuzeit ist für mich die Glaubensbasis der größten Einheitsbewegung unserer Zeit, der evangelischen Allianz. Und ich muss ehrlich sagen: Ich liebe diesen Text! Wenn ich das lese, dann sagt mein Herz: Ganz genau! Da wird wunderbar zusammengefasst, was mich bewegt und trägt. Und wo das geglaubt wird, da sind meine Brüder und Schwestern, egal aus welcher Kirche und welcher Prägung sie kommen. Da ist meine Familie. Da ist meine geistliche Heimat.

Nichtevangelikale Theologie zunehmend auch im evangelikalen Umfeld

Und gerade deshalb, weil mir diese Heimat und diese Einheit in Vielfalt so kostbar ist, deshalb treibt es mich auch so um, wenn ich sehe: Diese gemeinsame Glaubensgrundlage ist heute leider bei weitem nicht mehr so selbstverständlich, wie sie es einmal war. Als ich mich vor 5 Jahren so intensiv mit Worthaus beschäftigt habe, da bin ich ja nicht so sehr über die Theologie erschrocken, die mir da begegnet ist. Ich bin evangelisch. Ich kenne diese Art von Theologie seit langem. Wir Evangelikale wollten aber immer ganz bewusst einen anderen theologischen Weg gehen. Deshalb ging ich damals fest davon aus: Ganz bestimmt werden evangelikale Leiter jetzt deutlich machen: Diese Art von Theologie passt nicht zu uns passt. Aber meine Beobachtung war eher: Viele Leiter schweigen. Oder sie machen einfach weiter damit, postevangelikale Formate und ihre Vertreter populär zu machen. Auch in Publikationen im evangelikalen Umfeld wird Werbung für Worthaus und dazu noch für viele andere nichtevangelikale Theologen wie z.B. Dorothee Sölle.

Mir begegnet das zum Beispiel in Büchern wie „glauben lieben hoffen“ oder in der Buchreihe „TheoLab“. Das sind ja nicht irgendwelche Bücher. Das sollen theologische Grundlagenwerke sein für die Jugendarbeit im freikirchlichen bzw. im landeskirchlich/pietistischen Umfeld. Diese Bücher sollen also unsere Jugend und damit unsere Zukunft theologisch prägen. Und meine Beobachtung ist: Das funktioniert! Diese Art von Theologie kommt an! Sie belegt oft Spitzenplätze bei den Klickzahlen im Internet. Sie ist attraktiv. Sie umgibt sich gern mit der Aura von Aufgeklärtheit, von Toleranz, von intellektueller Überlegenheit. Sie entlässt uns aus Konflikten zwischen biblischen Aussagen und den Werten unserer Kultur. Sie verspricht gesellschaftliche und akademische Anerkennung. Kein Wunder, dass diese Art von Theologie meine evangelische Kirche schon längst im Sturm erobert hat. Und deshalb versetzt es mir immer einen Stich ins Herz, wenn ich sehe, wie auch unter uns Evangelikalen immer wieder so völlig unkritisch dafür Werbung gemacht wird. Denn diese Theologie hat nun einmal Konsequenzen. Was meine ich damit?

Der Verlust der verbindenden Gemeinsamkeiten

Im Jahr 2020 lag auf der Theke meiner christlichen Buchhandlung in Dutzendware ein Buch über Ostern auf dem Tisch. Ich kannte den Autor sehr gut, ich war selbst immer wieder persönlich mit ihm im Gespräch. Und in dem Buch fand ich den Satz: „Wenn es Dir also wichtig ist, an Jesus als den Sohn einer Jungfrau zu glauben, dann tu es. Mit Freude. Wenn dich diese Vorstellung jedoch eher befremdet, dann lass es. Und bitte nicht minder freudig.“ Das klingt weitherzig und großzügig. Aber was ist die Konsequenz? Die Konsequenz ist: Wir haben wieder etwas von dem verloren, was uns bisher ganz selbstverständlich miteinander verbunden hat. Unsere gemeinsame Basis ist wieder kleiner geworden. Und wisst ihr: Solche relativierende und subjektivierende Aussagen sind mir so oft begegnet in den letzten Jahren, nicht nur zur Jungfrauengeburt sondern zum Bibelverständnis. Zur Kreuzestheologie. Zur Auferstehung. Zur Wiederkunft Jesu. Also zu all den Themen, über die in der Glaubensbasis der evangelischen Allianz so viel ausgesagt wird!

Es geht ans Eingemachte – und um weitreichende Konsequenzen

Thorsten Dietz hat in seinem Buch „Menschen mit Mission“ geschrieben: „Die Allianz ist eine ökumenische Bewegung, die gerade darum das gemeinsame Bekenntnis so knapp wie möglich formuliert hat.“ Und ja, ich glaube: Das stimmt. Aber wenn das so ist, dann heißt das auch: Wenn nun selbst diese wenigen, allerzentralsten Sätze hinterfragt, relativiert und subjektiviert werden, dann driften wir nicht mehr nur bei Randfragen des Glaubens auseinander. Nein, dann geht es wirklich ans Eingemachte. Dann geht es um den innersten Kern unseres Glaubens. Und ich bin überzeugt: Wenn wir diesen gemeinsamen Glaubenskern verlieren, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir in unserer Mitte immer mehr Tendenzen sehen, die ich aus meiner evangelischen Kirche zur Genüge kenne: Wir haben keine gemeinsame Botschaft mehr. Wir haben keine Einheit mehr. Wir haben keine missionarische Dynamik mehr. Stattdessen verzetteln wir uns in politischen Botschaften, die die Spaltung nur noch mehr vorantreiben. Liebe Freunde: Das kann doch niemand von uns wollen!

Ein alternatives Narrativ zur Ursache der Spaltungstendenzen

In letzter Zeit habe ich oft ein anderes Narrativ gehört zu der Frage, warum es unter uns Evangelikalen wachsende Gräben gibt. Immer wieder habe ich gelesen, es gäbe da zwei Strömungen, die in Spannung zueinander stünden. Auch Thorsten Dietz spricht in seinem Buch von den sogenannten „Bekenntnis-Evangelikalen“ auf der einen Seite und den “Allianzevangelikalen” auf der anderen Seite. Und er sagt: Die Allianzevangelikalen, das sind die, die „stärker um Vermittlung und Dialog bemüht“ sind. Sie könnenunterschiedliche moralische Überzeugungen aushalten und ihren gemeinsamen missionarischen Auftrag ins Zentrum stellen.“ Und auf der anderen Seite nennt er auf der letzten Seite seines Buchs das Netzwerk Bibel und Bekenntnis. Und er sagt, dieses Netzwerk strebe an, dass „man sich verbindlich auf eindeutige Bekenntnisse einigt und entsprechend auf allen Ebenen durchsetzt, was in der jeweiligen Gemeinde, Kirche oder Allianz vertreten werden darf.“ Und die Frage ist: Ist das so? Ist damit die Landkarte der Evangelikalen richtig beschrieben?

Worum es tatsächlich geht: Die verbindenden Glaubensschätze bewahren

Ich möchte es heute abend wagen, eine Gegenthese zu formulieren. Ich glaube: Wir Allianzevangelikale waren doch schon immer zugleich auch Bekenntnisevangelikale! Wir haben doch schon immer betont, dass wir an den zentralen Bekenntnissen festhalten wollen und müssen. Und deshalb tut es mir weh, wenn hier ein Widerspruch aufgebaut wird. Denn Christen wie mir geht ja gar nicht darum, in rechthaberischer Weise etwas durchzusetzen! Die Bekenntnisse muss man nicht durchsetzen. Die sind bekannt, die sind veröffentlicht, auf die muss man sich nicht mehr einigen. Es geht nicht darum, etwas durchzusetzen, sondern etwas zu bewahren. Etwas, das überaus wertvoll ist! Es geht um unsere verbindenden Glaubensschätze, die uns helfen, Einheit in Vielfalt ganz praktisch zu leben und gemeinsam missionarisch zu sein.

Wir Evangelikale wollten doch schon immer zweierlei: Wir wollen die Liebe zu Christus stärken! Denn das verbindende Zentrum unseres Glaubens ist nicht eine Lehre, sondern die Person Jesus Christus, darin sind wir uns einig. Aber gerade um dieser Christusmitte willen wollen wir zugleich auch festhalten an der Autorität der Bibel. Denn über diesen Jesus Christus, dem wir gemeinsam folgen wollen, über seine Lehre, sein Erlösungswerk, über das Evangelium wissen wir ja nichts außer das, was die Bibel uns sagt! Ohne die Autorität und die Klarheit der Schrift wird „Christus“ zur Hülse wird, die jeder subjektiv mit etwas anderem füllt. Aber eine Hülse kann uns nicht miteinander verbinden.

Was jetzt zu tun ist: Unsere Glaubensbasis verteidigen und zum Leuchten bringen

Und deshalb bin ich überzeugt, liebe Freunde: Wir haben eine große Aufgabe vor uns, die wir nur gemeinsam schaffen können. Wir müssen wieder sprachfähig werden in Bezug auf die Grundlagen unseres Glaubens. Wir müssen neu lernen, zu begründen, warum wir diese Glaubensbasis haben und warum sie für uns unaufgebbar wichtig ist. Und ja, ich glaube, dazu gehört eben auch, dass wir wieder lernen müssen, zu widersprechen, wenn diesen Glaubensgrundlagen in unserer Mitte widersprochen wird. Ich weiß: Das ist nicht cool. Das ist in unserer postmodernen Gesellschaft überhaupt nicht schick. Und trotzdem bin ich überzeugt: Es ist notwendig und im besten Sinne not-wendend.

