Die verlorene Kraft des Evangeliums

„Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht. Denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.“ (Römer 1, 16)

Dieser Vers ist meine Konfirmationsspruch. Der darin enthaltene Begriff „Evangelium“ wurde in der Antike verwendet, wenn der Kaiser oder der König eine wichtige gute Nachricht zu verkünden hatte. Ein militärischer Sieg zum Beispiel. Oder die Geburt eines Thronfolgers. Paulus will mit diesem Begriff offenkundig deutlich machen: Auch ich habe eine ganz entscheidende, frohe Botschaft vom König aller Könige Jesus Christus zu verkünden. Eine Botschaft, für die ich mich nicht schämen muss. Denn es handelt sich um eine heilbringende, rettende und seligmachende Botschaft, die allen Menschen gilt. Die große Frage ist nur: Wenn Paulus doch einfach nur eine frohe Botschaft zu verkünden hatte, warum wurde er dann immer wieder vertrieben, eingesperrt, geschlagen und gesteinigt? Warum wurde er am Ende sogar umgebracht?

Dieser Artikel gehört zum offen.bar-Vortrag “Die verlorene Kraft des Evangeliums”:

Warum löste das Evangelium weltweit so viel Widerstand aus? Und warum wird es bei uns hingegen als harmlos und banal empfunden?

Diese Frage stellt sich auch heute noch. Weltweit werden hunderte Millionen von Christen verfolgt. Warum eigentlich? Christen sind bekanntermaßen ein fröhliches und friedliches Völkchen. Sie reden gerne und viel von der Liebe Gottes. Sie werden durch ihren Glauben verpflichtet, die Autoritäten ihres Landes zu respektieren. Niemand müsste vor Christen Angst haben. Warum also löst diese frohe Evangeliumsbotschaft einen derart drastischen Widerstand aus? Warum wird weltweit die Bibel in vielen Ländern verboten?

Und noch eine Frage stellt sich: Der Römerbrief ist historisch gesehen wohl der wirkmächtigste und einflussreichste Brief, der je geschrieben wurde. Kein Brief hat die Kultur der westlichen Welt so geprägt wie dieser Brief. Die Botschaft von Paulus wirkte ein Stück weit wie ein Manifest. Sie enthielt revolutionäre Botschaften: Dass jeder Mensch eine gottgegebene Würde hat. Dass vor Gott alle Menschen gleich sind. Dass man deshalb armen, kranken und schwachen Menschen helfen sollte. Das war damals völlig neu! Bis zur Ausbreitung des Christentums galten Eroberer als Helden, ganz egal, wie grausam und grauenvoll sie vorgegangen sind. Dass wir heute Friedensstifter feiern, die sich für das Wohl von Ausgegrenzten und Schwachen einsetzen, geht allein auf das Christentum zurück, nicht auf römische oder griechische Philosophen.

Aber wenn man sich heute in unserem Land umschaut, könnte man meinen: Diese Botschaft interessiert kaum noch jemand. Das Wort „Evangelium“ hört man in kirchlichen Kreisen zwar noch des Öfteren. Aber irgendwie lässt es die Leute kalt. Das Evangelium wird bestenfalls als nette, herzerwärmende Botschaft wahrgenommen, die doch zugleich aber harmlos, marginal und belanglos erscheint.

Die große Frage ist: Warum löst diese Botschaft, mit der Paulus doch so unfassbar viel bewegt hat, heute nur noch Schulterzucken aus? Könnte es sein, dass mit der heutigen Verkündigung des Evangeliums irgendetwas nicht stimmt? Könnte es sein, dass das Evangelium, das wir heute verkünden, oft nicht mehr übereinstimmt mit der Evangeliumsbotschaft von Paulus? Und wenn das stimmen sollte: Was genau haben wir denn verändert an diesem Evangelium?

Ich finde, man kann die Bedeutung dieser Frage kaum überschätzen. Denn tatsächlich bin ich überzeugt: Der Bedeutungsverlust der Kirche Jesu in unserem Land hat so einiges, vielleicht sogar hauptsächlich damit zu tun, dass wir das Evangelium von Paulus geglättet, verharmlost, entschärft und entstellt haben. Ich möchte diese These belegen anhand von 7 Eckpfeilern des Evangeliums im Römerbrief, die Antwort geben auf 7 Grundfragen der Menschheit. Ich hoffe, dass ich dabei deutlich machen kann: Diese 7 Eckpfeiler haben auch heute noch absolut nichts von ihrer Brisanz, Schärfe und Kraft verloren. Wenn wir eine Kirche Jesu wollen, die Salz und Licht ist in diesem Land, dann ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir eine klare Sicht haben über die folgenden 7 Grundaussagen der Evangeliumsbotschaft im Römerbrief.

7 Grundfragen der Menschheit – 7 Eckpfeiler des Evangeliums im Römerbrief

Die erste Grundfrage, die Paulus in seinem Evangelium beantwortet, heißt:

1. Gibt es objektive Wahrheit über Gott?

Diese Frage galt in Europa lange Zeit als entschieden. Die wissenschaftliche Revolution in der westlichen Welt basierte auf der grundlegenden Annahme: Es gibt Wahrheit und Irrtum. Und nur die Wahrheit wird uns freimachen. So steht es zum Beispiel auf einem zentralen Gebäude der Universität Freiburg: „Die Wahrheit wird euch frei machen“. Auf Basis des Jesusworts in Johannes 8, 32 sollte damit deutlich werden: Wir müssen die Wahrheit herausfinden! Denn nur die Orientierung an der Realität wird am Ende dazu führen, dass unser Leben besser wird. Dieses Prinzip galt damals nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern für alle Fakultäten und Disziplinen, einschließlich der Theologie.

Heute müssen wir jedoch beobachten, dass diese Grundlage des Denkens ins Wanken gerät. Fast überall kann man heute die These hören: Jeder soll doch nach seiner eigenen Façon selig werden. Persönliche Religiosität ist O.K., solange sie nicht den Anspruch erhebt, dass Andere das Gleiche glauben sollten. In der Postmoderne geht man davon aus: In Glaubensfragen ist Wahrheit nur subjektiv gültig, niemals objektiv. Wer im religiösen Bereich die Existenz von allgemeingültigen Wahrheiten vertritt, die für alle Menschen gleichermaßen gelten sollen, der liegt nicht nur falsch. Der ist auch intolerant und gefährlich. Der gefährdet den gesellschaftlichen Frieden. Man darf deshalb in der Postmoderne zwar seine persönlichen Glaubensüberzeugungen haben. Aber dabei muss klar sein: Diese Überzeugungen gelten nur für Dich persönlich. Für Andere kann eine völlig andere Überzeugung genauso richtig sein.

Wie sieht das Paulus? Der erste Eckpfeiler seines Evangeliums sagt:

Es gibt Wahrheit und Irrtum. Nur der Glaube an die Wahrheit rettet!

Gleich in den ersten beiden Versen des Römerbriefs schreibt Paulus dazu:

„Es schreibt Paulus, ein Sklave von Christus Jesus, berufen zum Apostel und dazu bestimmt, Gottes Freudenbotschaft bekannt zu machen. Dieses Evangelium hat Gott schon im Voraus durch seine Propheten in heiligen Schriften angekündigt.“ (Römer 1, 1-2)

Paulus stellt also klar: Was ihr hier lest, ist nicht einfach nur eine Idee oder ein Vorschlag von mir, über den man diskutieren kann. Ich bin ein Diener von Jesus Christus. Ich bin zum Apostel, also zum Sendboten Gottes berufen. Von ihm bin ich dazu bestimmt, nicht meine, sondern GOTTES Gute Nachricht zu verkünden. Und das ist eine Nachricht, die Gott schon im Voraus durch die Propheten angekündigt hat. Was für ein ungeheuerlicher Anspruch! Letztlich sagt Paulus: Achtung! Diese Botschaft ist nicht von dieser Welt. Wir haben es mit göttlicher Wahrheit zu tun. Und das Grundproblem der Menschheit liegt darin, dass sie genau diese göttliche Wahrheit verworfen hat.

In Römer 1, 25 schreibt Paulus: „Die Menschen tauschten die Wahrheit Gottes gegen die Lüge.“ Für ihn ist also klar: Es gibt auch bei der Frage nach Gott richtig und falsch. Es gibt auch bei der Frage nach Gott objektiv gültige Wahrheiten und Realitäten, die für alle Menschen gelten! Und jede Aussage, die dieser Wahrheit widerspricht, ist nicht einfach nur eine alternative Wahrheit. Nein, sie ist falsch. Sie ist ein Irrtum. Und Paulus unterstellt sogar, dass es Menschen gibt, die diese falschen Aussagen wissentlich in die Welt setzen. Er sagt: Diese Aussagen sind eine Lüge.

Das ist natürlich harter Tobak. Und schon hier merken wir, wie hochaktuell und brisant die Botschaft von Paulus bis heute ist. Denn Paulus macht damit klar: Sein Evangelium steht ganz grundlegend auf dem Konzept von Wahrheit und Irrtum. Es basiert auf dem Anspruch, dass hier eine objektive Wahrheit verkündet wird, die für alle Menschen gilt, unabhängig davon, ob sie diese Wahrheit verstehen und akzeptieren oder nicht. Die Idee, dass jeder nach seiner Façon selig werden kann, wäre zwar bequem. Sie klingt nett und tolerant. Aber sie passt in keiner Weise zur Botschaft von Paulus. Der Gedanke, dass sich jeder selbst eine Religion zusammen zimmern kann, die sich für ihn am besten anfühlt, ist für Paulus genauso absurd, wie der Gedanke, dass Du gegen Deine Krankheit einfach die Pille nimmst, die Dir am besten schmeckt. Das kannst Du ja gerne machen. Aber gesund machen wird Dich nur die Pille, die tatsächlich genau den Wirkstoff enthält, der genau die Krankheit bekämpft, die Du tatsächlich in der Realität hast. Die Wirksamkeit der Pille hängt von der objektiven Wahrheit der Diagnose ab, nicht von Geschmacksfragen. Ganz genauso geht es Paulus um die Frage: Was ist objektiv aus Gottes Sicht tatsächlich die Wahrheit über Gott und über die Welt? An welcher Realität müssen wir uns orientieren, damit uns wirklich geholfen werden kann?

Auch mit dem zweiten Eckpfeiler seines Evangeliums gibt Paulus eine Antwort auf eine zentrale Grundfrage der Menschheit:

2. Woher kommen wir?

Dazu schreibt Paulus in Römer 1, 19-22:

„Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen bekannt, weil Gott es ihnen längst vor Augen gestellt hat. Seine unsichtbare Wirklichkeit, seine ewige Macht und göttliche Majät sind nämlich seit Erschaffung der Welt in seinen Werken zu erkennen. Die Menschen haben also keine Entschuldigung. Trotz allem, was sie von Gott wussten, ehrten sie ihn aber nicht als Gott und brachten ihm auch keinerlei Dank. Stattdessen verloren sich ihre Gedanken ins Nichts, und in ihrem uneinsichtigen Herzen wurde es finster. Sie hielten sich für Weise und wurden zu Narren. Die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauschten sie mit Bildern von sterblichen Menschen, mit Abbildern von Vögeln, vierfüßigen und kriechenden Tieren.“

Wir können auf dieser Grundlage den zweiten Eckpfeiler seines Evangeliums wie folgt zusammenfassen:

Die Schöpfung beweist, dass es einen Schöpfer gibt, der unsere Verehrung verdient!

Die Beweisführung von Paulus für diesen Eckpfeiler ist denkbar einfach und für jeden Menschen sofort verständlich. Paulus sagt ganz simpel: Schau Dich um in der Natur. Was siehst du da? Du siehst überall Geschöpfe. Und wo es Geschöpfe gibt, da muss es einen Schöpfer geben. Auch wir sagen heute noch: Wo es eine Uhr gibt, da muss es einen Uhrmacher geben. Wo es ein Kunstwerk gibt, da muss es einen Künstler geben. Und Paulus schlussfolgert weiter: Wenn es einen Schöpfer gibt, dann hat unser Schöpfer auch unsere Verehrung verdient. Wir sind schließlich heute immer noch der Meinung, dass der Schöpfer eines Kunstwerks es verdient hat, dass sein Name genannt und geehrt wird. Auch heute noch würde niemand ein Konzert geben mit einer wundervollen Symphonie, ohne dazu zu sagen, wer diese Symphonie komponiert hat. Es wäre völlig absurd, sich stattdessen vor den Notenblättern zu verneigen, weil sie uns diese Symphonie vorgegeben haben. Aber Paulus sagt: Genau das tun die Menschen! Sie verneigen sich vor den Geschöpfen statt vor dem Schöpfer. Sie verneigen sich vor Bildern und Statuen. Wie absurd! Sie sind zu Narren geworden!

Heute halten wir uns für klüger. Wir verneigen uns nicht mehr vor Statuen und Bildern. Sind wir heute also besser als die Menschen damals? Na ja. Wir verneigen uns zwar nicht mehr vor Bildern und Statuen. Aber wir verneigen uns trotzdem nicht vor dem Schöpfer. Wir verneigen uns einfach vor gar niemandem mehr. Wir sagen: Es gibt gar keinen Schöpfer. Es ist alles von selbst durch Zufall entstanden. Das ist, wie wenn wir am Ende der Symphonie sagen würden: Wahrscheinlich hat ein Zufallsgenerator die Noten aufs Papier gezaubert. Wir brauchen keinem Komponisten die Ehre geben. Es gibt ja keinen. Ist das wirklich besser als das, was die Menschen zur Zeit von Paulus getan haben?

Tatsache ist: Wir leben wir in einer Welt, in der seit gut 200 Jahren Heerscharen von Wissenschaftlern versucht haben, die simple Beweisführung von Paulus zu widerlegen. In der akademischen Welt wird die Beweisführung von Paulus heute als „Intelligent Design“ bezeichnet. „Intelligent Design“ besagt ganz einfach: Die Natur weist Eigenschaften auf, die darauf hinweisen, dass sie von einem intelligenten Designer konzipiert worden sein muss. Dafür gibt es in der Tat sehr starke Argumente. Trotzdem wird heutzutage diese Sichtweise eher lächerlich gemacht und als unwissenschaftlicher Unfug dargestellt. Das ist bemerkenswert. Denn zugleich wussten wir noch nie so gut wie heute, wie viele Hinweise auf einen Schöpfer in der Welt existieren: Die Feinabstimmung der Naturkonstanten, die codierte Information der DNA, die molekularen Maschinen in unseren Zellen, die extreme Komplexität der biologischen Baupläne, dazu die Realität von Bewusstsein, Geist, Schönheit und Moral: All das sind natürlich extrem starke Hinweise darauf, dass es einen Schöpfer geben muss, der all das erschaffen hat. Denn alle unsere Experimente zeigen wieder und wieder, dass solche Dinge nicht von selbst entstehen. Die Vorstellung, unsere Welt könnte durch eine „Selbstorganisation der Materie“, also durch ziellose materielle Prozesse von selbst entstanden sein, ist angesichts unserer Kenntnisse über die Beschaffenheit der Welt heute mehr denn je absurd.

