Liebe und Wahrheit gehören zusammen

Mit Spannung verfolge ich die Diskussion zwischen dem Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz und EKD-Ratsmitglied Michael Diener und dem bekannten Evangelisten Ulrich Parzany. In einem Welt-Online-Artikel und in einem PRO-Interview hatte Michael Diener die Evangelikalen zur Selbstkritik in Bezug auf den Umgang mit Homosexuellen ermahnt. Ulrich Parzany hat darauf in einem offenen Brief geantwortet und forciert inzwischen sogar die Gründung eines neuen Netzwerks für Bibel und Bekenntnis.

Hat Michael Diener Recht? In einer Sache auf jeden Fall: Wir müssen uns der traurigen Tatsache stellen, dass es auch unter uns Frommen Einige gibt, die Homosexuelle mit abschätzigen Begriffen ausgrenzen und beleidigen. Das sind nach meiner Beobachtung zwar sehr Wenige, aber doch genügend, um den Diskurs immer wieder zu vergiften, das Zeugnis der Jesus-Leute zu verdunkeln und die betroffenen Menschen schwer zu verletzen. Klischees, dumpfe Ausgrenzungsparolen und erst recht Hassbotschaften dürfen wir in unseren Reihen nicht tolerieren. Das muss angesprochen werden. Danke Michael Diener für diesen wichtigen Anstoß! Zumal die Bereitschaft zur Selbstkritik (die Bibel nennt das “Buße”) zu den Grundeigenschaften der Jünger Jesu gehören sollte.

Hat somit Ulrich Parzany unrecht? Auf keinen Fall! Völlig zu Recht weist er auf den gefährlichen Trend hin, dass die Evangelische Kirche und auch so manche Evangelikale die Auslegung der Bibel der Beliebigkeit preisgeben, um die christliche Botschaft zeitgeistkonform zu machen (wie auch Gerhard Besier hier eindrücklich darlegt). Wenn jemand etwas “geistlich für sich geklärt hat” heißt das eben noch lange nicht, dass diese Meinung mit Gottes Wort vereinbar ist. Die Händler im Tempel haben sich sicher auch gute theologische Rechtfertigungen für ihr Handeln zurechtgelegt. Trotzdem hat der liebevolle Jesus sie in geradezu verstörender Direktheit auf ihren Irrtum hingewiesen. Auch die Ehebrecherin hat er zwar begnadigt, aber sie trotzdem gerufen, nicht mehr zu sündigen. Liebe heißt nun einmal nicht immer “nach dem Mund reden” sondern manchmal auch zur Buße rufen! Liebe und Wahrheit gehören immer untrennbar zusammen.

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Und damit sind wir beim Kern der Debatte. Die Frage nach der Homosexualität ist ja nur der Auslöser für eine viel zentralere Frage, bei der es für die Kirche Jesu wirklich ans Eingemachte geht. Und diese Frage lautet: Ist die Bibel Gottes Wort oder nicht? Hat sie von der ersten bis zur letzten Seite Autorität oder müssen wir uns zeitbedingt kritisch von einigen ihrer Aussagen lösen?

Der Glaube, dass die Bibel als Gottes Wort für die Kirche Jesu absolute Autorität hat, ist für viele Christen aus gutem Grund absolut unaufgebbar. Denn ohne dieses Fundament driftet Kirche auseinander, weil sie ihre gemeinsame Basis und ihre Botschaft verliert. Ohne dieses Fundament verkommt die Botschaft der Kirche zu einem Gutmenschenevangelium, das zwar nirgends Anstoß erregt aber auch saft- und kraftlos ist. Die dramatischen Folgen sind überall in der westlichen Welt unübersehbar. In der Diskussion um die Autorität der Bibel geht es also nicht darum, dass besonders buchstabengläubige oder gar gesetzlich lieblose Christen unbedingt Recht haben wollen. Es geht um die existenzielle Not, dass das rettende Evangelium vernebelt und verdunkelt wird und die Kirche ihr kraftvolles Zeugnis verliert. Es verwundert nicht, dass gerade ein Evangelist wie Ulrich Parzany diese Not am deutlichsten spürt und Alarm auslöst.