Denn so viel ist doch klar: Es gäbe uns heute nicht, wenn nicht schon die Apostel und die frühen Kirchenleiter Position bezogen hätten gegen die Häresien, wenn da zum Beispiel ein Marcion auftritt, wenn da Gnostiker auftreten, wenn da Ablasshandel betrieben wird und, und, und. Die Kirche Jesu musste sich zu allen Zeiten gegen Lehren wenden, die ihre Einheit und ihre Botschaft unterwandern wollten. Und glauben wir denn wirklich, dass wir das ausgerechnet heute nicht mehr bräuchten? Ich glaube: Doch, wir brauchen das. Gerade auch heute. Und deshalb ist meine Bitte: Lasst uns wieder lernen, unsere Glaubensgrundlagen zu verteidigen. Freundlich. Respektvoll. Klug. Gebildet. Aber auch leidenschaftlich und klar. Damit Menschen Orientierung finden und sich verwurzeln können in der freimachenden Wahrheit von Gottes Wort. Wir tun es nicht um des Rechthabens willen. Wir tun es nicht, weil wir Angst vor Neuem haben. Wir tun es aus Liebe zu den Menschen, die ohne dieses rettende Evangelium verloren gehen. Wir tun es aus Liebe zu den Gemeinden, die ohne Gottes kraftvolles Wort nicht wachsen und gedeihen können. Und wir tun es um der Einheit willen, die ohne eine gemeinsame Glaubensbasis zerfällt und zerbricht. Lasst uns gemeinsam unsere verbindenden Glaubensschätze hochhalten, zum Leuchten bringen und auch gegen Widerspruch verteidigen. Ich freue mich sehr darauf, mit Ihnen und mit euch über dieses wichtige Thema ins Gespräch zu kommen.

Ist Einheit zwischen progressiven und konservativen Christen möglich? – Erkenntnisse aus einem Forschungsprojekt

Der Begriff „evangelikal“ ist in Verruf geraten. Evangelikalen wird nachgesagt, sich besonders leicht für politische Ideologien vereinnahmen zu lassen und intolerant zu sein. Aber stimmt das auch? Trevin Wax hat auf der Internetseite der „Gospel Coalition“ die Ergebnisse eines Forschungsprojekts präsentiert, das das Phänomen des wachsenden Gegeneinanders zwischen „konservativen“ und „progressiven“ Christen beleuchtet. Die Ergebnisse sind überraschend – und auch für die evangelikale Welt in Deutschland hoch relevant!

Veröffentlicht wurden die Forschungsergebnisse in dem Buch „One Faith No Longer: the Transformation of Christianity in Red and Blue America“ („Nicht länger ein Glaube: Die Transformation des Christentums im roten und blauen Amerika“) von George Yancey und Ashlee Quosigk. Als konservativ galten dabei Christen, die glauben, dass die Bibel das irrtumslose Wort Gottes und Jesus der einzige Weg zur Erlösung ist. Christen, die dem nicht zustimmen, wurden als progressiv eingestuft. Ein grundlegendes Ergebnis der Untersuchung war:

„Progressive Christen … sind mehr, nicht weniger politisch als konservative Christen.“

Zudem ergaben sich aus den Untersuchungen und Interviews 3 überraschende Erkenntnisse in Bezug auf die Identität, die Toleranz und die missionarische Ausrichtung von progressiven bzw. konservativen Christen. Die erste Überraschung lautet:

1. „Progressive Christen definieren ihre Identität eher über Politik, während konservative Christen ihre Identität in der Theologie finden.“

Bei der Frage, mit wem man sich zusammengehörig fühlt, neigen progressive Christen dazu, sich weniger um theologische Übereinstimmung zu kümmern. Stattdessen stehen für sie politische Werte im Vordergrund. Konservative Christen hingegen legen (anders als oft behauptet) keinen großen Wert auf politische Übereinstimmung. Ihr Hauptanliegen ist die Frage, ob man in theologischen Kernpunkten übereinstimmt.

Die zweite Überraschung heißt folgerichtig:

2. „Konservative Christen sind eher bereit, über abweichende politische Auffassungen hinwegzusehen als progressive Christen.“

Wax berichtet: Schon zur Zeit von Donald Trump wehrten sich viele konservative evangelikale Führungspersönlichkeiten unter großen persönlichen Opfern gegen “konservative politische Ideologie”, wo sie biblischen Lehren und Werten widerspricht. Auch heute noch gibt es theologisch konservative Evangelikale mit großen Meinungsverschiedenheiten bei politischen Fragen. Bei progressiven christlichen Leitern ist das hingegen nicht der Fall. „Das einzige politische Thema, bei dem mehrere Blogger von der allgemeinen progressiven politischen Grundausrichtung abwichen, war das Thema Abtreibung”, so die Autoren, und selbst da war die Gegenwehr gering.“

Und die dritte Überraschung lautet:

3. „Progressive Christen missionieren eher konservative Christen als Nichtchristen.“

Wax schreibt: „Die allgemeine Auffassung ist, dass theologisch konservative Christen in einer Blase von Gleichgesinnten verharren. Aber die Untersuchungen von Yancey und Quosigk haben das Gegenteil gezeigt. Es sind theologisch progressive Christen, die sich mit homogen denkenden Gleichgesinnten umgeben, und ein Teil dieser Homogenität definiert sich durch eine “überwältigend negative” Sicht auf konservative Christen. … In der Tat ist die progressive Sicht der Konservativen so düster, dass sich Progressive eher mit Muslimen als mit konservativen Christen verbunden fühlen.“

Das hat Konsequenzen für die Frage, wen progressive Christen missionieren: „Die meisten progressiven Christen gründen ihre Religion nicht auf verbindlichen Gehorsam gegenüber der Bibel, und sie haben auch nicht das Bedürfnis, andere zu ermutigen, ihre Interpretation der Bibel zu akzeptieren oder gar den christlichen Glauben anzunehmen. Der Kern ihrer Religion beruht auf den Werten der Integration, der Toleranz und der sozialen Gerechtigkeit. … Die Menschen, die am meisten der “Bekehrung” bedürfen, sind deshalb nicht Ungläubige, sondern konservative Christen.“

Fazit

Trevin Wax kommt zu dem Schluss: „One Faith No Longer stellt die herkömmliche Vorstellung auf den Kopf, dass konservative Christen in besonderem Maße dazu neigen, unbiblischen politischen Ideologien zu verfallen, oder dass konservative Christen von Wut auf ihre theologischen Gegner erfüllt sind. Anhand von Recherchen und Interviews zeigen Yancey und Quosigk das Gegenteil: Es sind die Progressiven, die selten von ihrer politischen Grundausrichtung abweichen und Verachtung für die Konservativen hegen. Und die sich verhärtenden Grenzen zwischen diesen beiden Gruppen untermauern die These, die J. Gresham Machen vor einem Jahrhundert aufstellte: Wenn es um das Christentum und den theologischen Liberalismus geht, haben wir es wirklich mit zwei verschiedenen Religionen zu tun.“

Was heißt das für die Situation im deutschsprachigen Raum?

Meine Beobachtungen von Progressiven und Konservativen im deutschsprachigen Raum vermitteln mir den Eindruck: Die Polarisierung ist bei uns noch nicht so weit vorangeschritten. Der Trend geht aber in die gleiche Richtung wie in den USA. Und die Ursachen sind vergleichbar.

Zugleich sehen wir im allianzevangelikalen Umfeld unverkennbar einen sich verfestigenden Trend: Viele evangelikale Werke versuchen, die progressiven und postevangelikalen Stimmen in ihr Spektrum zu integrieren. Da dies zwangsläufig zu immer größeren theologischen Differenzen führt, redet man immer seltener über die eigene Glaubensbasis. Stattdessen wird immer stärker die Notwendigkeit von mehr „Ambiguitätstoleranz“ betont, also das Stehenlassen und Aushalten gegensätzlicher Positionen. Vielerorts sind die Verflechtungen und Sympathien auf den Leitungsebenen offenkundig so stark, dass es auf diesem Weg kein Zurück mehr zu geben scheint.

Aber kann dieser Integrationsversuch auf Dauer gelingen? Ist es möglich, dass Progressive, Postevangelikale und Konservative im gleichen Team spielen? Wenn nein: Sind daran wirklich nur die Konservativen schuld, wie oft behauptet wird?

Die Ergebnisse von „One Faith No Longer” legen nahe: Progressive sind zwar theologisch sehr tolerant. Aber das heißt nicht, dass sie insgesamt toleranter sind als Konservative. Sie haben einfach nur andere Identitätsmarker. Sie stehen konservativen Forderungen nach einer Rückbesinnung auf historische Glaubensgrundlagen und Bekenntnisse zurückhaltend oder ablehnend gegenüber. Stattdessen fordern sie eher eine rasche Anpassung der Kirche an gesellschaftliche Entwicklungen in Bereichen wie Gender, Gleichstellung, Sexualethik, Ökologie oder linke Wirtschafts-, Sozial- und Flüchtlingspolitik. Und sie sind bei diesen polarisierenden Themen deutlich weniger tolerant als Konservative.

Am geringsten ist ihre Toleranz jedoch oft in Bezug auf die konservativen Christen. Konservative verfolgen oft die Strategie, eine christliche Gegenkultur zu etablieren an Stellen, an denen sich die Gesellschaft von biblischen Normen entfernt. Von Progressiven werden sie deshalb tendenziell als Bremsklötze empfunden auf dem Weg „Raus aus der Sackgasse“ einer von ihnen empfundenen gesellschaftlichen Rückständigkeit und theologischen Enge der Konservativen. Das gleichnamige Buch von Michael Diener macht diese Sichtweise deutlich. Und es zeigt beispielhaft den von Wax beschriebenen missionarischen Eifer, Konservative zum progressiven Kurs bekehren zu wollen.