Trotzdem ehren wir den Schöpfer nicht. Warum nicht? Könnte es sein, dass das auch damit zusammenhängt, dass die Existenz eines Schöpfers die Autonomie der Geschöpfe in Frage stellen würde? Ein Schöpfer könnte uns ja womöglich eine Schöpfungsordnung mitgegeben haben, an die wir uns halten müssten. Könnte es sein, dass wir lieber autonom sein wollen? Könnte es sein, dass wir lieber selbst bestimmen wollen, wer wir sind und wie wir leben wollen?

Tatsache ist: Die Argumentation von Paulus steht bis heute unwiderlegt im Raum. Wer die Schöpfung sieht und dem Schöpfer trotzdem die Ehre verweigert, muss sich vorwerfen lassen, vor der offenkundigen Wahrheit davon zu rennen. Wir haben bis heute allen Grund, uns von diesem simplen Argument von Paulus provozieren, herausfordern und in Frage stellen zu lassen.

Nun könnte man natürlichauch sagen: Ja, ich erkenne ja an, dass es wohl einen Schöpfer geben muss. Aber das hat für mich keine Konsequenzen. Denn dieser Schöpfer hat sich bei mir noch nicht gemeldet. Also kann ich trotzdem weiterhin so leben, wie ich das für richtig halte. Wer das tut, den konfrontiert Paulus mit dem 3. Eckpfeiler seines Evangeliums, der wieder eine Antwort gibt auf eine zentrale Grundfrage der Menschheit:

3. Gibt es eine letzte Gerechtigkeit?

Oder anders gefragt: Kommen all die Ausbeuter und Gewalttäter und Betrüger einfach so davon? Oder wird eines Tages die schreiende Ungerechtigkeit dieser Welt noch einmal richtig gestellt?

Im Moment scheint kaum noch jemand zu glauben, dass es diese letzte Gerechtigkeit geben wird. Das war früher anders. Christen haben regelmäßig im apostolischen Glaubensbekenntnis bekannt: „Von dort wird er kommen, zu richten, die Lebenden und die Toten.“ Heute scheint die Vorstellung vom letzten Gericht immer mehr in der Versenkung zu verschwinden – auch in den Kirchen.

Diese Entwicklung führt zu unterschiedlichen Konsequenzen. Die einen fangen an, sich in einen ganz verbissenen Kampf für Gerechtigkeit zu begeben, weil sie sagen: Es gibt keinen Gott, der am Ende für Gerechtigkeit sorgt. Das müssen wir schon selber machen. Da reicht es heute auch nicht einmal mehr, dass jeder die gleichen Chancen hat. Nein, es muss sogar Gleichheit und Gleichstellung hergestellt werden. Gleich viele Männer und Frauen müssen in verantwortlichen Positionen sein. Und wenn sich das nicht von selbst einstellt, dann muss das mit Quoten erzwungen werden.

Die andere Konsequenz ist das Verschwinden von Gottesfurcht. In einer bekannten Zeitung erschien vor Kurzem ein Artikel mit dem Titel: „Warum ich gerne klaue“. Darin rechtfertigt sich der Autor für seine permanenten Diebstähle. Der Gedanke, dass er anderen Menschen damit schadet, kommt ihm nicht. Gleich gar nicht kommt ihm in den Sinn, dass seine Diebstähle irgendwann noch einmal vor einem göttlichen Gericht verhandelt werden könnten. Das zeigt: Der Schrei nach Gerechtigkeit ist in unserer heutigen Gesellschaft zwar groß. Dabei gilt aber: Wir wollen selbst die Richter sein! Wir wollen selbst entscheiden, was wir für gerecht halten und was nicht. Genau diesem Denken widerspricht Paulus ganz direkt, wenn er schreibt:

„Rechnest Du wirklich damit, dem Urteil Gottes entgehen zu können? … Du bist starrsinnig und im tiefsten Herzen nicht bereit, dich zu ändern. Und so ziehst du dir selbst mehr und mehr den Zorn Gottes zu bis zum Tag des Zorns. Das ist der Tag, an dem Gott sich als gerechter Richter offenbart. Gott wird allen das geben, was sie für ihre Taten verdienen. … Über jeden Menschen, der Böses tut, lässt er Not und Verzweiflung hereinbrechen. … Denn Gott richtet ohne Ansehen der Person.“ (Römer 2, Verse 3b,5,6,9,11)

Paulus lässt also überhaupt keinen Zweifel am dritten Eckpfeiler seines Evangeliums:

Es kommt ein Tag, an dem alles noch einmal vor dem Richterstuhl Gottes auf den Tisch kommt!

Paulus macht hier völlig klar: Diesem Gott entgeht nichts. Und dieser Gott wird zornig angesichts unseres ungerechten, egoistischen Verhaltens, mit dem wir uns und anderen Menschen schaden. Dieser Gott wird eines Tages alle unsere Taten ans Licht bringen und im Gericht für Gerechtigkeit sorgen.

Obwohl Paulus sich hier so eindeutig äußert, hört man diese Botschaft heute kaum noch von den Kanzeln. Selbst innerhalb der Kirche wird oft gesagt: Man darf doch mit solchen Gerichtsandrohungen nicht aus der Frohbotschaft eine Drohbotschaft machen. Das klingt einleuchtend. Das Problem ist nur: Jesus lehrt das letzte Gericht. Und Paulus lehrt es auch. In aller Deutlichkeit! Will Paulus die Menschen etwa einschüchtern? Will er sie manipulieren, um sie bei der christlichen Stange zu halten?

Tatsache ist: Düstere Warnungen dieser Art wären natürlich hochgradig verwerflich, wenn jemand sie bewusst erfunden hätte, um Menschen Angst zu machen und zu manipulieren. Aber wenn die Aussicht real ist, dass es einen göttlichen Richter gibt, der uns am Ende für unser Fehlverhalten zur Rechenschaft ziehen wird, dann wäre die Sachlage genau umgekehrt. Dann wäre es verwerflich, auf die Warnung zu verzichten! Dann müssten diejenigen schuldig gesprochen werden, die für die Warnung verantwortlich waren, sie aber – aus welchen Gründen auch immer – verschwiegen haben. Und für Paulus ist völlig klar: Das finale Gericht über alle Taten der Menschheit ist eine Realität. Es wäre fatal und verantwortungslos, das zu verschweigen.

Zumal diese Botschaft ja auch eine Hoffnungsbotschaft ist, und zwar für all die Unterdrückten, Ausgebeuteten, Bedrängten und Betrogenen dieser Welt, die von keinem weltlichen Gericht Gerechtigkeit erwarten können. Es wäre doch katastrophal, wenn wir diesen Menschen sagen müssten: Nichts und niemand wird sich jemals für das Unrecht interessieren, das dir widerfahren ist. Die gute Nachricht des Evangeliums ist aber: Am Ende kommt alles noch einmal auf den Tisch! Am Ende wird Recht gesprochen. Und diese Nachricht bleibt eine Bedrohung, eine Provokation und ein Ärgernis für Alle, die es sich bequem machen wollen in einer Welt ohne Gott, ohne Gericht, ohne Strafe, ohne Konsequenzen. Und sie nagt natürlich noch mehr als die Botschaft vom Schöpfer an der Autonomie des Menschen. Denn hier hören wir die Botschaft: Am Ende werden wir alle noch einmal konfrontiert mit dem, was wir getan haben, welchen Menschen wir geschadet haben und was wir damit angerichtet haben. Paulus macht also Allen einen dicken Strich durch die Rechnung, die nach dem Motto leben: Ich lebe mein Leben wie ich will und dafür muss ich mich vor niemand rechtfertigen.

Damit stellt sich aber jetzt die Frage: Müssen wir denn etwas befürchten in diesem letzten göttlichen Gericht? Oder können wir diesem Gericht beruhigt entgegen sehen, solange wir ein halbwegs ordentliches Leben führen, unsere Steuern zahlen, uns um unsere Familie kümmern und soweit es geht zu allen nett und freundlich sind? Damit kommen wir zur 4. Grundfrage der Menschheit, die Paulus in seinem Evangelium beantwortet:

4. Was ist die Ursache für das Drama der Menschheit?

Woran liegt es eigentlich, dass wir Menschen nicht einfach friedlich zusammenleben können? Warum bauen wir uns nicht einfach gemeinsam ein Paradies auf Erden? Warum haben wir stattdessen Krieg und Konflikte, Streit, Neid, Armut und Hunger, obwohl die Ressourcen der Erde doch locker für alle reichen würden? Warum ist das so?

Auf diese herausfordernde Frage gibt es sehr verschiedene Antworten. Vor allem in der Zeit der Aufklärung war eine Reihe von Philosophen der Meinung: Der Kern unseres Problems ist, dass wir die menschliche Vernunft viel zu lange begrenzt haben durch religiöse Autoritäten, durch angebliche heilige Schriften oder durch Traditionen, die doch längst überkommen sind. Wenn wir endlich die Vernunft nicht länger einschränken, dann wird schon bald der menschliche Fortschritt eine wunderbare Welt erschaffen. Aber nach der Aufklärung folgten die beiden schlimmsten Weltkriege aller Zeiten, begleitet vom entsetzlichen Massenmord an den Juden. Es ist erschreckend, wie viele Gelehrte in Deutschland dieses menschenverachtende Gedankengut unterstützt und befürwortet haben. Ganz offenkundig ist unsere menschliche Vernunft bei weitem nicht so verlässlich, wie manche Philosophen das behauptet haben.

Andere Leute im kommunistischen Umfeld vertraten die Position: Der Kern des Problems sind die ungerechten Umstände! Menschen sind böse, wenn sie ungerecht behandelt werden. Wenn wir die Ungerechtigkeit beseitigen, dann wird das Gute im Menschen hervorkommen und wir werden uns gemeinsam das Paradies auf Erden errichten. Die kommunistischen Systeme haben aber leider nicht das Paradies sondern eine beispiellose Blutspur hinterlassen.

Was sagt nun Paulus zu dieser Frage? Der 4. Eckpfeiler seines Evangeliums lautet: Nicht die Beschränkung der Vernunft, nicht die ungerechten Umstände, sondern…

Wir selbst sind der Kern unserer Probleme!

Oder anders ausgedrückt: Das Herz des Problems ist das Problem des menschlichen Herzens, das zutiefst verstrickt ist in sündiges, egoistisches Verhalten. In Römer 1, 28-30 schreibt Paulus:

„Sie hielten es nicht für wichtig, Gott anzuerkennen. Deshalb hat Gott sie ihrer schändlichen Gesinnung ausgeliefert. Daher tun sie, was sich nicht gehört. Sie strotzen vor Unrecht, Bosheit, Habgier und Schlechtigkeit. Sie sind voller Neid, Mordlust, Streitsucht, Hinterhältigkeit, Heimtücke, Verleumdung und übler Nachrede. Sie verachten Gott, sind gewalttätig, hochmütig und prahlerisch. Im Bösen sind sie erfinderisch und ihren Eltern gegenüber ungehorsam.“

Deutlicher kann man es nicht sagen. Besonders niederschmetternd für uns Menschen: Das Gericht Gottes besteht darin, dass er uns einfach unserer eigenen Gesinnung ausliefert. Er lässt uns einfach machen, wie wir denken und wollen. Gott muss uns nicht aktiv bestrafen. Wir Menschen bereiten uns schon selbst gegenseitig die Hölle auf Erden, wenn Gott uns einfach nur in die Autonomie entlässt, die wir so lautstark verlangen. Diese Aussage ist tatsächlich der ultimative Tiefschlag für uns Menschen. Mehr Provokation geht eigentlich nicht.

Aber Paulus setzt noch einen drauf: „Juden und Griechen befinden sich gleichermaßen in der Gewalt der Sünde. So steht es auch in der Heiligen Schrift: „Keiner ist gerecht – nicht ein Einziger. Keiner ist einsichtig, keiner fragt nach Gott. Alle sind sie von ihm abgefallen, allesamt sind sie verdorben. Es gibt keinen, der etwas Gutes tut! Auch nicht einen Einzigen!“ (Römer 3, 9-12) Und in Römer 7, 14 macht Paulus deutlich, dass er sich selbst hier überhaupt nicht ausnimmt: „Ich weiß: So wie ich von Natur aus bin, wohnt in mir nichts Gutes.“ Spätestens beim Lesen dieser Sätze wird klar, warum die „Gute Nachricht“ von Paulus oft so schlecht angekommen ist. Wer will sich denn schon gerne ein derart vernichtendes Urteil ausstellen lassen? Tatsächlich könnte man Paulus fragen: Muss das wirklich sein? Könntest Du Deine Botschaft nicht ein wenig netter vermitteln?

Ich selbst würde diese Botschaft von Paulus jedenfalls nicht ungefiltert jedem Mitmenschen einfach so aufs Brot schmieren. Aber eigentlich gilt hier doch genau das Gleiche, was schon bei der Botschaft des Gerichts galt: Wäre diese Diagnose aus der Luft gegriffen, um Menschen klein und gefügig zu machen, dann wäre sie hochgradig verwerflich. Aber wenn sie zutrifft, dann wäre es verwerflich, diese Diagnose zu verschweigen. Ein Arzt, der bei der Diagnose nicht schonungslos ehrlich ist, findet auch keine Therapie, die wirklich heilen kann. Ein guter Arzt muss ehrlich sein, auch wenn die Wahrheit erschütternd ist. Sonst wäre er kein guter Arzt. Und deshalb lautet die entscheidende Frage: Hat Paulus recht mit seiner niederschmetternden Diagnose?

Paulus steht mit seiner Position in der Bibel nicht alleine da. Dieses pessimistische Menschenbild zieht sich quer durch die ganze Bibel. Das beginnt schon in 1. Mose 8, 21: „Der Mensch ist böse von Jugend auf.“ Immer und immer wieder schildert die Bibel, wie die Menschen sich verrennen in zerstörerischen Verhaltensweisen, in Lug und Trug, in Ausbeutung und Gewalt.

Aber wie sieht es aus, wenn wir heute auf unsere Welt und in unsere Geschichte schauen? Müssen wir nicht ehrlicherweise sagen, dass die Diagnose von Paulus zutrifft? Auch heute müssen wir überall auf der Welt auf unseren Geldbeutel und unsere Wertsachen aufpassen. Überall in der Welt wird Polizei und eine ordnende Staatsmacht benötigt, um das Böse in Schach zu halten. Wir Menschen haben es nirgends je geschafft, ein System zu entwickeln, in dem einfach alle Menschen gut miteinander umgehen. Keine Systemänderung hat dazu geführt, dass plötzlich überall der gute Kern des Menschen die Oberhand gewinnt.

