Was sagt Lukas über liberale Theologie?

In Lukas 24, 36-44 schreibt Lukas:

„Als sie aber davon redeten, trat er selbst mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Seht meine Hände und meine Füße, ich bin’s selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe. Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und Füße. Da sie es aber noch nicht glauben konnten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. Und er nahm’s und aß vor ihnen. Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen.“

Bei diesen Worten könnte man glatt meinen, dass Lukas sich in moderne theologische Debatten einmischen möchte. Mit wenigen Worten antwortet er auf einige der Hauptanfragen aus der liberalen Theologie, von denen ich lange Zeit gedacht hatte, dass diese Themen nur moderne Menschen umtreiben. Aber Lukas zeigt: Schon die Jünger haben mit genau den gleichen Fragen gekämpft. Die Antworten von Lukas sind überraschend deutlich:

War der auferstandene Jesus nur ein Gedanke, eine Erscheinung, eine Vision oder ein Geist?

Lukas berichtet: Das haben die Jünger auch gedacht. Selbst als sie den auferstandenen Jesus sahen, waren sie immer noch genauso skeptisch wie viele heutige Theologen. Aber Jesus nimmt sich ausführlich Zeit, um zu zeigen: Er ist zwar verwandelt. Aber das Grab ist leer. Jesus hat immer noch diesen Leib mit den Narben, die ihm am Kreuz zugefügt wurden. Jesus bittet extra um etwas zu essen, weil es ihm wichtig ist, klarzustellen: Ich lebe! Und zwar nicht nur in eurer Predigt, in euren Herzen oder in einer vergeistigten Form sondern physisch, aus „Fleisch und Knochen“, anfassbar und ganz real!

Ist der nachösterliche Christus nur eine frühchristliche Deutung des historischen Menschen Jesus von Nazareth?

Lukas berichtet: Genau wie in der heutigen Theologie war die Verunsicherung bei den Jüngern groß, wer Jesus eigentlich war. Jesus selbst stellt deshalb klar: Ich wusste schon vorher, dass ich sterben und auferstehen werde. Erinnert euch: Ich hatte es euch vorher schon angekündigt! Jesus wurde also nicht nachträglich als “Christus” (griechisch für “Messias”) gedeutet, sondern er selbst war sich schon lange vor Ostern immer bewusst gewesen: Ich werde mein Leben opfern und den Tod besiegen. Ich bin der Erlöser der Welt und der König des kommenden Gottesreichs.

Spricht das Alte Testament von Jesus? Gibt es vorhersagende Prophetie? Hat das Alte Testament Offenbarungscharakter? Ist die Bibel widersprüchlich?

Auch die Jünger Jesu hatten noch nicht durchschaut, dass ihre Erlebnisse mit Jesus mit den Texten des Alten Testaments eng zusammen hängen. Deshalb nahm Jesus sich (zuvor auch schon bei den Emmausjüngern) viel Zeit, um deutlich zu machen: Das gesamte Alte Testament dreht sich um ihn! Es ist voller Vorhersagen, die sich erfüllt haben. Es ist voller Wissen darüber, dass ER kommen wird, was ER tun wird und was mit ihm geschehen wird – Wissen, das kein Mensch aus sich heraus haben kann und das deshalb den Offenbarungscharakter des Alten Testaments beweist. Jesus betont zudem: Diese Vorhersagen MUSSTEN sich erfüllen – weil es ja Worte Gottes sind! Ausdrücklich verleiht Jesus dem kompletten Kanon diesen Offenbarungscharakter: Mose, Propheten und Psalmen. Damit wird auch deutlich: AT und NT bilden eine Einheit. Sie erzählen gemeinsam die eine Geschichte von Jesus Christus.

Wem glauben wir?

Nun kann man den Aussagen und Schilderungen von Lukas natürlich glauben oder auch nicht. Aber eines kann man nicht: Liberale Theologie mit der Aussageabsicht von Lukas und seiner Darstellung der Aussagen Jesu harmonisieren. Wir müssen uns schon ehrlich machen:

  • Entweder haben liberale Theologen Recht. Dann liegt Lukas grundfalsch und ist damit als Zeuge unglaubwürdig.
  • Oder Lukas hat Recht. Dann ist liberale Theologie ein grandioser Irrtum.

Beides zugleich geht nicht. Wir müssen uns entscheiden.

Meine Kirche scheint sich entschieden zu haben. Sie lässt ihr Führungspersonal überwiegend von Menschen ausbilden, die einer liberalen Theologie folgen. Leider hat sie damit Lukas als glaubwürdigen Botschafter verloren. Ich frage mich: Glaubt meine Kirche denn wirklich, Menschen stattdessen für die Botschaft moderner Theologen gewinnen zu können? Falls ja: Welche Botschaft ist das? Moderne Theologen sind sich doch eher selten über etwas einig.

Ich für meinen Teil werde mich lieber auf Lukas verlassen. Seine Botschaft trägt – im Leben und im Sterben.

6 Gründe, warum gute Grenzen ein Segen sind

Das Wort „Grenze“ wird heute oft mit „Ausgrenzung“ verknüpft. Dabei sind Grenzen lebensnotwendig. Grenzen schützen. Sie schaffen Lebens-Raum. Jede einzelne unserer Körperzellen kann nur existieren, weil sie sich mit Hilfe einer raffiniert gebauten Membran von ihrer Umwelt abgrenzt, ohne völlig dicht zu machen. Selbst Gottes neues Jerusalem kommt nicht ohne Grenzen aus (Offb. 21, 27). Sind Grenzen also spaltend und negativ oder sind sie ein Segen für die Gemeinde?

Die SPD hat ein Problem. Nachdem der Chef der SPD-Nachwuchsorganisation Kevin Kühnert Thesen vertreten hatte, die eher zu sozialistischen oder gar kommunistischen Parteien zu passen scheinen, gab es teils heftigen Unmut. Parteiinterner Streit ist Gift für die Umfrageergebnisse. Umso mehr stellt sich die Frage: Wer ist schuld am Streit? Ist Kevin Kühnert schuld, weil er Thesen vertrat, die nicht zur Ausrichtung der Partei passen und die viele SPD-Mitglieder und -Wähler für indiskutabel halten? Oder sind die Kritiker von Kevin Kühnert schuld, weil sie nicht bereit sind, auch steil klingende Thesen als Diskussionsbeitrag stehen zu lassen und als mögliche Position innerhalb der SPD anzuerkennen?

Ein ähnliches Spannungsfeld wird in letzter Zeit verstärkt auch im evangelikalen Umfeld verhandelt: Wie geht man damit um, wenn dort theologische Positionen vertreten werden, die nicht zur gemeinsamen evangelikalen Glaubensbasis passen? Ist es im wahrsten Sinne des Wortes not-wendend, sich gegen solche Positionen bewusst abzugrenzen? Oder sollte man sie stehen lassen und als mögliche Deutungen innerhalb der evangelikalen Bewegung anerkennen, um niemand auszugrenzen? Anders gefragt: Gewinnt man mehr Einheit und Ausstrahlung durch klarer ausgesprochene Grenzen? Oder ist mehr Einheit und Ausstrahlung nur durch mehr Freude an Pluralität (neudeutsch „Ambiguitätstoleranz“) und durch weite bzw. überhaupt keine Grenzen und rote Linien möglich?

Abschottung und zu enge Grenzen schaden definitiv

Natürlich gilt: Totschweigen und Abschottung hilft niemandem, zumal es im digitalen Zeitalter ohnehin nicht funktioniert. Es gehört auch für evangelikale Christen zu einer guten Bildung, nichtevangelikale Theologie und Theologen zu kennen und sich mit ihren Inhalten (kritisch) auseinander zu setzen.