Was würde es bedeuten, wenn diese Beschreibung der Situation zwischen Konservativen und Progressiven auch nur einigermaßen zutrifft? Die Konsequenz wäre: Alle Aufrufe zum Miteinander würden am Ende nicht fruchten. Im Gegenteil: Mit der Zeit würde immer deutlicher werden, dass Konservative und Progressive vielfach gegensätzliche Ziele verfolgen. Dann würde sich die Entscheidung, Progressive und Postevangelikale ins evangelikale Spektrum integrieren zu wollen, als historischer Fehler erweisen, weil sie zwangsläufig dorthin führt, wo man andernorts schon angekommen ist: In immer tieferer innerer Entfremdung und wachsendem Gegeneinander (wie in den USA), in offenen Spaltungen (wie bei den weltweiten Methodisten) oder in der weitgehenden Verdrängung der Konservativen (wie in der evangelischen Kirche).

Ich wünsche mir keines dieser Szenarien. Deshalb werde ich nicht aufhören, in der evangelikalen Welt Werbung dafür zu machen, die eigene Glaubensbasis hochzuhalten. Dafür ist es so wie im Neuen Testament notwendig, im Bedarfsfall nicht nur positiv vom eigenen Glauben zu reden sondern in zentralen Glaubensfragen auch „nein“ zu sagen zu Lehren und Einflüssen, die der eigenen Glaubensbasis widersprechen. Glaubensverteidigende Apologetik war schon immer ein wichtiges Feld der Theologie. Sie gehörte zu allen Zeiten zum Aufgabenbereich christlicher Leiter. Sie wird heute dringender denn je gebraucht.


Der Artikel „3 Surprises from New Research on ‘Progressive’ and ‘Conservative’ Christians“ von Trevin Wax, aus dem die Zitate dieses Artikels stammen, kann hier vollständig nachgelesen werden: https://www.thegospelcoalition.org/blogs/trevin-wax/research-progressive-conservative-christians/

Wie gelingt Einheit in Vielfalt?

Dieser Artikel ist in etwas kürzerer Form zuerst erschienen in IDEA Spektrum Ausgabe Nr. 49.2020 vom 2.12.2020

Ich liebe Einheit in Vielfalt. Es begeistert mich, wenn Christen aus verschiedenen Kirchen, Generationen und Prägungen zusammen kommen, um gemeinsam Jesus zu feiern und ihren Glauben zu bezeugen. Jesus selbst hat intensiv für Einheit gebetet. Und er hat dabei deutlich gemacht: Die Glaubwürdigkeit unseres Christuszeugnisses hängt auch von unserer Einheit ab (Johannes 17, 23).

Deshalb habe ich mich immer sehr darüber gefreut, dass wir Evangelikale bei aller Vielfalt ein paar zentrale Glaubensüberzeugungen haben, die wir ganz selbstverständlich gemeinsam glauben, feiern und bekennen können. Dazu gehörten für mich zum Beispiel:

  • Der Glaube, dass Gott in der Geschichte übernatürlich eingreift und sich übernatürlich offenbart hat.
  • Der Glaube an die Leiblichkeit der Auferstehung und die Historizität des leeren Grabs.
  • Der Glaube an den Kreuzestod Jesu als ein stellvertretendes Opfer für die Vergebung unserer Sünden.
  • Das Vertrauen, dass die biblischen Texte Offenbarungscharakter haben.

Ohne es mir bewusst zu machen habe ich mich immer ganz selbstverständlich darauf verlassen, dass diese Punkte klar sind, wenn ich zum Christustag oder auf einen Willow-Kongress gehe, wenn ich einen Prediger einlade, der von einer KBA-Ausbildungsstätte kommt, wenn ich für ein evangelikales Missionswerk spende, wenn ich ein Buch des Hänssler-Verlags kaufe, wenn ich ERF höre oder wenn ich unsere Gemeindejugend auf ein Event des CVJM schicke. Diese Punkte waren selbstverständliche Ankerpunkte meiner evangelikalen Identität und Heimat. Und ich habe es immer als etwas höchst Verbindendes empfunden, zu wissen: Das bezeugen wir gemeinsam. Dafür können wir fröhlich unsere Differenzen zurückstellen, denn am wichtigsten ist doch, dass alle Welt von uns als große Gemeinschaft hört: Unser Gott ist kein ferner, kein schweigender Gott. Das Grab war leer. Jesus hat den Tod besiegt. Er ist am Kreuz stellvertretend für unsere Schuld gestorben. Und wir haben mit der Bibel ein verlässliches Zeugnis darüber, wer und wie Gott ist.

Der Verlust der gemeinsamen Kernüberzeugungen

In den letzten 3 Jahren musste ich im Rahmen meiner Beschäftigung mit Formaten wie Worthaus aber feststellen: Alle diese Kernüberzeugungen werden inzwischen auch mitten in der evangelikalen Welt lautstark inhaltlich in Frage gestellt, subjektiviert oder offen verneint. Ich schreibe bewusst „inhaltlich“, weil die Begrifflichkeiten ja oft noch beibehalten werden und man erst bei genauem Hinhören merkt, dass die Inhalte völlig anders sind. Und mit „subjektiviert“ meine ich: Vielleicht lässt man die evangelikale Position noch gelten, aber eben nicht mehr als gemeinsame Grundüberzeugung sondern nur noch als persönliche Glaubensoption, die jemand für sich persönlich haben kann, falls das für ihn hilfreich ist, die man doch aber bitte nicht zum Maßstab für Alle machen soll.

Auch im evangelikalen Umfeld sind somit ganz offenkundig die Zeiten vorbei, in denen Christen ganz selbstverständlich gemeinsame Antworten auf die zentralen Fragen des Glaubens geben konnten. Kein Wunder, dass christliche Leiter immer öfter die Frage stellen: Wie können wir dann noch beieinander bleiben? Wie kann angesichts der wachsenden Differenzen heute noch Einheit in Vielfalt gelingen? Auf welcher gemeinsamen Basis stehen zukünftig die evangelische Allianz und all die vielen evangelikalen Werke und Initiativen, die auf Einheit in Vielfalt existenziell angewiesen sind?

Wie umgehen mit dem verloren gegangenen Konsens?

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Strategien für den Umgang mit einem verloren gegangenen Konsens: Man kann entweder versuchen, um den Konsens zu ringen und ihn wiederherzustellen. Oder man kann den verlorenen Konsens bewusst loslassen und stattdessen zu Toleranz gegenüber den unterschiedlichen Standpunkten aufrufen. Je nachdem, welche Strategie man für richtig hält, wird man ganz unterschiedliche Menschen als Brückenbauer empfinden:

  • Anhänger der Konsensstrategie sehen Brückenbauer dort am Werk, wo um die Gültigkeit zentraler gemeinsamer Glaubenswahrheiten gerungen wird.
  • Anhänger der Toleranzstrategie werden hingegen gerade dieses Festhalten an gemeinsamen Glaubensüberzeugungen als einheitsgefährdend ansehen, weil das ja alle die ausschließt, die an diese Überzeugungen nicht (mehr) glauben können oder wollen. Stattdessen werden sie solche Menschen als Brückenbauer empfinden, die die Verbindlichkeit von Glaubenswahrheiten in Frage stellen (die also Glaubenswahrheiten subjektivieren), um damit Raum für sich widersprechende Positionen zu schaffen.

Meine Beobachtung ist: Zwischen diesen beiden gegensätzlichen Ansätzen wird zunehmend scharf geschossen, auch mitten im evangelikalen Umfeld. Umso mehr müssen wir uns die Frage stellen: Welche Sichtweise stimmt? Brauchen wir mehr Konsens? Oder mehr Toleranz? Und was verbindet uns noch, wenn wir keine gemeinsamen theologischen Positionen mehr formulieren können?

Die Mitte des Christentums ist keine Lehre sondern eine Person

Anhänger der Toleranzstrategie antworten auf diese Frage oft in etwa wie folgt: Die verbindendende Mitte des Christentums ist keine Lehre sondern die Person Jesus Christus. Seine grenzenlose Liebe und Annahme hilft uns, Enge und Rechthaberei zu überwinden, uns einander in aller Unterschiedlichkeit anzunehmen, uns gegenseitig unseren Glauben zu glauben und Raum zu geben für unterschiedliche Sichtweisen und Erkenntnisse.

Ich halte diese Sichtweise im Prinzip für absolut richtig. Jesus selbst, die Wahrheit in Person, ist das Haupt der Gemeinde, das die Glieder miteinander verbindet (Epheser 4, 15-16). Echte Einheit lebt immer von der gemeinsam gelebten Christusbeziehung und von der erlebten Liebe, Gnade und Vergebung, die uns auch gnädig und barmherzig füreinander machen kann. Ein theologischer Buchstabenkonsens wird die verbindende Kraft einer gelebten Christusbeziehung niemals ersetzen können. Zudem bin ich der Meinung: Natürlich brauchen wir in Randfragen Weite für respektvolle, unverkrampfte Debatten. Christen werden niemals in allen Fragen einer Meinung sein. Für Einheit in Vielfalt dürfen und müssen wir deshalb unterschiedliche Positionen aushalten lernen. Und meine Erfahrung ist: Wo die Liebe zu Jesus im Mittelpunkt steht, da gelingt das in aller Regel auch.

Trotzdem müssen wir uns der Tatsache stellen, dass die immer öfter und lauter formulierten Forderungen nach mehr Weite und Toleranz nicht geholfen haben, im Gegenteil: Der Riss, der oft mitten durch die evangelikal geprägten Werke und Gemeinschaften geht, scheint stetig tiefer zu werden. Woran liegt das?