Ganz offenkundig schaffen wir Menschen es einfach nicht, uns unser eigenes Paradies zu bauen. Der gute König, der einfach nur das Beste für sein Volk will, existiert nur im Märchen. Sex, Macht und Geld korrumpiert uns Menschen. Die Demokratie ist gerade deshalb eine so gute Staatsform, weil in ihr jede Macht von anderen Mächten kontrolliert wird und im Zweifelsfall abgesetzt werden kann. Deshalb bin ich der Meinung: Die Geschichte hat wieder und wieder bewiesen, dass Paulus recht hat mit seiner Diagnose.

Aber wenn es stimmt, dass wir Menschen Sünder sind und Schuld auf uns laden, folgt daraus die nächste große Grundfrage der Menschheit:

5. Wer erlöst uns von Schuld und Scham?

Ich höre oft die These, dass der moderne Mensch sich nicht mehr interessieren würde für die Frage nach der Erlösung von Schuld. Die Menschen würden sich doch gar nicht mehr schuldig fühlen. Also brauchen sie auch keine Erlösung. Meine Beobachtung ist offen gesagt eine völlig andere. Erst kürzlich hat sich ein Bekannter von mir in den Urlaub verabschiedet. Er hatte eine tolle Reise geplant auf einen anderen Kontinent, eine Kombination aus Flugreise und Rundreise mit einem Mietwagen. Aber am Ende unseres Gesprächs sagte er: Ich habe ja so ein schlechtes Gewissen! Ich zerstöre damit doch das Klima! Welche Welt hinterlasse ich meinen Nachkommen?

Meine Wahrnehmung ist: Schuld ist tatsächlich gerade jetzt wieder ein riesengroßes Thema in unserer westlichen Welt! Wir sind schuld am Klimawandel. An der Umweltverschmutzung. Am Artensterben. An Armutsmigration, Flucht und Vertreibung. Wir sind schuld an ungerechten Lieferketten. An Diskriminierung, Rassismus und Kolonialismus. Wir könnten die Reihe noch lange fortsetzen.

Schuld und Moral hat Konjunktur in unserer Gesellschaft. Sogar die Witze von Otto Waalkes werden heute offenbar als so diskriminierend empfunden, dass man vor ihnen warnen muss. Winnetou wird aus den Medien verbannt, weil das ja kulturelle Aneignung sei. Das Problem daran ist: Wenn der Moralismus derart stark wird, dann hat auch Schuld und Scham Hochkonjunktur. Denn wer von uns ist denn noch in Ordnung, wenn sogar Otto Waalkes und Winnetou, die Helden unserer Kindheit, Diskriminierer sind?

Eine Antwort unserer Zeit lautet: Vielleicht können wir uns ja freikaufen! Wir könnten parallel zur Flugbuchung für ein Aufforstungsprojekt spenden. Oder wir werden Veganer. Oder wir verzichten auf Kinder, um CO2 zu sparen. Oder wir schmücken uns mit Regenbogenfarben und bauen sogar Sternchen und Sprechpausen in unsere Sprache ein, um ja niemand zu vergessen oder zu verletzen. Die Frage ist nur: Wird das reichen? Werden wir dadurch erlöst von Schuld und Scham? Paulus hat dazu eine überaus klare Position. Der 5. Eckpfeiler seines Evangeliums lautet:

Wir können uns nicht selbst erlösen. Allein aus Gnade werden wir gerettet!

Paulus hat dazu im Römerbrief revolutionäre Sätze geprägt, die später auch die Reformation vorangetrieben haben:

„Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch allein aufgrund des Glaubens gerecht ist – unabhängig davon, ob er das Gesetz befolgt.“ (Römer 3, 28) „Wenn es aber aus Gnade geschah, dann spielen die eigenen Taten dabei keine Rolle. Sonst wäre die Gnade ja nicht wirklich Gnade.“ (Römer 11, 6)

Für Paulus gilt also: Kein noch so frommes oder gut gemeintes Werk bringt mir Erlösung, im Gegenteil: Jede Leistung, mit der ich mir ein gutes Gewissen oder gar Gottes Gunst verdienen will, wirft mich aus der Spur des gesunden, rettenden Glaubens, der allein auf die unverdiente Gnade Gottes setzt und der sagt: Ich kann mich nicht selbst erlösen. Aber ich bin von Gott angenommen, weil Jesus alles Notwendige bereits getan hat. Ich bin gerecht, weil Gott am Kreuz für mich Gerechtigkeit erworben hat und sie mir ohne mein Zutun schenkt. Das ist das Evangelium. Das ist Rechtfertigung allein aus Gnade.

Die große Not unserer Gesellschaft ist demnach, dass sie diese Gnade nicht kennt und dass sie diese Gnade auch gar nicht haben will. Ich kann das verstehen. Ich will ja auch lieber sitzen bleiben auf dem hohen Ross meiner Selbstgerechtigkeit. Ich will auch lieber Lohn für meine Leistung statt gnädig beschenkt zu werden. Die Gnade, die Gott uns anbietet, ist demütigend! Denn sie sagt uns: Wir sind so schuldig, dass ein anderer für uns sterben muss. Wir sind so hoffnungslos verloren, dass ein anderer am Kreuz die Suppe auslöffeln muss, die wir eingebrockt haben. Wie demütigend ist das! Und wie erlösend zugleich! Denn jetzt hängt meine Erlösung nicht mehr von mir ab und von meinen guten Vorsätzen, die ich doch morgen wieder fallen lasse. Jetzt werde ich wirklich befreit von Schuld und Scham. Denn was Jesus am Kreuz getan hat, ist genug – ein für alle Mal. Das ist wirklich, wirklich gute Nachricht. Das ist echtes, befreiendes Evangelium.

Darauf könnten Kritiker jetzt allerdings antworten: Ernsthaft? Unsere Schuld wird einfach so vergeben? Wir bekommen einfach so einen Freibrief und können ansonsten weitermachen wie bisher? Das soll die ganze christliche Botschaft sein? Tatsächlich ist das noch nicht die ganze Botschaft. Der 6. Eckpfeiler im Evangelium von Paulus gibt wieder Antwort auf eine große Grundfrage der Menschheit:

6. Was macht uns zu besseren Menschen?

Oder anders gefragt: Wie können wir Menschen uns bessern im Umgang mit uns selbst und mit anderen? Diese Frage bewegt viele Menschen. Wenn wir in eine Buchhandlung gehen, können wir dazu zahlreiche Ratgeber finden. Der Tenor vieler dieser Bücher lautet in etwa so: Folge deinem Herzen! Werde du selbst! Entdecke Dein Potenzial! Nimm Dein Leben in die Hand! Dann kannst du über dich hinauswachsen! Dann kannst du dich selbst und deine Umwelt verändern! Dann wirst du glücklich, zufrieden und erfolgreich!

Es wäre schön, wenn es so einfach wäre. Einfach nur ein gutes Buch kaufen, und schon geht es aufwärts in meinem Leben. Aber funktioniert das wirklich? Paulus macht uns wenig Hoffnung, im Gegenteil: Der 6. Eckpfeiler seines Evangeliums lautet:

Wir werden verändert durch die Erneuerung unseres Herzens!

Und Erneuerung bedeutet für ihn: Unser altes Leben muss sterben, damit ein neues Leben geboren werden kann. In Römer 6, 6-8+11 schreibt Paulus dazu:

„Wir wissen doch: Der alte Mensch, der wir früher waren, ist mit Christus am Kreuz gestorben. Dadurch wurde der Leib vernichtet, der im Dienst der Sünde stand. Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterworfen. Wer gestorben ist, auf den hat die Sünde keinen Anspruch mehr. Wir sind nun also mit Christus gestorben. Darum glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. … Genau das sollt ihr auch von euch denken: Für die Sünde seid ihr tot. Aber ihr lebt für Gott, weil ihr zu Christus Jesus gehört.“

Paulus knüpft hier an seine These an, dass alle Menschen unter dem Diktat der Sünde stehen. Das heißt: Wir können unseren Lebensstil nicht einfach so ändern. Jedenfalls nicht aus eigener Kraft. Die Chance, die Gott uns anbietet, besteht vielmehr darin, dass wir unser bisheriges Leben mit Christus am Kreuz „sterben“ lassen, damit Raum für ein neues Leben entsteht, das nicht mehr unter dem Diktat der Sünde steht. Erst durch dieses Sterben und dieses Neuwerden wird die Sündenverstrickung durchbrochen.

Wir finden diesen Gedanken auch bei Jesus: Im Gespräch mit Nikodemus sagt er in Johannes 3, 3: Nur wenn jemand neu geboren wird, kann er das Reich Gottes sehen. Entsprechend spricht Paulus auch an anderen Stellen immer wieder von einem alten und einem neuen Menschen (z.B. Epheser 4, 22-24). In Galater 2, 20 geht er sogar so weit, zu sagen: „Ich lebe, aber nicht mehr ich selbst, sondern Christus lebt in mir.“

Das heißt: Beim Evangelium von Paulus geht es gerade nicht darum, die inneren Potenziale zu heben. Im Gegenteil: Hier geht es darum, unser bisheriges Wesen sterben zu lassen. Und Sterben heißt: Loslassen. Aufgeben. Ich hänge meinen Stolz, meine Selbstgerechtigkeit und meinen Eigensinn an den Nagel. Ich gehe innerlich und äußerlich auf die Knie und sage zu Gott: Ich kann es nicht! Ich brauche Deine Kraft! Ich lasse mich taufen, um mein altes Wesen in den Tod zu geben und in der Kraft des Heiligen Geistes ein neues Leben beginnen. Ich bete um die Fülle des Heiligen Geistes, damit ER ein neues Wesen, einen christusgemäßen Charakter in mir wachsen lässt, geprägt von Liebe statt Gleichgültigkeit, Freude statt Zynismus, Freundlichkeit statt Ungeduld, Güte statt Härte, Treue statt Egoismus, Selbstbeherrschung statt Faulheit.

Das mag von außen so aussehen, als ob jemand einfach nur sein Verhalten ändert. Aber Christen sind überzeugt: Hinter dieser äußerlich sichtbaren Veränderung steht Gott selbst, der durch den Heiligen Geist unsere Herzen erneuert. Genau das hat Gott durch die Propheten angekündigt. In Jeremia 31, 33 sagt Gott: „Doch dies ist der neue Bund, den ich an jenem Tag mit dem Volk Israel schließen werde, spricht der Herr. Ich werde ihr Denken mit meinem Gesetz füllen, und ich werde es in ihr Herz schreiben.“ Gott schenkt uns ein neues Herz, das die Gebote Gottes liebt und sie von Herzen gerne lebt.

Damit sind wir beim 7. Eckpfeiler des Evangeliums von Paulus, der uns eine Antwort auf die folgende grundlegende Menschheitsfrage gibt:

7. Wie werden wir Menschen wirklich frei?

Unsere Antwort darauf lautet normalerweise: Wir werden frei, indem wir uns von Zwängen entledigen. Freiheit bedeutet: Menschen müssen sich nach nichts und niemandem mehr richten. Sie bestimmen ihr Leben selbst. Freiheit bedeutet Autonomie, also die Befreiung von äußeren Zwängen und Regeln.

Aber die große Frage ist: Macht Autonomie uns Menschen wirklich frei? Paulus sagt dazu zwar einerseits: Ja, es stimmt, Christen sind zur Freiheit berufen. Er spricht sogar von der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes (Römer 8,21). Nur: Diese Freiheit ist gerade das Gegenteil von Autonomie. Der 7. Eckpfeiler des Evangeliums von Paulus lautet:

Jesus ist Herr! Freiheit und Gehorsam gehören zusammen!

Wir finden diesen Eckpfeiler gleich zu Beginn des Römerbriefs. Da schreibt Paulus einen Satz, der so gar nicht zur Freiheit des Menschen zu passen scheint: „Was ich verkünde, ist die gute Nachricht von Jesus Christus, unserem Herrn! … Sie sollen Christus gehorsam sein, den Glauben annehmen und so seinem Namen Ehre machen.“ (Römer 1, 4b+5b) Und in Römer 6, 17 fügt Paulus hinzu: „Dank sei Gott! Denn früher wart ihr Diener der Sünde. Aber jetzt gehorcht ihr von ganzem Herzen der Lehre, auf die ihr verpflichtet worden seid.“ Christen sollen also gehorsam sein! Sie gehören nicht sich selbst, im Gegenteil: „Denn wir gehören zu Christus Jesus, unserem Herrn.“ (Römer 6, 23) Das ist also buchstäblich das Gegenteil von Autonomie. Wir gehören nicht uns selbst. Wir gehören Jesus.

Bibelleser sollte das eigentlich nicht überraschen. Denn in den Evangelien wird ja immer wieder deutlich: Die Botschaft Jesu drehte sich im Kern um ein Königreich. Immer und immer wieder sagt er: Ändert euch. Kehrt um. Denn das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes ist nahe. Jesus lehrt uns beten: „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe.“ Und Jesus betont: „MIR ist alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde.“ (Matthäus 28,18) Und „wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote befolgen.“ (Johannes 14, 15) Da wird also ein ganz klarer Herrschaftsanspruch formuliert! Aber wie passt diese Botschaft von der notwendigen Unterordnung unter die Herrschaft Jesu dazu, dass Christen frei sind?

Genau darauf gibt Paulus in den Kapiteln 6-8 des Römerbriefs eine ganz klare Antwort. Im Kern sagt er: Eine souveräne Freiheit im Sinne einer völligen Unabhängigkeit gibt es für uns Menschen nicht. Niemals. Für niemand von uns! Wir Menschen sind immer von etwas bestimmt – entweder vom Geist Gottes oder aber von unserer menschlichen, in Sünde verstrickten Natur. Die Wahrheit ist laut Paulus also paradox: Je mehr wir uns von Gott frei machen wollen, umso mehr werden wir zu Gefangenen und Getriebenen unserer Wünsche, Süchte, Begierden und der Erwartungen anderer Menschen. Aber je mehr wir uns der Herrschaft Jesu unterordnen, umso mehr dürfen wir erleben, wie ER unsere Füße auf weiten Raum stellt und uns in wahre Freiheit führt.

Der Einstieg in die Freiheit besteht also gerade nicht darin, dass wir uns von allen Geboten entledigen. Im Gegenteil: Die Freiheit beginnt dort, wo wir uns freiwillig unter die Herrschaft Gottes begeben. Christen nennen Jesus ganz bewusst und mit Freude „Herr“. Und Gott schenkt ihnen wachsende Freude daran, ein Leben zu führen, das seinen Geboten und Ordnungen entspricht – nicht aus Zwang und Druck sondern aus dem Erleben, dass Gottes Gebote keine einengenden Schikanen sind, sondern dass es sich um heilsame Hilfen zum Leben handelt. Und Gottes Geist schenkt uns die Kraft und das Verlangen, in diesen heilsamen Ordnungen zu leben. DAS führt uns in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. Ist das nicht großartig?