Und richtig ist natürlich auch: Zu enge Grenzen schaden der Gemeinde definitiv, vor allem wenn die eigene Identität primär von der Abgrenzung lebt und nicht aus der Liebe Gottes gespeist wird. Schon Paulus hat gefordert, dass man sich in Fragen der Einhaltung von Speisegeboten oder speziellen Feiertagen nicht streiten sondern sich – selbst gegen die eigene Überzeugung – lieber am Schwächeren orientieren soll (Röm.14). Wer bei solchen Randfragen strikt auf Dogmen pocht statt flexibel zu sein, wird der Einheit der Gemeinde zur Last. In den notwendigen Fragen Einheit, in den zweifelhaften Fragen Freiheit, über allem die Liebe. Diese oft zitierte Formel scheint tatsächlich auch zur Botschaft des Neuen Testaments zu passen. Zu klären ist dabei aber natürlich die Frage: Was sind denn die notwendigen Fragen, bei denen wir unbedingt Einheit brauchen, um in den Randfragen entspannt Freiraum geben zu können?

Ohne Zweifel sind die Fragen nach der Bedeutung des Kreuzestodes und nach der Auferstehung grundlegend für den christlichen Glauben. Karfreitag und Ostern bilden ja den innersten Kern des Evangeliums. Spätestens wenn das leere Grab und das stellvertretende Sühneopfer in Frage gestellt oder in ihrer Bedeutung relativiert werden, ist dieser innerste Kern betroffen. Aber auch die Frage nach der Autorität und Vertrauenswürdigkeit der biblischen Autoren ist gerade für den Protestantismus des „Sola Scriptura“ von entscheidender und grundlegender Bedeutung. Aus mindestens 6 Gründen bin ich überzeugt, dass bei solchen zentralen Themen weise gewählte Grenzen tatsächlich äußerst wichtig und segensreich für Gemeinden sind:

Warum biblisch begründete Grenzen für die Einheit und das Gedeihen von Gemeinden unbedingt notwendig sind

1. Aus biblischen Gründen

Grenzziehung gegen falsche Lehre ist in der ganzen Bibel ein wichtiges Thema. Einige Briefe des Neuen Testaments sind in Teilen regelrechte Streitschriften gegen falsche Lehre. Das „Nehmt einander an“ (Röm.15,7) steht dort immer auf dem Fundament der apostolischen Lehre als einer verbindlichen gemeinsamen Grundlage. Dazu nur ein Zitat von vielen: „Und nun möchte ich euch, liebe Brüder, noch einmal vor solchen Leuten warnen, die die Gemeinde spalten und den Glauben anderer erschüttern. Denn sie lehren euch etwas anderes als das, was ihr gelernt habt. Haltet euch von ihnen fern!“ (Römer 16, 17)

Lehre, die der apostolischen Botschaft widerspricht, wird hier also explizit als Grund der Spaltung benannt. Paulus fand äußerst harte Worte, wenn am apostolischen Evangelium etwas verändert wird (Galater 1, 8). Er hat sich nicht gescheut, auch Petrus öffentlich zu kritisieren, als er den Eindruck hatte, dass dessen Verhalten in Bezug auf wichtige Inhalte des Evangeliums falsche Signale sendete (Gal.2,11-14). Jesus hat falsche Aussagen häufig gekontert mit der Aussage: „Habt ihr nicht gelesen?“ Der Schriftbeweis war für ihn also entscheidend. Ringen um Wahrheit und christliche Einheit jenseits von Gottes Wort und Gebot kennt die Bibel nicht.

Natürlich gründet die Einheit der Kirche letztlich nicht auf einem dogmatischen System sondern auf der Person Jesus Christus. Aber auch „Jesus Christus“ bleibt ohne christliche Lehre, die objektiv gültige Schriftaussagen herausarbeitet, eine Nebelkerze. Denn es stellt sich ja die Frage: Welcher Jesus Christus ist gemeint? Der Jesus des Neuen Testaments? Oder ein „historischer Jesus“ aus der liberalen Theologie, der gerade dadurch sichtbar wird, dass er sich von der frühchristlichen Christologie unterscheidet? Wenn derart gegensätzliche Konzepte zum Begriff „Christus“ im Raum stehen, dann kann Christus nicht mehr das verbindende Fundament der Kirche sein. Die Bibel hat zwischen Gottes verschriftlichtem Wort und Christus nie einen Gegensatz konstruiert. Im Gegenteil: „Die Schriften … sind es, die von mir zeugen.“ (Johannes 5, 39) Die Grenzen der Schrift müssen deshalb gerade auch im Hinblick auf Christus die Grenzen der Gemeinde sein.

2. Aus Gründen der Glaubwürdigkeit der kirchlichen Botschaft

Das leere Grab wird im Neuen Testament vielfältig beschrieben. Es ist DIE Kernbotschaft der Evangelisten. Man kann normalen Menschen kaum erklären, warum sie die biblischen Autoren für vertrauenswürdig und die Bibel für relevant halten sollen, wenn selbst diese allerzentralsten Berichte erfundene Geschichten sind, die die Kirche jahrtausendelang auf eine falsche Fährte geführt haben. Das stellvertretende Sühneopfer zieht sich wie ein roter Faden quer durch die ganze Bibel. Wenn selbst diese allerzentralste Botschaft nicht klar ist sondern höchstens eine von vielen möglichen Deutungen darstellt, dann ist eigentlich nichts mehr klar in der Bibel. Dann gibt es keine Botschaft mehr, die Christen ganz einfach fröhlich gemeinsam glauben, bekennen und besingen können.

Das größte Problem daran ist: Kein Mensch weiß aus sich heraus etwas darüber, wer und wie Gott ist und was nach dem Tod geschieht. Auch die Kirche Jesu hat bei den existenziellen Ewigkeitsfragen keine Autorität aus sich selbst heraus, sondern nur als Botschafter von Gottes zeitlosem Wort und Gebot. Sie kann nur deshalb Trost und Antworten für die grundlegenden Ewigkeitsfragen der Menschen geben, weil sie aus einer göttlichen Erkenntnisquelle schöpft, die außerhalb ihrer selbst liegt. Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob Kirche aus der Autorität einer zeitlosen Wahrheit heraus handelt oder ob sie den Menschen nach dem Mund redet. Ohne biblischen Maßstab und ohne Klarheit über die biblische Botschaft gibt es auch zu den existenziellen Ewigkeitsfragen nur noch Meinungen – und zwar die, die sich am lautesten durchsetzen. Wen soll man damit trösten? Es ist kein Wunder, wenn die Botschaft der Kirche nicht mehr wahrgenommen oder zumindest als irrelevant für das eigene Leben empfunden wird, wenn die Kirche selbst ihre eigene und einzige Informationsquelle bezweifelt.

3. Aus historischen Gründen

Die Kirchengeschichte enthält viele Beispiele, die einen positiven Zusammenhang zwischen dem Festhalten an der biblischen Lehre und dem Gedeihen der Kirche nahelegen. In der Reformation stand die unbedingte und alleinige Gültigkeit von Gottes Wort sogar im Zentrum. Laut Wikipedia haben sich auch die unterschiedlichsten Erweckungsbewegungen in der Zeit nach der Reformation dadurch ausgezeichnet, dass sie „ein ursprüngliches Verständnis eines direkt aus der Bibel entnommenen Evangeliums“ teilten. Diese Erweckungsbewegungen waren also immer auch Bibelbewegungen, in denen die Autorität von Gottes Wort in besonderer Weise hochgehalten wurde. Christen haben zudem ganz offenkundig schon immer gespürt: Wir müssen klären und definieren, woran wir glauben und was unser gemeinsamer Grund ist. Deshalb gab es schon von Anbeginn der Kirchengeschichte Glaubensbekenntnisse und später auch Katechismen und Dogmatiken, die immer auch den Zweck hatten, gegenüber falschen Lehren Grenzen zu ziehen und damit die Kirche Jesu zu schützen.