Politische Polarisierung statt theologischem Streit

Zum einen stelle ich fest: Die Vorstellung, dass man Einheit in Vielfalt gewinnt, wenn man theologische Differenzen für nebensächlich erklärt, ist eine Illusion. Wo in der Kirche Jesu nicht mehr um theologische Fragen gestritten wird, da schlagen die Wellen stattdessen hoch bei anderen Fragen: Wie stehst Du zu Trump? Wie stehst Du zum Klimawandel? Wie stehst Du zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer? Wo die theologischen Kernfragen nicht mehr polarisieren, da nimmt die Kirche umso mehr teil an der gesellschaftlichen Polarisierung in tagesaktuellen Fragen. Wo in Bekenntnisfragen Grenzen eingerissen werden, da werden neue moralistische Trennmauern aufgerichtet. Wo es keine theologischen Häresien mehr gibt, da treten ethische und politische Häresien an ihre Stelle. Und da zeigt sich: Auch „liberale“ Positionen können äußerst intolerant, aggressiv und herablassend gegenüber anderen Standpunkten auftreten und spaltend wirken.

Wer und wie ist Christus eigentlich?

Das zweite, noch größere Problem ist aus meiner Sicht: Einheit auf Basis einer Christusmitte funktioniert nicht, wenn der Begriff „Christus“ subjektiv vollkommen unterschiedlich gefüllt werden kann. Denn die Fragen stellen sich ja: Wer und wie ist denn dieser Christus, der unsere verbindende Mitte sein soll? Was hat er gelehrt? Was hat er für uns getan? Worin liegt sein Erlösungswerk? Wie können wir mit ihm in Verbindung treten? Unsere einzige Informationsquelle zu solchen Fragen ist die Bibel. Wenn die Bibel aber kein verbindlicher Maßstab mehr ist, dann wird alles subjektiv. Dann ist es letztlich unmöglich, auf solche Fragen gemeinsame Antworten finden zu können.

Ohne gemeinsame Antworten auf diese innersten Kernfragen des Glaubens haben wir als Kirche Jesu aber auch keine gemeinsame Botschaft mehr. Dann gibt es letztlich nichts mehr, was wir trotz aller Unterschiedlichkeit ganz selbstverständlich gemeinsam feiern, besingen und bezeugen können. Dann fällt die Kirche Jesu auseinander – wenn nicht im Streit um theologische Fragen, dann doch (was noch wesentlich schlimmer ist) in einem schleichenden Prozess der inneren Entfremdung. Hinzu kommt: Ohne gemeinsame Botschaft verliert die Kirche Jesu ihr Profil – und marginalisiert sich dadurch selbst. Denn wo alles gleich gültig ist, da wird am Ende alles gleichgültig. Und da kann es dann auch keine Einheit mehr geben.

Der Schatz der gemeinsamen Bekenntnisse

Deshalb bin ich überzeugt, dass Einheit in Vielfalt nur gelingen kann, wenn zur gelebten Christusmitte auch gemeinsam geteilte Glaubensüberzeugungen hinzukommen. Ganz offenkundig haben das auch die frühen Christen gespürt. Sie haben extrem viel Energie investiert, um auf Basis der biblischen Schriften gemeinsame Bekenntnisse zu formulieren. Das nicäno-konstantinopolitanische Bekenntnis gilt größtenteils bis heute in den protestantischen, in der katholischen, in der anglikanischen und sogar in den orthodoxen Kirchen als Glaubensgrundlage. Und ich frage mich: Ist es wirklich ein Fortschritt, wenn ausgerechnet wir Christen im Westen es heute nicht mehr für wichtig halten, ob Jesus wirklich leiblich auferstanden ist und ob er von einer Jungfrau geboren wurde oder nicht? Wäre es nicht vielmehr umgekehrt ein gewaltiger Schatz, wenn alle Christen wenigstens diese wenigen Sätze ganz selbstverständlich gemeinsam glauben und bezeugen könnten?

Die missionarische Dynamik geht verloren

In meiner evangelischen Kirche fällt mir das besonders auf: Ohne gemeinsame Botschaft gibt es nichts mehr, wofür man sich gemeinsam engagieren und Opfer bringen möchte. Da verlieren wir die gemeinsame Leidenschaft, und damit auch die missionarische Dynamik.

Kaum jemand weiß das so gut wie Ulrich Parzany. Evangelisationen wie Pro Christ leben davon, dass unterschiedlichste christliche Gruppen ihre Differenzen zurückstellen und sich gemeinsam engagieren für dieses eine Evangelium. Es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet ein Vollblutevangelist, der schon so viele verschiedene Christen zusammengeführt hat, sich heute so intensiv dafür einsetzt, dass wir unsere zentralen Bekenntnisse und Glaubensüberzeugungen bewahren. Ein Evangelist bemerkt nun einmal zuerst, wie sehr die Mission erlahmt, wenn Christen sich nicht mehr über ihre Kernbotschaft einigen können.

Grenzzieher werden ausgegrenzt

Auch den Schreibern des Neuen Testaments war es wichtig, den Menschen nicht nur das Evangelium vor Augen zu malen, sondern es auch deutlich gegen falsche Lehren abzugrenzen. Heute fällt mir jedoch auf: Wer als „Grenzzieher“ auftritt, weil er den Konsens in den Kernfragen des Glaubens verteidigen und bewahren möchte, wird eher gemieden und ausgegrenzt. Statt sachlicher Debatte steht schnell der Vorwurf der „Rechthaberei“ oder die Unterstellung von „Angst“ oder gar „Denkfeindlichkeit“ im Raum. Man weist auf (ohne Zweifel vorkommende) fragwürdige und lieblose Äußerungen hin. Aber man redet kaum über berechtigte Impulse, die von solchen Leuten kommen.

Kein Teamgeist ohne Toreschießen

Das finde traurig. Denn die Verteidigung der christlichen Kernüberzeugungen ist aus meiner Sicht ein unverzichtbarer Dienst an der Einheit der Christenheit. Kirche ohne theologische Grenzen wirkt auf mich wie ein Fußballteam, das nicht nur über Taktik und Aufstellung diskutieren will, sondern auch darüber, ob es überhaupt richtig ist, Tore schießen zu wollen. Das kann man ja machen. Man kann es sogar sympathisch finden, wenn alles offen zur Diskussion steht und wenn man der anderen Mannschaft nicht wehtun will. Aber es hat dann halt nichts mehr mit Fußball zu tun. Und wenn das Team dann absteigt und auseinanderfällt ist das nicht die Schuld derer, die an die Regeln erinnern und Tore schießen wollen.

Anders ausgedrückt: Wo wir uns von Bibel und Bekenntnis verabschieden, da geht eben nicht nur der Konsens in Randfragen verloren, sondern auch der zentrale Grund, der uns überhaupt zusammen geführt hat. Da verlieren wir unser gemeinsames Ziel, unsere gemeinsame Leidenschaft und die Bereitschaft, uns trainieren zu lassen und miteinander für diese Leidenschaft Opfer zu bringen. Genau dieser Abwärtstrend ist heute in so vielen liberal geprägten Kirchen schmerzlich spürbar.

Große Brücken brauchen starke Pfeiler

Dabei geht es doch auch anders. Ich habe in den letzten Jahren viel Versöhnung unter Christen erlebt. Ich freue mich heute über freundschaftliche Verbindungen zu ganz unterschiedlich geprägten Christen mit verschiedenen theologischen Positionen in ganz unterschiedlichen Fragen. Fröhliche Einheit in Vielfalt ist auch heute noch möglich! Sie wächst ganz offenkundig um eine gemeinsame Leidenschaft für einen starken, gemeinsamen Kern herum. Da wird “Kirche” lebendig. Da kommt sie in Bewegung. Wo große Brücken gebaut werden sollen über zunehmend unterschiedlich geprägte christliche Landschaften, da brauchen wir umso mehr im Zentrum einen starken, fest gegründeten Pfeiler, der diese Brücken tragen kann. Diese verbindende Mitte kann nur Jesus Christus sein. Damit der Begriff „Christus“ aber nicht zur beliebig füllbaren Formel verkommt, brauchen wir die Autorität der Heiligen Schrift und das Festhalten an den Bekenntnissen. Sonst bricht dieser Pfeiler schnell zusammen.

Lassen Sie uns deshalb aus Liebe zur Kirche und zu den Menschen gemeinsam dafür beten und arbeiten, dass dieser gemeinsame, verbindende Kern nicht verloren geht sondern ganz neu wertgeschätzt, verteidigt und hochgehalten wird.

Einheit zwischen Enge und Beliebigkeit

Wie wächst Einheit? Und was zerstört sie? Das sind entscheidende Zukunftsfragen für die Kirche Jesu. Unser Herr hat nicht nur intensiv für Einheit gebetet. Er hat zudem klar gestellt: Nicht nur unser Zusammenhalt, auch unsere evangelistische Strahlkraft hängt daran (Johannes 17, 21-23). Aber obwohl der Ruf nach Toleranz für mehr Einheit in Vielfalt scheinbar in aller Munde ist – es vergeht doch kaum eine Woche ohne Klagen über Risse, Gräben und Konflikte unter Christen. Könnte es sein, dass wir zu einseitig auf dieses wichtige Thema schauen? Tatsächlich macht die Bibel deutlich: Wenn wir wirklich Einheit wollen, dann müssen wir immer 3 Dinge im Blick behalten:

1. Es ist Christus, der Einheit schafft!

Toleranz schafft keine Einheit. Weite schafft keine Einheit. Echte Einheit kommt immer von Christus:

„Stattdessen lasst uns in Liebe an der Wahrheit festhalten und in jeder Hinsicht Christus ähnlicher werden, der das Haupt seines Leibes – der Gemeinde – ist. Durch ihn wird der ganze Leib zu einer Einheit.“ (Eph.4,15+16a)

Das bedeutet: Echte Herzenseinheit ist etwas Übernatürliches. Sie ist ein Geschenk, das wir aus uns selbst heraus nicht machen, nicht produzieren und deshalb auch nicht einfach so einfordern können. Einheit wächst, wenn wir zu Christus aufschauen. Christus als Fundament und als Haupt seines Leibes fügt die vielfältigen Glieder der Gemeinde zu einer Einheit zusammen.