Deshalb ist das klare Bekenntnis zur Bibel als Gottes Wort gerade in dieser Diskussion so eminent wichtig. Natürlich können auch 100%ig bibeltreue Christen in Detailfragen zu unterschiedlichen Bibelauslegungen kommen. Das ist normal, denn schließlich bleibt unsere Erkenntnis Stückwerk. Und völlig richtig ist auch die Warnung, dass ein geistloser Buchstabenglaube immer zu Spaltungen und Verletzungen führt. Jedoch dürfen wir auf keinen Fall die Demut verlieren, dass wir uns der Bibel unterordnen statt uns zu Richtern über richtig und falsch in der Bibel zu machen. Und gerade beim Thema Homosexualität ist die Bibel nun einmal derart eindeutig, dass fast alle mir bekannten theologischen Rechtfertigungen ausgelebter Homosexualität mit der Preisgabe der durchgängigen Gültigkeit von Gottes Wort einher gehen. Die theologisch desaströse “Orientierungshilfe” der EKD zum Thema Familie ist ein Beispiel dafür, aber auch andere Stellungnahmen wie z.B. von Prof. Frenschkowski oder Prof. Siegfried Zimmer, wie Michael Kotsch und Johannes Hartl in ihren Entgegnungen eindrücklich dargelegt haben.

Deshalb wäre es wichtig gewesen, dass Michael Diener sein Statement kombiniert mit einem klaren Bekenntnis zur Autorität der Bibel, so wie er es in der Initiative “Zeit zum Aufstehen” schon einmal tat und wie es die Evangelische Allianz in ihrer Stellungnahme nun auch erfreulicherweise getan hat. So wie ich die Berichterstattung und Kommentare wahrnehme wirkt die Diskussion, die Michael Diener ausgelöst hat, im Moment viel eher polarisierend und spaltend statt brückenbauend, wie er es eigentlich wollte. Das ist sehr traurig. Gerade jetzt brauchen wir dringender denn je die Einheit aller, die Jesus lieben, um ein kraftvolles Zeugnis in unserer Gesellschaft zu sein! Allerdings hat die Kirchengeschichte leider schon oft gezeigt: Wenn die Wahrheit im Namen der Liebe für zweitrangig erklärt wird geht am Ende auch die Liebe verloren.

Siehe auch:

6 Gedanken zu „Liebe und Wahrheit gehören zusammen“

  1. Ja die Bibel ist Gottes Wort und zeugt von Gottes Handeln. Ja die Bibel wurde durch Menschen über Jahrhunderte geschrieben. Wenn diese Menschen fehlerfrei geschrieben haben, wären sie dann nicht wie Gott? Was ist mit den Übersetzern?

    Wenn ich sage ich glaube an die Bibel, ist das gelebter Aberglaube. Ich glaube an Jesus Christus und sein Erlösungswerk. Und ich glaube an Jesus mit seinem Leben als mein Vorbild für mein Leben.

    Die meisten der Evangelikalen, incl. der Freien Radikalen/Charismatiker , haben ein Defizit im Umgang miteinander, und der Erkenntnis, dass der Andere genauso ein Teil Gottes ist (immerhin hat er ihn erschaffen) wie er selbst. Rein menschliche Probleme werden theologisch verbrämt. Charakter mit Charisma/Bibelwissen verwechselt.

    Und vielleicht müssen wir aufhören uns gegenseitig die “Wahrheit in Liebe” um die Ohren zu hauen, damit der andere so wird wie ich. Und vielleicht müssen wir miteinander Rede statt neue Gruppen aufzubauen und somit der Ausgrenzung (jede Gruppe erzeugt Ausgrenzung: Es gibt Menschen innerhalb dieser Gruppe uns außerhalb) Vorschub zu leisten.

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    • Danke für Ihren Kommentar! Darf ich Ihnen dazu ein paar Fragen stellen?
      – Wie kann man den Glauben an Jesus gegen den Glauben an die Vertrauenswürdigkeit der Bibel ausspielen? Wir wissen absolut nichts über Jesus außer das, was die Bibel uns sagt. Wenn wir keine fehlerfreie Bibel haben, haben wir kein fehlerfreies Bild über Jesus, also wissen wir nicht wirklich, wer und wie der ist, an den wir glauben können. Genau das ist ja heute das Problem: Es gibt praktisch keine Lehren über Jesus, seine Worte, seine Taten und sein Erlösungswerk mehr, über die sich moderne Theologen heute einig wären.
      – Ich habe mit vielen Evangelikalen verschiedenster Prägung zu tun ebenso wie mit liberal geprägten Christen und Nichtchristen. Mir ist noch nicht aufgefallen, dass es unter Evangelikalen mehr Probleme im Miteinander gäbe als anderswo. Wie kommen Sie darauf? Mein Eindruck ist vielmehr: Die Fallhöhe ist unter Evangelikalen höher, weil man dort mehr als anderswo von purer Liebe im Umgang miteinander ausgeht und dann überrascht ist, dass sich auch bei tiefgläubigen Christen tiefe Abgründe durch unverarbeitete Traumata auftun können. Das habe ich selbst erlebt und durchlitten.
      – Ich kenne viele leidenschaftliche und trotzdem gleichzeitig äußerst nüchterne Christen, die nichts verbrämen sondern mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Haben Sie Belege für Ihr Klischee?
      – Wie passt für Sie „Wahrheit in Liebe“ mit „hauen“ zusammen? Wenn ich nicht einmal in Liebe andere Menschen mit biblischer Wahrheit konfrontieren darf wäre die Konsequenz die vollkommene Subjektivierung der Wahrheit und die Aufgabe aller theologischer Fixpunkte. Halten Sie das für erstrebenswert? Was ist dann noch das einende Fundament der Christen?