4. Aus Gründen der Transparenz und Vertrauenswürdigkeit

Auch heute noch veröffentlichen die meisten Kirchen, Gemeinden und christliche Organisationen ihre Glaubensgrundlagen im Internet. Menschen wollen wissen, was in einer Organisation, für die sie sich interessieren, geglaubt und vertreten wird. Wenn sich herausstellt, dass man sich in Wahrheit über diese Grundlagen überhaupt nicht mehr einig ist, dann führt das zwangsläufig zu einem Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust. Wie sollen die Menschen der evangelischen Kirche vertrauen, wenn  einerseits bei jeder Konfirmation und jeder Taufe das Nachsprechen des apostolischen Glaubensbekenntnisses verlangt wird, während zugleich an ihren Ausbildungsstätten diskutiert wird, ob man die Jungfrauengeburt, die leibliche Auferstehung und das jüngste Gericht heute noch im Sinne der biblischen Autoren glauben kann?

5. Aus empirischen Gründen

Gemeindewachstum hängt von vielen Faktoren ab. Deshalb ist es schwierig, den Einfluss der theologischen Prägung auf das Gedeihen einer Gemeinde zu messen. Trotzdem gibt es Hinweise: Eine umfangreiche kanadische Studie mit dem Titel „Theologie zählt“ hat 2016 untermauert, dass konservative Theologie mit starken gemeinsamen Überzeugungen ein wichtiger Faktor für das überdurchschnittliche Wachstum theologisch konservativer Gemeinden darstellt. In seinem Buch „Natürliche Gemeindeentwicklung“ hat der Gemeindewachstumsexperte Christian Schwarz als ein Ergebnis seiner systematischen Untersuchung von 45.000 Gemeinden aus der ganzen Welt angemerkt: „Das Theologiestudium hat eine stark negative Beziehung sowohl zum Wachstum als auch zur Qualität der Gemeinde.“ Gemeinden, deren Leiter durch ein bibelkritisches Theologiestudium gegangen sind, leiden demnach statistisch gesehen häufiger unter Qualitätsproblemen und Mitgliederverlust. Auch der Religionssoziologe Prof. Detlef Pollack äußerte im Jahr 2017, dass es der evangelischen Kirche ausgerechnet dort am besten gehe, „wo sie evangelikal sei oder sogar fundamentalistisch.“

6. Aus Gründen der praktischen Gemeindearbeit

Ich erlebe es in meiner eigenen Gemeinde: Als Leitungsgremium müssen wir immer wieder entscheiden, wofür wir unsere begrenzten Kräfte, Ressourcen und Finanzen einsetzen wollen. Dafür brauchen wir ein gemeinsames Verständnis, was eigentlich der Auftrag einer christlichen Gemeinde ist. Geht es primär um Mission, Jüngerschaft und Anbetung? Oder stehen soziales Engagement, religiöse Bildung und kulturstiftende Tätigkeiten im Vordergrund? Selbst bei einem gemeinsamen Verständnis in dieser Grundfrage ist es herausfordernd genug, angesichts unterschiedlicher Charaktere, Prägungen, Erfahrungen und Ideen die Einheit zu wahren. Aber wenn schon die Frage nach dem Auftrag der Gemeinde grundsätzlich verschieden beantwortet wird, dann bleibt erfolgreiche Gemeindeleitung ein ähnlich aussichtsloses Unterfangen wie eine Fußballmannschaft, die sich nicht einigen kann, auf welches Tor sie schießen soll. Keine Firma der Welt kann wachsen, wenn die Chefetage sich auf kein gemeinsames Ziel einigen kann. Es ist kein Wunder, dass das auch in christlichen Gemeinden nicht funktioniert.

Wir brauchen Richtungsgemeinden mit Profil

Deshalb bin ich überzeugt: Die Öffnung für eine Theologie, die die Bibel auch nach bibelwissenschaftlicher Klärung der Aussageabsicht im echten Sinne kritisiert und dem “wissenschaftlichen Zweifel” unterwirft, wird christlichen Gemeinschaften auf Dauer ihre missionarische Kraft und ihre Wachstumspotenziale rauben. Und sie wird am Ende noch viel tiefer und nachhaltiger die Einheit untergraben, die man durch die Öffnung eigentlich bewahren wollte. Mir ist bewusst, dass der allgemeine Trend zur Pluralisierung auch in evangelikalen Gemeinschaften Druck erzeugt, zunehmend pluralere Standpunkte anzuerkennen, wenn man Streit und Spaltung vermeiden möchte. In der Praxis führt das immer wieder zu (auch seelsorgerlich) schwierigen Fragen, auf die es auch aus meiner Sicht keine einfachen, allgemeingültigen Antworten gibt. Trotzdem bin ich letztlich überzeugt: Ein gemeindeinterner Spagat zwischen geradezu gegensätzlichen Überzeugungen in Kernfragen des Glaubens kann zumindest auf der Leitungsebene nicht auf Dauer fruchtbar sein. Wir brauchen Richtungsgemeinden mit Profil. Dafür müssen Gemeindeleitungen es wagen, in theologischen Fragen Position zu beziehen und damit zwangsläufig auch begründete Grenzen zu setzen.

Die Ausformung dieser Grenzen werden unterschiedliche Gemeinden im Detail unterschiedlich gestalten. Es kann in solchen Fragen nicht darum gehen, sich gegenseitig das Daseinsrecht oder gar den Glauben abzusprechen. Umgekehrt ist es aber aus den genannten Gründen auch bei weitem nicht immer Ausdruck von Angst, Kleingeistigkeit, Scheuklappen, Richtgeist oder Abschottungsmentalität, wenn Christen zu dem Schluss kommen, dass Gemeinden an biblisch begründeten Grenzen in der christlichen Lehre unbedingt festhalten und auf Grenzüberschreitungen kritisch und mit biblischen Argumenten aufmerksam machen sollten, um Menschen Orientierung zu geben. Wichtig ist dabei unsere Motivation: Die Liebe zu Christus, zu seinem Wort, zu seiner Kirche und zu den Menschen muss uns leiten – nicht die eigene Rechtfertigung. Aus dieser Liebe heraus brauchen wir eine neue Debatte, wie die Kirche Jesu wieder Einheit und Ausstrahlung gewinnen kann und was uns die Apostel und Propheten dafür ins kirchliche Stammbuch geschrieben haben.

Die Frage nach guter Lehre ist kein Randthema. Die Verkündigung gehörte neben dem Gebet zu den zwei Hauptaufgaben der ersten Gemeindeleiter (Apg. 6,4). Das zeigt: Gute, auf der Schrift gegründete Lehre ist zwar nicht alles. Aber ohne sie ist alles nichts. Ohne sie bleiben auch die frischesten Gemeindeformen nur schöne Verpackung. Ohne sie verkommen auch die kraftvollsten Bewegungen des Heiligen Geistes zur Schwärmerei. In den notwendigen Fragen Einheit, in den zweifelhaften Fragen Freiheit, über allem die Liebe. Das heißt eben auch: Wenn wir aus Angst vor Streit die Debatte zu richtigen und falschen Antworten auf die zentralen Fragen des Glaubens meiden, dann tun sich die Gräben irgendwann umso mehr bei den Nebenfragen auf. Auch hinter den teils heftigen Debatten unter Christen um Ethik oder um politische Fragen verbergen sich bei genauem Hinsehen oft unterschiedliche Weichenstellungen bei den Kernfragen des Glaubens. Einheit ist ein hohes Gut im Neuen Testament. Biblisch begründete und klärende Grenzen in den wichtigen Glaubensfragen sind dafür ein wertvoller und letztlich unverzichtbarer Beitrag.

Ist die Worthaus-Theologie liberal?