Das Evangelium erklärt und provoziert die Welt

Ich hoffe, ich konnte zeigen: Das Evangelium ist tatsächlich viel mehr als eine nette Botschaft von der grenzenlose Liebe Gottes. Der bekannte englische Schriftsteller C.S. Lewis hat einmal geschrieben:

„Ich glaube an Christus, so wie ich glaube, dass die Sonne aufgegangen ist, nicht nur, weil ich sie sehe, sondern weil ich durch sie alles andere sehen kann.“

Genau so geht es mir, wenn ich auf diese 7 Punkte schaue. Sie zeigen mir nicht nur, wer und wie Gott ist. Im Licht dieser Botschaft kann ich auch mich selbst erkennen. Ich kann erkennen, welche Würde ich habe als sein Geschöpf. Aber ich verstehe auch, wie tief ich verstrickt bin in Sünde und was diese Sünde in meinem Leben anrichtet. Ich verstehe, wie rettungsbedürftig ich bin. Und ich verstehe immer besser, was in dieser Welt geschieht und warum sie so ist, wie sie ist. Mir fallen so viele Belege und Erfahrungen ein, die mir zeigen: Ja, dieses Evangelium ist tatsächlich wahr. Diese Diagnose trifft zu. Und deshalb kann ich mich auch darauf verlassen, dass in diesem Evangelium die heilende und rettende Botschaft enthalten ist, die mir tatsächlich hilft. Deshalb kann ich mit Freude mein Leben auf diese Botschaft bauen. Darin liegt für mich die ganze Kraft und Schönheit des Evangeliums.

Zudem wird in diesen 7 Punkten deutlich, warum dieses Evangelium zu allen Zeiten auf so viel Widerstand gestoßen ist. Ja, das Evangelium ist sehr gute Nachricht. Es ist rettende Nachricht, wenn wir verstanden haben, wie rettungsbedürftig wir sind. Aber solange wir der Meinung sind, dass wir eigentlich soweit ganz in Ordnung sind, ist dieses Evangelium pure Provokation. Und es steht damals wie heute im grundlegenden Widerspruch zu vielen Denkweisen, die in unserer Gesellschaft scheinbar ganz selbstverständlich sind.

Es ist nun einmal ein riesiger Unterschied, ob …

… wir die Wahrheit in uns selbst finden oder ob sie von außen auf uns zukommt und uns gegenübertritt.

… wir selbst und unsere subjektiven Erfahrungen der Maßstab für unsere Gotteserkenntnis sind, oder ob der Maßstab für unsere Gotteserkenntnis objektive Wahrheiten sind, die Gott uns in der Bibel offenbart.

… die Schöpfung nur auf ziellose Zufallsprozesse hinweist, die uns in unserer Autonomie in keiner Weise stören, oder ob die Schöpfung auf einen Schöpfer hinweist, der unsere Verehrung verdient.

… wir selbst beurteilen, was gerecht ist, oder ob wir uns bewusst sind, dass wir uns eines Tages vor dem Richterstuhl Gottes verantworten müssen, wo wir nach Gottes Maßstäben beurteilt werden und nicht nach unseren eigenen Maßstäben.

… das Grundproblem der Menschheit die bösen Umstände sind oder ob wir selbst das Problem sind, weil unser eigenes Herz hoffnungslos verstrickt ist in Sünde.

… wir uns selbst erlösen wollen durch moralisches Verhalten oder ob uns Erlösung ausschließlich durch Gnade geschenkt wird durch das Erlösungswerk Jesu am Kreuz.

… wir bessere Menschen werden, indem wir unsere eigenen Potenziale entfalten oder ob wir unseren alten Menschen am Kreuz in den Tod geben, damit der Heilige Geist uns ein neues Herz schenken kann und wir von neuem geboren werden.

… wir frei werden durch das Ablegen von äußeren Zwängen oder ob wir ganz im Gegenteil frei werden durch die Unterordnung unter die gute und heilsame Herrschaft Jesu!

Mir macht diese Gegenüberstellung zwischen dem Evangelium von Paulus und den Denkweisen in unserer Gesellschaft deutlich: Die gute Nachricht, die Paulus damals so viel Widerstand eingebracht hat, ist seither nicht populärer geworden. Auch heute noch steht sie so ziemlich gegen alles, was in unserer Gesellschaft scheinbar ganz selbstverständlicher Mainstream ist. Paulus hat damals geschrieben, dass seine Botschaft eine Torheit ist und ein Ärgernis ist (1. Korinther 1, 23). Diese Gegenüberstellung zeigt: Das hat sich bis heute nicht geändert.

Welches Evangelium predigen wir?

Umso mehr frage ich mich: Predigen wir in unseren Kirchen und Gemeinden wirklich das paulinische Evangelium? Konkret gefragt: Sprechen wir über Wahrheit und Irrtum? Oder wollen wir lieber niemand auf die Füße treten in Bezug auf seine persönlichen religiösen Vorstellungen? Sprechen wir darüber, dass es einen Schöpfer gibt, der unsere Verehrung verdient? Sprechen wir darüber, dass wir Menschen so tief in Sünde verstrickt sind, dass Gott uns im Gericht verurteilen muss? Machen wir deutlich, dass wir uns aus diesem Zustand nicht selbst retten können und dass wir deshalb von neuem geboren werden müssen? Rufen wir dazu auf, vor Jesus die Knie zu beugen und ihn zum Herrn unseres Lebens zu machen? Oder geht es uns letztlich um – vielleicht sogar fromme – Selbstbestätigung und Selbstverwirklichung? Stehen wir und unsere Bedürfnisse im Zentrum unserer Botschaft oder steht Jesus und seine Herrschaft im Mittelpunkt?

Dieses Evangelium hat offenkundig noch nie dem Zeitgeist entsprochen. Dieses Evangelium kann und wird uns auch heute noch Widerspruch einbringen. Aber vergessen wir nicht: Trotzdem ist genau dieses Evangelium die erfolgreichste Botschaft aller Zeiten! Es war dieses Evangelium, das einst das menschenverachtende römische Reich trotz massivster Widerstände überwunden und die Welt umgekrempelt hat. Es ist dieses Evangelium, das bis heute alle Kulturen erreicht, durchdringt und verändert, obwohl es bis heute verfolgt, bekämpft und unterdrückt wird. Ich bin überzeugt: Dieses Evangelium ist der größte Schatz, den die Kirche Jesu hat und den unsere Gesellschaft so dringend braucht! Denn dieses Evangelium operiert nicht an den Symptomen der menschlichen Probleme herum. Dieses Evangelium geht an die Wurzel der Probleme, die wir in unserer Gesellschaft haben. Und die Wurzel der Probleme ist und bleibt unser Herz, das in Sünde verstrickt ist.

Nachhaltige Gesellschaftstransformation bringt nur das Evangelium

So viele Erweckungsbewegungen der Vergangenheit haben bewiesen: Echte Gesellschaftstransformation entsteht nicht durch Aktivismus oder Umstürze sondern durch die Transformation der Herzen, die nur das Evangelium bewirken kann. Dieses Evangelium hat rettende, heilende, befreiende und erneuernde Kraft, weil es wahr ist, weil es eine zutreffende Beschreibung der Wirklichkeit ist, weil es die richtige Diagnose über den Zustand von uns Menschen stellt und weil es uns deshalb auch die richtige Therapie bringt.

Und deshalb habe ich eine dringende Bitte an unsere Gemeinde- und Kirchenleiter, Verkündiger und Theologen: Bitte predigt genau dieses Evangelium, das Paulus gepredigt hat! Ich bin überzeugt, dass ihr feststellen werdet: Die Kirchen leeren sich nicht, weil dieses Evangelium provokant, kantig und anstößig ist. Im Gegenteil, ich bin mir sicher: Die Kirchen leeren sich immer dann, wenn wir uns von diesem Evangelium entfernen! Denn die Menschen spüren, dass jede andere Botschaft oberflächlich bleibt. Ein abgespecktes Evangelium mag nett und eingängig klingen, aber die Menschen spüren, dass es unsere Probleme nicht löst, dass es nur eine dünne Suppe ist, von der sich niemand ernähren kann. Aber das biblische Evangelium ist kraftvoll. Es macht den Menschen Mut und Hoffnung. Dieses Evangelium erneuert die Herzen und damit auch ganze Familien, Betriebe und Gemeinschaften. Deshalb lasst uns gemeinsam alles dafür tun, um diesen kostbaren Schatz zu hüten und zu bewahren. Und lasst uns gemeinsam mit Leidenschaft und Freude dieses Evangelium den Menschen und der Welt verkünden.

Das Manifest (8): Auch wenn die Antithesen populärer sind – bitte predigt genau dieses Evangelium!

Wenn man den 7 Thesen des Römerbriefs ihre Antithesen gegenüberstellt, ergibt sich ein verblüffend aktuelles Bild:

These des Römerbriefs Antithese
Es gibt Wahrheit und Irrtum. Nur der Glaube an die Wahrheit rettet! Jeder kann nach seiner Façon selig werden. Wahrheit ist subjektiv. Wer allgemeingültige Wahrheiten vertritt, ist intolerant.
Die Schöpfung beweist, dass es einen Schöpfer gibt, der unsere Verehrung verdient! Es gibt keinen Schöpfer, dem wir Ehre schulden. Die Welt ist durch ziellose Prozesse von selbst entstanden.
Es kommt ein Tag, an dem alles noch einmal auf den Tisch kommt! Der Mensch ist autonom und muss sich vor niemand rechtfertigen.
Wir selbst sind der Kern unserer Probleme! Der Mensch ist im Kern gut. Wenn wir die Ungerechtigkeiten beseitigen, werden wir auch gut miteinander umgehen.
Wir können uns nicht selbst erlösen. Allein aus Gnade werden wir gerettet! Wir sind in Ordnung, wie wir sind, und auch Gott findet uns gut, wenn wir uns moralisch verhalten.
Wir brauchen Erneuerung statt Veränderung! Wir können und sollen uns selbst und die Welt verändern.
Jesus ist Herr! Freiheit und Gehorsam gehören zusammen! Wir sind frei, um uns selbst zu finden und zu verwirklichen.

Diese Tabelle finde ich aus zwei Gründen spannend:

Erstens zeigt sich: Die gute Nachricht, die Paulus damals so viel Widerstand einbrachte, ist seither nicht populärer geworden. Auch heute noch steht sie so ziemlich gegen alles, was in unserer Gesellschaft scheinbar normaler Mainstream ist. Die Botschaft von Paulus ist noch immer eine Torheit und ein Ärgernis (1.Kor.1,23).

Zweitens frage ich mich beim Lesen dieser Tabelle: Wird in unseren Kirchen und Gemeinden wirklich das paulinische Evangelium gepredigt? Konkret gefragt:

  • Sprechen wir über Wahrheit und Irrtum? Oder wollen wir niemand in Bezug auf seine persönlichen religiösen Vorstellungen auf die Füße treten?
  • Stehen wir dazu, dass die Welt von Gott geschaffen ist? Oder stimmen wir mit ein, dass die Geschöpfe Produkte von Evolution, Zufall und natürlicher Auslese sind, um nicht als unwissenschaftlich zu gelten?
  • Sprechen wir darüber, dass wir Menschen so tief in Sünde verstrickt sind, dass Gott uns im Gericht verurteilen muss? Machen wir deutlich, dass wir uns aus diesem Zustand nicht selbst retten können und deshalb aus Gnade gerettet und neu geboren werden müssen?
  • Rufen wir dazu auf, vor Jesus die Knie zu beugen und ihn zum Herrn unseres Lebens zu machen? Oder geht es uns letztlich um (fromme) Selbstbestätigung, Selbstverwirklichung und die Befriedigung unserer Bedürfnisse?

Wie auch immer unsere Praxis aussieht – ich habe eine dringende Bitte an unsere Gemeinde- und Kirchenleiter, Verkündiger und Theologen:

Predigt bitte genau dieses Evangelium, das Paulus gepredigt hat!

Ich bin überzeugt, dass ihr feststellen werdet: Die Kirchen leeren sich nicht, weil dieses Evangelium provokant, kantig und anstößig ist. Im Gegenteil: Die Kirchen leeren sich immer dann, wenn wir uns von diesem Evangelium entfernen.

Das absolut erstaunliche ist ja: Obwohl dieses Evangelium offenkundig noch nie dem Zeitgeist entsprochen hat, ist es trotzdem die erfolgreichste Botschaft aller Zeiten. Es war dieses Evangelium, das einst das menschenverachtende römische Reich trotz massivster Widerstände überwunden und die Welt vollkommen umgekrempelt hat. Es ist dieses Evangelium, das bis heute alle Kulturen erreicht, durchdringt und verändert, obwohl es bis heute oft verfolgt und unterdrückt wird.

Dieses Evangelium hat rettende, heilende, befreiende und erneuernde Kraft. Dieses Evangelium ist der größte Schatz, den die Kirche Jesu hat. Wir sollten alles tun, um diesen Schatz gemeinsam zu hüten und ihn leidenschaftlich der Welt zu präsentieren.


Übersicht und Einleitung: 7 fundamentale Thesen des Römerbriefs

Das Manifest (7): Jesus ist Herr! Freiheit und Gehorsam gehören zusammen!

Christen sind zur Freiheit berufen (Gal.5,13)! Die Wahrheit macht uns frei (Joh.8,32)! Das Christentum als Religion der Freiheit – darüber reden wir oft und gerne. Dazu scheint jedoch nicht so recht zu passen, was Paulus schon gleich zu Beginn des Römerbriefs betont:

„Was ich verkünde, ist die gute Nachricht von Jesus Christus, unserem Herrn! … Sie sollen Christus gehorsam sein, den Glauben annehmen und so seinem Namen Ehre machen.“ (1,4b+5b)

Später fügt er hinzu:

„Dank sei Gott! Denn früher wart ihr Diener der Sünde. Aber jetzt gehorcht ihr von ganzem Herzen der Lehre, auf die ihr verpflichtet worden seid.“ (6,17)

Christen sollen also gehorsam sein! Und sie gehören nicht sich selbst, im Gegenteil:

„Denn wir gehören zu Christus Jesus, unserem Herrn.“ (6,23b)

Jesus Christus herrscht als König

Kenner der Evangelien sollte das nicht überraschen. Im Zentrum der Lehre Jesu stand immer die Botschaft vom nahe gekommenen Königreich (Mt.4,23;9,35;24,14; Mk.1,15+38 usw.). Jesus lehrte uns beten: Dein Reich komme. Dein Wille geschehe. Er hat betont: „Mir ist alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde.“ (Mt. 28,18) Und eines Tages wird sich jedes Knie vor ihm beugen und jede Zunge bekennen, dass er der Herr ist (Röm.14,11; Phil.2,11).