2. Gottes Geist schützt uns vor Enge

Aber wie macht Jesus das? Bevor Jesus ging, hat er das Kommen seines Geistes angekündigt (Johannes 16, 7). Es ist dieser Geist, der…

… die Liebesbeziehung zum himmlischen Vater lebendig und kraftvoll werden lässt (Galater 4, 6) und „uns tief im Herzen bestätigt, dass wir Gottes Kinder sind.“ (Römer 8, 16) Dieses Wissen kann uns eine feste, gesättigte Identität verleihen. Als geliebte Königskinder sind wir sehr viel weniger anfällig dafür, unsere Identität aus einem einflussreichen Posten oder aus dem Beifall von Menschen zu nähren. Das macht gelassen und einheitsfähig.

… christusgemäße Früchte in uns wachsen lässt, die für harmonische Beziehungen unerlässlich sind: Liebe. Frieden. Geduld. Freundlichkeit. Güte. Treue. Sanftmut. (Galater 5, 22-23)

… uns unsere Schuld und unsere Fehlerhaftigkeit offenbart (Johannes 16, 8) und uns somit spüren lässt: Wir leben alle aus Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Das macht demütig. Das hilft uns, auch anderen gegenüber gnädig und barmherzig zu sein. Das hilft uns, zu vergeben, so wie auch uns vergeben wurde.

… uns hilft, die Bibel mit den Augen des Autors zu lesen, damit biblische Lehre nicht menschlich verengt wird und damit Speziallehren nicht zu Spaltpilzen werden.

… uns hilft, die Gebote Jesu zu leben, die wir aus eigener Kraft niemals leben könnten. Eine geist-lose Kirche hat immer nur die Wahl, entweder liberal oder gesetzlich zu werden. Beides spaltet die Kirche gleichermaßen.

Deshalb sind wir unbedingt angewiesen auf diese geistgewirkte Verbindung zu Christus. Sie schützt uns vor der Enge, die unsere Einheit zerstört.

3. Gottes Wort schützt uns vor Beliebigkeit

Paulus sagt aber auch: Wir sollen „in Liebe an der Wahrheit festhalten und in jeder Hinsicht Christus ähnlicher werden.“ Was ist denn die Wahrheit? Wer und wie ist denn dieser Christus, dem wir immer ähnlicher werden sollen? Wie hat er gelebt? Was hat er getan? Was hat er gelehrt? Was denkt er darüber, wie wir leben sollen?

Unsere zentrale und letztlich einzige Informationsquelle zu diesen wichtigen Fragen ist die Bibel. Wenn alle Christen sich diesem biblischen Christus nähern, dann finden Sie automatisch auch immer näher zueinander – trotz aller Vielfalt an Prägungen, Erfahrungen, unterschiedlichen Schwerpunkten und trotz aller Unterschiede in Auslegungsdetails. Wenn aber die biblischen Texte selbst in Frage gestellt sind, dann können sie kein gemeinsamer Maßstab und keine gemeinsame Mitte mehr sein. Wenn wir meinen, dass die Bibel nur alte Erfahrungen enthält, die heute so nicht mehr gelten und die zudem nur mit bibelwissenschaftlichen Mitteln entschlüsselt werden können, dann verlieren wir die Offenbarungsqualität und die Klarheit der Schrift. Dann verirren wir uns in unterschiedliche, ja gegensätzliche Christusbilder.

Auch theologische Experten werden daran nichts ändern können, denn sie sind sich ja selbst nicht einig, wer und wie dieser Christus ist. Wenn die Bibel keine allgemeinverständlichen zeit- und kulturübergreifenden Wahrheiten enthält, dann gibt es für diese Grundlage der Kirche Jesu keinen Ersatz. Dann wird unser Bild von Christus subjektiv und beliebig. Dann wird die gute Nachricht, die die Kirche an Christi statt weitergeben soll (2. Kor. 5, 20), unklar und vielstimmig. Dann gibt es zur Frage nach der Aufgabe und Ausrichtung von Gemeinde keine Einigkeit mehr. Dann haben wir nicht einmal mehr eine gemeinsame Diskussionsbasis für das gemeinsame Ringen um einen „jesusmäßigen“ Kurs der Kirche Jesu. Dann verliert die Kirche ihre gemeinsamen Bekenntnisse, ihre gemeinsame Botschaft und ihre gemeinsame Ausrichtung. Dann fangen wir in unseren Gemeinschaften an, in völlig verschiedene Richtungen zu ziehen. Dann lähmt und spaltet sich die Kirche selbst.

Deshalb sind wir unbedingt angewiesen auf dieses feste Vertrauen in die Verlässlichkeit und Gültigkeit der heiligen Schrift als das zuverlässige Wort Gottes, das unser gemeinsamer Maßstab für alle Fragen des Glaubens und des Lebens ist. Das schützt uns vor der Beliebigkeit, die unsere Einheit zerstört.

Unsere Einheit steht auf 2 Beinen: Gebet und Gottes Wort

Als die Gemeinde in Jerusalem wuchs und es dadurch immer mehr organisatorische Aufgaben zu bewältigen gab, trafen die Apostel eine kluge Entscheidung:

„Wählt unter euch sieben Männer mit gutem Ruf aus, die vom Heiligen Geist erfüllt sind und Weisheit besitzen. Ihnen wollen wir die Verantwortung für diese Aufgabe übertragen. Auf diese Weise haben wir Zeit für das Gebet und die Verkündigung von Gottes Wort.“ (Apostelgeschichte 6, 3-4)

Die Apostel wussten genau, was die beiden entscheidenden Faktoren sind, um diese schnell wachsende, extrem bunte und vielfältige Truppe zusammen zu halten: Zum einen die praktisch gelebte Beziehung zu Jesus Christus im Gebet und in der Anbetung. Und dazu die gesunde Lehre (Titus 1, 9) der Propheten und der Apostel, die wir heute in geschriebener Form in der Bibel finden. Genau das bildet auch für Paulus das entscheidende Fundament für die Kirche Jesu:

„Wir sind sein Haus, das auf dem Fundament der Apostel und Propheten erbaut ist mit Christus Jesus selbst als Eckstein.“ (Epheser 2, 20)

Natürlich ist Gebet und Gottes Wort ist nicht alles. Zum erfolgreichen Gemeindebau gehört noch sehr viel mehr. Aber ohne Gebet und Gottes Wort ist alles nichts. Der geistgewirkte Fokus auf Jesus Christus, der durch Gebet und Gottes Wort jeden Tag praktisch gefördert wird, ist und bleibt die entscheidende Grundlage für unsere Einheit und evangelistische Ausstrahlung.

Lassen Sie uns gemeinsam diese Einheit suchen. Oder besser formuliert: Lassen Sie uns gemeinsam Jesus Christus suchen im Gebet und in seinem Wort. Er schenkt uns die Einheit, nach der wir uns alle sehnen und die wir so dringend brauchen.


Weiterführend dazu: Umkämpfte Einheit – Ein Frontbericht

 

Vom Pferd gefallen

Von der Kunst, Fehlentwicklungen offen anzusprechen und sich zugleich ein weites Herz zu bewahren

Eins der schockierendsten Bücher, das ich je gelesen habe, war der Bericht über die Verfolgung der Täuferbewegung im 16. und 17. Jahrhundert. Was um alles in der Welt hat so phantastische Gottesmänner wie Martin Luther nur geritten, die grausame Ermordung von täuferisch gesinnten Glaubensgeschwistern samt der furchtbaren Vertreibungs- und Säuberungswellen mit zu unterstützen?

Leider ist dieses Drama kein Einzelfall. In der Kirchengeschichte gab es immer wieder theologisch hochkompetente Nachfolger Jesu, die gute und fruchtbringende geistliche Bewegungen bekämpft haben. Ganz offensichtlich ist es gar nicht so einfach, auf keiner der zwei folgenden Seiten vom Pferd zu fallen:

Die eine Seite des Pferdes: Einheit auf Kosten der Wahrheit

Für Paulus war absolut klar: Es gibt nur ein wahres Evangelium. Schon eine scheinbare Kleinigkeit wie die Ergänzung der Gnade Gottes durch die Beschneidung brachte ihn dazu, den ganzen bisherigen Gemeindeaufbau in Galatien komplett in Frage zu stellen (Gal.4,19). Zwar passt es gut zur Postmoderne, alle Sichtweisen gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen. Mit dem Neuen Testament ist diese Sichtweise jedoch in keinster Weise vereinbar. Schließlich sind einige der neutestamentlichen Briefe regelrechte Streitschriften gegen falsche Lehren und Lehrer. Einheit auf Kosten der Wahrheit kam für die Apostel nicht in Frage, denn sie führt auf Dauer erst recht zu Spaltung. Das muss ich in meiner evangelischen Kirche gerade jetzt wieder schmerzlich erleben.