Wie alle „Schubladenbegriffe“ wird auch der Begriff der „liberalen Theologie“ sehr unterschiedlich verwendet. Evangelikale Laien verstehen darunter tendenziell etwas Anderes als universitäre Theologen. Sie neigen dazu, die Vielfalt universitärer Theologie weniger wahrzunehmen und alles unter dem Begriff „liberal“ zusammen zu fassen – genau wie manche liberal geprägte Christen Evangelikale pauschal als „fundamentalistisch“ einstufen.

Im Hossa-Talk #105 wird auch dem AiGG-Worthausartikel vorgeworfen, die Theologie der Worthaus-Vorträge pauschal als „liberal“ zu bezeichnen (Min. 19.20). Deshalb möchte ich gerne dazu beitragen, dass wir einander differenzierter wahrnehmen.

Fakt ist: Die Worthausreferenten repräsentieren eine große Bandbreite universitärer Theologie. Darunter sind Referenten, die auch gemäß der universitären Definition als liberal gelten dürfen (wie Prof. Zimmer im Hossa Talk bestätigt; Min. 10.05). In der großen Mehrzahl trifft das universitäre Label „liberal“ aber nicht für die Worthaus-Referenten zu. Entsprechend charakterisiert der AiGG-Artikel die Worthaus-Theologie auch nirgends als „liberal“ sondern als „universitär“. Dazu wird kommentiert: „Worthaus ist kein einheitlicher Block mit einheitlicher Theologie. … Es stellt deshalb eine der Übersichtlichkeit geschuldete Vereinfachung dar, wenn in diesem Artikel der Begriff „Worthaus“ so verwendet wird, als ob alle Vorträge eine geschlossene Sichtweise vertreten würden.“ DIE Worthaus-Theologie gibt es also nicht. Deshalb ist natürlich auch nicht jede Kritik an einzelnen Aussagen in Worthaus-Vorträgen auf alle Worthaus-Referenten gemünzt.

Fakt ist aber auch: An den Universitäten gibt es kaum evangelikale Theologen. Laut Prof. Zimmer ist der Anteil evangelikaler Theologen an den theologischen Fakultäten im Promillebereich (Min. 23.00). Entsprechend sind auch die allermeisten Worthaus-Referenten nicht evangelikal. Bei zentralen Themen wie dem Bibelverständnis werden in vielen Worthaus-Vorträgen Positionen vertreten, die sich von traditionellen evangelikalen Positionen deutlich unterscheiden. Und ich finde: Darüber dürfen und müssen wir Evangelikalen reden – engagiert, differenziert und an der Sache orientiert.

Siehe auch: Jubilate! Endlich… diskutieren wir wieder mit offener Bibel!

Stolz und Vorurteil? Wie wissenschaftlich ist die Bibelwissenschaft?

Beobachtungen aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers

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Was war der größte Fehler Ihres Lebens?“ fragte der Journalist. Der alte Kunstkritiker lachte. „Als ich einmal unser Kind im Kindergarten abholte baten mich die Betreuerinnen, einen Blick auf die gesammelten Kunstwerke des Kindergartens zu werfen. Leider fiel mir nicht auf, dass zwischen den Kinderbildern ein abstraktes Werk eines bekannten Künstlers hing. Das brachte mir noch für lange Zeit ein spöttisches Grinsen ein – und lehrte mich viel darüber, wie leicht man durch Vorurteile etwas Wunderbares übersehen kann.“

In den vergangenen 150 Jahren ist etwas Dramatisches passiert: Die Theologie hat den Blick für das Wunder der Bibel verloren! Das offenbarte, autoritative, normative Wort Gottes ist menschlich geworden. Fehlerhaft. Widersprüchlich. Unhistorisch. Tendenziös. Nicht mehr vertrauenswürdig. Müssen wir das als aufgeklärte und rationale Menschen in Kauf nehmen, weil die wissenschaftliche Untersuchung der Bibel schlicht keine anderen Schlussfolgerungen zulässt? Oder könnte es sein, dass sich in der Theologie genau das gleiche Drama vollzieht wie in der kleinen einleitenden Episode unseres Kunstkritikers? Könnte es sein, dass auch in der modernen Bibelwissenschaft Vorurteile den Blick für das Wunder verstellen?

Auf Seite 3 des weit verbreiteten theologischen Grundlagenwerks „Arbeitsbuch zum Neuen Testament“ von Conzelmann & Lindemann[1] (im Folgenden als C&L bezeichnet) finden wir dazu einen interessanten Hinweis: „Die biblischen Texte werden methodisch nicht anders behandelt als andere literarische Zeugnisse, insbesondere solche der Antike.“ [2]

Der gleiche Blick auf die Bibel wie auf alle anderen Bücher? Wird man damit der Bibel gerecht? Oder kommt diese Theologie womöglich zu völlig falschen Schlussfolgerungen, weil sie die Bibel unter völlig falschen Voraussetzungen betrachtet? Bevor wir dieser Frage nachgehen muss ich als begeisterter Naturwissenschaftler zuerst einmal ein kleines Loblied auf die (Natur-) Wissenschaft singen:

Vom Erfolg des Ursache-Wirkungs-Prinzips

Der gewaltige Erfolg der Naturwissenschaften basiert hauptsächlich auf dem Vertrauen in das Ursache-Wirkungs-Prinzip, also der Annahme, dass alles, was geschieht, eine natürliche Ursache hat. Auf dieser Basis ging man z.B. davon aus, dass hinter dem Gewitterdonner keine launischen zornigen Götter stecken sondern physikalische Gesetze, die nach dem immer gleichen Schema ablaufen und die man gründlich erforschen und verstehen kann. Es waren nicht zuletzt Christen wie Isaac Newton, die sagten: Wenn Gott die Welt geschaffen hat, dann hat er ihr feste Gesetzmäßigkeiten gegeben, die wir mit Hilfe von Beobachtung und Experiment herausfinden können. Was für eine gute Entscheidung! Denn auf dieser Basis hat die Naturwissenschaft eine phantastische Erfolgsgeschichte geschrieben. Das Ursache-Wirkungs-Prinzip hat sich als eine phantastische Grundlage für die Erforschung der heutigen Welt erwiesen. Wir können dankbar sein für die rasante Entwicklung von Forschung und Technik, die auf dieser Basis gelungen ist.

Vom Segen der Bibelwissenschaft

Dankbar bin ich auch für die akribische Arbeit vieler Bibelwissenschaftler. Die möglichst genaue Rekonstruktion des biblischen Urtextes, die Erforschung des historischen und kulturellen Umfelds der biblischen Texte, die Ermittlung der genauen Wortbedeutungen und Textgattungen sowie die intensive Übersetzungsarbeit helfen uns, die sprachliche, zeitliche und kulturelle Kluft zwischen uns und den biblischen Texten zu überbrücken und so die ursprüngliche Aussageabsicht der biblischen Autoren immer besser verstehen zu können. Was für eine wichtige und wertvolle Arbeit!

Von der Notwendigkeit des wissenschaftlichen Zweifels

Zur Wissenschaft gehört immer auch der wissenschaftliche Zweifel: Haben wir das bislang richtig gesehen? Wurden alle Fakten und Erkenntnisse berücksichtigt? Oder müssen wir etwas neu überdenken? Wissenschaft muss nach Möglichkeit vorurteilsfrei arbeiten. Sie soll sich an den Fakten orientieren und eigene, außerwissenschaftliche Denkvoraussetzungen nicht absolut setzen. Das muss auch in der Bibelwissenschaft gelten: Fakten, die dem bisherigen Verständnis von biblischen Aussagen widersprechen (also z.B. Ausgrabungsergebnisse, inner- und außerbiblische Quellen) dürfen für Bibelwissenschaftler kein Grund sein, Scheuklappen aufzusetzen.