Aber wie passt diese klare und durchgängige biblische Botschaft von der notwendigen Unterordnung unter die Herrschaft Jesu dazu, dass Christen frei sind?

Freiheit im Sinne von Unabhängigkeit ist eine Illusion

In den Kapiteln 6-8 des Römerbriefs beschreibt Paulus ausführlich seine Sichtweise, dass es souveräne Freiheit im Sinne einer völligen Unabhängigkeit für uns Menschen schlicht nicht gibt – für niemand von uns! Wir Menschen sind immer von etwas bestimmt – entweder vom Geist Gottes (8,4+9) oder aber von unserer menschlichen, in Sünde verstrickten Natur. Freiheit im biblischen Sinne ist deshalb in erster Linie immer eine Freiheit FÜR etwas bzw. eine Freiheit, etwas Bestimmtes zu tun. Genauer gesagt: Gott schenkt uns durch seinen Geist die Freiheit, nach seinem Willen zu leben – was wir aus eigener Kraft heraus niemals könnten.

Das klingt zunächst einmal ernüchternd. Das also soll die „herrliche Freiheit der Kinder Gottes“ (8,21) sein, dass wir frei sind zu tun, was ER will? Ist das nicht eher eine andere Form von Gefangenschaft und Sklaverei?

Macht Bindungslosigkeit wirklich frei?

Vielleicht klingen die Ansagen von Paulus für uns ja deshalb so fremd, weil wir in einer Gesellschaft leben, die von Bindung und Hingabe immer weniger wissen will. Sich lebenslang fest an einen einzigen Partner zu binden, scheint aus der Mode zu kommen. Die Frage ist nur: Werden die Menschen dadurch wirklich freier? Mir scheint eher das Gegenteil zuzutreffen: Nicht nur die Einsamkeit, auch Abhängigkeiten und Süchte nehmen zu. Das spricht dafür, dass Freiheit und Bindung in Wahrheit gar keine Gegensätze sind. Im Gegenteil: Sie gehören untrennbar zusammen!

Keine Liebe ohne Freiheitsverzicht

So habe ich das jedenfalls erlebt: Am Tag meiner Hochzeit habe ich mich freiwillig fest an meine Frau gebunden. Seither bin ich faktisch nicht mehr frei in Bezug auf meine Sexualität, meine Finanzen, die Gestaltung meiner Zeit und meiner Zukunft.

Aber diesen Preis bezahle ich gerne. Denn ich weiß, wie unendlich kostbar es ist, in Liebe mit einem Menschen verbunden zu sein. Ich verzichte fröhlich auf meine Unabhängigkeit und gewinne dafür die beglückende Freiheit, meine Frau lieben und mit ihr gemeinsam durchs Leben gehen zu dürfen. Ganz offenkundig lebt die Liebe, nach der wir uns alle sehnen, immer von zwei scheinbar gegensätzlichen Dingen: Sie braucht völlige Freiwilligkeit – und zugleich treue Verbindlichkeit und Hingabe.

Die Bindung an Gott führt zu Reife und Mündigkeit

Auch für Paulus führt die völlige Bindung und Hingabe an Gott gerade nicht dazu, dass wir willenlose Marionetten werden. Vielmehr schreibt er:

„Alle, die sich von diesem Geist führen lassen, sind Kinder Gottes.“ (8,14)

Anders ausgedrückt: Wenn wir dem Heiligen Geist die Kontrolle über unser Leben überlassen, dann macht er uns zu Kindern, nicht zu Sklaven Gottes.

Kinder sind zwar abhängig und gebunden an ihre Eltern. Sie sollen ihren Eltern auch gehorchen. Aber sie sind zugleich in einer wechselseitigen Liebesbeziehung mit ihren Eltern verbunden. Ihre Eltern vermitteln ihnen Geborgenheit, Wertschätzung, Liebe und Sicherheit. Kein kleines Kind, das sich von seinen Eltern geliebt weiß, würde den Verlust seines Elternhauses als Freiheitsgewinn empfinden.

Zumal das Ziel guter Eltern für ihre Kinder ja gerade nicht blinder Gehorsam ist, sondern wachsende Reife und Mündigkeit. Entsprechend schreibt Paulus, dass wir reif und erwachsen werden sollen im Glauben (Eph.4,13). Je reifer Kinder werden, umso mehr werden sie (hoffentlich) zu einem Gegenüber und zu Freunden ihrer Eltern. Entsprechend hat Jesus seine Nachfolger sogar „Freunde“ genannt hat (Joh.15,15), so wie Gott schon mit Mose wie mit einem Freund gesprochen hat (2.Mos.33,11).

Das Paradox der Freiheit

Die Wahrheit ist laut Paulus also paradox:

  • Je mehr wir uns von Gott frei machen wollen, umso mehr werden wir zu Gefangenen und Getriebenen unserer Wünsche, Sehn-Süchte, Begierden und der Erwartungen anderer Menschen.
  • Aber je mehr wir uns von Jesus Christus gefangen nehmen lassen, umso mehr dürfen wir erleben, wie ER unsere Füße auf weiten Raum stellt und uns in wahre Freiheit führt.

Der Einstieg in die Freiheit besteht – genau wie bei einem Bund zwischen Mann und Frau – in der freiwillig gewählten Abhängigkeit von Gott. Christen nennen Jesus ganz bewusst und mit Freude „Herr“. Sie lieben es, seine Gebote zu befolgen (Joh. 14,15+21). Aber gerade diese Hingabe an Gott und die Unterordnung unter seinen Willen führt dazu, dass Christen als geliebte Kinder des himmlischen Vaters in eine wachsende Reife, Mündigkeit und Freiheit hineinfinden dürfen.

Die Herrschaft Jesu macht uns frei!

Wir verlieren somit nicht unsere Freiheit, wenn wir Jesus nachfolgen und heute schon freiwillig unsere Knie vor ihm beugen (statt es später gezwungenermaßen zu tun). Genau das Gegenteil ist wahr: Gerade dort, wo die Lehre von der Herrschaft Jesu und von der Notwendigkeit zum Gehorsam verloren geht, da geraten wir in andere Bindungen hinein. Und da geht auch unsere Liebesbeziehung zu Gott und damit auch unsere Freiheit verloren – und damit das wichtigste und schönste am Christsein überhaupt.


Zur Übersicht: 7 fundamentale Thesen des Römerbriefs

Das Manifest (6): Wir brauchen Erneuerung statt Veränderung!

In Kapitel 6 des Römerbriefs findet sich eine geheimnisvolle Passage, die nahelegt, dass Christwerden etwas mit Sterben zu tun hat:

„Ihr wisst doch: Wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, sind einbezogen worden in seinen Tod. Und weil wir bei der Taufe in seinen Tod mit einbezogen wurden, sind wir auch mit ihm begraben worden. Aber Christus wurde durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt. So werden auch wir ein neues Leben führen. … Wir wissen doch: Der alte Mensch, der wir früher waren, ist mit Christus am Kreuz gestorben. Dadurch wurde der Leib vernichtet, der im Dienst der Sünde stand. Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterworfen. Wer gestorben ist, auf den hat die Sünde keinen Anspruch mehr. Wir sind nun also mit Christus gestorben. Darum glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. … Genau das sollt ihr auch von euch denken: Für die Sünde seid ihr tot. Aber ihr lebt für Gott, weil ihr zu Christus Jesus gehört. (6, 3-8+11)

Paulus knüpft hier an seine These an, dass alle Menschen unter dem Diktat der Sünde stehen. Wir können unseren Lebensstil nicht einfach so ändern – jedenfalls nicht aus eigener Kraft. Stattdessen sagt Paulus: Die Chance, die Gott uns anbietet, besteht darin, dass wir unser bisheriges Leben am Kreuz „sterben“ lassen, damit Raum für ein neues Leben entsteht, das nicht mehr unter dem Diktat der Sünde steht. Durch das Sterben und die Auferstehung wird die Sündenverstrickung durchbrochen.

Gott will unser Leben nicht verändern. Er will es erneuern!

Deshalb spricht Paulus immer wieder von einem alten und einem neuen Menschen (z.B. Eph. 4, 22-24). Er geht sogar so weit, zu sagen: „Ich lebe, aber nicht mehr ich selbst, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal. 2, 20). Auch Jesus sprach von der Notwendigkeit einer Neugeburt (Joh. 3,3). Entsprechend sagte er: “Wer dieses Leben verliert, wird sein Leben retten.” (Luk. 17, 33). Der Theologe Hans Peter Royer hatte es in seinem gleichnamigen Buch so ausgedrückt: Du musst sterben, bevor du lebst, damit du lebst, bevor du stirbst!

Ein lebenslanger Prozess

Daraus ergibt sich die Frage: Warum sündigen Christen dann immer noch, wenn sie doch neue Menschen sind? Die Antwort ist einfach: Die Erneuerung unseres Lebens ist keine Verwandlung, die in einem Augenblick geschieht. Im Kolosserbrief fordert Paulus uns auf, immer wieder neu den alten Menschen abzulegen und dafür den neuen Menschen anzuziehen (Kol. 3, 8-10). Damit macht er deutlich: Erneuerung und Wiedergeburt geschieht nicht komplett bei der „Bekehrung“. Sie ist vielmehr ein lebenslang andauernder Prozess.

“Sterben” – was bedeutet das praktisch?

Am Kreuz mit Jesus sterben bedeutet, mit Gottes Hilfe unsere alten zerstörerischen Verhaltens­muster loszulassen und sterben zu lassen. Ein solches Verhaltensmuster, mit dem ich persönlich immer wieder umgehen muss, ist Wut. Wenn mich jemand verletzt hat und ich ihm innerlich oder ganz offen seine Schuld vorrechnen möchte, dann ist es wie ein kleiner Tod, meine Sehnsucht nach Wut und Vergeltung bei Jesus loszulassen und stattdessen diesem Menschen seine Schuld zu erlassen und auf Wiedergutmachung zu verzichten. Das tut weh. Da stirbt etwas von meinem Drang zur Selbstbehauptung und zur Verteidigung meiner vermeintlichen Rechte. Aber wie viel Versöhnung und Wiederherstellung wächst, wenn wir unsere Wut, unsere Bitterkeit und unsere vermeintlichen Ansprüche am Kreuz in den Tod geben?!

Ein anderes Verhaltensmuster, das ich immer wieder loslassen und in den Tod geben muss, ist meine Sehnsucht, von Menschen bewundert und anerkannt sein zu wollen. Wenn ich etwas gut kann oder geleistet habe, es aber keiner bemerkt, mich niemand dafür lobt oder niemand meine Hilfe und Dienste in Anspruch nehmen möchte, dann fühle ich mich frustriert, zurückgewiesen und beleidigt. Wenn ich eine solche Reaktionen in mir bemerke, dann ist es wie ein kleiner Tod, meinen Wunsch nach Aufmerksamkeit und Bewunderung loszulassen und in den Tod zu geben.

Wie gut, wenn die Fassade fällt

Ebenso ist es wie ein kleiner Tod, wenn ich zugeben muss, dass ich eben nicht so perfekt bin, wie ich es nach außen gerne zeige. Wenn ich vor einem Menschen zugeben muss, dass ich einen Fehler gemacht habe, dass ich nicht alleine klarkomme, dass ich Hilfe brauche, dass ich Andere verletzt habe, dass ich gesündigt habe, dann stirbt da etwas in mir.

„Bekennt einander eure Schuld und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet“, schreibt Jakobus (Jak. 5, 16). Sünde bekennen, für sich beten lassen, das heißt Schwäche zeigen! Das heißt, die Fassade zerbrechen lassen. Das heißt zugeben, dass ich Hilfe brauche. Das ist demütigend. Da stirbt etwas in mir. Aber gerade aus diesem Sterben wächst Gottes neues Leben! Es ist sogar der Beginn für einen völlig neuen Lebensstil.

Ein neuer Lebensstil aus der Kraft des Heiligen Geistes

Im Galaterbrief spricht Paulus davon, dass der Heilige Geist neue Charaktermerkmale in unserem Leben wachsen lässt, so wie Früchte an einem Baum wachsen (Gal. 5, 22). Im Römerbrief schreibt er dazu:

„Jetzt können wir Gott in einer neuen Weise dienen, die von seinem Geist geprägt ist – und nicht mehr in der alten Weise, die die durch Buchstaben bestimmt ist.“ (7,6b)

„Im Voraus hat er sie dazu bestimmt, nach dem Bild seines Sohnes neu gestaltet zu werden.“ (8,29)

Das Wirken des Heiligen Geist ist für Paulus zudem die Basis für eine völlig neuartige Gottesbeziehung:

„Ihr habt vielmehr einen Geist empfangen, der euch zu Kindern Gottes macht. Weil wir diesen Geist haben, können wir rufen: Abba! Vater!“ (8,15)

„Abba“ ist ein Kosewort, das man heute vielleicht mit „Papa“ oder „Papi“ übersetzen könnte. Eine derart intime Gottesbeziehung können wir aus uns selbst heraus ebenso wenig „machen“ wie die Veränderung unseres Lebensstils. Für Christen ist es deshalb so entscheidend wichtig, dem Heiligen Geist Raum zu geben und sich ihm hinzugeben, indem sie Gottes Wort lesen oder hören, indem sie Gott loben und anbeten oder einfach im Gebet seine Nähe suchen.

Ein neuer Motor statt äußerlicher Firlefanz

Solange unser Christsein nur in dem Versuch besteht, unser Leben aus eigener Kraft heraus christlicher zu gestalten, sind wir wie ein Autotuner, der sein Auto sportlich lackiert, tieferlegt, mit Sportlenkrad, Sportsitzen und Spoilern versieht. Aber solange der Motor der gleiche bleibt, wird er keinen Deut schneller vorankommen als vorher. Es ist nur Fassade, die spätestens bei voller Beladung am nächsten Berganstieg peinlich auffallen wird. Erst ein neuer Motor bringt das Auto wirklich in Schwung. Entsprechend brauchen wir ein neues Herz, damit unser Leben als Christ kraftvoll wird und wir auch in schweren Zeiten bestehen können.

Die Taufe als Bekenntnis zur Neugeburt

Das zentrale neutestamentliche Bild für diesen Erneuerungsprozess ist die Taufe. Das Wasser symbolisiert das Sterben unseres alten Menschen, damit durch den Heiligen Geist neues Leben in uns wachsen kann. Die Erneuerung unseres Lebens beginnt mit dem Eingeständnis: Ich schaffe es nicht aus eigener Kraft. Ich kann mich nicht selbst erlösen. Meine Rettung liegt darin, dass ER am Kreuz für mich starb und mich unverdient mit Vergebung und neuem Leben beschenkt. Dieses demütigende Eingeständnis tötet unseren Stolz. Und es schafft damit Raum für das Wirken des Heiligen Geistes in unserem Leben.