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      • Ja klar, an einer etwas differenzierten Diskussion soll es nicht scheitern ;-), Sie wissen ja: Wer fragt der führt 😉

        Es geht nicht um die Vertrauenswürdigkeit der Bibel, die ist m.E. gegeben. Es geht darum die Bibel auf die Höhe von Gott zu erheben und die eigene (bzw. der Peergroup/Gemeinde/Kirche)
        Interpretation/Auslegung als Maßstab für andere Menschen, deren Wesen, Sein und deren Handeln zu nehmen. Wenn ich die Bibel in dieser Weise behandel führt das zu menschlichen Katastrophen, Zwist, Parteiungen, Hass. Hat die Christenheit auch erfolgreich in den letzten 2000 Jahren bewiesen. Das ist nicht die Intention von Jesus, so wie ich es für _mich_ interpretiere

        Aus meinem/unseren reichen Erfahrungsschatz: Ich habe über 30 Jahre von Klein auf in den verschiedenen Denominationen gelebt. Brüder, FeG, Baptisten, Charismatiker. Der Umgang miteinander, besonders wenn Pastoren/Leiterschaft im Spiel sind, ist gekennzeichnet von, entschuldigen sie das harte Wort, Missbrauch. Der Mensch als einzelner wird in eine Gruppe integriert in der der Konsens die Wahrheit bestimmt. Inzwischen ist es mir egal was ein Pastor/Theologie mir sagt. Was viel interessanter ist: Was macht sein Leben aus? Es gibt ein geflügeltes Wort: “Schaue Dir die Frau des Pastors/Leiters an,
        dann weißt Du wie es der Gemeinde geht”.

        >Mein Eindruck ist vielmehr: Die Fallhöhe ist unter >Evangelikalen höher, weil man dort mehr als anderswo >von purer Liebe im Umgang miteinander ausgeht und >dann überrascht ist, dass sich auch bei tiefgläubigen >Christen tiefe Abgründe durch unverarbeitete Traumata >auftun können.

        Das ist bestimmt bei dem Anspruch, der proklamiert wird, eine Tatsache.
        M.E. fehlen grundsätzlich menschliche Eigenschaften (Empathie, Barmherzigkeit…) und ein gelebtes Menschenbild nach Gottes Masstäben: Der Mensch als Ebenbild Gottes. Klar gibt es Kandidaten, da tut man sich einfacher mit und welchen die sind in unseren Augen “schwieriger”. Normal. Aber das gepredigte Muster: “Du bekehrst Dich, dann wird alles gut” (ich mag Überspitzungen) garantiert nicht, dass der Mensch einen besseren Charakter/Umgangsformen bekommt.

        Och, ich hätte da auch noch ein paar Stories 🙂 Aber das Leben geht weiter.

        >”Wie passt für Sie „Wahrheit in Liebe“ mit „hauen“ zusammen?”

        Das müssen Sie nicht mich fragen, sondern die Menschen, die in Gemeinden mit genau dieser Rechtfertigung andere Menschen verzweifeln lassen.
        Auf dem Höhepunkt meiner frommen, verantwortichen Gemeindekarriere, war ich in einer charismatischen Gemeinde, die über 10 Jahre hinweg ca 100 Menschen mit genau diesem Argument verjagt haben, Verletzung und Verbitterung erzeugt haben, Unfrieden. Also alles was nicht die Früchte des Geistes sind. Und ich war Teil dieses Systems der sebstreferenziellen Beweihräucherung. Gruppenmechanismen wie: Übe auf eine Gruppe Druck aus und sie rückt enger zusammen waren Tagsordnung. Der Druck wurde durch Bibelauslegung und “Reden des Herrn” ständig hochgehalten. Druck wurde aufgebaut, das Leben der einzelnen durchsucht, überprüft, gemaßregelt. Und das Schlimme ist: Wenn man darin steckt, merkt man es nicht. Erst wenn man mal einen Schritt zurück
        tritt sieht man was passiert. Und Auslöser dafür waren bei uns Hetz- und Verdammnispredigten gegen Schwule und sonstige Andersartige, unter dem Mäntelchen: “Wahrheit in Liebe” sagen. Da gehe ich heute noch an die Decke, wenn ich merke das Schwache verhaun werden.
        Ein Kennzeichen für geistliche Reife (da stelle ich einfach mal bewusst eine Regel auf) ist es einfach mal ein halbes Jahr lang keine Veranstaltungen zu besuchen, Sonntags sich der Familie widmen, seiner Frau
        das Frühstück ans Bett bringen, mit den Kindern was zu unternehmen… Alles so Dinge, die einen Sonntag so lebenswert machen, ihn in Ruhe genießen. Und nach diesem halben Jahr, einfach mal zu betrachten:
        Hey, wie war das Ergebnis.