Andererseits wird jeder gute Bibelwissenschaftler die Aussagekraft solcher Fakten auch kritisch bewerten. Schließlich ist historische Wissenschaft nicht mit exakter Naturwissenschaft vergleichbar. Sie untersucht nicht die gesetzmäßig ablaufenden Dinge, wie das die Naturwissenschaften tun, sondern sie versucht, unwiederholbare Ereignisse der Vergangenheit zu rekonstruieren. Sie interpretiert dafür relevante Indizien, kann die wesentlichen Fragen aber nicht experimentell untersuchen. Die empirische Methode der Naturwissenschaften ist in den historischen Wissenschaften also nur untergeordnet anwendbar. Die Rekonstruktion vergangener Geschichte und Kulturen bleibt daher immer ein Stück weit vorläufig und mehr oder weniger unsicher. Sie hängt u.a. auch davon ab, welchen der (oft lückenhaften und widersprüchlichen) Quellen man mehr oder weniger Vertrauen schenkt.

Von der Fragwürdigkeit außer­wissenschaftlicher
Vorurteile

Spätestens wenn Prägungen, Erwartungen und außerwissenschaftliche Vorurteile (in der Wissenschaft „Prämissen“ genannt) die Interpretation, Bewertung und Gewichtung von Quellen beeinflussen, verlassen wir den Boden der vorurteilsfreien Wissenschaft. Das ist an sich nicht weiter schlimm, solange man sich offen und ehrlich dazu bekennt. Irreführend und tendenziös ist es aber, wenn sich solche außerwissenschaftliche Vorentscheidungen unter dem Deckmantel einer scheinbar objektiven Wissenschaft verstecken und andere Ansätze als unwissenschaftlich aus dem Rennen werfen, bevor sie überhaupt geprüft wurden.

Als Naturwissenschaftler fällt mir auf: Genau das geschieht offenbar leider in Teilen der modernen Bibelwissenschaft. Vor allem auf die folgenden drei folgenschweren Vorurteile bin ich gestoßen:

1. Vorurteil: Es kann keine Wunder geben

In der Biologie hat es in Bezug auf das Ursache-Wirkungs-Prinzip eine schwerwiegende Grenzüberschreitung gegeben: Spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es nicht mehr nur auf die gegenwärtige Schöpfung angewandt, sondern auch auf die Ursprungsfrage ausgedehnt. Seither wurde (und wird bis heute) nicht nur bei der Frage „Wie funktioniert das?“ sondern auch bei der Frage „Woher kommt das?“ die Möglichkeit einer (Mit-)Wirkung einer übernatürlichen, höheren Intelligenz und Schöpferkraft nicht ergebnisoffen geprüft sondern von vornherein („a priori“) grundsätzlich ausgeschlossen.

Anders als bei der Erforschung der gegenwärtigen Welt hat dieser Ausschluss schöpferischer Eingriffe bei der Ursprungsfrage aber keine Erfolgsgeschichte nach sich gezogen, im Gegenteil: 150 Jahre nach Darwin sind noch immer zentrale und grundlegende Fragen zur Entstehung der Vielfalt der Baupläne der Lebewesen vollkommen ungeklärt. Bis heute kann kein Mensch beantworten, wie komplexe Systeme, Information, Schönheit und Bewusstsein ohne eine steuernde Intelligenz entstehen kann[3]. Der Glaube an ein allumfassendes Ursache-Wirkungs-Prinzip (Determinismus bzw. Naturalismus), der in der Blütezeit der Aufklärung die akademische Welt dominiert hat[4], ist als umfassendes, ausnahmslos geltendes Welterklärungsmodell krachend gescheitert. Er ist zudem philosophisch letztlich unhaltbar, wie z.B. Prof. Daniel von Wachter dargelegt hat.[5]

Diese Erkenntnis scheint jedoch in Teilen der Theologie bis heute nicht vollständig angekommen zu sein. Unter dem Eindruck der naturwissenschaftlichen Erfolgsgeschichte hatten prägende Theologen[6] noch im 20. Jahrhundert versucht, auch in der Theologie gänzlich ohne Wunder auszukommen. So schreibt z.B. Rudolf Bultmann:

„Der Gedanke des Wunders als Mirakels ist für uns heute unmöglich geworden, weil wir das Naturgeschehen als gesetzmäßiges Geschehen verstehen.“ [7]  „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.“ [8]

Auch bei Troeltsch, Schleiermacher und anderen einflussreichen Theologen lassen sich vergleichbare Zitate finden.[9] So wird verständlich, warum in der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts der Glaube an eine leibliche Dimension der Auferstehung Jesu weitgehend durch die Annahme ersetzt wurde, die Jünger hätten nur Visionen gehabt. Die treibende Kraft für diesen Umschwung waren nicht etwa irgendwelche neuen Forschungsergebnisse. Der Ausschluss von Wundern war vielmehr eine philosophische Entscheidung. Er wurde grundsätzlich vorausgesetzt, weil „man es einfach nicht glauben kann“, wie Bultmann ganz offen formuliert.

Seit Bultmann hat sich die universitäre Theologie weiter entwickelt. So scharf wie er würden heute wohl nur noch wenige Theologen den Ausschluss von Wundern formulieren. Eine grundsätzliche Wunderskepsis ist jedoch ganz offensichtlich geblieben. Das wird bei der Auferstehung Jesu, also dem zentralen Heilsereignis der Christenheit, besonders deutlich. So formulieren C&L zur Frage der Auferstehung: „Die immer wieder diskutierte Frage, ob die Auferstehung Jesu ein „historisches Ereignis“ sei, ist von vornherein abzuweisen.“[10] Eine sachliche Begründung für diese These wird nicht geliefert. Noch deutlich schärfer formuliert Prof. Stefan Schreiber in seinem „Worthaus“-Vortrag über den „historischen Jesus“ [11]. Die Vorstellung, dass Jesus nach der Auferstehung leiblich „über die Erde spaziert sei“ entspricht für ihn einem überreizten Gespensterglauben, bei dem er dringend einen Arztbesuch oder wenigstens ausgiebiges Ausschlafen empfiehlt.[12] Das „Sehen“ des Auferstandenen durch die Jünger setzt er mit dem „Sehen“ der alttestamentlichen Propheten gleich, obwohl sich die Berichte des Neuen Testaments über Begegnungen mit dem Auferstandenen grundlegend von prophetischen Visionen unterscheiden.

All das wirkt seltsam auf mich. Denn natürlich kann man sehr wohl mit (geschichts-)wissenschaftlichen Mitteln die verschiedenen Erklärungsmodelle für die Entstehung des Osterglaubens durchspielen, ihre Erklärungskraft bewerten und damit eine Aussage darüber treffen, welches Modell welche Wahrscheinlichkeit besitzt. Wenn man das ergebnisoffen tut, ist das Ergebnis aus meiner Sicht sehr eindeutig: Die Fakten sprechen klar dafür, dass die Auferstehung eine leibliche Dimension gehabt haben muss![13] Das ist für mich bislang die einzige schlüssige Erklärung, die zu den zahlreichen und vielfältigen historischen Fakten passt. Aber diese Debatte wird bei C&L leider überhaupt nicht geführt. Die Möglichkeit von Wundern wird hier aus philosophischen (nicht aus wissenschaftlichen!) Gründen von vornherein grundsätzlich ausgeschlossen.

2. Vorurteil: Es gibt keine Offenbarung

Die biblischen Autoren behaupten an zahlreichen Stellen, göttlich offenbarte Wahrheiten zu verkünden![14] Wer aber einem allumfassenden physikalischen Ursache-Wirkungsprinzip vertraut, kann natürlich auch nicht an göttliche Offenbarung glauben. Stattdessen geht man von vornherein davon aus, dass die Bibel ein Machwerk von Menschen sein muss.