Erneuerung als Basis für Gottes neuen Bund mit den Menschen

Von außen mag das Wirken des Heiligen Geistes so aussehen, als ob jemand sein Verhalten ändert. Aber Verhaltensänderung wäre Selbsterlösung aus eigener Kraft. Christen glauben stattdessen, dass hinter jeder äußerlich sichtbaren Veränderung Gott selbst steht, der unsere Herzen erneuert, wie er es schon durch die Propheten angekündigt hatte:

„Und ich werde euch ein neues Herz geben und euch einen neuen Geist schenken. Ich werde das Herz aus Stein aus eurem Körper nehmen und euch ein Herz aus Fleisch geben.“ (Hes. 36, 26)

„Doch dies ist der neue Bund, den ich an jenem Tage mit dem Volk Israel schließen werde, spricht der Herr. Ich werde ihr Denken mit meinem Gesetz füllen, und ich werde es in ihr Herz schreiben.“ (Jer.31,33)

Für Paulus ist all das keine theologische Theorie sondern gelebte Praxis – eine Praxis, die wir heute ganz neu entdecken dürfen. Mehr noch: Die Lehre von der Erneuerung unseres Lebens ist absolut unverzichtbar, wenn wir einerseits die Gebote Gottes ernst nehmen und andererseits Moralismus und Gesetzlichkeit vermeiden wollen. Diese Lehre steht im Zentrum des Neuen Bundes zwischen Gott und den Menschen. Sie gehört deshalb wieder neu ins Zentrum der kirchlichen Verkündigung.


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Das Manifest (5): Wir können uns nicht selbst erlösen. Allein aus Gnade werden wir gerettet!

Dieser Artikel ist zuerst in idea 14/2021 erschienen.

Ich liebe meinen christlichen Glauben. Ich erlebe ihn als zutiefst befreiend, heilsam, tröstend, hoffnung-, frieden- und identitätsstiftend. Aber ich weiß aus meinem Umfeld sowie aus meinen Reisen durch „Postevangelikalien“, dass christlicher Glaube auch das genaue Gegenteil sein kann: Einengend. Bedrückend. Angstmachend. Entmündigend. Wie ist das möglich? Warum wirkt sich Glaube manchmal derart gegensätzlich aus, obwohl er sich äußerlich kaum unterscheidet?

Auf diese Frage gibt es viele Antworten, die immer auch mit der individuellen Biografie zu tun haben. Aber ein Thema steht doch immer wieder im Mittelpunkt: Die Frage nach der Rechtfertigung.

Rechtfertigung – das Lebenselixier des Glaubens

Was sich so theoretisch und theologisch anhört, betrifft in Wahrheit eine existenzielle Grundfrage jedes gläubigen Menschen: Wie denkt Gott über mich? Diese simple Frage hat weitreichende Konsequenzen für unsere Glaubenspraxis: Wer sich Gottes Gunst nicht gewiss ist, verliert die Hoffnung auf Gottes Zuwendung und damit auch die Zuversicht im Gebet, die Freude über die Erlösung und vor allem die Gewissheit, ein geliebtes und wertgeschätztes Kind Gottes zu sein. Ich kenne das gut aus meinem eigenen Leben: Scham- und Schuldgefühle gegenüber diesem perfekten und heiligen Gott können sich tief im Denken verankern. Umso wichtiger ist die Frage: Nimmt Gott mich wirklich an? Wenn ja: Unter welchen Umständen? Was kann, was muss ich dazu beitragen?

Glaube statt Gesetz!

Dazu schrieb Paulus im Römerbrief einen revolutionären Satz, der auch im Zentrum der Reformation stand:

„Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch allein aufgrund des Glaubens gerecht ist – unabhängig davon, ob er das Gesetz befolgt.“ (3, 28)

Und weiter schrieb er:

„Wenn es aber aus Gnade geschah, dann spielen die eigenen Taten dabei keine Rolle. Sonst wäre die Gnade ja nicht wirklich Gnade.“ (11,6)

Das heißt: Kein noch so frommes Werk bringt mich näher zu Gott, im Gegenteil: Jede Leistung, mit der ich Gottes Gunst verdienen will, wirft mich aus der Spur des gesunden, rettenden Glaubens, der allein auf die unverdiente Gnade Gottes setzt und sagt: Ich kann mich nicht selbst erlösen. Aber ich bin von Gott angenommen, weil Jesus alles Notwendige bereits getan hat. Ich bin gerecht, weil Gott am Kreuz für mich Gerechtigkeit erworben hat und sie mir ohne mein Zutun schenkt.

Das ist Evangelium. Das ist Rechtfertigung allein aus Gnade – ein überaus kostbarer Schatz des Glaubens, den wir sorgfältig hüten und beschützen müssen. Denn seit jeher stand er in der Gefahr, ausgehöhlt und untergraben zu werden.

Wenn Paulus leidenschaftlich wird

Schon im Neuen Testament kämpft Paulus leidenschaftlich für dieses Evangelium. Als in Galatien die Forderung laut wird, Christen müssten sich gemäß dem jüdischen Gesetz beschneiden lassen, wird sein Ton ungewöhnlich scharf:

„Wenn wir durch das Gesetz gerettet werden könnten, hätte Christus nicht sterben müssen. O ihr unverständigen Galater! Wer hat euch so durcheinandergebracht?“ (Gal.2,21b-3,1a)

Gesetzlichkeit ist seither immer ein zentraler Feind des Evangeliums geblieben. Sie kriecht oft so subtil durch die Ritzen unseres Glaubens, dass wir gar nicht merken, was uns da schrittweise unsere Freude raubt.

Wie uns Gebote ein schlechtes Gewissen machen

Jede göttliche Norm, an der wir scheitern, erzeugt ein schlechtes Gewissen. Dieser Effekt kann auch beim Bibellesen auftreten: Ich soll auch meine Feinde lieben? Ich soll denen, die mich berauben, noch mehr dazu geben? Ich soll jederzeit barmherzig sein? Wenn ich über jemand urteile, dann werde auch ich verurteilt? Eine Frau begehrend anzusehen ist schon Ehebruch? Derartige Hardcorepassagen bieten genügend Stoff, um das Gefühl zu nähren, dass ich dringend mehr tun, radikaler nachfolgen, hingegebener dienen und anhaltender beten müsste, damit Gott mit mir zufrieden ist.

Ein neuer Moralismus

Also könnte man meinen: Wie gut, dass die Leute immer weniger Bibel lesen. Wie gut, dass Gesetze und Gebote aus der Mode gekommen sind. Für Gott etwas leisten? Wer will das heute noch? Stattdessen sagen wir: Du bist O.K. so wie Du bist, egal, welche Überzeugungen, welcher Lebensstil oder welchen Glauben Du hast. Mit dieser Botschaft brauchen wir im Grunde keine Gnade und keine Rechtfertigung mehr. Es ist ja schon von vornherein alles in Ordnung – bei jedem von uns.

Das klingt befreiend. Das Problem ist nur: Die Gesellschaft hat zwar die Gnade und die Rechtfertigung abgeschafft, aber nicht die Moral. Im Gegenteil: Die Moral hat Hochkonjunktur! Und sie fordert immer größere Opfer. Um uns von angeblichen „Mikroaggressionen“ fernzuhalten sollen wir immer verschwurbeltere Gender-Sprachverrenkungen auf uns nehmen. Die verbreitete Klimarhetorik treibt viele Menschen an, nicht nur aufs Auto, auf Fleisch, auf Milch und Käse sondern sogar auf Kinder zu verzichten.

Aber auch wenn wir heutzutage beim Essen, Einkaufen, Auto fahren oder durch Flugreisen sündigen – der Effekt ist der Gleiche wie beim Verstoß gegen biblische Gebote: Scham! Vor uns selbst. Vor den Mitmenschen. Und wo immer wir uns als Christen von dieser moralistischen Kultur prägen lassen natürlich auch gegenüber Gott. Und da wir an den heutigen Idealen genauso scheitern wie an den biblischen Geboten, hält auch hier das schlechte Gewissen Einzug. Besonders schlimm daran ist: Ohne Gnade und Rechtfertigung gibt es auch keine Chance auf Erlösung. Wir können uns nicht selbst erlösen. Die Scham bleibt. Sie wird unser ständiger, gnaden-loser Begleiter.

Der wichtigste Zweck von Gesetz und Moral

Umso wichtiger ist es, dass wir es neu betonen: Gesetz und Moral sind auch Wegweiser zu der Erkenntnis: Wir schaffen es beim besten Willen nicht. Nicht aus eigener Kraft. Wir können uns nicht selbst erlösen. Wir sind und bleiben Sünder. Deshalb musste ein anderer für uns sterben. Am Kreuz musste er die Suppe auslöffeln, die wir eingebrockt haben. Wie demütigend. Und wie erlösend zugleich! Wer die Knie vor dem Gekreuzigten beugt, sieht dort einen Mann, der…

… sich festnageln lässt, damit wir frei werden.

… an unserer Stelle stirbt, damit wir leben können.

… unsere Schuld auf sich nimmt, damit uns vergeben wird.

… Scham und Schande erträgt, um uns die Würde von Königskindern zu verleihen.

Wer derart beschenkt wird, muss nichts mehr tun, um sich das Heil zu verdienen. Das Befolgen von Gottes guten Geboten ist dann kein Zwang mehr. Es ist vielmehr Folge des Vertrauens, dass Gott uns liebt und am besten weiß, was gut für uns ist.

Vom Sein ins Tun statt umgekehrt

Das biblische Evangelium führt somit nicht vom Tun ins Sein sondern immer vom Sein ins Tun. Nichts, was wir tun, bringt uns das Angenommensein bei Gott. Aber weil wir Gottes Kinder sind, wächst auch sein Charakter in uns. Weil wir von ihm geliebt sind, fließt seine Liebe irgendwann ganz von selbst zum Nächsten weiter. Weil wir reich Beschenkte sind, können wir fröhlich weiterschenken. Weil wir von Gott bedingungslos angenommen sind, können wir auch andere Menschen annehmen. Weil Gott barmherzig mit uns umgeht, können wir auch zu anderen Menschen barmherzig sein. Ein gottgefälliges Leben entspringt also nicht unserem Willen oder unserem Gehorsam sondern ist eine Frucht seiner Gnade und seines Geistes, der in uns lebt und uns verändert.

Rechtfertigung aus Gnade: Gottes Antwort auf das Drama der Menschheit

Das Evangelium von der der Rechtfertigung aus Gnade löst unsere Probleme in doppelter Hinsicht: Es erlöst uns vom (frommen) Leistungsdruck – und bewahrt uns doch davor, uns nur noch lustgesteuert um uns selbst zu drehen. Es verleiht uns Wert und Identität – und reißt uns zugleich aus überheblicher Selbstgerechtigkeit. Es erlöst uns von Scham – ohne uns schamlos werden zu lassen.

Deshalb ist die Rechtfertigung aus Gnade die beste Antwort auf eine Welt, die in Moral, Scham, Schamlosigkeit, Unbarmherzigkeit und gegenseitiger Verachtung versinkt. Eine christliche Botschaft, die in Jesus nur ein Vorbild und in seiner Botschaft nur ein Ideal sieht und in deren Zentrum nicht mehr das Kreuz und die Rechtfertigung aus Gnade steht, ist kein Evangelium. Sie ist keine gute Botschaft. Ja mehr noch: Sie ist nicht einmal christlich. Sie hat der Welt nichts zu bieten außer noch mehr Moral, die uns noch weiter überfordert und tiefer beschämt. Wenn die Kirche die Rechtfertigung aus Gnade verliert, ist sie verloren.


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Das Manifest (4): Wir selbst sind der Kern unserer Probleme!

„Die ganze Welt ist vor Gott schuldig.“ (3,19b)

Diesen Satz muss man erst einmal sacken lassen. Wieder einmal nimmt Paulus für sich in Anspruch, Gottes Sicht der Dinge zu kennen. Und diese Sicht ist wenig schmeichelhaft. Ausführlich malt Paulus aus, in welches Verhalten wir Menschen abgerutscht sind, weil wir Gott nicht anerkennen wollen:

„Sie hielten es nicht für wichtig, Gott anzuerkennen. Deshalb hat Gott sie ihrer schändlichen Gesinnung ausgeliefert. Daher tun sie, was sich nicht gehört. Sie strotzen vor Unrecht, Bosheit, Habgier und Schlechtigkeit. Sie sind voller Neid, Mordlust, Streitsucht, Hinterhältigkeit, Heimtücke, Verleumdung und übler Nachrede. Sie verachten Gott, sind gewalttätig, hochmütig und prahlerisch. Im Bösen sind sie erfinderisch und ihren Eltern gegenüber ungehorsam.“ (1,28-30)

Auffällig ist dabei die Aussage, worin Gottes Gericht über uns Menschen besteht: Gott lässt uns einfach machen. Er liefert uns unserer eigenen Gesinnung aus. Und die ist laut Paulus „schändlich“.

Paulus lässt alle Illusionen platzen

Das ist der ultimative Tiefschlag für uns Menschen. Denn schließlich sind wir doch so gerne der Meinung, wir könnten mit Vernunft und Humanismus uns selbst helfen und unser eigenes Paradies errichten. Doch Paulus hört nicht auf, diese Illusion vollständig platzen zu lassen:

„Juden und Griechen befinden sich gleichermaßen in der Gewalt der Sünde. So steht es auch in der Heiligen Schrift: „Keiner ist gerecht – nicht ein Einziger. Keiner ist einsichtig, keiner fragt nach Gott. Alle sind sie von ihm abgefallen, allesamt sind sie verdorben. Es gibt keinen, der etwas Gutes tut! Auch nicht einen Einzigen!“ (3,9b-12)

Auch sich selbst nimmt Paulus dabei überhaupt nicht aus:

„Ich dagegen bin als Mensch ganz von meiner menschlichen Natur bestimmt. Ich bin mit Haut und Harren an die Sünde verkauft. … Ich weiß: So wie ich von Natur aus bin, wohnt in mir nichts Gutes. Der Wille zum Guten ist bei mir zwar vorhanden, aber nicht die Fähigkeit, es zu tun. … Obwohl ich das Gute tun will bringe ich nur Böses zustande. … Und dieses Gesetz macht mich zu seinem Gefangenen. Es ist das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern steckt. …  Aber so wie ich von Natur aus bin, diene ich dem Gesetz der Sünde.“ (7,14b,18,21b,23b,25b)

Entsprechend haben wir Menschen überhaupt keine Chance, aus uns selbst heraus ein gottgefälliges Leben zu führen: „Wer also von seiner menschlichen Natur bestimmt ist, kann Gott unmöglich gefallen.“ (8,8)

Spricht Paulus den Menschen Wert und Würde ab?