Die andere Seite des Pferdes: Falsche Mauern aus menschlicher Erkenntnis

Bei bestimmten Fragen konnte Paulus aber ziemlich flexibel sein. Er war bereit, sich um des Evangeliums willen der Kultur seiner Zielgruppe vollständig anzupassen (1.Kor.9,20ff.). Bei der Frage nach der Einhaltung von Feiertagen (Römer 14,5-6) oder dem Essen von Opferfleisch (1.Kor.10,23ff.) war es ihm wichtiger, das individuelle Gewissen zu beachten statt ein universelles Dogma aufzurichten. Auch Jesus hat zwar die Einhaltung der Gebote eingefordert, andererseits aber auch das Wohl von Menschen über die sklavische Einhaltung von Gesetzen gestellt (z.B. bei der Frage der Einhaltung des Sabbats Mark.2,27). Wer bei solchen Themen immer nur penibel statt flexibel ist richtet Mauern auf, die nicht im Sinne der Bibel sind und zerstört ebenfalls die Einheit der Kirche Jesu.

Die 1-Million-Euro-Frage

Es ist also wie so oft: Man kann auf 2 Seiten vom Pferd fallen! Das führt uns direkt zur großen 1-Million-Euro-Frage: Bei welchen Themen müssen wir denn nun unbedingt auf der richtigen Lehre bestehen? Und wo dürfen bzw. müssen wir flexibel und weitherzig sein, um die Einheit der Kirche trotz Lehrdifferenzen nicht unnötig zu beschädigen?

Die 1. Antwort: Christus

Viele würden jetzt antworten: Der unaufgebbare Kern des Christentums, auf den wir unbedingt bestehen müssen, ist keine Lehre sondern eine Person: Jesus Christus! Und tatsächlich finden sich im Neuen Testament Hinweise, die diese Antwort bestätigen. In 2. Timotheus 2, 22 ermahnt uns Paulus zum Frieden mit allen, „die mit aufrichtigen Herzen den Herrn anrufen.“ Und in Epheser 6, 24 wünscht er Gottes Gnade „allen, die Jesus lieb haben“. Paulus orientiert sich hier also bei der Frage, wer alles zur Gemeinschaft der Christen gehört, nicht an bestimmten zu bejahenden Dogmen. Vielmehr war für ihn die authentische Liebesbeziehung zu Jesus ein zentrales Kriterium. Ohne Liebe war für ihn sowieso jede Lehre wertlos (1.Kor.13). Auch für Jesus war die Liebe zu Gott das entscheidende Gebot (Mk.12,30). Wir lernen daraus: Auch Bibeltreue können auf dem falschen Dampfer sein, wenn sie zwar die richtigen Dogmen vertreten, aber die Liebe zu Jesus fehlt (Offb.2,4)!

So weit, so gut. In der gelebten Praxis reicht diese 1. Antwort aber nicht. Denn die Frage ist ja: Welchen Jesus meinen wir? Den Christus der Urchristen? Oder den „historischen Jesus“ einiger moderner Bibelwissenschaftler? Die Christusbilder, die in der christlich/kirchlichen Landschaft umherschwirren, haben zum Teil nur noch wenig miteinander zu tun. Damit Jesus das einende Band der Kirche sein kann muss man schon definieren, welchen Jesus man meint. Wir kommen daher bei der Beantwortung der 1-Million-Euro-Frage um Lehrfragen nicht herum. Und deshalb brauchen wir…

Die 2. Antwort: Die Autorität der Schrift

Allein durch die Schrift wissen wir, wer und wie Jesus ist. Nur wenn wir der Bibel Autorität einräumen bleibt gewährleistet, dass wir einigermaßen über das Gleiche reden, wenn wir von Jesus Christus sprechen. Entsprechend galt für die Reformatoren: Die Schrift soll die „Königin“, also die oberste Wahrheitsinstanz sein, über die sich nichts und niemand stellen kann. Sola scriptura heißt: Nur die Schrift soll die Schrift auslegen. Nur mit der Schrift kann verbindlich theologisch argumentiert werden. Und in allen entscheidenden Lehrfragen ist die Bibel so eindeutig und klar, dass Jeder, der sie demütig und hörend liest, ihre Botschaft verstehen kann.

Mit diesem Grundsatz entstand einerseits ein Schutz vor einem Zuviel an Dogmatik und vor der menschlichen Tendenz, die Bibel um zusätzliche Lehren ergänzen zu wollen. Das hatten ja schon die Pharisäer zu biblischen Zeiten praktiziert. Und bis heute tappen die kirchlichen Eliten immer wieder in diese Falle.

Zum Anderen entstand ein verbindliches gemeinsames Fundament, auf dessen Basis man sich zwar streiten, auseinandersetzen und um die Wahrheit ringen kann, das aber trotzdem der weltweiten Kirche Jesu bis heute ein solides gemeinsames Fundament verleiht – sofern die Bibel denn ernst genommen und respektiert wird.

Zwischenfazit

Somit haben wir eine doppelte Antwort auf die 1-Million-Euro-Frage: Die Liebe zu Christus muss die Mitte sein. Und die Autorität der Schrift muss anerkannt werden, um nicht in die Beliebigkeit zu rutschen.

Aber auch damit ist die 1-Million-Euro-Frage noch nicht komplett beantwortet. Denn die Frage bleibt ja: In welchen Lehren ist die Bibel denn nun eindeutig und klar? Und wo ist sie das nicht? Bei welchen Lehrdifferenzen muss man sich von einem christlichen Lehrer oder einer Bewegung distanzieren? Und welche Lehrdifferenzen sollten Christen fröhlich aushalten können, ohne sich voneinander trennen zu lassen?

6 Prinzipien für die Prüfung von Lehren und Bewegungen

Es würde Bücher füllen, wenn wir jetzt alle einzelnen Lehrunterschiede diskutieren würden, die einige Christen für fundamental und andere für verschmerzbar halten. Statt einer Einzeldiskussion will ich 6 Prinzipien nennen, die wir bei der Prüfung von Lehren und Bewegungen ganz grundsätzlich immer beachten müssen:

1. Niemals Fehlerfreiheit erwarten!

Zuerst müssen wir uns bewusst machen: NIEMAND hat eine vollkommen richtige und ausgewogene Theologie – auch wir selbst nicht. “Bildet euch nicht ein, alles zu wissen” ermahnte uns Paulus (Röm.12,16). Eine gewisse Weite in der Beurteilung anderer Christen ist deshalb zwingend erforderlich. Wir alle leben davon, dass Gott uns gegenüber diese Weite hat und gnädig mit uns umgeht! Paulus sagte deshalb auch nicht: Prüft alles – und wo ihr etwas Schlechtes findet verwerft alles, was aus dieser Richtung kommt. Vielmehr sagte er gelassen: „Prüft alles und behaltet das Gute“ (1.Thess.5,21).

2. Hochmut und Geistlosigkeit tötet

Wer sich im Dienst der Unterscheidung betätigen will braucht dazu den Heiligen Geist! Denn lieb- und geistlose Buchstabenwahrheit verursacht nicht nur Blähungen (1.Kor.8,1), sie wirkt geradezu tödlich (2.Kor.3,6). Tatsächlich verbirgt sich hinter Manchem, was sich die Reinhaltung der rechten Lehre auf die Fahne geschrieben hat, in Wahrheit Hochmut, Machtmissbrauch, Manipulation und Selbstbeweihräucherung. Man fühlt sich halt gut, wenn man im Gegensatz zu anderen die Wahrheit kennt. Das verschafft eine falsche Befriedigung und eine Scheinidentität, die auf Abgrenzung statt auf geistlicher Vollmacht beruht. Mit einer solchen falschen Motivation bringen sogar die theologisch korrektesten Worte Verwüstung statt Heilung. C.H. Spurgeon hat das so ausgedrückt: „Wenn der Geist Gottes fehlt, wird sogar die Wahrheit zum Eisberg.“ Das starke Wachstum der sogenannten „Postevangelikalen“ geht nach meinem Eindruck sehr wesentlich auf genau dieses Problem zurück. Wenn wir Konservativen das nicht abstellen sind wir selbst schuld am Exodus aus unseren Kreisen.

3. Durchgängigkeit des biblischen Zeugnisses

Mit einzelnen Bibelstellen kann man auch die schrägsten Lehren zusammen zimmern. Wenn aber die Bibel durchgängig immer nur in eine Richtung weist (wie z.B. bei der Frage nach der Bewertung von praktizierter Homosexualität), dann können wir unmöglich in eine andere Richtung zeigen. Wenn die Bibel aber in verschiedenen Passagen zu einem Thema unterschiedliche Akzente setzt (wie z.B. bei der Frage nach der Rolle von Frauen beim Predigen und Leiten) dann könnte es sein, dass auch wir bei diesem Thema unbedingt flexibel sein sollten.

4. Verwurzelung in Tradition und Bekenntnis

Bekenntnisse sind dazu da, uns Orientierung zu geben und uns einzugliedern in die große Auslegungsgemeinschaft der weltweiten und historischen Kirche. Wenn es Streitereien um die richtige Auslegung der Bibel gibt, dann hat für mich zunächst einmal die Seite mehr Glaubwürdigkeit, die bislang von der großen Mehrheit der weltweiten und historischen Theologen geteilt wurde. Wenn aber ein Lehrer oder eine Bewegung meint, etwas vollkommen Neues erkannt zu haben, dann sollten wir zurecht skeptisch sein.

5. Das Kriterium der Frucht

Jesus hat gelehrt: Einen guten Baum erkennt man nicht an der Form sondern an der Frucht (Mt.12,33). Das Problem ist: Man kann nicht immer sofort sehen, welche Frucht ein Baum hervorbringt. Dafür braucht es Zeit. Ich frage mich, wie ich wohl die Pfingstbewegung in ihren wilden, teils überdrehten und theologisch schrägen Anfangszeiten beurteilt hätte? Viele gute Leute haben sie damals abgelehnt oder sogar bekämpft. Heute sehen wir, dass diese Bewegung weltweit eine phantastisch gute Frucht für das Reich Gottes bringt. Wo würde die Kirche in Deutschland heute wohl stehen, wenn die Geschwister von 1909 die Fehlentwicklungen der ersten Zeit zwar klar kritisiert aber nicht gleich die gesamte Bewegung vollständig verurteilt hätten? Wie viele Menschen sind für immer verloren gegangen wegen der daraus resultierenden tiefen Spaltung der Kirche?