Dass dieses Vorurteil tatsächlich in den liberaleren Zweigen der Bibelwissenschaft eine Rolle spielt, zeigt sich zum Beispiel bei der Frage nach der Datierung der Evangelien. Dazu schreiben C&L: „Ebenso wie Matthäus (und wohl auch Markus) ist Lukas jedenfalls nach 70 verfasst worden; in Lk. 21,10 ist unmissverständlich auf die Belagerung Jerusalems am Ende des Jüdischen Krieges und auf die Zerstörung der Stadt angespielt.“ [15] Tatsächlich lesen wir in Lukas 21, dass Jerusalem belagert und der Tempel komplett zerstört wird (so auch in Mark. 13,2 und Mt. 24,2). Aber das wird dort ja gerade nicht als Bericht, sondern als Vorhersage (Prophetie) Jesu dargestellt. Anders als z.B. in Apg. 11,28 erwähnen die Evangelisten dabei mit keinem Wort, dass Jesu Prophetie tatsächlich in Erfüllung gegangen ist. Das heißt: Das einzige Argument von C&L für eine Datierung nach 70 n.Chr. basiert auf der Annahme, dass es Prophetie nicht geben kann! Dieses Argument wiegt so stark, dass die zahlreichen Argumente für eine frühere Datierung gar nicht erst diskutiert werden:

  • Im ganzen Neuen Testament herrscht in Bezug auf die Zerstörung des Tempels, die für die Juden ein absolut prägendes und traumatisches Ereignis gewesen sein muss, ein geradezu dröhnendes Schweigen.
  • Auch die Märtyrertode von Paulus und vom Herrenbruder Jakobus (einem Ältesten der Urgemeinde in Jerusalem) in den 60er Jahren werden mit keinem Wort erwähnt, stattdessen wird der Märtyrertod des wesentlich unbedeutenderen Stephanus ausführlich geschildert.
  • Die Apostelgeschichte des Lukas, die er nach seinem Evangelium verfasst hat, bricht noch vor dem Tod von Paulus plötzlich ab.
  • Eine Textanalyse der Evangelien belegt: Diese Berichte weisen alle Eigenschaften von frühen, authentischen und kenntnisreichen Augenzeugenberichten auf. Aufgrund der vielen stimmigen Details können sie unmöglich das Ergebnis von langer mündlicher Tradition darstellen[16]. Somit fehlt auch die Zeit für umfangreiche Legendenbildungen.

Dass Theologen wie C&L diese Diskussion erst gar nicht führen ist tragisch. Denn natürlich hat die Datierung auch erhebliche Auswirkungen auf die Vertrauenswürdigkeit der biblischen Quellen, womit wir beim 3. Vorurteil wären:

3. Vorurteil: Die biblischen Autoren sind nicht vertrauenswürdig

Trotz des von Lukas selbst formulierten Anspruchs, einen genau recherchierten Bericht vorzulegen (Lk.1,1-4)[17], verwehren C&L sogar bei einem in Wir-Form geschriebenen Abschnitt der Apostelgeschichte (Apg. 16,11-40) die Möglichkeit, dass es sich um einen Augenzeugenbericht handeln könnte. Begründung: Der Bericht sei „stark mirakulös, also vermutlich kein Augenzeugenbericht.“[18] Das heißt: Die grundlegende Wunderskepsis wirkt sich auch auf die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit der biblischen Autoren aus.

C&L sehen aber noch mehr Gründe, warum man den biblischen Autoren misstrauen muss. Ein Problem ist für sie der Glaube der biblischen Autoren. So lesen wir, „dass es für die Erscheinung des Auferstandenen niemals neutrale Zeugen gibt: Jede Erscheinung führte sofort zum Glauben.“ [19]. Diese Bemerkung ist nun wirklich skurril. Welcher Zeuge könnte wohl „neutral“ bleiben, wenn er den Gekreuzigten lebendig vor sich stehen sieht? Diskreditiert das etwa ihr Zeugnis? Wäre denn ein Zeuge, der nicht glaubt, was er sieht, glaubwürdiger? Oder ist es nicht gerade umgekehrt ein klarer Beweis für die leibliche Dimension der Auferstehung, dass es nach den „Erscheinungen“ eben überhaupt keine Zweifler mehr gab, sondern todesmutige Zeugen, die trotz massiver Verfolgung die Nachricht von der Auferstehung extrem erfolgreich verbreitet haben?

Das grundlegende Misstrauen gegenüber den biblischen Zeugen wird bei C&L auch im Kapitel über die „historische Jesusforschung“ besonders deutlich. Ausgangspunkt ist hier die Annahme, dass der reale, historisch über die Erde gegangene Jesus sich klar unterscheidet von dem Christus, den die Urgemeinde gezeichnet und bezeugt hat. Zwar traut man den ersten Christen durchaus zu, dass in ihre Aufzeichnungen auch historische Erinnerungen an den realen Jesus eingeflossen sind. Aber die Aufgabe der Bibelwissenschaft sei es nun, diese Erinnerung zu unterscheiden von nachträglich entwickelten Christusbildern und von Aussagen, die die ersten Christen Jesus später in den Mund gelegt[20] bzw. mit denen sie ihn nachträglich gedeutet hatten. Und welches Kriterium wendet man an, um diese Unterscheidung zwischen „echtem Jesus“ und nachträglicher Deutung zu machen? „Als erstes (Minimal-) Kriterium gilt, dass zunächst einmal nur solche Jesusworte als sicher […] „echt“ anzusehen sind, die […] nicht aus theologischen bzw. christologischen (oder ekklesiologischen) Tendenzen der nachösterlichen Gemeinde heraus erklärt werden können.“ [21] Im Klartext: Zuviel Übereinstimmung mit dem urchristlichen Jesusbild spricht dafür, dass das wohl nicht von Jesus stammt sondern ihm nachträglich von den ersten Christen in den Mund gelegt wurde.[22] Krasser kann man sein Misstrauen gegenüber der Überlieferungstreue der Urgemeinde kaum zum Ausdruck bringen. Nur auf Basis dieses Vorurteils wird verständlich, warum C&L auch der Meinung sind, dass „Jesus keinen der in den synoptischen Evangelien erwähnten christologischen Hoheitstitel in Bezug auf seine eigene Person gebraucht“ habe  [23]. Im Klartext: Da können die Evangelisten schreiben, so viel sie wollen: Das sagt uns alles nichts darüber, wie Jesus sich eigentlich selbst sah. Trotz der vielen anderslautenden Bibelstellen hielt Jesus sich selbst wohl nicht für den Messias. Das zeigt: Diesen Evangelisten kann man aus Sicht von C&L ganz offensichtlich nicht vertrauen.

Auch Prof. Stefan Schreiber weiß in seinem Vortrag über den historischen Jesus[24] letztlich nichts darüber zu sagen, ob Jesus sich selbst als Messias sah oder nicht. Insgesamt zeichnet er in seinem Vortrag ein völlig vermenschlichtes Jesusbild. Das ist kein Wunder. Denn auch für ihn wird der echte, historische Jesus erst dann sichtbar, wenn man sich auf die Jesus-Zitate konzentriert, die sich von der urchristlichen Christologie unterscheiden. Doch dieser Jesus hat dann nur noch wenig mit dem Christus des Neuen Testaments zu tun.

Die fehlende Debatte: Ist es auch heute noch vernünftig, der Bibel zu vertrauen?

Die Vorurteile von C&L drücken sich nicht nur in dem aus, was sie schreiben. Man erkennt sie auch in dem, was in ihrem Buch vollkommen fehlt, nämlich eine Debatte über Argumente, die den Selbstanspruch der biblischen Autoren, Gottes offenbarte Wahrheit zu verkünden, unterstützen könnten.