Mehr Provokation geht nicht. Spätestens beim Lesen dieser Sätze wird klar, warum die „Gute Nachricht“ von Paulus oft so schlecht bei den Hörern ankam. Wer will sich schon gerne ein derart vernichtendes Urteil sagen lassen?

Und tatsächlich müssen wir die Frage stellen: Wertet Paulus hier die Menschen nicht ab? Spricht er ihnen nicht den Wert und die Würde ab? Raubt er den Menschen nicht den Selbstwert und das Selbstbewusstsein? Will er etwa, dass alle Menschen nur noch in einer gebückten Büßerhaltung durchs Leben gehen? Und inwiefern soll das dann noch eine „Gute Nachricht“ sein?

Jedoch gilt auch hier, was bereits bei der Botschaft des Gerichts galt: Wäre diese Diagnose aus der Luft gegriffen, um Menschen klein und gefügig zu machen, dann wäre sie hochgradig verwerflich. Wenn sie jedoch zutrifft, dann wäre es verwerflich, sie zu verschweigen. Ein Arzt, der bei der Diagnose nicht schonungslos ehrlich ist, findet auch keine Therapie, die wirklich heilen kann. Deshalb lautet die entscheidende Frage: Hat Paulus recht?

Der Realitäts-Check: Ist der Mensch wirklich böse?

Seit Jahrtausenden treibt Philosophen schon diese Frage um: Warum verhalten sich Menschen böse? Auf diese Frage gibt es prinzipiell 2 mögliche Antworten:

  1. Die Menschen tragen in ihrem Kern etwas Böses, das unabhängig von den Umständen immer wieder unweigerlich die Oberhand gewinnt.
  2. Die Menschen sind im Kern eigentlich gut, nur die widrigen Umstände können sie böse machen.

Weit populärer ist natürlich die zweite These. Kein Politiker dürfte äußern, dass Menschen im Kern böse sind. Auch in Kirchen hört man das kaum noch. Stattdessen hat es immer wieder Versuche gegeben, böses menschliches Verhalten durch böse Umstände zu erklären. Daraus entstand die Vorstellung: Wenn Gesellschaften von Machtstrukturen und ungleicher Besitzverteilung befreit werden, so dass sich niemand benachteiligt fühlt, dann wird das Gute im Menschen zum Vorschein kommen. Dann werden Alle Allen helfen, um diese Erde zu einem sehr guten Ort zu machen. Der Kommunismus ist das populärste Beispiel für diesen Traum.

Jedoch sind derartige Versuche bislang allesamt kläglich gescheitert. Alle Hoffnungen auf ein menschengemachtes kommunistisches Paradies haben sich nicht nur zerschlagen. Sie endeten in grauenvollen Tragödien. Sehr viel mehr Wohlstand ist hingegen in kapitalistischen Systemen entstanden. Wenn Paulus recht hat mit seiner Diagnose, dann ist das kein Wunder. Denn der Kapitalismus setzt im Kern auf den Egoismus des Menschen, der ihn antreibt, etwas für sich selbst zu erreichen. Offenbar bringen Menschen auf Dauer nur dann Leistung, wenn sie selbst davon profitieren, nicht aber wenn sie nur für die Allgemeinheit etwas Gutes tun sollen. Zudem zeigt die Erfahrung, dass in rein kapitalistischen Systemen die Unternehmer ihre Arbeiter schnell rücksichtslos ausbeuten. Gut, dass wir in Deutschland mittlerweile eine umfangreiche Sozialgesetzgebung eingeführt haben, um die Unternehmer zu zwingen, nicht nur in die eigene Tasche zu wirtschaften!

Auch bei den politischen Systemen zeigt sich, dass das biblische Menschenbild zutrifft: Eigentlich wäre eine Monarchie mit einem guten und weisen Herrscher wesentlich effizienter als eine träge Demokratie. Jedoch erweist sich die Demokratie deshalb als das wesentlich bessere Modell, weil in ihr sämtliche Machthaber und Kräfte von anderen Machthabern und Kräften kontrolliert werden und allesamt einem gemeinsamen Gesetz unterstellt sind. Und die Geschichte hat bewiesen: Wenn Machthaber nicht fürchten müssen, im Zweifelsfall bestraft und abgesetzt zu werden, werden sie schnell zu selbstgefälligen Ignoranten, die das Volk ausbeuten. Den guten König, der einfach nur das Beste für sein Volk will und ein Diener der Menschen ist, gibt es offenkundig nur im Märchen.

Das Herz des Problems ist das Problem des Herzens

Das von Paulus proklamierte Menschenbild, das sich beginnend mit 1. Mose 8, 21 („Der Mensch ist böse von Jugend auf“) quer durch die ganze Bibel zieht, hat sich also auch in der Geschichte immer wieder bestätigt. Wir tun deshalb gut daran, eine realistische Politik zu fördern, die das Böse im Menschen berücksichtigt. Wir sollten niemals denen glauben, die behaupten, dass das Paradies ausbricht, wenn wir nur die bösen Umstände beseitigen. Denn Paulus macht klar: Das Herz unserer Probleme ist das Problem des menschlichen Herzens. Unsere bösen Umstände sind primär eine Folge der menschlichen Verstrickung in böse Gedanken und Taten. Die einzig wirklich tragfähige und nachhaltige Basis für echte Gesellschaftstransformation ist die Transformation unseres menschlichen Herzens.

Wie gut also, dass Paulus uns keinen Honig ums Maul schmiert. Stattdessen fordert er uns auf, uns ihm anzuschließen in seinem Eingeständnis: So wie ich von Natur aus bin, wohnt in mir nichts Gutes. Das klingt schmerzhaft. Aber wenn Paulus recht hat, dann schaffen wir mit diesem Eingeständnis die entscheidende Grundlage für das Beste, was uns überhaupt passieren kann. Paulus nennt es die “Erlösung aus Gnade”. Darum geht es in der nächsten fundamentalen These des Römerbriefs.


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Das Manifest (3): Es kommt ein Tag, an dem alles noch einmal auf den Tisch kommt!

„Rechnest Du wirklich damit, dem Urteil Gottes entgehen zu können? … Du bist starrsinnig und im tiefsten Herzen nicht bereit, dich zu ändern. Und so ziehst du dir selbst mehr und mehr den Zorn Gottes zu bis zum Tag des Zorns. Das ist der Tag, an dem Gott sich als gerechter Richter offenbart. Gott wird allen das geben, was sie für ihre Taten verdienen. … Über jeden Menschen, der Böses tut, lässt er Not und Verzweiflung hereinbrechen. … Denn Gott richtet ohne Ansehen der Person.” (Kap. 2, Verse 3b,5,6,9,11)

Paulus lässt keinen Zweifel daran: Es gibt einen Gott, dem nichts entgeht. Dieser Gott wird zornig angesichts unseres rebellischen, ungerechten und egoistischen Verhaltens. Eines Tages wird er alle unsere Taten noch einmal ans Licht bringen, beurteilen und im Gericht für Gerechtigkeit sorgen.

Wird die Frohbotschaft zur Drohbotschaft gemacht?

Die Lehre vom Gericht Gottes ist für Paulus offenkundig ein unverzichtbarer Teil des Evangeliums. Er verschweigt dabei nicht, dass der Ausgang dieses Gerichtstages gravierende Konsequenzen für uns haben wird. Er kündigt an, dass Gott „Not und Verzweiflung“ über alle bösen Menschen hereinbrechen lässt. Jesus selbst hat diese Aussicht zum Teil sogar noch deutlich schärfer formuliert (z.B. Matth. 13, 41+42). Trotzdem wurde kaum ein Element der christlichen Lehre so angegriffen oder verdrängt wie die Lehre vom Zorn, vom Gericht und von der Strafe Gottes. Selbst innerhalb der Kirche wird oft gesagt: Man dürfe mit solchen Lehren doch nicht aus der Frohbotschaft eine Drohbotschaft machen. Das hört sich schön an. Das Problem ist nur: Jesus tut es. Und Paulus tut es auch. In aller Deutlichkeit. Warum macht er das? Will er die Menschen einschüchtern und manipulieren, um sie bei der christlichen Stange zu halten?

Manipulation oder berechtigte Warnung?

Tatsache ist: Düstere Warnungen dieser Art sind immer dann hochgradig verwerflich, wenn die angedrohten Konsequenzen aus der Luft gegriffen wurden, um Menschen Angst zu machen. Wenn die möglichen Konsequenzen eines Fehlverhaltens hingegen real sind, dann wäre die Sachlage genau umgekehrt. Dann wäre es verwerflich, auf die Warnung zu verzichten! Dann müssten diejenigen schuldig gesprochen werden, die für die Warnung verantwortlich waren, sie aber – aus welchen Gründen auch immer – verschwiegen haben. Ob die Rede vom Zorn Gottes, von Gericht und Strafe ein notwendiger Akt der Liebe oder eine verwerfliche Manipulation darstellt, hängt also letztlich allein von der Frage ab, ob es wirklich der Realität entspricht, was alle Christen seit jeher gemeinsam bekennen: „Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.“

Ein Segen für die Unterdrückten – und für die ganze Gesellschaft!

Die Lehre vom Gericht ist aber mehr als eine Warnung. Sie ist eine Hoffnungsbotschaft für alle Unterdrückten, Ausgebeuteten, Bedrängten und Betrogenen, die von keinem weltlichen Gericht Gerechtigkeit erwarten können. Entsprechend jubelt der Psalmschreiber: „Die Berge sollen fröhliche Lieder singen vor dem Herrn. Denn der Herr kommt, die Erde zu richten. Er wird die Welt richten mit Gerechtigkeit und alle Völker nach seiner Wahrheit.“ (Psalm 98, 8b+9)

Hinzu kommt: Das Wissen um die Existenz eines allwissenden, jenseitigen Richters entlastet ganz offenkundig die diesseitigen Richter. Der indische Philosoph und Theologieprofessor Vishal Mangalwadi berichtet in seinem „Buch der Mitte“, wie sehr es ihn erstaunte, in Deutschland auf einen Bauernhof zu treffen, in dem man Milch einfach mitnehmen und das Geld dafür in eine offene Kasse legen kann. In Indien würde man nach seiner Einschätzung nicht nur das Geld sondern auch die Milch und die Kühe mitnehmen, wenn der Stall nicht abgeschlossen ist. Den Unterschied zwischen den Kulturen kann er sich nur durch den Einfluss der Reformation erklären. So trägt eine gesunde Ehrfurcht vor Gott dazu bei, dass Menschen einen Eigenantrieb entwickeln, ein ehrliches und rücksichtsvolles Leben zu führen. Das erhöht die Wertschöpfung, weil dem Staat viel Aufwand für Kontrolle, Überwachung und Strafverfolgung erspart bleibt. Ehrlichkeit und das daraus resultierende Vertrauen ist insgesamt eine entscheidende Grundlage für eine florierende Wirtschaft und Wohlstand.

Das Gewissen bezeugt die Existenz einer objektiven Moral

Wie gut also, dass Paulus deutlich macht: Das Gericht Gottes wird ALLE Menschen treffen – selbst dann, wenn sie von der Bibel und Gottes Gesetzen noch nie etwas gehört haben. Denn Gott hat jedem Menschen etwas von seinem Gesetz ins Herz geschrieben:

„Die Völker kennen das Gesetz zwar nicht. Trotzdem tun sie von sich aus, was das Gesetz verlangt. Obwohl sie das Gesetz nicht kennen, tragen sie es offensichtlich in sich. Sie zeigen damit, dass das vom Gesetz geforderte Handeln in ihr Herz geschrieben ist. Ihr Gewissen bestätigt das. So streiten ja auch in ihren Gedanken Anklage und Verteidigung miteinander. Das wird an dem Tag sichtbar, an dem Gott durch Christus Jesus Gericht hält. Dann urteilt er über das, was im Menschen verborgen ist. So entspricht es der Guten Nachricht, die ich verkünde.“ (2,14-16)

Unser Gewissen belegt laut Paulus also: Gott hat jedem Menschen ein Gespür dafür gegeben, dass es eine objektive Moral gibt. Jeder Mensch kann unterscheiden zwischen Gut und Böse. Deshalb klagen wir Menschen uns gegenseitig an. Wir dürfen uns deshalb nicht wundern darüber, dass eines Tages ein objektiver Richter auch uns entsprechend prüft und beurteilt.

Das Gericht: Eine Provokation und ein Ärgernis

Quer durch die ganze Bibel, im Alten wie im Neuen Testament, wird gleichermaßen ein Bild von einem Gott gezeichnet, der zwar gnädig, geduldig und barmherzig ist, der aber zugleich in seiner Heiligkeit Sünde nicht dulden kann, der zornig wird angesichts des bösen Verhaltens der Menschen und der sie als Richter entsprechend straft. Diese biblische Lehre ist und bleibt eine Bedrohung, eine Provokation und ein Ärgernis für Alle, die es sich bequem machen wollen in einer Welt ohne Gott, ohne Gericht, ohne Strafe, ohne Konsequenzen. Dieser “Starrsinn” und die fehlende Bereitschaft, sich zu ändern, ist in uns allen tief verankert. Kein Wunder, dass diese Lehre auf so viel Ablehnung stößt.

Aber bevor wir sie verwerfen, sollten wir unbedingt die weiteren Thesen des Römerbriefs kennen lernen. Denn auf dieser Gerichtsbotschaft baut Paulus eine wunderbar befreiende, entlastende und tröstliche Erlösungsbotschaft auf, die kein Mensch dieser Welt verpassen sollte!


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Das Manifest (2): Die Schöpfung beweist, dass es einen Schöpfer gibt, der unsere Verehrung verdient!

„Zugleich wird nämlich auch der Zorn Gottes offenbar. Er bricht vom Himmel her herein über alle Gottlosigkeit und alles Unrecht der Menschen. Denn durch dieses Unrecht unterdrücken sie die Wahrheit. Schließlich wissen sie ganz genau, was Menschen von Gott bekannt sein kann. Er selbst hat es ihnen ja vor Augen geführt. Denn sein unsichtbares Wesen ist seit der Erschaffung der Welt erkennbar geworden – und zwar an dem, was er geschaffen hat. Es ist seine ewige Macht und seine Göttlichkeit. Deshalb haben die Menschen keine Entschuldigung. Sie kennen Gott. Trotzdem ließen sie ihm nicht die Ehre und den Dank zuteilwerden, die Gott zustehen. Stattdessen verloren sie sich in Gedankenspielen, und ihr uneinsichtiges Herz hat sich verfinstert. Während sie vorgaben, weise zu sein, machten sie sich zum Narren. …  Sie verehrten die Schöpfung und beteten sie statt des Schöpfers an.“ (1,18-22+25b)

Die Argumentation von Paulus ist einfach bestechend – weil sie so bestechend einfach ist: Die Schöpfung beweist, dass es einen Schöpfer gibt. Und wenn es da wirklich jemand gibt, der uns geschaffen hat, dann hat er von uns als seinen Geschöpfen Beachtung und Verehrung verdient.

Wer ist hier ein Narr?

Wer das nicht anerkennen will, wird von Paulus als Narr bezeichnet, der sich in Gedankenspielen verloren hat. Heute ist es genau umgekehrt: Es werden gerade die als Narren bezeichnet, die der Argumentation von Paulus folgen und das komplexe Design der Lebewesen auf die Wirksamkeit eines Designers zurückführen. Generationen von Wissenschaftlern haben sich an dem Versuch abgearbeitet, den paulinischen Argumentationsstrang an der entscheidenden Stelle zu entkräften. Sie wollten beweisen, dass unsere vorgefundene Welt auch ohne einen Schöpfer entstehen konnte. Sie stellten dazu beispielsweise die These auf, dass…

… das Leben von selbst entstanden sei, z.B. in einer zufälligen Ansammlung organischer Gemische („Ursuppe“).

… vergleichsweise “einfache” biologische Baupläne durch wahllose Änderungen („Mutationen“) und die Durchsetzung der seltenen vorteilhaften Änderungen („Selektion“) sich von selbst zu noch komplexeren Bauplänen weiterentwickeln konnten.

… die extreme Feinabstimmung der Naturkonstanten dadurch erklärt werden könne, dass es zahllose Paralleluniversen mit zufällig gewählten Naturkonstanten gäbe („Multiversum“), so dass der extrem unwahrscheinliche Fall eines lebensfreundlichen Universums doch wahrscheinlich wird.

… komplex angeordnete Nervenzellen ein Selbst-Bewusstsein entwickeln, das über Gott und die Welt nachdenken kann.

Diese Thesen wurden und werden bis heute derart wuchtig vorgetragen, dass es sogar Theologen für erforderlich hielten, den paulinischen Rückschluss von der Schöpfung auf den Schöpfer zu vermeiden, um nicht aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden und um nicht eines Tages blamiert dazustehen, falls sich diese Thesen bestätigen sollten.

Argumente, die nicht tragen

Aber es war alles umsonst. Trotz der gewaltigen Anstrengungen hat sich bis heute keine dieser Thesen erhärten lassen. Niemand konnte selbst unter den besten Laborbedingungen Leben künstlich herstellen – geschweige denn Wege zeigen, wie Leben von selbst entstehen könnte. Im Gegenteil: Die neuesten Erkenntnisse zur Komplexität und Funktionalität des Lebens sind einfach ehrfurchterregend. Die Vorstellung, diese extrem effizienten, maschinenartigen Strukturen und ihre zugrundliegende Codierung könnten durch „Selbstorganisation“, also durch wahl- und ziellose Prozesse von selbst entstanden sein, erscheint mehr denn je absurd. Sie widerspricht allen Erfahrungen und wissenschaftlichen Ergebnissen zu der Frage, was ziellose Prozesse leisten können. Und allein die Existenz von wissenschaftlich völlig unprüfbaren Überlegungen wie das „Multiversum“ sind eher ein Hinweis darauf, wie groß die Verzweiflung unter Anhängern naturalistischer Weltentstehungsmodelle längst ist.

Vor wem beugen wir uns?

Früher sind die Menschen dem Schöpfer dadurch ausgewichen, dass sie statt des Schöpfers die Schöpfung selbst anbeteten. Sie beugten sich zum Beispiel vor der Sonne, vor selbstgemachten Statuen oder vor Menschen, die sich als Götter ausgaben. Heute gehen wir noch einen Schritt weiter: Wir verehren überhaupt nichts mehr. Wir wollen unsere Knie vor nichts und niemandem beugen. Und wir halten uns dabei für besonders klug und aufgeklärt.

Aber die Argumentation von Paulus steht bis heute unwiderlegt im Raum: Wer die Schöpfung sieht und dem Schöpfer trotzdem die Ehre verweigert, muss sich vorwerfen lassen, vor der offenkundigen Wahrheit davon gerannt zu sein. Wir haben bis heute allen Grund, uns von diesem simplen Argument provozieren, herausfordern und in Frage stellen zu lassen.


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Das Manifest (1): Es gibt Wahrheit und Irrtum. Nur der Glaube an die Wahrheit rettet!

„Paulus, Diener von Christus Jesus, zum Apostel berufen und dazu bestimmt, Gottes Gute Nachricht zu verkünden. Gott hat sie ja durch seine Propheten in der Heiligen Schrift schon im Voraus angekündigt.“ (1,1+2)

Paulus leitet seinen Brief schon im ersten Vers mit einem extrem steilen Anspruch ein. Er sagt: Ich bin von Jesus Christus beauftragt. Und: Meine Botschaft ist nicht von dieser Welt. Es handelt sich um GOTTES Gute Nachricht, die Gott schon im Voraus angekündigt hatte.

Damit ist klar: Diese Botschaft will nicht einfach nur eine neue These oder Überlegung sein, die man diskutieren und mehr oder weniger gut finden kann. Nein: Diese Botschaft tritt mit dem Anspruch auf, absolut wahr zu sein, weil sie von Gott persönlich stammt. Und sie sieht das Grundproblem der Menschheit darin, dass es eine göttliche Wahrheit gibt, die die Menschen verworfen haben:

„Die Menschen tauschten die Wahrheit Gottes gegen die Lüge.“ (1,25a)

Diese Realität von Wahrheit und Irrtum bzw. Lüge ist für Paulus grundlegend für alle weiteren Überlegungen. Das gilt für ihn gerade auch im Blick auf sein eigenes jüdisches Volk:

„Ich kann bezeugen, dass sie sich wirklich für die Sache Gottes einsetzen. Nur haben sie nicht die rechte Erkenntnis. Sie verstehen nicht, worum es bei der Gerechtigkeit Gottes geht. Stattdessen streben sie nach dem, was sie selbst für Gerechtigkeit halten. Deshalb haben sie sich nicht der Gerechtigkeit untergeordnet, die Gott ihnen schenken will.“ (10,2-3)

Paulus sagt also: Guter Wille und gut gemeinter Einsatz für die Sache Gottes reicht nicht. Wer vor Gott als gerecht gelten möchte, braucht dazu die richtige Erkenntnis zu der Frage, was ER sich unter Gerechtigkeit vorstellt. Paulus scheut sich nicht, ganz klar zu sagen: Mein jüdisches Volk hat diese richtige Erkenntnis leider nicht. Stattdessen eifert es nur eigenen, falschen Vorstellungen nach.

Ungeheuerlich!

Gibt es in Glaubensfragen objektive Wahrheiten?

Paulus richtet damit einen klaren Kontrapunkt auf zu der These, die man heute fast überall hören kann und die es wohl auch damals schon gab: Jeder soll nach seiner eigenen Façon selig werden. Persönliche Religiosität ist O.K., solange sie nicht den Anspruch erhebt, dass Alle das Gleiche glauben müssen.

Die Postmoderne ging sogar noch einen Schritt weiter und entwickelte die Idee: Eigentlich gibt es in Glaubensfragen gar keine Wahrheiten, die für alle Menschen gelten. Wahrheit ist immer nur subjektiv, niemals objektiv. Wer die Existenz von allgemeingültigen Wahrheiten vertritt, die für alle Menschen bindend sein sollen, der überschätzt sich nicht nur selbst, der ist auch intolerant und gefährlich, weil er den gesellschaftlichen Frieden gefährdet. Allgemeingültige Wahrheit bzw. objektiver Irrtum gäbe es demnach in Glaubensdingen gar nicht oder sie wäre zumindest für uns Menschen nicht greifbar oder fassbar.

Mit dieser postmodernen Sicht wurde der ursprüngliche Toleranzbegriff („Ich respektiere Dich und stelle mich schützend vor Dich, auch wenn ich Deine Meinung für falsch halte bzw. Du meine Meinung für falsch hältst.“) umgedeutet in die Forderung, dass man generell darauf verzichten soll, von allgemeingültigen Wahrheiten für alle zu sprechen. In diesem Denken ist nur der tolerant, der sagt: Ich habe zwar eine Position. Aber die gilt nur für mich. Deine völlig andere Position kann für Dich genauso richtig sein. Dabei merkt man oft gar nicht, dass diese postmoderne Sichtweise sich selbst widerlegt. Denn wer behauptet, dass es keine objektiven, für alle gültigen Wahrheiten gibt, stellt damit ja selbst eine Behauptung mit allgemeingültigem Wahrheitsanspruch auf.

Wahrheit oder Irrtum – eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen

Die Position von Paulus ist dagegen vollkommen anders. Er sagt: Es gibt in den existenziellen Menschheitsfragen objektiv gültige, göttliche Wahrheiten, die in menschlichen Worten verkündbar, beschreibbar und begreifbar sind und die somit jeden Menschen vor die Wahl stellen, dieser Wahrheit entweder zu glauben oder sie zurückzuweisen. Dabei gilt laut Paulus: Nur diese Wahrheit rettet! Die Idee, dass ein anderer, selbst konstruierter Glaube im Leben und im Sterben tragfähig sein könnte, ist für ihn offenbar genauso absurd wie die Vorstellung, dass ein schwerkranker Patient sich selbst die Pille aussucht, die ihn heilen soll, weil sie ihm farblich und geschmacklich am meisten zusagt. Entscheidend für die Heilung sind aber nicht die Vorzüge des Patienten, sondern einzig und allein die Frage, ob die Pille genau den Wirkstoff enthält, der die tödliche Krankheit bekämpfen kann. Die Entscheidung für eine bestimmte Arznei oder Therapie hat deshalb weitreichende Konsequenzen. Sie kann letztlich über Leben und Tod entscheiden. Ein verantwortungsvoller Arzt muss sich deshalb unbedingt dafür einsetzen, dass sein Patient sich nicht auf eine falsche Therapie verlässt, die ihm nicht nur nicht helfen kann sondern die ihn womöglich auch noch von der wirklich rettenden Therapie abhält. Genauso wird bei Paulus in vielen seiner Briefe deutlich: Es ist trotz allen Unannehmlichkeiten unbedingt notwendig, sich für die Wahrheit einzusetzen und vor falscher Lehre deutlich zu warnen.

Verrückte, Lügner oder Propheten?

Der Anspruch von Paulus, objektiv gültige, göttliche Wahrheit zu verkündigen, zeigt den grundsätzlichen Unterschied der biblischen Schriften zu allen anderen theologischen Texten: Nur die biblischen Autoren können einen Wahrheitsanspruch erheben, der sich direkt auf Gottes Autorität beruft. Spätestens die Reformation hat klar gestellt: Das könnte und dürfte sich seither kein Theologe und kein kirchlicher Leiter mehr anmaßen. Mit ihrem einzigartigen Anspruch auf göttliche Wahrheit stellen uns die biblischen Autoren vor eine grundsätzliche Glaubensentscheidung: Entweder wir halten diese Leute für überspannt oder durchgeknallt. Oder wir halten sie für Lügner. Oder wir kommen zu dem Schluss, dass sie echte Propheten sind, denen man besser glauben sollte, wenn man sich nicht mit Gott selbst anlegen will.

Bevor Du Dich für eine dieser Optionen entscheidest: Schau Dir doch zunächst einmal an, welche Inhalte Paulus für objektiv wahr und gottgegeben hält. Dazu lege ich Dir die folgenden Artikel zu den 6 weiteren Thesen des Römerbriefs ans Herz:


Übersicht und Einleitung: Das Manifest – 7 fundamentale Thesen des Römerbriefs

Die Artikel zu den weiteren Thesen erscheinen in Kürze.

Das Manifest: 7 fundamentale Thesen des Römerbriefs

Das Leben des Paulus ist von einem seltsamen Widerspruch geprägt: Einerseits war es seine Mission, allen Menschen eine überaus gute Nachricht zu bringen, für die er sich nach eigener Aussage nicht zu schämen brauchte:

„Denn ich schäme mich nicht für die Gute Nachricht. Sie ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt.“ (Römer 1,16)

Andererseits war sein Leben geprägt von heftigstem Widerstand und schwerer Verfolgung, die ihn am Ende sogar das Leben kostete. Seither haben zahllose Christen in der ganzen Welt erlebt: Die gute Nachricht („Evangelium“) des Paulus löst nicht nur Begeisterung sondern auch Verachtung, Widerspruch oder sogar Verfolgung aus. Die große Frage ist:

Warum führt eine gute Nachricht so oft zu solch unguten Reaktionen?

Wer sich den Römerbrief aufmerksam durchliest, begreift rasch den Grund: Mit seiner Botschaft hat Paulus einen Stachel ins Fleisch der Menschheit getrieben. Seit 2000 Jahren reizt er die Menschen entweder zum empörten Widerspruch oder zur Umkehr zu Gott. Dazwischen lässt Paulus wenig Spielraum – es sei denn, man jagt seine Botschaft so oft durch den theologischen Weichspüler, bis nichts mehr von ihr übrig ist.

7 Artikel zu 7 Thesen des Römerbriefs

Diese kleine Artikelserie hat sich vorgenommen, Paulus möglichst ungezähmt zu Wort kommen zu lassen. Sie beleuchtet seine Botschaft anhand von 7 fundamentalen Thesen des Römerbriefs. Thesen, die letztlich nichts anderes sind als ein Frontalangriff auf die Autonomie des Menschen. Thesen, die uns konfrontieren mit unangenehmen Wahrheiten und uns vor weitreichende Entscheidungen stellen. Thesen, die bis heute Widerspruch auslösen und verächtlich gemacht werden. Thesen, an der jede Theologie Maß nehmen muss, wenn sie wirklich das paulinische Evangelium wiedergeben will, statt es zu verzerren oder zu verdrehen – und ihm damit seine rettende, menschen- und weltverändernde Kraft zu rauben. Thesen, die laut Paulus jeder Mensch kennen sollte, weil an ihnen das Leben hängt.

Ich lade Dich ein, ganz neu und ungeschminkt diese revolutionäre „Gute Nachricht“ kennen zu lernen, die wie keine andere gehasst und geliebt wurde, die seit 2000 Jahren die Welt erobert, die schon zahllose Herzen erneuert und ganze Nationen verändert hat.


Die 7 Thesen im Überblick:

These 1: Es gibt Wahrheit und Irrtum. Nur der Glaube an die Wahrheit rettet!

These 2: Die Schöpfung beweist, dass es einen Schöpfer gibt, der unsere Verehrung verdient!

These 3: Es kommt ein Tag, an dem alles noch einmal auf den Tisch kommt!

These 4: Wir selbst sind der Kern unserer Probleme!

These 5: Wir können uns nicht selbst erlösen. Allein aus Gnade werden wir gerettet!

These 6: Wir brauchen Erneuerung statt Veränderung!

These 7: Jesus ist Herr! Freiheit und Gehorsam gehören zusammen!

Fazit: Auch wenn die Antithesen populärer sind – bitte predigt genau dieses Evangelium!