6. Statt Richten lieber öfter mal die Klappe halten

„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ (Mt.7,1) „Mit welchem Maß ihr messt, werdet ihr gemessen werden.“ (Mk.4,24) Drastischer kann man nicht davor warnen, dass wir uns nicht an Gottes Stelle setzen und uns nicht zum Richter aufspielen sollen. Dazu passt die biblische Aufforderung, dass nicht zu viele Leute lehren sollten, weil sie von Gott besonders streng beurteilt werden (Jak.3,1). Mit anderen Worten: Wer sich im Dienst der Unterscheidung betätigt trägt eine riesige Verantwortung. Solange wir uns über etwas nicht ganz sicher sind, sollten wir doch lieber die Klappe halten!

Das gilt ganz besonders, wenn wir unseren Unterscheidungsdienst auf die folgenden fragwürdigen Prüfungskriterien stützen:

Vorsicht Falle: 6 fragwürdige Prüfungskriterien

Ich habe mich schon durch einige Bücher gekämpft, in denen vor Irrlehren und Irrlehrern gewarnt wurde. Einige dieser Bücher fand ich sehr wertvoll und unbedingt notwendig. In anderen jedoch ist mir immer wieder aufgefallen, dass fragwürdige Urteile auf der Basis folgender fragwürdiger Prüfungskriterien aufgestellt wurden:

1. Formen: Erinnern Sie sich noch an die Diskussionen, ob ein Schlagzeug dämonische Kräfte freisetzen kann? Heute höre ich immer wieder, moderne Lobpreislieder seien oberflächlich. Ich staune zugleich, wie teilnahmslos und distanziert einige dieser Leute die alten Choräle in ihren schrumpfenden Gemeinden heruntersingen. Was sie wohl über Davids verrückten Tanz vor der Bundeslade gesagt hätten? Mir scheint, die Strafe der Unfruchtbarkeit (2.Sam.6,23) trifft auch heute noch Christen, die Andere aufgrund ungewohnter Formen vorschnell verurteilen.

2. Gefühle werden zurecht oft kritisiert, weil sie niemals ein tragfähiges Fundament für unseren Glauben bilden können. Aber meine Bibel sprüht trotzdem vor Emotionen! Also Vorsicht: Eine emotionsgeladene Veranstaltung ist noch lange nicht einseitig emotional. Mein Eindruck ist, dass wir in Deutschland immer noch viel mehr an einem verkopften Christentum leiden, dem es an Herz, Leidenschaft und Liebe mangelt.

3. Überinterpretierte Einzelzitate: Wer von uns hat nicht irgendwann mal Blödsinn verzapft? Wer nur lange genug sucht, kann bei Jedem ein Zitat finden, mit dem man ihn öffentlich bloßstellen kann. Deshalb habe ich es mir abgewöhnt, mir aufgrund von ein paar Zitaten ein Urteil über jemand zu bilden.

4. Falscher Beifall: Noch schlimmer ist die Praxis, jemand zu verurteilen, weil er mal einen Irrlehrer zitiert hat oder von zweifelhaften Leuten Beifall bekommen hat. Nichts wird allein dadurch falsch, dass falsche Leute es gesagt haben oder Beifall klatschen.

5. Unterschiedliche Begriffsfüllung: Kommunikation ist oft eine schwierige Sache, weil wir Begriffe auf Basis unserer Prägung und Erfahrung ganz unterschiedlich füllen und mit ganz verschiedenen Emotionen verknüpfen. Um wirklich zu verstehen, wie Andere ticken und wie ihre Äußerungen gemeint sind, sollte man deshalb unbedingt mal die eigene Blase verlassen, bevor man urteilt.

6. Unterstellungen und Einseitigkeit: Die Versuchung ist so groß: Da hat man ein paar Puzzleteile, die in ein vorgefertigtes Bild passen. Dann ergänzt man einfach schnell die fehlenden Teile mit ein paar Unterstellungen, Übertreibungen oder mit dem Verschweigen anderer Puzzleteile, die nicht in unser Bild passen – und fertig ist das Bild vom Irrlehrer, auf das man genüsslich eindreschen kann.

Ich habe all das wohlgemerkt nicht nur einmal gesehen und erlebt. Darum gilt: Wer andere prüft, der prüfe auch sich selbst, und zwar regelmäßig – am besten mit Hilfe von denen, über die man spricht. Wenn ich mich vor dem direkten Gespräch mit denen fürchte, über die ich spreche, dann wäre das für mich ein klares Signal, dass meine Argumente vermutlich zu dünn und/oder meine Motivationen fragwürdig sind.

In den Sattel steigen statt auf die Anderen zeigen

In vielen Diskussionen begegnet mir immer wieder das gleiche Phänomen: Die Leute, die auf der einen Seite vom Pferd gefallen sind zeigen auf die, die auf der einen Seite unten liegen. Anhänger von „Einheit um jeden Preis“ zeigen auf die geistlosen Irrlehrenjäger und umgekehrt. Ist ja auch viel bequemer, liegen zu bleiben und sich dabei mit dem Irrtum der Anderen zu rechtfertigen, statt sich selbst zu hinterfragen.

Ich will es deshalb noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Bei aller hier dargestellten gebotenen Vorsicht ist das Verschweigen von Irrlehre absolut keine Alternative. Wir versündigen uns an den Schwachen, die dringend Orientierung brauchen, wenn wir das Feld den lautstarken Irrlehren und Irrlehrern überlassen. Den Irrtum einer Person zu benennen heißt ja nicht unbedingt, die Person selbst abzulehnen sondern zunächst einmal nur, eine notwendige Debatte anzustoßen. Petrus hat Paulus offenbar verziehen (2.Petr.3,15), nachdem Paulus öffentlich und namentlich seinen Irrtum angesprochen hatte (Gal.2,11ff.). Genauso sollten auch wir uns nicht daran stören, wenn Andere einen Lehrunterschied klar und deutlich benennen und ihre Meinung aus der Schrift heraus begründen. Unsere Kritiker sind oft die besten Berater, die wir haben. Gute, geschwisterliche, gerne auch kantige Auseinandersetzungen auf Basis der Schrift sind etwas, was wir heute wieder dringend brauchen. Die Reformation hätte es nicht gegeben, wenn die Nachfolger Jesu solchen Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen wären.

Damit die fromme Landschaft aber nicht in zahllose kleine Papsttümer zerfällt müssen wir dabei unbedingt unser demütiges, liebevolles und geisterfülltes Herz bewahren. Niemals dürfen wir vergessen, wie beschränkt und fehlerhaft wir selber sind. Wer den schwierigen aber wichtigen Dienst der Unterscheidung übernimmt sollte zugleich immer mit einstimmen in das sehnsüchtige Gebet Jesu, dass seine Nachfolger eins sein sollen wie er und der Vater eins sind, damit die Welt erkennt, dass er vom Vater gesandt worden ist (Joh. 17, 20-24).

Lasst uns um der Einheit der Kirche willen endlich dieses Pferd besteigen und mit Gottes Hilfe fest im Sattel sitzen bleiben!

Siehe dazu auch:

 

Geliebtes Feindbild – Geliebter Feind?

Wir Menschen scheinen Feindbilder zu lieben. Das sieht man nirgends so gut wie in Facebook:

Da gibt es ein Milieu, in dem Nachrichten über kriminelle Flüchtlinge förmlich aufgesaugt werden. Jeder Bericht über einen Diebstahl, eine Vergewaltigung oder eine islamistische Äußerung eines Flüchtlings wird fleißig gelesen, geteilt und kommentiert. Positive Nachrichten über Flüchtlinge, die sich für Hilfe bedanken, die freiwillig soziale Tätigkeiten übernehmen oder gefundene Wertsachen zurückbringen werden hingegen ignoriert oder für unglaubwürdig erklärt. Wer sie in diesem Milieu verbreitet gilt schnell als naiver Gutmensch, den man nicht wirklich ernst nehmen kann.

Da gibt es ein anderes Milieu, in dem Nachrichten über rechtsradikale Tendenzen bei der AfD förmlich aufgesaugt werden. Jeder Bericht über eine unflätige Äußerung, eine Beteiligung an einer Anti-Ausländerdemo oder Nähe zur NPD wird fleißig gelesen, geteilt und kommentiert. Positive Nachrichten über AfD-Politiker, die differenzierte Ansichten vertreten, sich für Flüchtlinge engagieren oder gar überzeugte Christen sind werden hingegen ignoriert oder für unglaubwürdig erklärt. Wer sie in diesem Milieu verbreitet gilt schnell als herzloser Reaktionär, den man nicht wirklich ernst nehmen kann.

Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Scheinbar lieben wir unsere Feindbilder, ob es nun Flüchtlinge, Evangelikale, Muslime, Juden, Linke oder Rechte sind. Mit Feindbildern können wir die Welt in schwarz und weiß, Gut und Böse einteilen. Und es fühlt sich ja so gut an, auf der Seite der Guten zu sein! Komme mir bloß keiner damit, dass die Wahrheit immer viel komplizierter wird, wenn man sich die Mühe macht, in ein fremdes Milieu einzutauchen und die Welt mit deren Augen zu sehen (wie es z.B. jüngst ein Journalist im AfD-Milieu tat und darüber einen hochspannenden Bericht geschrieben hat).