Im Artikel „10 Gründe, warum es auch heute noch vernünftig ist, der Bibel zu vertrauen“[25] habe ich einige dieser Argumente aufgelistet:

  • Die einzigartig hohe Qualität der Textüberlieferung
  • Das unerklärte Rätsel der Entstehung des extrem erfolgreichen Osterglaubens in der Region und in der Zeit der Augenzeugen samt der durchgängigen Bereitschaft der Zeugen, für diesen Glauben den Märtyrertod auf sich zu nehmen
  • Die zahllosen eingetroffenen biblischen Vorhersagen, die sich oft auch nicht durch nachträgliche Einfügung erklären lassen
  • Die stimmige, durchgängige Geschichte der Bibel, die über einen Zeitraum von 1600 Jahren von mindestens 40 äußerst unterschiedlichen Autoren geschrieben wurde, die völlig verschiedenen kulturellen und religiösen Einflüssen ausgesetzt waren und dabei nicht die Bibel als gemeinsame Glaubensgrundlage hatten
  • Die schonungslose Ehrlichkeit, die selbst vor den größten Königen und Glaubenshelden nicht Halt macht und zu keiner Zeit die Geschichte Israels verklärt
  • Das realistische Menschenbild, das bestätigte Weltbild und das einzigartige Gottesbild
  • Die herausragende Ethik, die bis heute weltweit prägend wirkt
  • Der göttliche Anspruch, der uns vor die herausfordernde Wahl stellt: Waren das Betrüger, durchgeknallte Spinner oder haben sie wirklich die Wahrheit gesagt?

Nichts davon wird bei C&L auch nur ansatzweise diskutiert. Wie schade!

Gesten grenzenloser Überlegenheit

Weder die genannten Argumente für die Glaubwürdigkeit der Bibel noch die dargelegten außerwissenschaftlichen Vorurteile halten manche Theologen davon ab, die universitäre Theologie für beinahe grenzenlos überlegen zu halten. So stellt z.B. Siegfried Zimmer in seinem Worthaus-Vortrag über die „Arbeitsweise der modernen Bibelwissenschaft“[26] die steile These auf):

  • Die gesamte weltweite Kirche hat die Gleichnisse Jesu 1800 Jahre lang falsch verstanden.
  • Noch heute legen weltweit Millionen von Christen, die keinen Kontakt zur Universitätstheologie haben, die Gleichnisse Jesu falsch aus (und Zimmer fragt seine Hörer: Bist Du auch noch in einer solchen Gruppe?).
  • Der Grund für dieses Desaster: Auch die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas haben die Gleichnisse bereits nicht im Sinne Jesu ausgelegt. Indem sie ihre falsche Auslegung Jesus nachträglich in den Mund gelegt haben, haben sie die Kirche in die Irre geführt.

Zimmer stellt uns also vor die Wahl: Sollen wir in der Frage der richtigen Deutung der Gleichnisse den Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas vertrauen? Oder sollen wir stattdessen der modernen Universitätstheologie folgen?

Egal, wie Sie sich entscheiden, lieber Leser: Fakt ist jedenfalls, dass Zimmer damit den reformatorischen Grundsatz verlässt, dass die Schrift sich selbst auslegt („Sacra scriptura sui ipsius interpres“) und dass eine solche Theologie sich vollständig aus der Auslegungsgemeinschaft der weltweiten und der historischen Kirche verabschiedet mit allen schwerwiegenden Folgen, die das für die Theologie und für die von ihr geprägten Kirchen hat[27]:

Abschied aus der Auslegungsgemeinschaft der Kirche

Der christliche Glaube beruht nicht auf einer Sammlung von Ideen und Dogmen, auf einer Bewunderung für die Person Jesu oder auf einer gefühlten Begeisterung über die Liebe Gottes sondern zuerst einmal auf historischen Ereignissen[28], v.a. dem Leben, dem Sterben und der Auferstehung Jesu. Diese Ereignisse haben für Christen zentrale Heilsbedeutung. Sie standen deshalb im Zentrum der Verkündigung der ersten Christen (Joh. 20,30+31). Das führt natürlich zu der Frage: Was wird aus dem christlichen Glauben, wenn diese historischen Ereignisse in Frage gestellt werden?

Die Brisanz dieser Frage ist offenbar auch C&L bewusst. Sie schreiben deshalb: „So kann die Furcht aufkommen, die persönliche Glaubensüberzeugung werde beispielsweise durch die Infragestellung der historischen Zuverlässigkeit bestimmter Überlieferungen gefährdet. Dem steht die These gegenüber, Glaube und historische Erkenntnis gehörten grundsätzlich zwei verschiedenen Ebenen an.“[29] Diese These meint also: Der Glaube sei von historischen Erkenntnissen vollkommen unabhängig.

Die Formulierung ist wohl bewusst so vorsichtig gewählt. Denn natürlich ist diese These völlig unhaltbar. Selbstverständlich sind die theologischen Aussagen der Bibel immer mit dem historischen Handeln Gottes aufs engste und untrennbar miteinander verknüpft. Christliche Verkündigung ist ja gerade nicht primär ein moralischer Aufruf, etwas zu tun, sondern ein Zeugnis darüber, was Gott getan hat! Im Mittelpunkt steht die Tatsache: Christus starb für Dich! Das ist ein historisches Ereignis, ohne das alle sonstigen Lehren und Wahrheiten des Christentums nichts wert wären![30] Der Glaube wird entleert, wenn ihm der Bezug auf die historischen Ereignisse genommen wird, denn er kann sich dann auf nichts mehr beziehen. Auch unser Bild von Christus hängt untrennbar mit seinem Leben, seinen Wundern, seinem Sterben und seiner Auferstehung zusammen.[31] Wenn Christus nicht auferweckt ist, dann ist Predigt und Glaube vergeblich, sagt Paulus (1.Kor. 15,14). Das gilt auch heute noch. Wer die Historizität der biblischen Geschichten streicht, raubt dem Evangelium seine Basis, seine Kraft und verhindert den Gemeindebau.

Ein Christentum ohne Wunder und ohne Auferstehung ist deshalb ein Widerspruch in sich. Falls Schleiermacher und Co. die Theologie mit ihrer „Entmythologisierung“ tatsächlich retten wollten, so muss man heute feststellen: Sie haben der Theologie und der Kirche einen Bärendienst erwiesen. Sie haben den christlichen Glauben faktisch abgeschafft. Eine Theologie auf Basis der oben genannten Vorurteile rettet die Kirche nicht, sondern sie löst die zentralen Fundamente der Kirche auf. Sie hält die „Lehre der Apostel“ (Apg. 2,42) für menschlich und deshalb von vornherein für widersprüchlich, wie C&L schreiben: „Die Bibel enthält geschichtlich entstandene Dokumente, die – in großer Vielfalt theologischer Meinungen – den jüdischen bzw. christlichen Glauben bezeugen und darstellen.“ [32] Sie hält die Christologie der Urkirche für eine nachträgliche „Deutung“, kann aber gleichzeitig nichts Verlässliches sagen über die Christologie, die Jesus selbst hatte. Diese Theologie widerspricht also grundlegend den biblischen Aussagen und Bekenntnissen der weltweiten Kirche quer durch alle Jahrhunderte. Sie hat sich damit faktisch aus der Gemeinschaft der Kirche Jesu verabschiedet.