        In der Bibel steht nirgendwo, das Gemeinschaft unter Christen so aussehen muss wie es im Moment gelebt wird.

        Für mich gilt: Ich muss die Menschen mit meinem Leben in Verbindung bringen. Ist es dadurch möglich, Beziehung zu dem anderen “Ebenbild Gottes”, sei es Unbekehrter/Christ, Moslem… zu bauen? Gott ist ein Gott der Beziehungen und Veränderung. Ein kreativer Gott. Natürlich erzeugt das Unsicherheit, weil wir es kuschelig mögen. . Aber diese Unsicherheit hält mich in Gottes Nähe. Fragen, Suchen, verschiedene Lebensabschnitte, eigene
        Unzulänglichkeiten eingestehen.

        Und ehrlich gesagt: Das Businessmodell “Die Menschen mit der biblischen Wahrheit zu konfrontieren” war in den letzten 2000 Jahren kein Erfolgsmodell. Vielleicht um Kirchen/Gemeindehäuser zu bauen und Pastoren zu finanzieren. Aber das Fass machen wir jetzt nicht auf.

        Wenn Sie weiter diskutieren möchten, gerne p. Email

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        • Nochmal herzlichen Dank für die offenen Worte! Ich kenne das Trauma, das Sie schildern, aus eigener schmerzlicher Erfahrung. Die Missbrauchs- und Kontrollmuster, die Sie beschrieben haben, habe ich genauso durchlitten. Andeutungsweise berichte ich in meinem Buch davon (www.aigg.de/resources/Buch+AiGG+10+2015.pdf Seite 104). In mehreren Artikeln in diesem Blog hier habe ich ebenfalls darüber geschrieben:
          – Die Achan-Falle (https://blog.aigg.de/?p=1250)
          – Tödliche Buchstaben – Befreiende Wahrheit (https://blog.aigg.de/?p=560)
          – Stolz-Riesen und Selbstwertzwerge (https://blog.aigg.de/?p=1225)
          Im Artikel – „Streitpunkt Bibelverständnis: Wie gehen wir richtig mit dem Buch der Bücher um?“ (https://blog.aigg.de/?p=203) beschreibe ich genau die von Ihnen genannte Falle, dass wir uns über die Bibel stellen und die eigene Bibelinterpretation zum alleinigen Maßstab machen – ein Fehler der in der Tat immer zu Spaltungen führt und genauso schwer wiegt wie der liberale Fehler, sich über die Bibel zu stellen und sich zum Richter über richtig und falsch in der Bibel zu machen.
          Jedoch bin ich dankbar, dass ich auch viele gesunde geistliche Gemeinschaften getroffen habe mit Leitern, die weder Deutungshoheit, Missbrauch noch Kontrolle zum Machterhalt nötig haben. Ich bin übrigens Landeskirchler. Bei allen großen Problemen der Landeskirche scheint mir ein Vorteil zu sein, dass sie mit ihren Strukturen gegenüber geistlichem Missbrauch vergleichsweise immun zu sein scheint.

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          • Hallo,

            da könnte etwas dran sein, dass die Landeskirchler auf Grund ihrer Größe und Struktur und Personals ein wenig resistenter sind. Allerdings geht das oft auf Kosten der Verbindlichkeit/Nähe und des überstrapazierten Wortes “Gemeinschaft”, das alle wollen, als notwenidg erachten, immer wieder anmahnen, aber sich dann auf einen GoDi beschränkt.

            Aber genug der Kritisiererei. Jesu Liebe muss in die Welt und das was wir hier schreiben ist vielleicht für uns gut/klärend/erhellend aber ändert nichts.

            Vielleicht gibt es ja auch Fragen, zu denen es keine “richtigen” Antworten, und jeder muss das selbst mit seinem HErrn klären? Vielleicht müssen wir das ja auch mal aushalten?

            Wenn Sie mal im Nordwesten unterwegs sind (oder Urlaub machen wollen) , schauen Sie mal rein.

            Vielen Dank für die anregende Diskussion.

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