Blogbild Feindbild

Wie gut, dass Gott so vollkommen anders ist! Obwohl wir seine Feinde waren hat er uns immer schon geliebt. Er ist ganz in unser irdisches Milieu eingetaucht und hat sogar sein Leben für uns gegeben. Er hat das Böse in uns nicht ignoriert. Aber er hat es überwunden. Und jetzt lehrt er uns, ebenso unsere Feinde zu lieben.

Die Bibel bestätigt zwar, dass es schwarz und weiß, Gut und Böse gibt. Aber die Grenzlinie läuft anders: Gott allein ist gut. Wir Menschen sind alle mit dem Keim des Bösen infiziert. ALLE. Und wir leben ALLE davon, dass Gott uns liebt, obwohl er uns kennt. Wir leben ALLE aus seiner Gnade und Vergebung.

Also seien wir realistisch: DIE Bösen sind weder DIE Flüchtlinge, DIE AFD’ler, DIE Evangelikalen, DIE Linken, DIE Rechten, DIE Muslime oder wen wir auch immer in unsere Schubladen schieben wollen. ALLE Menschen brauchen Erlösung wie wir selber auch. Wir sollen zwar das Böse nicht verdrängen oder kleinreden. Aber wir sollen uns auch nicht darauf fixieren oder uns gar hämisch daran ergötzen, denn „die Liebe freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles.“ (1. Kor. 13, 4-7)

Lernen wir, den Daumen nicht so schnell zu senken über Andere. Lernen wir, Hoffnung für alle Menschen zu haben – so wie Jesus sogar im rebellischen Versager Simon schon von Anfang an Petrus, den Felsen sah, auf den er seine Gemeinde bauen kann. Fragen wir uns doch mal: Wie viel Potenzial sieht Gott wohl in den Menschen, die wir momentan mit so viel kritischer Distanz beäugen?

Bei Gott gibt es keine hoffnungslosen Fälle. Seine Gnade reicht aus – für Dich, für mich und für alle die, die wir schon lange verurteilt und aufgegeben haben. ER liebt diese Menschen – deshalb sollten wir es auch tun!

Siehe auch:

Das Geheimnis gelingender Kommunikation…

… ist Vertrauen!

Missverständnisse sind etwas ganz normales. Das liegt daran, dass Begriffe oft mit ganz unterschiedlichen Inhalten, Assoziationen und Emotionen verknüpft werden können. Manchen Leuten leuchten z.B. beim Wort “Gemeinde” die Augen, weil sie damit liebevolle Gemeinschaft verbinden. Andere verziehen das Gesicht, weil sie Gemeinde als bürokratisches Konstrukt ohne menschliche Wärme erlebt haben. Deshalb lösen Begriffe beim Empfänger oft ganz andere Botschaften und Emotionen aus als die, die der Sender vermitteln wollte.

Aber das ist kein echtes Problem, solange man sich vertraut! Denn dann geht man davon aus, dass der Andere es vermutlich gut gemeint hat, selbst wenn die Botschaft schlecht angekommen ist. Dann fragt man im Zweifelsfall nach, wenn sich etwas verletzend oder verwirrend angehört hat – und alles klärt sich auf.

Aber wenn Vertrauen fehlt kommt man leicht auf die Idee, dass etwas wirklich böse, abwertend oder destruktiv gemeint war. Dann fragt man auch nicht nach, weil man ein konfrontatives Gespräch erwartet, dem man lieber aus dem Weg geht. Und so verfestigt sich Abneigung, Misstrauen und Trennung.

Blogbild KommunikationIch habe es so oft erlebt: Wenn Vertrauen fehlt ist die Kommunikation anstrengend, weil es immer wieder zu verletzenden Missverständnissen kommt, die – wenn überhaupt – nur mit großem Zeit- und Kraftaufwand behoben werden können.

So wichtig es ist, Missverständnisse aufzuklären: Unser großes Ziel muss Vertrauen sein! Dann sind auch die üblichen Missverständnisse kein großes Problem mehr. Vertrauen wächst durch Offenheit, Zeit füreinander, ehrliche Gespräche, Verständnis und Vergebung. Jede Minute für vertrauensbildende Gemeinschaft ist extrem gut investiert, weil sie uns vor kraft-, zeit- und nervenzehrenden Missverständnis-Konflikten bewahrt.

Übrigens: Die Missverständnisgefahr steigt massiv bei schriftlicher Kommunikation! Denn das bloße Wort ohne Tonfall und Mimik enthält wesentlich weniger Information als das gesprochene Wort des direkten Gegenübers. Wenn ich jemandem etwas schreibe kann ich die unmittelbare Reaktion des Botschaftsempfängers nicht erleben. Ich kann nicht sofort reagieren, wenn etwas falsch angekommen ist. Die Gefahr, dass es zu verletzenden Missverständnissen kommt, ist deshalb ungleich größer.

Daher mein Tipp: E-Mail, WhatsApp, Facebook usw. ist klasse, um Informationen auszutauschen. Aber wenn man es zum Diskutieren oder gar für die Klärung von Konflikten nutzt muss man jedes Wort aufs sorgfältigste abwägen. Das ist aufwändig und anstrengend. Auch im digitalen Zeitalter ist deshalb das persönliche Gesprächimmer immer noch der Königsweg und durch nichts zu ersetzen!

Siehe auch:

Umkämpfte Einheit: Träum weiter!

Einheitlichkeit, Beliebigkeit, menschliche Erkenntnis, Stolz und Selbstwertmangel, Selbstbereicherung, Mitmach-Druck, Integrationserwartung: Wer sich aufmacht, das Einheits-Land zu erobern wird mit vielen Gegnern und Fallen konfrontiert. Und diese Aufzählung ist noch gar nicht vollständig. Viel könnte man noch schreiben über Unbarmherzigkeit, Fassaden und Masken, falsche Prioritäten in veranstaltungs- statt beziehungsorientierten Terminkalendern, fehlende Bereitschaft zur Vergebung usw. usw.

Bei so vielen Problemen könnte man leicht auf die Idee kommen: Das wird nie etwas mit der Einheit. Und die Kirchengeschichte scheint diesem Pessimismus ja recht zu geben. Angesichts der vielen schmerzhaften Wunden, die ich mir selbst schon auf dem Einheits-Schlachtfeld zugezogen habe, hätte auch ich gute Gründe, die Flinte ins Korn zu werfen.

Aber das Gegenteil ist der Fall! Denn noch viel mehr als Trennung, Streit und Verletzungen habe ich auch wundersame Versöhnung, Wiederherstellung und großartige Gemeinschaft unter Christen erlebt! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass Einheit gelingen kann, wenn wir die Prinzipien beachten, die ich hier versucht habe darzustellen.

Deshalb ist mein Traum von Einheit nicht kleiner sondern größer geworden! Mehr denn je träume ich von einem Christentum, das Vielfalt nicht fürchtet sondern feiert, weil es verstanden hat, dass ein Leib mit lauter gleichartigen Gliedern ein Krüppel und ein Monstrum ist! Ich träume von einem Christentum, in dem scheinbare Gegensätze zu einem eindrucksvollen Ganzen werden:

  • Ein Christentum mit einem hellwachen, messerscharfen Verstand UND einer leidenschaftlichen Spiritualität.
  • Ein Christentum, das Gottes Wort achtet und liebt UND in der Freiheit der Kinder Gottes lebt, statt gesetzlich zu sein.
  • Ein Christentum, das im Reichtum seiner Traditionen verwurzelt ist UND vorwärtsorientiert nach ständiger Erneuerung strebt.
  • Ein Christentum, das mit dem Übernatürlichen rechnet UND nüchtern mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, mitten im Leben, mitten in der Gesellschaft.
  • Ein Christentum, das die Reife und Erfahrung der älteren Generation genauso schätzt wie die Dynamik und Innovationskraft der jungen Generation.
  • Ein Christentum, dass einen Reichtum an Formen, Strukturen und Prägungen entwickelt, durch die es die zahlreichen kulturellen Nischen unserer Gesellschaft erreichen und durchdringen kann, ohne dabei zu vergessen, dass es ein Leib ist, in dem alle Glieder einander brauchen und aufeinander angewiesen sind.

Weißt Du, was das Beste ist an meinem Traum? Er ist dabei, wahr zu werden! Schon jetzt beobachte ich, dass die nächste Generation längst nicht mehr so viele Schranken im Kopf hat wie wir älteren Christen noch vor 20 Jahren. Noch nie gab es so viele Signale dafür: Jesu Gebet wird erhört! Einheit gewinnt die Oberhand!

Blogbild Mach uns einsKlick zum Video mit dem Lied: Mach uns eins

Allerdings müssen wir unbedingt beachten, was Paulus darüber lehrt, wie Einheit entsteht: „Lasst uns … wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist.” (Eph, 4, 15-16). Echte Einheit entsteht durch die Verbindung mit Jesus! Wir sollten deshalb nicht in erster Linie nach Einheit sondern nach Jesus suchen! ER ist es, der die Glieder zusammenfügt. Wo Jesus groß wird und im Mittelpunkt steht werden unsere Probleme miteinander klein und nebensächlich. Dann wächst tiefe Herzenseinheit wie von selbst.

Also: Egal, welche schmerzvollen Erfahrungen Du beim Thema Einheit vielleicht schon gemacht hast: Träum weiter! Und vor allem: Lass uns den Traum zusammen wahr machen! Mit Gottes Hilfe können, nein werden wir es schaffen. Das Land der Einheit gehört uns! Dort wollen wir hin! „Denn dort verheißt der Herr seinen Segen und Leben, das niemals enden wird.“ (Psalm 133, 3) Lass uns das Land der Einheit gemeinsam erobern. Für den König! Und für all die kostbaren Menschen, die ohne ihn und ohne unsere Einheit verloren gehen.

Siehe auch: