Das wunderkritische Paradigma – Der heimliche Spaltpilz der Christenheit

Dürfen Theologen in ihrer bibelwissenschaftlichen Arbeit damit rechnen, dass Wunder wirklich geschehen sind und Propheten die Zukunft vorhersagen konnten? Leider wissen nur wenige Christen, dass diese einfache Frage bei vielen theologischen Umwälzungen der letzten beiden Jahrhunderte mit im Zentrum stand. Das wunderkritische Paradigma wirkt gerade deshalb so spaltend, weil es so selten offen angesprochen wird. Angesichts der enorm weitreichenden Konsequenzen für die Christenheit ist es höchste Zeit, das zu ändern.

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Naturwissenschaftler erforschen die Welt vor allem durch genaue Beobachtung und reproduzierbare Experimente. Dabei gehen sie davon aus, dass sich für jedes Naturphänomen eine natürliche, naturgesetzliche Erklärung finden lässt. Diese Selbstbeschränkung auf natürliche Erklärungen ist selbst aber kein Ergebnis wissenschaftlicher Forschung sondern vielmehr eine Denkvoraussetzung.

Wunder könnten – wenn es sie gäbe – weder reproduzierbar beobachtet und erst recht nicht experimentell nachgestellt werden. Sie entziehen sich somit grundsätzlich der naturwissenschaftlichen Methodik. Das gilt ganz besonders für Wunder aus fernen vergangenen Zeiten. Bei geschichtlichen Ereignissen handelt es sich generell um einmalige, nicht mehr beobachtbare und nicht reproduzierbare Vorgänge. Die Frage nach der Möglichkeit von (historischen) Wundern ist deshalb prinzipiell wissenschaftlich nicht beantwortbar.

Die Entscheidung, in der Forschung nicht mit übernatürlichen Vorgängen zu rechnen, ist deshalb dem Bereich der „Paradigmen“ zuzuordnen. Ein Paradigma ist eine grundsätzliche, dem wissenschaftlichen Arbeiten vorgeordnete Denkweise. Prof. Uwe Zerbst schreibt dazu in Berufung auf die Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn und Alan Chambers: Grundlage eines Paradigmas ist der freiwillige Konsens einer möglichst großen Gruppe von Wissenschaftlern, wie in der betreffenden Disziplin „richtig“ geforscht wird. … Anhänger konkurrierender Paradigmen leben … in gewisser Weise „in verschiedenen Welten“, was sich unter anderem darin zeigt, dass für sie ganz unterschiedliche Fragen legitim oder bedeutsam sind.[1] In der Wissenschaft spielen also außerwissenschaftliche Vorannahmen eine weit größere Rolle, als viele Laien und auch so manche Wissenschaftler denken.[2]

Ist die Selbstbeschränkung auf natürliche Ursachen grundlegend für wissenschaftliches Arbeiten?

Angesichts des Siegeszugs der Naturwissenschaften mit allen daraus resultierenden Fortschritten in Medizin und Technik glauben viele Menschen, dass die Beschränkung auf natürliche Ursachen generell die Grundlage jeglicher seriöser Wissenschaft wäre. Aber das ist ein Irrtum. Wissenschaft muss ergebnisoffen nach Wahrheit suchen. Jede außerwissenschaftliche Grund­annahme muss sich immer wieder fragen lassen, ob sie ihrem jeweiligen Forschungsgegenstand gerecht wird und zu schlüssigen Ergebnissen führt. Um es mit den Worten des berühmten Wissenschaftstheoretikers Karl Popper zu sagen: „Ein empirisch-wissen­schaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können.[3] Es muss also widerlegbar („falsifizierbar“) sein, um als wissenschaftlich gelten zu dürfen.

Das gilt auch für die Selbstbeschränkung auf natürliche Ursachen. So erfolgreich und sinnvoll dieser Ansatz bei der Erforschung der Welt auch war, bei der Frage nach der Entstehung der Welt hat er sich als weit weniger fruchtbar erwiesen. Die Annahme, dass die DNA als biologischer Informationsträger ein Produkt von sich selbst organisierender Materie sei, konnte bislang durch wissenschaftliche Beobachtungen und Experimente nicht erhärtet werden. Gleiches gilt für die Frage, wie die fein aufeinander abgestimmten Bausteine des Universums, die komplexen molekularen Maschinen, die hocheffizienten biologischen Baupläne und der selbst-bewusste menschliche Geist entstehen konnten. Trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung zeichnen sich bei keiner dieser Fragen solide Erklärungen für natürliche Entstehungswege ab.[4] Könnte es sein, dass der Ansatz, der bei der Erforschung der Welt so überaus erfolgreich war, bei der Erforschung der Entstehung der Welt versagt, weil er diesem völlig anderen Forschungsgegenstand vielleicht gar nicht gerecht wird? Wäre es angesichts des anhaltenden Scheiterns vielleicht angemessen, speziell bei den Ursprungsfragen einen Paradigmenwechsel in Erwägung zu ziehen und die Option der Wirksamkeit eines übernatürlich wirkenden, ordnenden Geistes dort wieder zuzulassen?

Unwissen­schaftlich wäre das nicht, im Gegenteil: Es wäre ein Verstoß gegen die Freiheit des wissenschaftlichen Denkens, mögliche Optionen, die wahr sein könnten, prinzipiell dauerhaft auszuschließen. Wirklich unwissenschaftlich wäre es, wenn ein Paradigma sich grundsätzlich und dauerhaft dem Wettbewerb mit anderen Paradigmen verschließt.

Sollte sich auch die Bibelwissenschaft auf natürliche Ursachen beschränken?

Auffällig ist, dass genau die gleiche Frage, die weltweit in der Ursprungsforschung für Unruhe sorgt, auch in der Bibelwissenschaft eine enorme Rolle spielt. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert steht auch hier die These im Raum, dass eine Selbstbeschränkung auf natürliche Erklärungen (also ein „wunderkritisches Paradigma“) die allgemeine Grundlage für seriöses bibelwissenschaftliches Arbeiten sein sollte. Entsprechend schreibt der Theologe Prof. Armin D. Baum: Seit dem 19. Jahrhundert wird das Adjektiv ,,kritisch“ auch mit der Bedeutung prinzipiell „wunder-kritisch“ verwendet.[5]

Bis dahin hatte sich das theologische Denken der Kirche weitgehend am biblischen Weltbild orientiert.[6] Die Bibel geht zwar genau wie die moderne Naturwissenschaft davon aus, dass in der Welt in aller Regel nur natürliche Kräfte am Werk sind. Aber bei der Ursprungsfrage rechnet die Bibel sehr wohl mit dem übernatürlichen Wirken eines Schöpfers. Und sie hält es zudem für selbstverständlich, dass dieser Schöpfer jederzeit in den Lauf der Welt eingreifen und sich seinen Geschöpfen in übernatürlicher Art und Weise offenbaren kann.[7]

Bedeutend für den theologischen Paradigmenwechsel war unter anderem ein Aufsatz des Theologen Ernst Troeltsch aus dem Jahr 1898, in dem er der alten „dogmatischen Methode“ eine „historisch(-kritisch)e Methode“[8] gegenüberstellte, in der übernatürliche („supranaturalistische“) Taten Gottes grundsätzlich ausgeschlossen wurden.[9] Prägend war auch der Theologe Rudolf Bultmann, der meinte, dass der Glaube „an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments“ für moderne, technikaffine Menschen nicht länger zumutbar sei, weil sie in ihrem Alltag die Erfahrung machen, dass es keine Wunder gibt.[10] Bultmann ging zudem von der Voraussetzung aus, „dass die Geschichte eine Einheit ist im Sinne eines geschlossenen Wirkungs-Zusammenhangs, in dem die einzelnen Ereignisse durch die Folge von Ursache und Wirkung verknüpft sind. … Diese Geschlossenheit bedeutet, dass der Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens nicht durch das Eingreifen übernatürlicher, jenseitiger Mächte zerrissen werden kann, dass es also kein ‘Wunder’ in diesem Sinne gibt.“ Historische Wissenschaft dürfe zwar „nicht behaupten, dass … es kein Handeln Gottes in der Geschichte gäbe. Aber sie selbst kann das als Wissenschaft nicht wahrnehmen und damit rechnen.[11]

Dass Theologen in der praktischen bibelwissen­schaft­lichen Arbeit nicht mit übernatürlichen Vorgängen rechnen sollten, wird heute oft auch wie folgt begründet: Um gemeinsames wissenschaftliches Arbeiten zu ermöglichen, dürfe Wissenschaft nur Methoden anwenden, die von Wissenschaftlern unterschiedlichster Weltanschauungen nachvollzogen werden können, die also „intersubjektiv überprüf­bar“ sind.[12] Da die Möglichkeit von Wundern von der Mehrheit der Wissenschaftler abgelehnt wird, führt das in der Praxis dazu, dass Bibelwissenschaftler in ihrer Theoriebildung grundsätzlich nicht mit göttlichen Eingriffen rechnen – selbst wenn sie persönlich durchaus an die Realität von Wundern und Offenbarungsereignissen glauben.

Tatsächlich sind laut Prof. Peter Wick wunderkritische Einstellungen an den theologischen Fakultäten heute weit verbreitet.[13] Laut Armin Baum dürfte in der (deutschsprachigen) wissenschaftlichen Theologie das wunderkritische Lager in der Mehrheit sein, während außerhalb der theologischen Wissenschaft die wundergläubigen Christen in der Mehrzahl sein werden.[14] Baum wies zudem darauf hin, dass auch solche Bibelforscher, die sich eigentlich gegen eine generelle Wunderkritik stellen, in der Praxis trotzdem das wunderkritische Paradigma anwenden können.[15] Umso mehr stellt sich die Frage: Wie weitreichend wirkt das wunderkritische Paradigma tatsächlich in der heutigen Theologie? Welche Konsequenzen hat es für die Auslegung der biblischen Texte? Und welche Konsequenzen hat es für die Kirche Jesu und ihre Einheit?

Die Recherchen zur Beantwortung dieser Fragen waren für mich spannend wie ein Krimi. Als wahre Fundgrube hat sich dabei das von der Deutschen Bibelgesellschaft veröffentlichte wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex, www.bibelwissenschaft.de/wibilex) erwiesen. WiBiLex wird unter anderem auf der Internetseite der Worthaus-Mediathek ausdrücklich empfohlen. Bei der Lektüre von WiBiLex-Artikeln stellte ich zunehmend fest: Eine supra­naturalistische Sichtweise, die mit übernatürlichen Ereignissen rechnet, wird dort im Grunde nirgends als vernünftige Denkalternative betrachtet. Die Artikel folgen mehr oder weniger klar dem wunderkritischen Paradigma – mit weitreichenden Konsequenzen für die Auslegung der biblischen Texte. Je ein Beispiel aus dem Alten und dem Neuen Testament sollen das verdeutlichen:

Daniel: Prophet oder fingierte Legende?

Die Kapitel 7 – 12 des Buchs Daniel sind in der Ich-Perspektive verfasst. Sie behaupten also von sich selbst, vom Propheten Daniel und somit aus dem 6. Jahrhundert vor Christus zu stammen. Zugleich enthalten gerade diese Kapitel detaillierte und zutreffende Berichte über geschichtliche Ereignisse des dritten und zweiten Jahrhunderts vor Christus[16]. Das stellt jeden Ausleger vor eine grundsätzliche Entscheidung:

  • Entweder treffen die Behauptungen des Buchs über seine Datierung und Verfasserschaft zu. Dann hätten wir hier ein verblüffendes Zeugnis von detailgetreu eingetroffenen prophetischen Vorhersagen vorliegen.
  • Oder aber die angeblichen Prophetien wurden erst nach den geschichtlichen Ereignissen, also etwa um das Jahr 170 vor Christus aufgeschrieben.[17] Dann hätte der Autor über die Ich-Perspektive seine Identität mit der Person des Daniel aus der Zeit des Exils nur „fingiert“.[18]

Welche Deutung stimmt? Die traditionelle Position zu dieser Frage ist vollkommen eindeutig: Sämtliche antike jüdische und christliche Quellen gehen einmütig davon aus, dass der Selbstanspruch des Buchs Daniel zu seiner Datierung und Verfasserschaft im Wesentlichen zutrifft.[19] Schon im 1. Makkabäerbuch, das vermutlich im späten 2. Jahrhundert vor Christus geschrieben wurde[20], „werden Daniel und seine Freunde … wie wirkliche, geschichtliche Personen behandelt.[21]

Ganz im Gegensatz dazu gilt es in den relevanten WiBiLex-Artikeln als Selbstverständlichkeit, dass es sich bei den Vorhersagen im Buch Daniel in Wahrheit um rückblickende Texte aus dem 2. Jahrhundert vor Christus handelt. Daniel sei zudem „nicht als historische Gestalt zu verstehen“, er sei vielmehr „eine Idealgestalt, die Geschichten um ihn tragen deutlich legendäre Züge.“ Das Hauptargument dafür liegt für den WiBiLex-Autor Dominik Helms in der hohen Präzision der geschichtlichen Darstellung. Hinzu kommen für ihn angeblich fehlerhafte Darstellungen der früheren exilischen Zeit. Innere Widersprüche sowie Spannungen in Theologie, Chronologie, Stil und Sprache würden zudem dagegen sprechen, dass das Buch ursprünglich auf nur einen Autor zurückgeführt werden könnte.

Neu sind diese Argumente nicht. Leider wird ihre Beweiskraft bei Helms aber überhaupt nicht diskutiert, so wie man es eigentlich von einem wissenschaftlichen Werk erwarten würde und wie es z.B. Prof. Gerhard Maier in seinem Daniel-Kommentar für die Wuppertaler Studienbibel ausführlich tut und dabei zu dem Schluss kommt, dass „die Einwände, die gegen die geschichtliche Zuverlässigkeit des Danielbuches vorgebracht werden, nicht durchschlagen.[22] Mehr noch: Maier führt eine lange Liste von Argumenten ins Feld, die stark für die traditionelle Datierung des Daniel-Buchs sprechen. Dazu gehören unter anderem viele historische Detailangaben zum Leben am babylonischen Hof, die sich außerbiblisch gut bestätigt haben. Der Autor des Daniel-Buchs habe „eine erstaunlich gute Kenntnis der Geschichte des 6. Jahrhunderts vor Christus besessen und sich in oft überraschender Weise als zuverlässig erwiesen.[23] Die weite Verbreitung und der große Einfluss des Daniel-Buchs schon im 2. Jahrhundert vor Christus[24] führt Maier zudem zu der Frage: „Wie soll ein Buch, das selber erst im 2. Jahrhundert erschien, eine so feste und einflussreiche Stellung noch während des 2. Jahrhunderts gewonnen haben?[25] Wie ist es gelungen, in der jüdischen Welt innerhalb kürzester Zeit den allgemein akzeptierten Mythos zu erzeugen, es handle sich um ein authentisches, altes Buch eines enorm einflussreichen Propheten, der wie Jesaja oder Jeremia fest zum Kanon der heiligen Schriften gehören muss?

Trotz dieser schwerwiegenden Argumente (die bei Helms leider kaum erwähnt, geschweige denn diskutiert werden) steht heute für die „fast ausnahmslose Mehrheit der deutschen Gelehrten[26] fest, dass das Danielbuch entgegen allen antiken Bekundungen nicht von Daniel sondern zumindest in wichtigen Teilen aus dem 2. Jahrhundert vor Christus stammt. Woran liegt das? Entscheidend dafür ist für Gerhard Maier die „schlichte Frage, ob Kapitel 11 echte Zukunftsweissagung sein kann. Diese weltanschauliche Frage, ob Gott einem Propheten eine so genaue Zukunftsvoraussage an die Hand gibt, spaltet die Forscher und entscheidet letztlich auch über die Datierung des Danielbuches.[27] Anders ausgedrückt: Das wunderkritische Paradigma ist entscheidend für die Verschiebung der Abfassungszeit des Danielbuchs um mehrere Jahrhunderte.

Die Konsequenzen für die Auslegung des Daniel-Buchs sind weitreichend. Schließlich sind Verfasser, Adressaten sowie die historischen und kulturellen Rahmenbedingungen im 2. Jahrhundert vor Christus völlig anders als in der exilischen Zeit Daniels. Außerdem wird mit der Behauptung, die angeblichen Vorhersagen wären erst nach den Ereignissen aufgeschrieben worden, eines der „zentralen Themen [des Daniel-Buchs] diskrediert“, denn die „Vorstellung, dass Gott seinen Knechten seine künftigen Ziele zeigt, gehört zu den Kernpunkten der Theologie des Buches.[28] Und nicht zuletzt verliert das Daniel-Buch seinen Hinweischarakter auf Jesus als den verheißenen Messias, der von der traditionellen Theologie ganz selbstverständlich angenommen worden war. Schließlich hat Jesus selbst seine bevorzugte Selbstbezeichnung „Menschensohn“ aus Daniel 7,13 entnommen. Trotzdem meint Dieter Zeller im WiBiLex, dass die Rede vom „Menschensohn“ in Daniel 7,13 nicht etwa vom Heiligen Geist sondern von „mythischen Vorstellungen“ inspiriert sei und möglicherweise für einen Engel oder das endzeitliche Israel stünde.[29]

Im Übrigen sei es eine „naive Annahme“, dass der historische Jesus sich wirklich mit dem danielischen Menschensohn identifiziert habe. Es sei schließlich „ohne weiteres einsichtig“, dass die in den Evangelien enthaltenen Voraussagen auf das Leiden des Menschensohns (z.B. Markus 8,31) „nicht auf den historischen Jesus zurückgeführt werden können.[30] Diese Vorhersagen seien vielmehr erst nachösterlich entwickelt und „in dessen irdisches Wirken zurückgetragen“ worden,[31] um „im Nachhinein das Ärgernis des Kreuzestodes, aber auch des Verrats durch Judas“ zu verarbeiten.[32] Auch hier wird das wunderkritische Paradigma deutlich. Und schon hier zeigen sich die weitreichenden Folgen auch für unser Jesusbild und für die Betrachtung der Evangelien, wie das folgende zweite Beispiel noch deutlicher macht:

Wurden die Evangelien vor oder nach der Zerstörung des Tempels verfasst?

Oder anders gefragt: Wie weit sind die Evangelien von den Geschehnissen entfernt und was bedeutet das für ihre Glaubwürdigkeit? Über die traditionelle Sichtweise schreibt Armin Baum: „Bei allen Divergenzen im Einzelnen stimmen sämtliche altkirchlichen Angaben darin überein, dass die Entstehung und Verbreitung der drei synoptischen Evangelien im zeitlichen Umfeld der römischen Wirksamkeit und des römischen Martyriums von Paulus und Petrus erfolgte, also in den 60er Jahren des 1. Jahrhunderts. Die drei synoptischen Evangelien wurden somit an den Übergang von der Generation der Schüler und Augenzeugen Jesu (30-70 n.Chr.) zur zweiten christlichen Generation datiert.[33]

Zur heutigen Situation schreibt Christfried Böttrich im WiBiLex: „Die Datierung des Lukasevangeliums in die Zeit um 90 n.Chr. beruht auf einem breiten Konsens. Von der Zeit der Augenzeugen trennt den Autor schon ein längerer Traditionsprozess.[34] Gemäß dem Theologen Andreas Lindemann wird die frühere Überzeugung, dass in den Evangelien Augenzeugen das Leben Jesu verlässlich darstellen, seit Jahrzehnten von keinem ernst zu nehmenden Exegeten mehr behauptet.[35]

Welche Indizien haben dazu geführt, dass die traditionelle Sichtweise zur Datierung der Evangelien und zu ihrer Eigenschaft als Augenzeugenberichte heute praktisch durchgängig verworfen wird? Armin Baum schreibt: Aus dem Text der Evangelien selbst lassen sich nur vage Hinweise zu ihrer Entstehungszeit gewinnen. Dass die Apostelgeschichte abrupt mit dem zweijährigen Romaufenthalt des Paulus (60-62 n.Chr.) endet, passt gut zu der Annahme, das lukanische Doppelwerk sei bald darauf veröffentlicht worden.“ Beeindruckend ist darüber hinaus, dass alle vier Evangelien (ganz anders als die Apokryphen) zahlreiche Merkmale authentischer Augenzeugenberichte aufweisen wie z.B. detaillierte und stimmige Kenntnisse von Orten, Namen, Gebräuchen und weiteren Hintergrundinformationen.[36]

Aber was hat dann zu diesem Umschwung geführt? Armin Baum schreibt: „Als wichtigstes Indiz [für die Datierung der Evangelien] gilt die Endzeitrede Jesu (Mt 24-25 par Mk 13 par Lk 21) mit ihren Aussagen über die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Stadt Jerusalem.[37] Hier kommt wieder das wunderkritische Paradigma ins Spiel. Wohlgemerkt wird in keinem der Evangelien etwas über die Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n.Chr. berichtet, im Gegenteil: Das Neue Testament zeichnet sich in Bezug auf dieses für alle Juden so traumatische Ereignis durch ein geradezu dröhnendes Schweigen aus (so wie es erstaunlicherweise auch zum Tod von Paulus, Petrus und dem Herrenbruder Jakobus kein Wort verliert). Die Endzeitrede Jesu enthält lediglich eine Vorhersage dieses Ereignisses, ohne die Erfüllung auch nur zu erwähnen. Deshalb stehen die Bibelforscher genau wie beim Buch Daniel auch hier vor einer grundlegenden Alternative, die Armin Baum so formuliert: Wer es für ausgeschlossen hält, dass Gott, der die Zukunft kennt, seinen Boten gelegentlich einen kleinen Ausschnitt der Zukunft enthüllt, wird die synoptischen Evangelien frühestens 70 n.Chr. datieren. Wer (wie ich) vom Gottesbild des Alten und Neuen Testaments bzw. von einem offenen Gottesbild ausgeht, wird dem von Irenäus mitgeteilten Zeitfenster, den 60er Jahren des 1. Jahrhunderts, den Vorzug geben.[38]

Während der Theologe David Friedrich Strauß im 19. Jahrhundert immerhin noch diskutierte, ob es sich bei Jesu Endzeitrede um eine echte prophetische Vorhersage, eine natürliche Vorahnung oder eine ihm nachträglich in den Mund gelegte und somit nur angebliche Vorhersage („vaticinium ex eventum“[39]) handelte (er entschied sich aufgrund seines wunderkritischen Paradigmas für Letzteres)[40], wird im WiBiLex-Artikel von Dominik Helms die supranaturalistische Variante nicht einmal mehr erwähnt.[41] Das wunderkritische Paradigma spielt also wie beim Buch Daniel auch bei der Datierung der Evangelien eine entscheidende Rolle.

Was wir dabei noch einmal unbedingt festhalten müssen ist: Niemand kann beweisen, dass es damals keine vorhersehende Prophetie gab. Eine von vornherein („a priori“) getroffene Entscheidung, prinzipiell nicht mit Wundern und mit Offenbarung zu rechnen, hat vielmehr philosophischen und dogmatischen Charakter. Diese Entscheidung hat weitreichende Folgen:

Welche Konsequenzen hat das wunderkritische Paradigma?

Die Tabelle 1 zeigt: Ein prinzipieller Ausschluss von Offenbarung und Wundern in der bibelwissenschaftlichen Methodik hat eine starke Verengung der Sicht auf die Bibel zur Folge. Das führt zu schwerwiegenden Verlusten:

  • Der Verlust des biblischen Selbstanspruchs: Die Bibel behauptet von sich selbst an vielen Stellen, von Gottes Geist inspiriert zu sein und einen zeitüber­greifenden Wahrheitsanspruch zu besitzen (z.B. 2. Timotheus 3, 16). Wer aber prinzi­piell nicht mit realen Offen­barungsereignissen rechnet, kann auch diesen biblischen Selbst­anspruch nicht in Betracht ziehen. Er muss die Bibel zwangsläufig als Menschenwort mit dem Denk- und Erkenntnishori­zont der damaligen Zeit ansehen.
  • Der Verlust der historischen Glaubwürdigkeit: Daniel war ein Augenzeuge der im Buch Daniel berichteten Ereignisse. Ein nachexilischer Autor hingegen konnte sich nur noch auf Überlieferungen stützen, die über Generationen weitergegeben und eingefärbt wurden. Der Text verliert somit seine Nähe zu den Geschehnissen und die besondere Glaubwürdigkeit eines Augenzeugenberichts. Das gilt auch für die Evangelien, wenn sie wegen der in ihnen enthaltenen Vorhersagen auf die Zeit nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n.Chr. datiert werden müssen und man ihnen deshalb unterstellt, dass die Berichte durch nachösterliche Legenden- und Gemeindebildung angereichert und gefärbt wurden. Die Annahme nachträglich eingefügter Prophetien legt zudem nahe, dass die Autoren sich viel kreative Freiheit beim Schreiben ihrer Texte herausnahmen. Auch die enthaltenen Wunderberichte können unter dem wunderkritischen Paradigma nicht als„historisch“ im wissenschaftlichen Sinn angese­hen werden – auch dann nicht, wenn sie historische und geografische An­gaben enthalten und innerbiblisch historisch ernst genommen werden. Stattdessen muss dem Autor prinzipiell unterstellt werden, dass er die Ereignisse entweder falsch dargestellt hat oder dass es ihm – unabhängig von den Anzeichen im Text – nicht um die Darstellung eines historischen Ereignisses gegangen sei.
  • Der Verlust der ursprünglichen Aussageabsicht: Mit der Verschiebung der Abfassungszeit ändert sich auch die von der Autorenschaft be­absichtigte Aussage des Textes, weil der spätere Autor andere Adressaten vor Augen hat und vor dem Hintergrund eines völlig anderen politischen und kulturellen Umfelds schreibt. Unter dem wunderkritischen Paradigma wird die Aussageabsicht zudem immer auf das natürlich-menschlich Denkbare reduziert. Gewollte Vorhersagen zukünftiger Ereignisse oder ein Christuszeugnis des Alten Testaments (wie von Jesus z.B. in Lukas 24,27 behauptet) ist im wunderkritischen Paradigma ebenso wenig denkbar wie eine gottgelenkte „Heilsgeschichte“ oder ein zeit- und kulturübergreifender Wahrheitsanspruch in ethischen Fragen (also z.B. eine „Schöpfungsordnung“).
  • Der Verlust innerbiblischer Begründungszusammenhänge: Eingetroffene Vorhersagen werden in der Bibel häufig als Zeichen göttlicher Autorität verwendet (z.B. Jesaja 41,21-29; 42,9; 46,9-10). Das Neue Testament untermauert die Messianität Jesu an zahlreichen Stellen mit eingetroffenen Vor­hersagen. Ausleger, die nicht mit vorhersagender Prophetie rechnen können, sind gezwungen, dieser bibeleigenen Argumentation den Boden zu ent­ziehen, indem eingetroffene Vorhersagen entweder als nachträglich eingefügt gelten müssen oder indem vermutet werden muss, dass Erzählberich­te (wie z.B. Jesu Geburt in Bethlehem) an biblische Vorhersagen (wie z.B. Micha 5,1)  angepasst wur­den.[42] Wer nicht mit historischen Wundern rechnet, kann zudem der zentralen Argumentation des Johannesevangeliums nicht folgen, dass die Wunder „Zeichen“ für die Gottessohnschaft Jesu seien (Johannes 20, 30+31).
  • Besonders gravierend für die Kirche Jesu ist der Umstand, dass mit dem Verlust der Augenzeugenqualität der Evangelien auch unser Jesusbild unsicher wird. Die Frage nach dem historischen Jesus ist ohne Zweifel höchst bedeutsam für den christlichen Glauben.[43] Worauf soll sich die Lehre der Kirche beziehen und woran soll sich der Glaube orientieren, wenn nicht klar ist, was der Herr der Kirche wirklich verkündigt und vorgelebt hat?

Da viele theologische Aussagen der Bibel auf der Geschichtlichkeit von Wundern und Vorhersagen aufbauen[44], hat der Verlust der historischen Glaubwürdigkeit zudem weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis der biblischen Botschaften. Das reicht hinein bis in die allerzentralsten Glaubensaussagen des Christentums: Wer in seiner Forschungsarbeit nicht mit Wundern und Offenbarung rechnen kann, muss auch von der Menschlichkeit Jesu von Nazareth ausgehen – und kann deshalb im Kreuzestod nur schwer ein stellvertretendes Opfer sehen, das dann ja ein grausames Menschenopfer wäre. Eine Auslegungsmethodik, die nicht mit Wundern und Offenbarung rechnen kann, mündet deshalb – konsequent zu Ende gedacht – in ein anderes Evangelium.

Drei verschiedene Grundhaltungen

Im Ergebnis zeigt sich, dass die Bibelwissenschaft auf mindestens drei verschiedenen grundlegenden Paradigmen aufbauen kann:

  • Im geschlossenen wunderkritischen Paradigma wird zumindest in der bibelwissenschaftlichen Praxis grundsätzlich nicht mit Wundern und Offenbarungsereignissen im historischen Sinn gerechnet.
  • Ein offenes Paradigma hält Wunder und Offenbarungen für möglich. Somit kann anhand weiterer Indizien offen geprüft und ein Wahrscheinlichkeitsurteil darüber gefällt werden, inwieweit bibeleigene Aussagen zu Autor, Datierung, Adressaten, Gattung usw. zutreffen oder nicht. Dies kann in einer eher vertrauensvollen oder eher skeptischen Haltung erfolgen.
  • Das bibeleigene Paradigma sieht in den biblischen Texten (nach textkritischer Klärung[45]) ein vom Heiligen Geist inspiriertes Menschen- und Gotteswort und begegnet ihnen deshalb grundsätzlich in einer Haltung der Demut, der Ehrfurcht und des Vertrauens statt in einer Haltung des Zweifels und der Kritik. Bei aller Hochschätzung der Ver­nunft wird unter diesem Paradigma immer die Schrift und die von der großen Auslegungsgemeinschaft der Kirche daraus entnommenen Aussagen (Bekenntnisse) das letzte Wort haben (Sola Scriptura). Scheinbare Widersprüche in der Bibel werden dann nicht als Ausdruck der Zeitbedingtheit biblischer Aussagen und eines sich wandelnden Gottes- und Menschenbilds angesehen. Die Bibel wird vielmehr als eine sich selbst auslegende Einheit begriffen, in der es keine sich einander ausschließende Gegensätze sondern sich gegenseitig ergänzende Pole und innerbiblisch begründete Entwicklungen in der Heilsgeschichte gibt.

Ausgrenzung statt Wettbewerb

Wenn derart verschiedene Ansätze zum Verstehen eines Forschungsgegenstands im Raum stehen, dann sollte es normalerweise einen wissenschaftlichen Wettbewerb geben, in dem geprüft und verglichen wir­d, welcher Denkansatz bessere, schlüssigere Ergebnisse liefert und dem Forschungsgegenstand somit offenkundig besser gerecht wird, um daraus Rückschlüsse auf das Wesen des Forschungs­gegenstands ziehen zu können. In der Praxis geschieht das aber leider nicht. Die Realität wird von Uwe Zerbst vielmehr so beschrieben: Das jeweils andere Paradigma sehen sie [also Vertreter eines bestimmten Paradigmas] in der Regel nicht als gleichberechtigte Wissenschaft an, so dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung fast nur im Rahmen des jeweils eigenen Paradigmas stattfindet.[46]

Das trifft zumindest im deutschsprachigen Raum sowohl in den Bibelwissenschaften als auch in der biologischen Ursprungsforschung zu. In beiden Feldern ist die Grundannahme, dass in der wissenschaftlichen Arbeit grundsätzlich nicht mit göttlichem Wirken gerechnet werden darf, so vorherr­schend, dass andere Ansätze nicht als wissenschaftlich anerkannt oder ernst genommen werden. Die Gleichsetzung von „Wissenschaft“ mit der Selbstbeschränkung auf natürliche Ursachen gilt vielfach sogar als derart selbstverständlicher „Common Sense“ wissenschaftlichen Arbeitens, dass die dahinter stehende philosophische Grundentscheidung kaum noch thematisiert wird und auch vielen Bibelwissenschaftlern nur noch wenig bewusst ist. Zerbst schreibt treffend: Ein neu einsteigender Wissenschaftler wächst „von Beginn an in das Paradigma „hinein“, das er – „wenn überhaupt – zumeist nur unkritisch reflektiert.[47]

Entsprechend gibt es heute an den deutschsprachigen theologischen Fakultäten fast keine evangelikalen Professoren mehr.[48] Der evangelikale Theologe Christoph Raedel berichtet gar von einer „Ekelschranke“ in Bezug auf evangelikale Theolo­gie. Auch im WiBiLex werden die „schärfsten Kritiker“ des wunderkritischen Paradigmas nur außerhalb der Hochschulen verortet, und zwar in der pietistischen Bewegung“, in „fundamentalistischen Strömungen“, in „evangelikalen landeskirchlichen und freikirchlichen Frömmigkeitsformen in Württemberg, Baden, Oberhessen, im Siegerland, in Wittgenstein, im Ruhrgebiet, in Ostwestfalen, der Lüneburger Heide bis hin nach Bremen“. Sie werden als Menschen charakterisiert, die „fröhlich den Gottesdienst [feiern] mit über Beamer an die Wand projizierten Liedern sowie Bibelsprüchen“, „zugleich fest an die supranaturale „Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments“ glauben“ und mit dem „logischen Widerspruch“ zu ihrer wunderfreien Alltagserfahrung „existenziell gut leben zu können glauben“, die aber „angesichts des Paradoxes sensibel sind“ – weshalb auch das Gesprächsklima verbesserungsbedürftig sei.[49]

Ein spaltendes Narrativ

Das Gesprächsklima ist in der Tat problematisch, aber nicht nur wegen den angeblich sensiblen Evangelikalen, sondern auch wegen der zunehmenden Verbreitung eines völlig falschen und spaltenden Narrativs, das sich in etwa so wie in Tabelle 2 beschreiben lässt.

Dieses Narrativ transportiert einen sachlich völlig unangebrachten[50] akademischen Überlegen­heitsgestus, der viele Evangelikale verunsi­chert und bei Nichtevangelikalen die Sorge fördert, dass das Christentum untergehen wird, wenn es sich die­ser „Wissenschaftlichkeit“ verschließt und stattdessen in einer als pein­lich empfundenen Naivität und Wissenschaftsfeindlichkeit verharrt. Infolgedessen werden Evangelikale nicht etwa als interessante Gesprächspartner auf Augen­höhe sondern als Gefahr für das Ansehen der theologischen Ausbildungsstätten und der Kirche empfunden. Wo immer dieses Narrativ Fuß fasst, treibt es deshalb zwangsläufig einen tiefen Keil in Gruppen und Gemeinden.

Das gilt leider zunehmend auch für den Bereich der Freikirchen und der Evangelikalen, wie der wachsende Einfluss der Internetmediathek „Worthaus“ beispielhaft zeigt.[51] Auch dort klingt das abwertende Narrativ über evangelikale Theologie immer wieder an, während zugleich die universitäre Bibelwissenschaft als besonders vorurteilsfrei dargestellt wird.[52]

Evangelikale Theologen: Christen brauchen eure Ermutigung!

Umso dringender hat die evangelikale Theologie heute die extrem wichtige Aufgabe, selbst­bewusst und profiliert öffentlich zu ihren eigenen Grundlagen zu stehen. Sie darf und muss die dog­matischen und philosophischen (und somit aus gutem Grund anzweifelbaren) Grundlagen der wunderkritischen Theologie of­fenlegen. Sie muss zeigen: Es geht hier nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Glaube und Wissenschaft sondern um die Konkurrenz verschiedener Paradigmen – wobei das wunderkritische Paradigma grundsätzlich nicht zum biblischen Selbstanspruch passt. Sie darf und muss darauf hinweisen, dass die Anwendung des wunderkritischen Paradigmas keinen sich immer mehr verfestigenden neuen Blick auf die Bibel hervorgebracht hat sondern im Gegenteil „eine schier unübersehbare Fülle unterschiedlicher Hypothesen zur Textentstehung“, was „die Spannung zwischen der Anwendung vermeintlich objektiver Methoden und dem subjektiven Urteil des jeweiligen Auslegers“ eindrücklich aufzeigt[53]. Die wunderkritisch geprägte Bibelwissenschaft ist also offenkundig gar nicht so objektiv, wie es oft dargestellt wird.

Wenn es tatsächlich stimmt, dass die biblischen Texte einen Offenbarungscharakter haben (wofür sich zahlreiche gute Sachargumente anführen lassen[54]), dann muss eine Theologie, die aus Prinzip nicht mit Wundern und Offenbarung rechnet, natürlich zwangsläufig zu völlig falschen Ergebnissen führen, weil ihre Methodik dann dem Forschungs­gegenstand nicht gerecht wird. Es ist deshalb weder unwissenschaftlich, prämodern, dogmatisch verengt, intellektuell unredlich, naiv oder weltfremd sondern im Gegenteil vernünftig und (wissenschaftlich) gut begründbar, am Offenbarungs­charakter der Bibel, an ihrer Botschaft von den historisch geschehenen Wundern und an der Realität von vorher­sagender Prophetie festzuhalten, die Bibel in ihrem Selbstanspruch ernst zu nehmen und sie als Got­tes Wort und Maßstab der Kirche hochzuhalten.


Danke an Dr. Berthold Schwarz, Dr. Stefan Felber (www.stefan-felber.ch), Martin P. Grünholz, Dr. Markus Widenmeyer sowie Paul Bruderer für alle Anregungen, Hinweise und Korrekturen zu diesem Artikel.

[1] Uwe Zerbst: „Die Bibel vor der Wahrheitsfrage“, S. 16

[2] Ausführlich erläutert in Markus Till: „Außerwissenschaftliche Vorannahmen – Denkvoraussetzungen von Wissenschaftlern und Theologen“, AiGG-Blog 2020

[3] Popper, K.R. (1934): Logik der Forschung. Zitiert bei Uwe Zerbst: „Die Bibel vor der Wahrheitsfrage“, S. 13

[4] Die wachsenden Herausforderungen in der Evolutionsbiologie werden geschildert in Markus Till: „Evolution – Ein Welterklärungsmodell am Abgrund?“ AiGG-Blog 2018

[5] Armin D. Baum: „Die historisch-kritische Methode in der Bibelwissenschaft“, in: „Biblisch erneuerte Theologie. Jahrbuch für Theologische Studien (BeTh) Band 3, 2019, S. 86

[6] „In der christlichen Theologie nahm man bis weit in die Neuzeit hinein mehr oder weniger einhellig an, dass die neutestamentlichen Texte auch an den Stellen historisch zutreffend sind, wo sie von Wundern Jesu oder seiner Auferweckung von den Toten berichten. Die Bereitschaft, auch Wunder als historische Ereignisse anzuerkennen, ergab sich aus dem jüdisch-christlichen Gottesbild, wie es bereits in den ersten Abschnitten der Bibel formuliert wird (Gen 1,1-2,3) und das Alte und Neue Testament durchzieht (Ex 20,11; Neh 9,6; Ps 146,5-6; Jes 40,26 u. 6.). Warum sollte der Gott, der Himmel und Erde samt der in ihnen herrschenden Naturgesetze geschaffen hat, diese nicht zu besonderen Gelegenheiten durch ein übernatürliches Eingreifen überboten haben?Armin D. Baum: „Die historisch-kritische Methode in der Bibelwissenschaft“, in: „Biblisch erneuerte Theologie. Jahrbuch für Theologische Studien (BeTh) Band 3, 2019, S. 80

[7] So bestätigt auch Gerhard Karner im WiBiLex: Grundlegend für [das altorientalische Wirklichkeitsverständnis] … ist die Wahrnehmung der Welt als von den Göttern geschaffen und geordnet, und es war selbstverständlich, dass die Götter jederzeit in den Lauf der Welt eingreifen konnten. Das alte Israel bildete hierin keine Ausnahme. Nach alttestamentlicher Darstellung hat Gott die Welt geschaffen und geordnet (Gen 1,1-2,4a; Ps 148,1-6), und es ist selbstverständlich, dass Gott jederzeit in den Lauf der Welt eingreifen kann.“ In: „Wunder / Wundergeschichten (AT)“, WiBiLex 2014, S. 1

[8] Der Begriff „historisch-kritische-Methode“ ist doppeldeutig: „Im 19. Jahrhundert ging man in der Theologie dazu über, dem Wort ,,Kritik“ eine zusätzliche Bedeutung zu verleihen und mit ihm auch das philosophische Vorverständnis zu bezeichnen, mit dem man die biblischen Schriften untersuchte. „Kritisch“ nannte man jetzt auch eine Exegese, die die biblischen Wunder prinzipiell nicht mehr als historisch anerkannte. Eine Bibelauslegung, die die Auferweckung Jesu als historisches Ereignis in Raum und Zeit gelten ließ, nannte man „vorkritisch“. Da sich diese weltanschauliche Kritik auf historische Aussagen bezog, verband man das Adjektiv „kritisch“ auch hier mit dem Adjektiv ,,historisch“ und sprach von ,,historisch-kritischer“ Forschung bzw. der ,,historisch-kritischen“ Methode. Eine historisch-kritische Methode in diesem Sinn beinhaltet die grundsätzliche Bestreitung der übernatürlichen Aussagen der biblischen Texte. … Der Ausdruck „historisch-kritische Methode“ hat somit zwei unterschiedliche Bedeutungen, die nicht miteinander verwechselt werden dürfen. Einerseits bedeutet „kritisch“ schlicht „wissenschaftlich“ und gemeint ist eine „historisch-wissenschaftliche Methode“, die keine Vorentscheidung über die Möglichkeit übernatürlicher Handlungen Gottes einschließt und insofern weltanschaulich offen ist. Andererseits bedeutet „kritisch in einem weltanschaulichen Sinn „wunderkritisch“ und gedacht ist an eine „historisch-wunderkritische Methode“, die ein übernatürliches Handeln Gottes von Anfang an ausschließt.“ Armin D. Baum: „Die historisch-kritische Methode in der Bibelwissenschaft“, in: „Biblisch erneuerte Theologie. Jahrbuch für Theologische Studien (BeTh) Band 3, 2019, S. 60

[9] In seinem Aufsatz „Ueber historische und dogmatische Methode in der Theologie“ stellte Ernst Troeltsch dar, dass es nur Wahrscheinlichkeitsurteile statt absoluter Aussagen geben könne („Kritik“ statt „Autorität“), dass Wunder prinzipiell unmöglich sind („Analogie“ statt „Supranaturalismus“) und dass es keine von der Profangeschichte unterscheidbare Heilsgeschichte geben könne („Korrelation“ statt „Separation“). Ausführlicher erläutert in Armin D. Baum: „Die historisch-kritische Methode in der Bibelwissenschaft“, in: „Biblisch erneuerte Theologie. Jahrbuch für Theologische Studien (BeTh) Band 3, 2019, S. 81 ff.

[10] „Bultmanns wesentliches Argument ist mithin alltagsorientiert: Der „moderne Mensch“ nimmt in seinem Alltag an der durch die experimentelle Methode geprägten Kultur Teil. Supranaturale Annahmen im religiösen Bereich produzieren daher einen logischen Widerspruch, der existenziell nicht zumutbar ist.“ Martin Pöttner: „Entmythologisierung (NT)“, WiBiLex 2014, S. 2

[11] Rudolf Bultmann: „Ist voraussetzungslose Exegese möglich?“, 1957, Theologische Zeitschrift Basel, S. 411ff.

[12] So äußert z.B. Prof. Thorsten Dietz: „Ich glaube, historische Wissenschaft kann nur so funktionieren, dass Christen und Atheisten und Humanisten und UFO-Gläubige und Sektierer und Menschen, die an sich selbst glauben und alle im Grunde sagen: Wir einigen uns in der historischen Wissenschaft darauf: Wir akzeptieren nur allgemein einsichtige Evidenz. … DAS ist der Punkt, das hat mit Atheismus überhaupt nichts zu tun. Es geht nur darum, dass alle mit denselben Karten spielen. Es wär komisch zu sagen: Alle spielen mit denselben Karten, die 32, die man vom Skat kennt, aber Christen kriegen noch einen Joker dazu, im Zweifelsfall spielen sie die Gotteskarte. … Da würde ich dann doch lieber sagen: Wir machen historisches Arbeiten als seriöse Wissenschaft. … Ich glaube, dass Gott da seine Finger im Spiel hat. Aber das ist ein Glaubensurteil und ich werde nicht anfangen, Gott jetzt zum Teil einer historisch greifbaren Welt zu machen.“ Im Worthaus-Vortrag „Der Lebendige – Die Begegnung mit dem Auferstandenen“ vom 11.6.2019, ab 26:21

[13] „Wenn ein Universitätsprofessor zu Jesus und Wundern befragt wird, steht da sofort ein Elefant im Raum, nämlich der Elefant der Wunderkritik, der Aufklärung und des Rationalismus. Der Elefant heißt: Es kann keine Wunder geben, auch nicht bei Jesus, weil es nicht vernünftig ist. … In den letzten Jahrzehnten breiteten sich die Populationen dieser Elefantenrasse nicht mehr aus. Aber es finden sich immer noch große Herden vor allem an den Universitäten, gerade auch in theologischen Fakultäten. Viele angehende Pfarrer oder auch heutige Pfarrer, Theologiestudenten, Religionslehrer wurden von diesem Rüsseltier stark beeindruckt, zum Teil für ihr ganzes Leben und ihre ganze Theologie.“ Peter Wick im Worthaus-Vortrag „Das Mys­te­ri­öse – Von der rationalen Wunderkritik über den postmodernen Wunderglauben zurück zu Jesus“ vom 9.6.2019, ab 2:55

[14] Armin D. Baum: „Die historisch-kritische Methode in der Bibelwissenschaft“, in: „Biblisch erneuerte Theologie. Jahrbuch für Theologische Studien (BeTh) Ban d 3, 2019, S. 80

[15] Als Beispiele nennt er die katholischen Neutestamentler Rudolf Pesch und Joseph Fitzmyer, die sich zwar der offiziellen Lehre der katholischen Kirche anschließen, dass „weltanschauliche Vorentscheidungen darüber, was möglich oder nicht möglich sei, … keine Kriterien historischen Urteils sind“, aber dann doch die Evangelien auf die Zeit nach 70 n.Chr. datieren aufgrund einiger detaillierter Vorhersagen in den Evangelien, die sie für nachträglich eingefügt halten. In Armin D. Baum, Einleitung in das Neue Testament, S. 881 ff.

[16] So schreibt Dominik Helms: „Das Daniel-Buch verfügt über erstaunlich präzise Kenntnis der wesentlichen geschichtlichen Vorgänge von der frühen hellenistischen Zeit bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Makkabäerzeit, kurz vor dem Tod des Antiochus IV. Epiphanes.Dominik Helms: „Daniel / Danielbuch“, WiBiLex 2018, S. 16

[17] Die Entstehung des Buches fällt in die Zeit zwischen der berichteten Entweihung des Tempels in Jerusalem durch Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.; vgl. Dan 11,31) und der Wiederaufnahme des jüdischen Kultes nach der Reinigung des Tempels durch die Makkabäer im Jahr 164 v. Chr.“ Dominik Helms: „Daniel / Danielbuch“, WiBiLex 2018, S. 16

[18] Ebd., S. 16

[19] Gerhard Maier nennt zahlreiche Schriften aus dem 1. und 2. Jahrhundert vor Christus wie die Makkabäerbücher, die Weisheit Salomos, Henoch, Baruch sowie Handschriften aus Qumran. Die gleiche Überzeugung vertraten der Geschichtsschreiber Josephus Flavius (der sogar davon berichtet, dass Alexander dem Großen das Danielbuch gezeigt worden sei und er sich darin selbst erkannte), der Talmud, die Autoren des Neuen Testaments, zahlreiche frühe Kirchenlehrer wie Origenes, Augustin und Hieronymus sowie die Reformatoren Luther und Calvin (In: „Der Prophet Daniel“, Wuppertal, 3. Auflage 1990, S. 22ff.).

[20] Stephanie von Dobbeler: „Makkabäerbücher 1-4“, WiBiLex 2006, S. 5

[21] Gerhard Maier: „Der Prophet Daniel“, Wuppertal, 3. Aufl. 1990, S. 23

[22] Gerhard Maier: „Der Prophet Daniel“, Wuppertal, 3. Aufl. 1990, S. 43

[23] Ebd., S. 50

[24] Armin Schmitt datiert eines der 8 in Qumran gefundenen Schriftfragmente des Buchs Daniel auf das Ende des 2. Jahrhunderts vor Christus (In: „Die Danieltexte aus Qumran und der masoretische Text (M)“, im Buch „Der Gegenwart verpflichtet“, Christian Wagner (Hrsg.), De Gruyter, 2000, S. 124). Dominik Helms schreibt zur Übersetzung des Daniel-Buchs ins Griechische: Die Datierung der Übersetzung muss unsicher bleiben, es ist jedoch an die Mitte des 2. Jh.s v. Chr. und damit nur wenige Jahrzehnte nach dem Abschluss des hebräisch-aramäischen Daniel-Buches … zu denken.“ In: „Daniel / Danielbuch“, WiBiLex 2018, S. 13

[25] Gerhard Maier: „Der Prophet Daniel“, Wuppertal, 3. Aufl. 1990, S. 52

[26] Ebd., S. 50

[27] Ebd, S. 56

[28] Ebd., S. 57

[29] Dieter Zeller: „Menschensohn“, WiBiLex 2011, S. 1+2

[30] Dieter Zeller: „Menschensohn“, WiBiLex 2011, S. 5

[31] Ebd., S. 8

[32] Ebd., S. 5

[33] Armin D. Baum: „Einleitung in das Neue Testament“, Witten, 2018, S. 913

[34] Christfried Böttrich: „Lukasevangelium / Evangelium nach Lukas“, WiBiLex 2014, S. 3

[35] „Ist Jesus dem Glauben im Weg?“ SPIEGEL-Interview mit Prof. Andreas Lindemann vom 13.12.1999

[36] Eindrücklich zusammengefasst in Peter J. Williams: „glaubwürdig – Können wir den Evangelien vertrauen?“ cvmd 2020; Einige Aussagen Williams dokumentiert auch der AiGG-Artikel „Die Berichte des NT weisen alle Eigenschaften von authentischen Augenzeugenberichten auf“

[37] Armin Baum: „Einleitung in das Neue Testament“, Witten, 2018, S. 867 + 913

[38] Armin D. Baum: „Einleitung in das Neue Testament“, Witten, 2018, S. 914

[39] „Der Begriff „vaticinium ex eventu“ „Weissagung vom Ausgang her“ bezeichnet die fingierte Weissagung eines bereits eingetretenen Ereignisses.“ Dominik Helms: „Vaticinium ex eventu“, WiBiLex 2019, S. 1

[40] Armin D. Baum: „Einleitung in das Neue Testament“, Witten, 2018, S. 879

[41]Während manche Exegeten davon ausgehen, dass sich Jesu Rede von der Zerstörung des Tempels der gegenwärtigen Kriegserfahrung im jüdischen Krieg verdankt, in der mit einer Zerstörung des Tempels zu rechnen war, und daher einen echten Ausblick in die Zukunft annehmen, betrachten andere Ausleger die Aussagen als Rückblick auf die bereits erfolgte Zerstörung des Tempels und damit als vaticinium ex eventu.“ Dominik Helms: „Vaticinium ex eventu“, WiBiLex 2019, S. 4

[42]Der Fokus der Darstellung des Lebens Jesu nach Lukas ist also das davidische Umfeld der Herkunft Jesu; deswegen wird seine Geburt in Davids Heimatstadt situiert, ohne dass die Bethlehem-Verheißung Mi5,1 explizit eingespielt würde.“ Gabriele Faßbeck, Barbara Schmitz: „Bethlehem“, WiBiLex 2007/2011, S. 5+6

[43]Der Christ, der in dem Zeugnis der Apostel die Botschaft vom auferstandenen Herrn Jesus Christus vernimmt und ihr Glauben schenkt, begegnet in dieser Botschaft der Behauptung, dass der auferstandene Herr derselbe ist wie der Mensch von Nazareth, mit dem ein Teil der Auferstehungszeugen während seiner irdischen Wirksamkeit zusammen gewesen war. Der Glaube ist darum, wenn er sich über sein Wesen Rechenschaft ablegen, d.h. theologisch nachdenken will, an der Frage brennend interessiert, ob und inwieweit zwischen dem Bild, das er von Jesus Christus aufgrund der apostolischen Verkündigung hat, und der geschichtlichen Wirklichkeit dieses Jesus, auf den sich der Glaube zurückbezieht, eine Übereinstimmung besteht oder nicht. Die Person und die Verkündigung Jesu sind ja die Voraussetzung für das Bekenntnis zum Auferstandenen und für die Predigt der Gemeinde.“ Werner Georg Kümmel: „Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen“, Göttingen 1987, 5. Aufl., S. 22/23

[44] Ausführlich erläutert in Markus Till: „Streit um das biblische Geschichtsverständnis“, AiGG-Blog 2018

[45] Die „Textkritik“ versucht, die Urschrift des biblischen Textes möglichst genau zu rekonstruieren.

[46] Uwe Zerbst: „Die Bibel vor der Wahrheitsfrage“, S. 17

[47] Uwe Zerbst: „Die Bibel vor der Wahrheitsfrage“, S. 16/17

[48] Dazu 2 Schlaglichter: Siegfried Zimmer berichtet im Hossa Talk: „An den Universitäten gibt es so gut wie keine evangelikalen Theologen. Ich kenne selber vielleicht 2 oder 3 von 2000.“ (ab 23.32). 2020 hat das komplette Kollegium der theologischen Fakultät in Tübingen gemeinsam einen offenen Brief unterzeichnet, in dem die evangelikale Position, dass praktizierte Homosexualität nicht mit dem biblischen Befund vereinbar ist, als „diskriminierend“ bezeichnet wurde. Es sei „unerträglich, wenn Ansichten, die eine solche Diskriminierung unterstützen, bis heute in der evangelischen Kirche vertreten werden.“

[49] Martin Pöttner: „Entmythologisierung (NT)“, WiBiLex 2014, S. 9+10

[50] In der Übersichtsdarstellung „Historische Kritik in den Bibelwissenschaften: Anspruch und Wirklichkeit“ fasst Prof. Stefan Felber zusammen, warum das Narrativ von der wissenschaftlichen Überlegenheit nicht überzeugen kann: Die unübersichtliche Hypothesenvielfalt entlarvt faktischen Subjektivismus statt Objektivität. Statt Neutralität dominiert ein Immanentismus, in dem Gottes Wirken methodisch ausgeschlossen wird. Statt einer offenen Suche nach Verstehen des biblischen Eigeninteresses kommen wesentliche Aussageabsichten (wie z.B. das Christuszeugnis des AT) grundsätzlich nicht in Frage. Die Geschichtlichkeit der biblischen Texte wird auf säkulare Historie reduziert, die göttliche Heilsgeschichte bleibt außen vor. Die Widersprüchlichkeit der Texte ist das vorausgesetzte Bild, von dem die sezierenden Methoden zehren. Im Ergebnis werden nicht etwa falsche Sicherheiten sondern das Wort Gottes insgesamt aufgegeben, so dass der Glaube nicht frei wird sondern selbstreferenziell. „Die Gemeinde hat dann nur sich selbst als Gegenüber, wird im strengen Sinne gott-los.“

[51] Siehe dazu Markus Till: „Worthaus – Universitätstheologie für Evangelikale?“, AiGG Blog 2017

[52] Siehe die Erläuterungen zum Worthausvortrag „Die Nachfolge – Wie kann man heute an Jesus Christus glauben?“ von Thorsten Dietz in Markus Till: „Quo vadis Worthaus? Quo vadis Evangelikale Bewegung“, AiGG-Blog 2020

[53] Joachim Vette: „Bibelauslegung, historisch-kritische (AT), WiBiLex 2008, S. 9

[54] Siehe dazu Markus Till: „10 Gründe, warum es auch heute noch vernünftig ist, der Bibel zu vertrauen“, AiGG-Blog 2017

Starke Argumente – Warum es auch heute noch vernünftig ist, der Bibel zu vertrauen

Die Inhalte dieses Artikels sind auf YouTube als Vortrag verfügbar, der am 1.11.2019 bei einer Tagung des deutschen christlichen Techniker-Bunds (DCTB) gehalten wurde.

Der Artikel steht auch als PDF zum Download bereit.

Lange Zeit war der Blick auf die Bibel in der akademischen Welt geprägt von einem Wissenschaftsbegriff, der es Wissenschaftlern prinzipiell unmöglich machte, mit übernatürlichen Ereignissen, mit göttlicher Offenbarung oder mit vorhersagender Prophetie zu rechnen. Die Folgen für die Theologie und die Kirche waren umwälzend. Zentrale Bekenntnisse des Christentums wurden in Frage gestellt oder umgedeutet. Völlig aus dem Blick gerieten zudem die vielen Argumente dafür, dass die Existenz und die Botschaft der Bibel ein Wunder ist, das mit menschlichen Mitteln nicht erklärt werden kann.

Seit der Aufklärung ist der akademische Wissenschaftsbegriff geprägt von einem starken oder zumindest schwachen bzw. methodischen Naturalismus. Das heißt: Die Wissenschaft hat sich der Selbstbeschränkung unterworfen, hinter allen Phänomenen prinzipiell eine natürliche Ursache zu vermuten. Die Bibel unterstützt diese Sichtweise! Denn sie trennt strikt zwischen Schöpfer und Schöpfung. Allerdings macht die Bibel auch deutlich: Punktuell nimmt sich der Schöpfer durchaus die Freiheit, übernatürlich ins Weltgeschehen einzugreifen.[1] Das gilt besonders für die Erschaffung der Welt. Aber auch danach berichtet die Bibel immer wieder von punktuellen Eingriffen Gottes ins Weltgeschehen, z.B. beim Auszug Israels aus Ägpyten oder bei der Auferstehung Jesu. Zudem behaupten die biblischen Autoren, dass Gott auch bei der Entstehung der biblischen Texte intensiv beteiligt war.

Die Bibel erforschen, „als ob es Gott nicht gäbe“?

Für Theologen, die mit dem vorherrschenden naturalistisch geprägten Wissenschaftsbegriff die Bibel erforschen wollen, hat das weitreichende Konsequenzen. In ihrer Forschung werden sie gezwungen, prinzipiell nicht damit zu rechnen, dass Gott direkt und unter Aufhebung der Naturgesetze ins Weltgeschehen eingegriffen hat. Sie müssen die Bibel so zu untersuchen, „als ob es Gott nicht gäbe“ („etsi deus non daretur“). Dabei glauben Theologen, die so arbeiten, durchaus daran, dass es Gott gibt. Aber in der praktischen Bibelforschung dürfen sie direkte göttliche Eingriffe ins Weltgeschehen nicht in ihre Überlegungen einbeziehen.

Zudem galt auch in der Bibelwissenschaft zunehmend die aufklärerische Maxime, dass nüchterne Wissenschaft jeden Forschungsgegenstand prinzipiell dem wissenschaftlichen Zweifel, also dem Urteil der menschlichen Vernunft, unterwerfen muss. Das wäre aber nicht möglich, wenn die Bibel eine göttliche Offenbarung wäre – denn göttliche Offenbarung kann nun einmal nicht kritisieren werden. Dann wäre die Theologie aber nach aufklärerischem Verständnis keine Wissenschaft mehr. Dann hätte sie auch an den Universitäten nichts mehr zu suchen.

Deshalb trifft es zu, wenn der finnische Professor Tapio Puolimatka schreibt: „Wenn Theologen zum Ausgangspunkt ihrer Forschung nehmen würden, dass Gott gesprochen habe und dass man Gottes Sprechen erkennen und verstehen könne, dann würden sie in einen Konflikt mit der breiten wissenschaftlichen Öffentlichkeit geraten.“[2]

Ein Gott, der spricht und verstanden wird, der somit das Weltgeschehen ganz direkt beeinflusst, der passt nicht ins Weltbild des (schwachen) Naturalismus. Diese faktische Selbstbeschränkung auf einen methodischen Naturalismus hatte ohne Zweifel gewaltige Konsequenzen für die Theologie und folglich auch für die Kirche.

4 Konsequenzen des methodischen Naturalismus für die Theologie

Das „Arbeitsbuch zum Neuen Testament“ von den Professoren Hans Conzelmann und Andreas Lindemann liegt mittlerweile in der 14. Auflage vor. Vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde es an den Universitäten vielfach in der studentischen Ausbildung eingesetzt. Aktuell wird an der 15. Auflage gearbeitet. Das Buch ist also durchaus nach wie vor aktuell.

Natürlich denken bei weitem nicht alle Theologen wie Conzelmann und Lindemann. Aber ohne Zweifel hatten diese beiden Theologen in den vergangenen Jahrzehnten erheblichen Einfluss. Besonders deutlich wurde die Denkweise von Prof. Lindemann in einem Interview, das er 1999 dem Magazin Spiegel gegeben hat.[3] Das Arbeitsbuch zum Neuen Testament und dieses Spiegel-Interview eignen sich besonders gut, um die Konsequenzen des methodischen Naturalismus für die Theologie nachzuvollziehen.

1.   Die Bibel kann keine übernatürliche Offenbarung sein!

Wenn Gott nicht direkt ins Weltgeschehen eingreift, dann kann die Bibel natürlich keine göttliche Offenbarung sein. Stattdessen gehen Prof. Conzelmann und Prof. Lindemann von einer anderen Sichtweise auf die Bibel aus. In ihrem Arbeitsbuch schreiben sie: „Die biblischen Texte werden methodisch nicht anders behandelt als andere literarische Zeugnisse, insbesondere solche der Antike. … Die Bibel enthält geschichtlich entstandene Dokumente, die – in großer Vielfalt theologischer Meinungen – den jüdischen bzw. christlichen Glauben bezeugen und darstellen.“ (S. 3)

Die Konsequenz ist klar: Wenn die Bibel keine göttliche Offenbarung ist sondern ein Buch wie jedes andere, dann wissen wir letztlich nichts Gesichertes über Gott, über Jesus und über die ewigen Fragen. Die Naturwissenschaft kann bei solchen Fragen schon aus methodischen Gründen nicht weiterhelfen. Denn Gott ist „transzendent“, d.h. er steht als Schöpfer jenseits dieser Welt – genau wie ein Regisseur hinter einem Film steht, im Film selbst aber nicht zu sehen ist. Auch wenn wir den Inhalt eines Films ganz genau erforschen – seine Handlung, die Schauspieler, die Kulissen, die Musik und die Spezialeffekte – wissen wir trotzdem so gut wie nichts über den Regisseur. Wir können zwar spekulieren, was uns der Film vielleicht über das Wesen des Regisseurs sagen könnte. Aber das bleibt Spekulation – es sei denn, der Regisseur baut sich selbst in eine Filmszene ein, so wie es Alfred Hitchcock regelmäßig getan hat. Noch viel mehr erfahren wir, wenn dem Film ein „Making of“ mit einem Interview des Regisseurs beigefügt wird. Nur wenn der Regisseur sich offenbart, können wir etwas verlässliches über ihn herausfinden. Ohne eine solche Offenbarung bleibt alles Spekulation.

So ist es auch bei Gott. Wir wissen nichts über ihn – außer das, was uns die Bibel offenbart. Wenn die Bibel aber gar keine Offenbarung sondern nur ein Werk mit sich widersprechenden menschlichen Meinungen ist, dann bleibt es unserer subjektiven Einschätzung überlassen, ob wir der Bibel folgen wollen oder nicht – und dann bleibt letztlich alles subjektive Spekulation. Dann verlieren die Theologie und die Kirche letztlich ihre Grundlage, weil sie über diesen Gott überhaupt nichts Verlässliches wissen oder sagen kann.

2.   Die biblischen Wundergeschichten können nicht historisch sein!

Eine 2. Konsequenz ist: Wenn Gott nicht wundersam in die Weltgeschichte eingreift, dann können die biblischen Wundergeschichten nicht historisch sein. Entsprechend äußert Prof. Lindemann im Spiegel-Interview: „Ich halte es für ausgeschlossen, dass Jesus die …  genannten Wunder getan hat. Solche Erzählungen gab es damals auch über andere große Männer.“

Was ist die Konsequenz dieser Annahme? Wenn die biblischen Wundergeschichten nicht geschehen sind, dann ist die Kernaussage des Johannesevangeliums, dass die Wunder Jesus als Messias ausweisen, falsch: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes.“ (Joh. 20, 31)

Als Johannes, der Täufer, Zweifel bekam, ob Jesus wirklich der Messias ist, schickte er aus dem Gefängnis heraus seine Jünger zu Jesus und ließ ihn fragen: Bist du der, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Die Antwort Jesu unterstreicht, wie entscheidend wichtig die Wunder dem Evangelienschreiber sind: „Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf.“ (Luk. 7, 22) Jesus machte also deutlich: Gerade diese Wunder sind es, die Jesus als den von den Propheten angekündigten Messias ausweisen.

Eine weitere Konsequenz ist deshalb: Wenn die biblischen Wundergeschichten nicht geschehen sind, dann sind die biblischen Texte insgesamt nicht vertrauenswürdig, weil sie selbst viele Wundergeschichten eindeutig als historische Geschehnisse einstufen. Oft wird zwar behauptet, es sei für den Glauben und die theologische Aussage der biblischen Texte nicht relevant, ob diese Wunder wirklich passiert sind oder ob diese Geschichten als Gleichnisse zu verstehen sind. Die Texte selbst machen aber immer wieder deutlich, dass sie tatsächlich historisch verstanden werden wollen. Und die Tatsächlichkeit der Wunder ist ein wesentlicher Teil ihrer theologischen Aussage! Deshalb werden die Texte zwangsläufig unglaubwürdig, wenn die Wunder nicht wirklich geschehen sind. Und deshalb wird auch die theologische Aussage der Texte ausgehöhlt, wenn man mit der historischen Tatsächlichkeit der Wunder nicht rechnen möchte. Besonders dramatisch wirkt sich das bei der Auferstehung Jesu aus:

3.   Jesus kann nicht leiblich von den Toten auferstanden sein!

Wenn Gott nicht in die Geschichte eingreift, dann kann Jesus auch nicht leiblich von den Toten auferstanden sein. Zumindest in der praktischen Forschung müssen Theologen dann von natürlichen Ursachen für die Entstehung des Osterglaubens ausgehen. Aber welche Ursachen könnten das sein? Die Jünger könnten Visionen oder Halluzinationen gehabt haben. Sie könnten sich selbst etwas eingeredet haben. Oder sie könnten ihr Festhalten an den Ideen und den Lehren Jesu mit dem Bild von der Auferstehung verknüpft haben.

Solche Theorien haben lange Zeit breiten Raum in der Theologie eingenommen. Conzelmann und Lindemann schreiben dazu: „Die immer wieder diskutierte Frage, ob die Auferstehung Jesu ein „historisches Ereignis“ sei, ist von vornherein abzuweisen.“ (S. 524) Im Spiegel-Interview wird Prof. Lindemann noch deutlicher: „Man würde auf dem Film die von Paulus erwähnten Menschen (die den Auferstandenen gesehen haben), vielleicht ihre Reaktionen, aber gewiss kein filmisch wahrnehmbares Gegenüber sehen.“

Wichtig ist, festzuhalten: Solche Theorien wurden nicht etwa aus einer genaueren Analyse der biblischen Texte abgeleitet, denn diese geben solche Deutungen ganz sicher nicht her. In den biblischen Ostergeschichten haben die Jünger Jesus angefasst. Sie haben mit ihm gesprochen. Sie haben mit ihm zusammen gegessen. Sie haben vom leeren Grab berichtet. Wenn Theologen trotz dieser absolut eindeutigen Texte zu dem Schluss kommen, die Auferstehung wäre nur eine Vision gewesen, dann steht dahinter besonders offenkundig die außerwissenschaftliche Denkannahme, dass es so etwas wie eine Auferstehung von den Toten aus biologischen Gründen eben nicht geben kann.

Die Konsequenz für den christlichen Glauben ist dramatisch. Denn wenn das Grab nicht leer war, verliert die christliche Auferstehungshoffnung im Kern ihre Basis. Die Bibel macht den Gläubigen ja ebenfalls Hoffnung auf eine eigene Auferstehung. Dabei gründet sie die Auferstehungshoffnung für die Christen auf die Auferstehung Jesu! Wie sollen wir auf unsere eigene Auferstehung hoffen, wenn Paulus schon in Bezug auf die Auferstehung Jesu geirrt hat? Entsprechend spricht Paulus dann auch Klartext, wenn er sagt: Wenn Jesus nicht auferstanden ist, „dann ist euer Glaube nutzlos …, dann lasst uns Feste feiern und uns betrinken, denn morgen sterben wir!“ (1. Korinther 15, 17+32) Die Auferstehungshoffnung stand von Beginn an im innersten Zentrum des christlichen Glaubens. Sie hat dazu geführt, dass sich das Christentum trotz massiver Verfolgung so rasant ausbreiten konnte. Wer die Botschaft vom leeren Grab durchstreicht, streicht die christliche Hoffnungsbotschaft im Kern durch.

4.   Es wird nicht mit vorhersagender Prophetie gerechnet!

Wenn Gott nicht in die Geschichte eingreift, dann gibt es auch keine vorhersagende Prophetie. So schreiben Conzelmann und Lindemann zum Beispiel: „Ebenso wie Matthäus (und wohl auch Markus) ist Lukas jedenfalls nach 70 verfasst worden; in Lk. 21,10 ist unmissverständlich auf die Belagerung Jerusalems am Ende des Jüdischen Krieges und auf die Zerstörung der Stadt angespielt.“ (S. 343) Die Autoren befassen sich in diesem Abschnitt mit der Frage: Wann sind eigentlich die Evangelien verfasst worden? Und ihre Argumentation lautet: Im Lukasevangelium spricht Jesus von der Belagerung und Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Das ereignete sich im Jahr 70 nach Christus. Deshalb – so die Schlussfolgerung – müssen die Evangelien nach 70 nach Christus geschrieben worden sein. Denn erst da wusste man ja von dieser Zerstörung.

Dieses Argument ist für Conzelmann und Lindemann so stark, dass andere Argumente für eine frühere Entstehung der Evangelien gar nicht erst diskutiert werden: Denken wir nur an die Apostelgeschichte, die ganz plötzlich noch zu Lebzeiten des Paulus endet. Paulus starb etwa Mitte der 60iger Jahre den Märtyrertod. Warum hört die Apostelgeschichte vorher auf? Warum schrieb Lukas zwar ausführlich über den Märtyrertod von Stephanus, während er den Tod von Paulus und Petrus mit keinem Wort erwähnt? Warum kommt insgesamt die Zerstörung Jerusalems und des Tempels abgesehen von diesen prophetischen Ankündigungen nirgends vor im Neuen Testament? Dazu muss man sich vor Augen führen: Die Zerstörung des Tempels war sicher ein extrem traumatisches Erlebnis für alle Juden. Dass dieses Ereignis nirgends erwähnt wird ist eigentlich ein mächtiges Argument für eine frühere Datierung. Aber das zählt natürlich nicht, wenn man die Denkvoraussetzung hat, dass es vorhersagende Prophetie nicht gibt.

Aber der Ausschluss vorhersagender Prophetie hat noch mehr dramatische Konsequenzen: Wenn es keine biblischen Vorhersagen gibt, dann sind etwa 30 % der biblischen Texte eine Vorspiegelung falscher Fähigkeiten. Die Bibel ist schließlich voll von Prophetien und Vorhersagen und von der Behauptung, dass Vorhersagen sich tatsächlich erfüllt haben. Sie warnt sogar selbst vor falschen Propheten, die nur vortäuschen, etwas über die Zukunft zu wissen (z.B. 5. Mose 18, 22). Wenn aber die biblischen Propheten selbst nichts über die Zukunft wussten und zugleich vor falschen Propheten gewarnt haben, die nichts über die Zukunft wissen, dann müssten wir ihnen einen äußerst fragwürdigen Charakter unterstellen.

Eine weitere Konsequenz aus der Ablehnung vorhersagender Prophetie ist, dass die biblischen Texte erst spät nach den prophezeiten Ereignissen entstanden sind oder zumindest nachträglich manipuliert wurden. In der Folge sind dann auch die Evangelien keine Augenzeugenberichte mehr, weil sie erst viele Jahrzehnte nach Jesu Tod aufgeschrieben wurden. Die Konsequenz daraus ist, dass die Evangelien nicht den historischen Jesus zeigen sondern nur die Vorstellungen der urchristlichen Gemeinde über Jesus beschreiben. Prof. Lindemann sagt dazu im Interview: Dass es sich bei den Evangelien um Lebensbeschreibungen Jesu handelt, wird „seit Jahrzehnten von keinem ernst zu nehmenden Exegeten mehr behauptet.“ Ganz offenkundig handelte es sich bei dieser Sichtweise also nicht etwa um eine Außenseiterposition sondern vielmehr um den Mainstream in der universitären Theologie. Aber wie können wir einem Jesus vertrauen, von dem wir nichts Verlässliches wissen, weil die einzigen Aufzeichnungen über ihn religiös ausgeschmückte, verfälschte Geschichten sind? Ich könnte das jedenfalls nicht. Und ich habe Verständnis, dass viele Zeitgenossen in Bezug auf die Bibel abschalten und aus der Kirche austreten, wenn sie solche Äußerungen von Theologen hören.

Angesichts derart dramatischer Konsequenzen für den christlichen Glauben und die Kirche stellt sich umso mehr die Frage:

Hat sich der methodische Naturalismus in der Bibelwissenschaft bewährt?

Anders gefragt: Hat es sich denn gelohnt, diesen hohen Preis in der Theologie zu bezahlen? Eine gute wissenschaftliche Theorie zeigt sich ja daran, dass sie sich mit der Zeit verfestigt, dass sie immer stabiler wird, dass sie Vorhersagen machen kann, die dann auch tatsächlich eintreffen und dass unterschiedliche Wissenschaftler bei der Erforschung des gleichen Gegenstands zu den gleichen Schlüssen kommen. Ist das so in der universitären Bibelwissenschaft? Können wir das beobachten in der vom methodischen Naturalismus geprägten Theologie? Haben wir heute mehr Klarheit darüber, worin die Botschaft der Bibel besteht und wie ihre Texte auszulegen sind? Haben wir mehr Klarheit, was eigentlich das Evangelium ist und was im Zentrum der christlichen Botschaft steht? Und haben wir heute ein genaueres Bild vom historischen Jesus und von dem, was Jesus wirklich gelehrt und verkündigt hat? Sah Jesus sich selbst als Messias oder nicht? Wollte er eine Kirche gründen oder nicht? War Maria wirklich Jungfrau? War sein Tod ein bewusstes, stellvertretendes Sühneopfer oder war Jesus einfach ein Opfer der römischen Justiz? Ist Jesus wirklich auferstanden? Oder haben die Jünger nur Visionen gesehen? War das Grab wirklich leer? All das sind ja keine Randthemen des christlichen Glaubens. Und doch ist die Vielfalt an Meinungen zu allen diesen Themen und Fragestellungen fast unübersehbar. Der Theologe Prof. Heinzpeter Hempelmann schrieb deshalb:

„Wenn die Anwendung eines methodischen Instrumentariums bei der Auslegung biblischer Texte zu völlig unterschiedlichen und sogar gegensätzlichen Ergebnissen führt, gibt dies …  Anlass zur Rückfrage nach der Stringenz des Methodenkanons. … Christlicher Glaube und christliche Kirche haben seit nunmehr fast 2000 Jahren sehr genau gewusst, wovon im Neuen und Alten Testament die Rede ist, und genau dies hat diese religions-geschichtlich einzigartige Bewegung zur Bewegung gemacht und bis heute in Bewegung gehalten. Wenn wir dies heute mit unseren Methoden nicht mehr einzuholen wissen, … wenn neutestamentliche Exegese nicht mehr sagen kann oder will, wer der Jesus des Neuen Testamentes historisch ist, dann ist das bezeichnend für heutige Wissenschaft vom Neuen Testament.“[4]

Wenn Prof. Hempelmann mit dieser Aussage recht hat, dann müssten wir eigentlich konsequenterweise sagen: Nein, das spricht nicht dafür, dass die moderne historisch-kritische Methode ein erfolgreicher wissenschaftlicher Ansatz ist. Das wäre ein guter Grund, diesen methodischen Ansatz in Frage zu stellen, weil er keine stabilen Ergebnisse zu den zentralen Fragen der Bibelauslegung liefern kann.

10 Argumente für die Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Offenbarungsqualität der Bibel

Eine weitere Konsequenz des methodischen Naturalismus in der Theologie ist, dass Argumente für die Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Offenbarungsqualität der Bibel gar nicht erst diskutiert werden. Wer schon vor Beginn seiner Forschung die Vorentscheidung getroffen hat, dass es keine Wunder und keine Offenbarung gibt, der braucht sich mit Argumenten für die Historizität der Wunder und der Offenbarungsqualität der Bibel erst gar nicht auseinandersetzen. Denn das wäre ja unwissenschaftlich. Wie Schade! Denn in Wahrheit gibt es phantastische Argumente dafür, dass die Bibel tatsächlich ein Wunder göttlicher Offenbarung ist. 10 dieser Argumente wollen wir nun genauer betrachten:

1.   Die einzigartige Überlieferungs­qualität

Die ältesten Abschriften bekannter antiker Texte wie z.B. die Annalen von Tacitus oder die Ilias von Homer sind mindestens 400 Jahre jünger als das Original. Oft ist die Zeitdifferenz zwischen der Abfassung der Texte und der ältesten erhaltenen Abschrift noch viel größer. In allen Fällen haben wir nur relativ wenige historische Abschriften.

Beim Neuen Testament sieht das vollkommen anders aus. Die ältesten Abschriften, die wir heute noch besitzen, sind nur etwa 60 Jahre nach den Originalen entstanden. Dazu kommt: Es gibt ganze Berge von antiken Zeugnissen! Wir verfügen heute über ca. 5700 griechische Handschriften. Dazu kommen Übersetzungen ins Lateinische und in andere Sprachen sowie zahllose Zitate in antiken Schriften.

Das heißt: Die Qualität der Überlieferung des Neuen Testaments spielt im Vergleich zu allen anderen antiken Schriften in einer ganz eigenen Liga! Kein anderes Dokument ist auch nur annähernd so verlässlich überliefert wie das Neue Testament.

An der Universität Münster werden alle diese Textzeugnisse genau ausgewertet mit dem Ziel, einen möglichst genauen Urtext zu rekonstruieren. Das Zwischenergebnis ist: 99,9 % des Textes hat sich als absolut zuverlässig erwiesen! Der Projektleiter Prof. Holger Strutwolf sagt: „Insgesamt ist die Überlieferung der Bibel sehr gut und sehr treu. In den theologischen Punkten gibt es unter den Abertausenden Handschriften kaum Abweichungen.“ [5] Anders ausgedrückt: Wir können uns darauf verlassen, dass das, was wir heute lesen, tatsächlich das ist, was die biblischen Autoren damals geschrieben haben!

2.   Die Texteigenschaften authentischer Augenzeugenberichte

Die sehr gute Qualität der Überlieferung muss allerdings noch nicht heißen, dass ihre Inhalte zuverlässig sind. Haben sich die biblischen Autoren vielleicht nur lückenhaft erinnert, vieles verdreht und verwechselt?

Dagegen sprechen einige Eigenschaften des Textes im Neuen Testament, die darauf hindeuten, dass hier tatsächlich Augenzeugen geschrieben haben. Besonders eindrücklich ist die korrekte Häufigkeit der Namen und die richtige Namensverteilung in den Evangelien. Die Verwendung von Namen war schon immer eine Frage des Geschmacks, der einem starken Wandel unterlag. Durch die Auswertung von Gräbern konnte inzwischen recht gut rekonstruiert werden, welche Namen zur Zeit des Neuen Testaments besonders in Mode waren: 15,6 % aller Männer trugen die 2 häufigsten männlichen Namen Simon und Joseph. 28 % aller Frauen hießen entweder Maria und Salome. Dieser Befund deckt sich sehr genau mit der Häufigkeit der Namen im Neuen Testament. Besonders erstaunlich ist: Der Vergleich der 9 häufigsten Männernamen der damaligen Zeit mit den 9 häufigsten Männernamen im Neuen Testament deckt sich das sogar ganz hervorragend.

Das ist deshalb so bedeutsam, weil man eine genaue Namensverteilung Jahrzehnte später nicht mehr rekonstruieren kann. Ganz offenkundig haben hier also Leute geschrieben, die genau wussten, wie die Leute, die in den Geschichten vorkamen, tatsächlich hießen.

Das gleiche gilt für die zahlreichen Ortsnamen, die wir in den Evangelien finden. Interessant ist dabei der Vergleich mit den apokryphen Evangelien: Dort kommen Ortsnamen nämlich kaum vor! Das zeigt: Ortsnamen verwendet man nur, wenn man sich wirklich auskennt. Leute, die einen Bericht sehr viel später verfassen, können sich an solche Details ganz offenkundig nicht mehr erinnern.

Darüber hinaus enthält das Neue Testament zahlreiche korrekte historische Angaben. Prof. Puolimatka zitiert dazu den Forscher Colin Hemer, der die Kapitel 13 – 28 der Apostelgeschichte auf historisch überprüfbare Angaben ausgewertet hat. Im Ergebnis konnte Hemer in den 16 Kapiteln 84 korrekte historische Angaben nachweisen.[6] Das zeigt: Hier schreibt jemand, der wirklich dabei gewesen ist und entweder selbst Augenzeuge war oder aber seine Berichte auf Basis von Augenzeugenberichten erstellt hat, so wie Lukas das ja auch selbst von seinen Berichten behauptet hat.[7]

3.   Der enorme Erfolg in der Zeit und der Region der Augenzeugen

Es ist relativ einfach, wilde Geschichten über Ereignisse in weit entfernten Regionen in längst vergangenen Zeiten zu verbreiten, weil sie von niemand überprüft werden können. Ganz anders ist das bei Berichten über Ereignisse, die in der eigenen Zeit und der eigenen Region stattgefunden haben. Trotz dieser Überprüfbarkeit haben sich die biblischen Berichte in der Zeit und der Region der Augenzeugen extrem schnell ausgebreitet. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet, dass Kaiser Nero bereits im Jahr 64 nach Christus den Christen den Brand Roms in die Schuhe geschoben hat. Das heißt: Trotz fehlender Kommunikations- und Verkehrsmittel hatte sich die christliche Botschaft bereits 30 Jahre nach Jesu Tod bis ins weit entfernte Rom derart erfolgreich ausgebreitet, dass Nero sich genötigt fühlte, dieser neuen Religion einen kräftigen Dämpfer zu verpassen!

Der Althistoriker Dr. Jürgen Spieß berichtet, dass es unter Historikern völlig unbestritten ist, dass sich das Leben der Nachfolger Jesu in einem unglaublichen Ausmaß umgekrempelt hat. Bei sehr vielen Menschen gab es ganz offenkundig einen drastischen Bruch mit fest verankerten Traditionen. Besonders erstaunlich ist die Tatsache, dass so viele streng monotheistische Juden plötzlich begannen, den gekreuzigten Jesus als Gott anzubeten! Damals hatte Tradition eine sehr viel stärkere Bindungskraft als heute. Für einen derart drastischen Traditionsbruch fehlt bis heute jede natürliche Erklärung![8]

4.   Die extreme Opferbereitschaft der Zeugen

Der Geschichtsschreiber Tacitus berichtet eindrücklich von der grausamen Christenverfolgung in Rom: „Nero gab denen, die … das Volk Christen nannte, die Schuld und belegte sie mit den ausgesuchtesten Strafen. … In Felle wilder Tiere eingenäht wurden sie von Hunden zerfleischt oder mussten ans Kreuz geschlagen und angezündet nach Einbruch der Dunkelheit als nächtliche Beleuchtung brennen.“

Der Bericht von Tacitus ist nur einer von vielen Belegen, die zeigen: Die erste christliche Generation war einem brutalen Verfolgungsdruck ausgesetzt. Die meisten der Jünger Jesu starben den Märtyrertod. Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus berichtet, dass auch Jakobus, der leibliche Bruder Jesu, der die Gemeinde in Jerusalem mit geleitet hat, den Märtyrertod für seinen Glauben an Jesus starb. Ist eine derartige Opferbereitschaft überhaupt denkbar, wenn Jesus nicht tatsächlich sichtbar auferstanden ist?

Die Jünger Jesu (und erst recht sein leiblicher Bruder Jakobus) wussten genau, ob die Botschaft von der Auferstehung stimmt oder ob es sich um eine Lüge handelt. Diese Menschen haben nicht nur ihr Leben umgekrempelt, sie haben nicht nur ihre Tradition über Bord geworfen, sie waren auch noch bereit, für diese Botschaft in den Tod zu gehen. Kann man all das wirklich durch eine Lüge oder durch einen psychologischen Effekt erklären?

5.   Das ungewöhnliche, unpopuläre Gottesbild

Zumal man eine Lüge normalerweise nur dann in die Welt setzt, wenn man sie für erfolgversprechend hält und man sich von ihr einen Vorteil verspricht. Aber was für ein Vorteil sollte das bei der Botschaft der ersten Christen gewesen sein? Ihre Botschaft war doch extrem seltsam: Ein göttlicher König, der weitgehend unbemerkt bei unbedeutenden Leuten in einem Stall geboren und dann am Kreuz ermordet wird. Im 5. Mose 21, 23 ist zu lesen: „Ein [am Holz] Aufgehängter ist verflucht bei Gott.“ Der Kreuzestod wurde in der damaligen Kultur so verachtet, dass es bis zum 4. Jahrhundert gedauert hat, bis das Kreuz zunehmend zum Symbol der Christen wurde. Es ist somit kein Wunder, dass Paulus schrieb: „Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit.“ (1. Kor. 1, 23) Die Botschaft vom gekreuzigten Gott war also alles andere als attraktiv! Sie war im Gegenteil eine Provokation und ein Ärgernis. Und trotzdem war sie unfassbar erfolgreich, so dass reihenweise Menschen bereit waren, für diese Botschaft zu sterben. Wie kann man sich das erklären außer dadurch, dass die Ereignisse, die im neuen Testament geschildert werden, wirklich geschehen sind und dass Jesus wirklich von den Toten auferstanden ist?

6.   Die drastische Ehrlichkeit und
fehlende Idealisierung

Geschichtsschreiber wurden in der Antike oft von Herrschern beauftragt oder zumindest streng kontrolliert. Deshalb wurden viele Herrscher zu Helden oder gar zu Göttern verklärt. Deshalb wurden viele Herrscher zu Helden oder gar zu Göttern verklärt. Dazu wurde die eigene Nation oft heroisiert und so dargestellt, als wäre ihre Geschichte voll von ruhmreichen Heldentaten. Wir kennen das auch von heutigen Diktatoren. Nicht so in der Bibel! In ihr finden wir keine idealisierten Überflieger. In ihr finden wir nur Menschen mit Stärken und Schwächen.

Selbst die größten Helden der biblischen Geschichte blamieren sich reihenweise bis auf die Knochen: Noah hat sich betrunken. Abraham, der Vater des Glaubens, hat seine Frau mehrfach feige im Stich gelassen. Die Karriere Jakobs, des Namensgebers Israels, basierte auf einem Betrug. Mose war ein Mörder. Das Volk Israel war glaubensschwach und untreu. König David war ein Ehebrecher und Mörder. Der weise König Salomo betete Götzen an. Petrus hat Jesus verleugnet. Paulus hat sich mit Barnabas und Petrus zerstritten…

Besonders auffällig: Frauen waren die ersten Zeugen der Auferstehung! Das ist bemerkenswert, denn das Zeugnis von Frauen galt damals als wertlos.[9] Wer seine Mitmenschen von der Auferstehung überzeugen wollte brauchte also Männer als Zeugen. Und wer Andere von der Autorität und dem Vorbildcharakter eines Abraham, Jakob oder Petrus überzeugen will, braucht Helden statt Versager. Trotzdem ist die Bibel durchgängig ehrlich und realistisch. Sie hat diesen einzigartigen Klang der Wahrheit, der sie von allen Epen und Heldengeschichten unterscheidet.

7.   Die durchgängige Geschichte

Die Bibel besteht aus 66 Büchern. Sie wurde von mindestens 40 Autoren verfasst, die über einen Zeitraum von etwa 1600 Jahren in völlig verschiedenen Kulturen gelebt haben. Trotzdem enthält die Bibel eine durchgängige, sich immer weiter entfaltende Geschichte. Sie beginnt damit, wie die Beziehung zwischen Gott und Menschen zerbricht. Und sie endet damit, wie diese Beziehung wiederhergestellt wird und Gott wieder bei den Menschen wohnt. Durchgängig schildert die Bibel diesen heiligen und zugleich liebenden Gott, der alles dafür tut, um die Beziehung zu den Menschen wiederherzustellen. Schon auf den ersten Seiten beginnen die Hinweise auf einen geheimnisvollen Nachkommen Evas, der zwar von der Schlange gebissen, ihr aber den Kopf zertreten wird. (1. Mose 3, 15) Danach folgt die Bibel durchgängig immer dieser einen Abstammungslinie, die schlussendlich zu Jesus führt.

Insgesamt finden sich etwa 63.000 Querverweise in der Bibel. Grafisch dargestellt wird deutlich: Die Bibel ist ein Gesamtkunstwerk, in dem jeder Text mit vielen anderen Texten verknüpft ist. Die große Frage ist: Wer hat in diesem Buch die Regie geführt? Wer hat den roten Faden durch dieses Buch gelegt? Wer hat darauf geachtet, dass alle 40 Autoren an dieser einen Geschichte weiterschreiben?

8.   Die zahllosen erfüllten Vorhersagen

Die Bibel ist ein Buch, das ein gewaltiges Risiko eingeht. Etwa 30 % der biblischen Texte enthalten prophetische Vorhersagen für die Zukunft. Zugleich wird immer wieder gewarnt: Wenn Vorhersagen nicht eintreffen, dann müssen die Propheten verworfen werden. Es ist höchst gefährlich, solche Texte zu schreiben, wenn man die Zukunft nicht wirklich vorhersehen kann. Die Bibel ist dieses Risiko eingegangen. Und das Gewaltige ist: Tatsächlich haben sich zahllose Vorhersagen der Bibel buchstäblich erfüllt:

Der Prophet Jesaja sagte nicht nur voraus, dass der Tempel zerstört wird, sondern auch, dass er später wieder aufgebaut wird. Er nannte sogar den Namen des Herrschers Kyrus, der diesen Wiederaufbau voranbringen wird (Jes. 44, 28).

Der Prophet Daniel sagte die nach ihm kommenden 4 Weltreiche voraus. Über Jesus gibt es zahlreiche Vorhersagen: Die Geburt in Betlehem (Micha 5, 1), die Abstammung aus dem Stamm Juda (1. Mose 49, 10), der Einzug in Jerusalem auf einem Esel (Sacharja 9, 9) sowie viele Details und sogar der Zeitpunkt der Kreuzigung (Psalm 22, Jesaja 53, Daniel 9, 24-27[10]).

Dass es viele korrekte Vorhersagen in der Bibel gibt, ist weitgehend unbestritten. Deshalb wird seit langem diskutiert, ob entweder die Texte oder aber die spätere Geschichte nachträglich manipuliert wurden. So könnten z.B. die Evangelisten behauptet haben, dass Jesus in Bethlehem von einer Jungfrau geboren wurde, damit es gut zu den prophetischen Vorhersagen passt – obwohl Jesus eigentlich in Nazareth geboren worden war. Die Frage ist nur: Ist das glaubwürdig? Hat zum Beispiel Jakobus, der leibliche Bruder Jesu und Leiter der Gemeinde in Jerusalem, wirklich die Behauptung des Geburtsorts Bethlehem mitgetragen, obwohl er genau wusste, dass das gar nicht stimmt? Haben die jüdischen Schriftgelehrten, denen doch eine ausgeprägte Ehrfurcht vor ihren heiligen Texten nachgesagt wird, wirklich regelmäßig und in großem Umfang die Texte der Propheten manipuliert, um nachträglich den Anschein zu erwecken, dass es sich um korrekte Vorhersagen handelt?

Besonders schwierig zu erklären sind die Vorhersagen, die die Bibel für die Neuzeit gemacht hat. Schon in den Mosebüchern lesen wir erstaunliche Vorhersagen über das Volk Israel: Das Volk würde unter alle Nationen zerstreut und dort verfolgt werden (5. Mose 28, 64-65, 3. Mose 26, 38). In der Zeit des Alten Testaments ist Israel zwar verschleppt worden. Aber die Zerstreuung unter alle Nationen begann tatsächlich erst im 1. Jahrhundert nach Christus. Seither gab es kein Volk, dass durch alle Zeiten hindurch und in allen Kulturen so irrational gehasst und verfolgt worden ist wie die Juden, so dass fast jedes Kind den Fachbegriff kennt für diesen Hass: Antisemitismus. Für welches andere Volk kennen wir einen solchen Begriff?

Am unglaublichsten aber ist sicher die vielfache biblische Vorhersage, dass die Juden aus allen Ecken der Welt wieder in ihr Land zurückkehren werden (Hes. 11,17; 36,13; Jes. 43,5-6; Jer. 16,14-15). Viele Jahrhunderte lang schien die Erfüllung dieser Vorhersagen undenkbar. Aber seit dem Ende des 19. Jahrhunderts geschieht es vor unseren Augen: Die Juden kehren in ihr Land zurück aus allen Ländern der Welt. Wir müssen uns klar machen, was da geschehen ist: Ein Volk, das 2000 Jahre lang in alle Welt verstreut ist, behält trotzdem seine Kultur und seine Identität und kehrt dann wieder zurück in sein Land. Das ist ein absolut einmaliger Vorgang der Weltgeschichte. Die Bibel hat genau das schon vor mehr als 2.000 Jahren vielfach angekündigt.

Jesus hat zudem angekündigt, dass seine Worte nie vergehen (Lukas 21,33) und in aller Welt gepredigt werden (Matth. 24,14) – eine extrem gewagte Ankündigung für einen Wanderprediger in einem unbedeutenden Land, der seine Worte nicht einmal aufgeschrieben hat. Heute ist die Bibel tatsächlich das mit großem Abstand am weitesten verbreitete und am meisten übersetzte Buch der Welt. Wir stehen kurz davor, dass buchstäblich jedes Volk der Erde die Worte Jesu in seiner Sprache hören kann. Können das denn wirklich alles Zufälle sein?

9.   Das zutreffende Welt- und Menschenbild und die wegweisende Ethik

Die Bibel liefert insgesamt ein Weltbild, das den Test der modernen Wissenschaft hervorragend bestanden hat! Sie sagt voraus, dass wir bei der Erforschung der Welt immer mehr natürliche Erklärungen für die Naturphänomene finden werden, weil das Geschaffene nicht göttlich ist und somit nach festen Gesetzen funktioniert. Aber sie sagt auch voraus, dass wir bei den Ursprungsfragen immer mehr Anzeichen von Design und bewusster Planung finden werden, weil die Welt von Gott geschaffen wurde. Tatsächlich können wir heute staunen über die extreme Feinabstimmung des Universums oder über extrem ausgeklügelte molekulare Maschinen. Je mehr Entdeckungen wir machen, umso mehr bestätigen sich die biblischen Vorhersagen.[11]

Das gilt auch für das biblische Menschenbild. Die Bibel verleiht jedem Menschen zwar eine unveräußerliche Würde, zugleich schmiert sie uns Menschen aber auch keinen Honig um den Mund. Sie schildert sehr realistisch, dass der Mensch im Kern eben nicht gut, sondern unheilbar mit dem Bösen verstrickt ist (1. Mose 8,21; Röm. 3,12). Die Weltgeschichte hat diese Sichtweise durchgängig und eindrücklich bestätigt. Gesellschaftssysteme, die auf einen guten Kern im Menschen setzen (Sozialismus, Kommunismus) sind bislang immer krachend gescheitert. Erfolgreich waren hingegen Systeme, die auf dem menschlichen Egoismus aufbauen (Kapitalismus, soziale Marktwirtschaft) und in denen jeder Mensch, der Macht hat, effektiv kontrolliert wird (Demokratie).

Umso wertvoller sind die herausragenden biblischen Texte über Ethik und ein gelingendes menschliches Zusammenleben. Texte wie die 10 Gebote oder die Bergpredigt haben weltweit die Kulturen mehr geprägt als jedes andere Buch der Welt.

10.    Der Selbstanspruch, göttliche Offenbarung zu sein

Die Bibel ist voller Aussagen, dass in ihr nicht primär Menschen sprechen sondern Gott selbst. Jeremia schreibt zum Beispiel: „Der Herr sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.“ (Jer. 1,9) Ganz ähnlich äußert sich Paulus, wenn er sagt: „Das Evangelium, das von mir gepredigt ist, ist nicht von menschlicher Art … sondern eine Offenbarung Jesu Christi.“ (Gal. 1,11-12) Diese extrem steilen Selbstbehauptungen führen zu einer großen Frage:

Die Bibel: Was ist das eigentlich?

Ist die Bibel einfach eine Sammlung inspirierender Berichte über religiöse Erfahrungen und Ideen? Sind das kluge Lehren über Gott und Moral? Tatsache ist: Genau das wollen die biblischen Texte ausdrücklich nicht sein! In der Welt gibt es viele religiöse Erfahrungsberichte und interessante Abhandlungen über religiöse Themen. Aber dieses Buch hat den Anspruch, eine Offenbarung Gottes zu sein! Wenn jemand seine Lehre oder seine Erfahrungen mit diesem Anspruch verknüpft, dann müssten wir doch eher sagen: So ein Text muss ein Werk von Lügern oder die Phantasie von religiösen Schwärmern sein. Aber passt diese These zu den Eigenschaften der biblischen Texte? Denken wir an die wegweisende Ethik, das zutreffende Welt- und Menschenbild, die vielen erfüllten Vorhersagen, die extreme Opferbereitschaft der Zeugen, die extreme Ehrlichkeit der biblischen Texte… Nein, hier waren keine Lügner und auch keine Schwärmer am Werk. Die Inhalte und Eigenschaften der Texte sprechen vollkommen dagegen.

Aber was ist die Bibel dann? Es bleibt nur eine Möglichkeit: Die Bibel ist das, was sie selbst behauptet zu sein: Gottes offenbartes Wort. Tatsächlich bezeugen Menschen in der ganzen Welt: Dieses Buch verändert Leben. Es verändert ganze Kulturen.[12] Wir haben wirklich allen Grund, diesem Buch unser Vertrauen zu schenken, unser Leben und unsere Gesellschaft darauf aufzubauen.                                 n

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Dr. Markus Till, veröffentlicht im April 2020

Die Inhalte dieses Artikels wurden zunächst für einen Vortrag erarbeitet, der am 1.11.2019 auf einer Tagung des deutschen christlichen Technikerbunds (DCTB) gehalten wurde.

Weiterführend zu diesem Thema sind im AiGG-Blog (blog.aigg.de) folgende Artikel erschienen:

[1] Sehr empfehlenswert dazu ist der Worthausvortrag von Prof. Peter Wick „Das Mys­te­ri­öse – Von der rationalen Wunderkritik über den postmodernen Wunderglauben zurück zu Jesus“

[2] Tapio Puolimatka, „Glaube, Naturwissenschaft und Bibel“, Ruhland-Verlag, 2018, S. 28

[3] „Ist Jesus dem Glauben im Weg“, Der Spiegel, 13.12.1999

[4] In: „Was heißt christlicher Glaube? Reflexionen über einen ebenso notwendigen wie unmöglichen Begriff“, in: Theologische Beiträge 44 (2013) 4/5, S.

185–201, hier: S. 197.

[5] Nähere Informationen dazu im AiGG-Artikel „Meister der Überlieferung“(blog.aigg.de/?p=1924)

[6] In T. Puolimatka: „Glaube, Wissenschaft und die Bibel“, Ruhland-Verlag 2018, S. 486 ff.

[7] Lukas 1, 1-4; Man beachte dazu auch die Passagen der Apostelgeschichte, die in „Wir-Form“ verfasst sind, z.B. Apg. 16, 10 ff.

[8] Siehe dazu z.B. den Vortrag von Dr. Jürgen Spieß: „Ein Althistoriker über die Glaubwürdigkeit des NT“

[9] So schrieb z.B. der jüdische Geschichtsschreiber Josephus: „Das Zeugnis der Frau ist nicht rechtsgültig wegen der Leichtfertigkeit und Dreistigkeit des weiblichen Geschlechts.“

[10] Siehe dazu den AiGG-Artikel: „Hat Daniel das Datum der Kreuzigung vorhergesagt?“ (blog.aigg.de/?p=2204)

[11] Siehe dazu der Vortrag von Markus Till: „Außerwissenschaftliche Vorannahmen – Denkvoraussetzungen von Wissenschaftlern und Theologen“

[12] Die kulturverändernde Kraft der Bibel wurde eindrücklich dargelegt vom Inder Vishal Mangalwadi in seinem „Buch der Mitte“.