„Paulus, Diener von Christus Jesus, zum Apostel berufen und dazu bestimmt, Gottes Gute Nachricht zu verkünden. Gott hat sie ja durch seine Propheten in der Heiligen Schrift schon im Voraus angekündigt.“ (1,1+2)
Paulus leitet seinen Brief schon im ersten Vers mit einem extrem steilen Anspruch ein. Er sagt: Ich bin von Jesus Christus beauftragt. Und: Meine Botschaft ist nicht von dieser Welt. Es handelt sich um GOTTES Gute Nachricht, die Gott schon im Voraus angekündigt hatte.
Damit ist klar: Diese Botschaft will nicht einfach nur eine neue These oder Überlegung sein, die man diskutieren und mehr oder weniger gut finden kann. Nein: Diese Botschaft tritt mit dem Anspruch auf, absolut wahr zu sein, weil sie von Gott persönlich stammt. Und sie sieht das Grundproblem der Menschheit darin, dass es eine göttliche Wahrheit gibt, die die Menschen verworfen haben:
„Die Menschen tauschten die Wahrheit Gottes gegen die Lüge.“ (1,25a)
Diese Realität von Wahrheit und Irrtum bzw. Lüge ist für Paulus grundlegend für alle weiteren Überlegungen. Das gilt für ihn gerade auch im Blick auf sein eigenes jüdisches Volk:
„Ich kann bezeugen, dass sie sich wirklich für die Sache Gottes einsetzen. Nur haben sie nicht die rechte Erkenntnis. Sie verstehen nicht, worum es bei der Gerechtigkeit Gottes geht. Stattdessen streben sie nach dem, was sie selbst für Gerechtigkeit halten. Deshalb haben sie sich nicht der Gerechtigkeit untergeordnet, die Gott ihnen schenken will.“ (10,2-3)
Paulus sagt also: Guter Wille und gut gemeinter Einsatz für die Sache Gottes reicht nicht. Wer vor Gott als gerecht gelten möchte, braucht dazu die richtige Erkenntnis zu der Frage, was ER sich unter Gerechtigkeit vorstellt. Paulus scheut sich nicht, ganz klar zu sagen: Mein jüdisches Volk hat diese richtige Erkenntnis leider nicht. Stattdessen eifert es nur eigenen, falschen Vorstellungen nach.
Ungeheuerlich!
Gibt es in Glaubensfragen objektive Wahrheiten?
Paulus richtet damit einen klaren Kontrapunkt auf zu der These, die man heute fast überall hören kann und die es wohl auch damals schon gab: Jeder soll nach seiner eigenen Façon selig werden. Persönliche Religiosität ist O.K., solange sie nicht den Anspruch erhebt, dass Alle das Gleiche glauben müssen.
Die Postmoderne ging sogar noch einen Schritt weiter und entwickelte die Idee: Eigentlich gibt es in Glaubensfragen gar keine Wahrheiten, die für alle Menschen gelten. Wahrheit ist immer nur subjektiv, niemals objektiv. Wer die Existenz von allgemeingültigen Wahrheiten vertritt, die für alle Menschen bindend sein sollen, der überschätzt sich nicht nur selbst, der ist auch intolerant und gefährlich, weil er den gesellschaftlichen Frieden gefährdet. Allgemeingültige Wahrheit bzw. objektiver Irrtum gäbe es demnach in Glaubensdingen gar nicht oder sie wäre zumindest für uns Menschen nicht greifbar oder fassbar.
Mit dieser postmodernen Sicht wurde der ursprüngliche Toleranzbegriff („Ich respektiere Dich und stelle mich schützend vor Dich, auch wenn ich Deine Meinung für falsch halte bzw. Du meine Meinung für falsch hältst.“) umgedeutet in die Forderung, dass man generell darauf verzichten soll, von allgemeingültigen Wahrheiten für alle zu sprechen. In diesem Denken ist nur der tolerant, der sagt: Ich habe zwar eine Position. Aber die gilt nur für mich. Deine völlig andere Position kann für Dich genauso richtig sein. Dabei merkt man oft gar nicht, dass diese postmoderne Sichtweise sich selbst widerlegt. Denn wer behauptet, dass es keine objektiven, für alle gültigen Wahrheiten gibt, stellt damit ja selbst eine Behauptung mit allgemeingültigem Wahrheitsanspruch auf.
Wahrheit oder Irrtum – eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen
Die Position von Paulus ist dagegen vollkommen anders. Er sagt: Es gibt in den existenziellen Menschheitsfragen objektiv gültige, göttliche Wahrheiten, die in menschlichen Worten verkündbar, beschreibbar und begreifbar sind und die somit jeden Menschen vor die Wahl stellen, dieser Wahrheit entweder zu glauben oder sie zurückzuweisen. Dabei gilt laut Paulus: Nur diese Wahrheit rettet! Die Idee, dass ein anderer, selbst konstruierter Glaube im Leben und im Sterben tragfähig sein könnte, ist für ihn offenbar genauso absurd wie die Vorstellung, dass ein schwerkranker Patient sich selbst die Pille aussucht, die ihn heilen soll, weil sie ihm farblich und geschmacklich am meisten zusagt. Entscheidend für die Heilung sind aber nicht die Vorzüge des Patienten, sondern einzig und allein die Frage, ob die Pille genau den Wirkstoff enthält, der die tödliche Krankheit bekämpfen kann. Die Entscheidung für eine bestimmte Arznei oder Therapie hat deshalb weitreichende Konsequenzen. Sie kann letztlich über Leben und Tod entscheiden. Ein verantwortungsvoller Arzt muss sich deshalb unbedingt dafür einsetzen, dass sein Patient sich nicht auf eine falsche Therapie verlässt, die ihm nicht nur nicht helfen kann sondern die ihn womöglich auch noch von der wirklich rettenden Therapie abhält. Genauso wird bei Paulus in vielen seiner Briefe deutlich: Es ist trotz allen Unannehmlichkeiten unbedingt notwendig, sich für die Wahrheit einzusetzen und vor falscher Lehre deutlich zu warnen.
Verrückte, Lügner oder Propheten?
Der Anspruch von Paulus, objektiv gültige, göttliche Wahrheit zu verkündigen, zeigt den grundsätzlichen Unterschied der biblischen Schriften zu allen anderen theologischen Texten: Nur die biblischen Autoren können einen Wahrheitsanspruch erheben, der sich direkt auf Gottes Autorität beruft. Spätestens die Reformation hat klar gestellt: Das könnte und dürfte sich seither kein Theologe und kein kirchlicher Leiter mehr anmaßen. Mit ihrem einzigartigen Anspruch auf göttliche Wahrheit stellen uns die biblischen Autoren vor eine grundsätzliche Glaubensentscheidung: Entweder wir halten diese Leute für überspannt oder durchgeknallt. Oder wir halten sie für Lügner. Oder wir kommen zu dem Schluss, dass sie echte Propheten sind, denen man besser glauben sollte, wenn man sich nicht mit Gott selbst anlegen will.
Bevor Du Dich für eine dieser Optionen entscheidest: Schau Dir doch zunächst einmal an, welche Inhalte Paulus für objektiv wahr und gottgegeben hält. Dazu lege ich Dir die folgenden Artikel zu den 6 weiteren Thesen des Römerbriefs ans Herz:
Übersicht und Einleitung: Das Manifest – 7 fundamentale Thesen des Römerbriefs
Die Artikel zu den weiteren Thesen erscheinen in Kürze.