Katastrophale Folgen für die Kirche

Das Tragische ist, dass diese kirchenferne Theologie in weiten Teilen der westlichen Kirchen nach wie vor erheblichen Einfluss auf die Ausbildung der zukünftigen Gemeindeleiter ausübt. Da ist es keine Überraschung, was Christian Schwarz in seiner Analyse von tausenden von Gemeinden herausgefunden hat: „Das Theologiestudium hat eine stark negative Beziehung sowohl zum Wachstum als auch zur Qualität der Gemeinde.“ [33] Anders gesagt: Wenn ein Gemeindeleiter durch diese theologische Ausbildung gegangen ist, erhöht das messbar die Wahrscheinlichkeit, dass die Qualität und die Quantität der Gemeinde sinkt. Tatsächlich kenne ich kein Beispiel einer blühenden, wachsenden Gemeinde, in der der Pastor oder die Pastorin von der Kanzel predigt, dass Jesus gar nicht leiblich auferstanden ist, dass die biblischen Geschichten so gar nicht passiert sind und dass Gott in jeder Religion zu finden ist. Das rasche Schrumpfen aller westlichen Kirchen, die von dieser liberalen Theologie beeinflusst sind, untermauert dies eindrücklich.

Man kann deshalb nicht genug davor warnen, dass Formate wie Worthaus nun dafür sorgen wollen, dass diese Theologie auch noch in evangelikale Ausbildungsstätten, Gemeinschaften und Gemeinden hineingetragen wird.[34] Denn ganz sicher wird sie auch dort die gleiche Verwüstung hinterlassen, wie wir sie jetzt schon in den großen Volkskirchen mit ansehen müssen.

Die Bibel ermutigt uns, vor dieser Not zu warnen! Das Anprangern von Irrlehren ist in der Bibel eben keine „gnadenlose Frömmigkeit“ und keine „Suche nach schwarzen Schafen“ [35], sondern ein schützendes Eintreten für die intellektuell Schwachen, die nun einmal nicht durchschauen können, dass sich hinter vielen angeblich so objektiven, klugen und scheinbar wissenschaftlichen Lehren zutiefst unwissenschaftliche Vorentscheidungen verbergen, die man getrost ablehnen kann, ohne seinen Verstand an der Kirchengarderobe abgeben zu müssen.

Kann es eine konservative Bibel­wissenschaft geben?

Wie bereits dargelegt: Vorurteile („Prämissen“) sind grundsätzlich nichts Schlechtes, wenn man offen und ehrlich darüber spricht und transparent macht, auf welchen Grundlagen man zu welchen Schlussfolgerungen kommt. Das Problem bei C&L ist, dass die oben genannten Vorurteile kaum offen gelegt und praktisch überhaupt nicht diskutiert werden. Eine gute Bibelwissenschaft wird das anders machen. Wenn sie evangelikal und konservativ geprägt ist, wird sie offen über die Prämissen reden, die sie in ihrer Arbeit verwendet: Sie geht davon aus, dass Wunder und Offenbarungen möglich sind und dass die biblischen Autoren gemäß ihrem Selbstzeugnis tatsächlich verlässliche Wahrheit verkünden. Sie geht außerdem davon aus, dass sich die einzelnen Schriften theologisch nicht widersprechen, sondern ergänzen und insgesamt eine Einheit bilden[36]. Unter dieser Voraussetzung ist der verlässlichste Auslegungsschlüssel für die Bibel immer die Bibel selbst. Aus ihr können wir am besten lernen, wie die einzelnen Verse, Texte und Geschichten zu verstehen sind.

Eine weitere wichtige Hilfe wird in dieser Theologie nicht die Abkehr, sondern die bewusste Orientierung an den kirchlichen Bekenntnissen sein, die jeden Theologen einfügt in die Auslegungsgemeinschaft der ganzen Kirche Jesu in ihrem historischen Werdegang und ihm deshalb wertvolle Orientierung in der Auslegung der Bibel gibt.[37]

All das sind in gewissem Sinne „Vorurteile“ (Prämissen), für deren Sinnhaftigkeit man aber – wie oben geschildert – zahlreiche gute Argumente anführen kann. Schön wäre es, wenn es nun zu einem wissenschaftlichen Wettbewerb käme: Welche Prämissen führen zu einer schlüssigeren Integration aller vorliegenden Fakten? Wer kann die Daten in seinem Modell besser erklären? Das wäre echte, ergebnisoffene Wissenschaft, die es dem Außenstehenden auch leichter machen würde, die Argumente zu vergleichen und sich selbst ein Bild zu machen. Doch dafür müsste der evangelikale Ansatz erst einmal grundsätzlich anerkannt werden. Alle Bibelwissenschaftler müssten ihre „Vorurteile“ eindeutig und nachvollziehbar offenlegen und sich zugleich hüten vor der Gefahr des Stolzes, die natürlich in allen Lagern besteht. Gerade als Bibellehrer müssen wir alle den biblischen Ruf zur Demut immer wieder hören (Jak. 3,1; 1.Petr. 5,5; 1.Kor. 8,1!).

Der grundlegende Unterschied zwischen den theologischen Welten

Ein Kunsthistoriker, der davon ausgeht, dass ein Bild von einem kleinen Kind gemalt wurde, wird darin niemals eine ausgereifte Kunstfertigkeit erkennen. Ein Theologe, der in seiner wissenschaftlichen Arbeit Wunder und Offenbarung von vornherein ausschließt und seine Forschung so betreibt, als ob es Gott nicht gäbe („etsi Deus non daretur“ bzw. „methodischer Atheismus“) wird in der Bibel niemals Gottes verlässliches, offenbartes Wort erkennen. Wie grundlegend sich die aus diesen Vorurteilen resultierende Theologie von der traditionellen und reformatorischen Theologie unterscheidet, hat der Theologe J. Gresham Machen bereits im Jahr 1923 beschrieben:

„Wenn man die Wunder ablehnt, macht man aus Jesus die schönste Blume der Menschheit, die einen derartigen Eindruck auf seine Jünger machte, dass sie nach seinem Tod nicht glauben konnten, dass er wirklich tot war, sondern Halluzinationen hatten, die den Eindruck erweckten, er sei von den Toten auferstanden. Wenn man aber die Wunder annimmt, so glaubt man an einen Erlöser, der freiwillig auf diese Welt kam, um uns zu erlösen, am Kreuz für unsere Schuld litt, durch die Macht Gottes von den Toten auferstand und nun lebt, um für uns einzutreten. Der Unterschied zwischen diesen beiden Standpunkten ist der zwischen zwei vollkommen verschiedenen Religionen. Es ist höchste Zeit, das klarzustellen.“ [38]

Ist dieser tiefe Graben in der Theologie inzwischen kleiner geworden? 1999 gab Prof. A Lindemann, der Mitautor von C&L, dem  SPIEGEL ein eindrückliches Interview[39]. Darin sagte er: Im deutschsprachigen Raum kenne er keinen Exegeten, der die Evangelien für zuverlässige historische Zeugnisse hält. Seit Jahrzehnten würde kein ernst zu nehmender Exeget mehr behaupten, dass es sich bei den Evangelien um Lebensbeschreibungen Jesu handelt. Bis auf Ausnahmen würden die Exegeten übereinstimmen, dass kein Augen- oder Ohrenzeuge noch direkt zu uns spricht. Menschen mit Allgemeinbildung wüssten, dass die Geburtsgeschichten nicht wirklich geschehen sind. Nur wenige katholische Neutestamentler hielten noch an der Jungfrauengeburt fest. Jesus habe nicht an seine Existenz vor seiner Geburt geglaubt, sich nicht für Gottes Sohn gehalten, seinen Tod nicht als Sühnetod verstanden und das Abendmahl nicht eingesetzt. Keines der bekannten großen Wunder habe er tatsächlich vollbracht. Er sei nicht leiblich auferstanden, habe keinen Missionsbefehl erteilt und wollte keine Kirche gründen. Der christliche Glaube beziehe sich nicht auf das Selbstverständnis und die Verkündigung Jesu (diese habe dem christlichen Glauben z.T. sogar widersprochen). All das würden viele Exegeten so formulieren, weit mehr noch als vor 20, 30 Jahren.

Der evangelikale Theologe Armin D. Baum kommt aufgrund dieser Aussagen – ganz ähnlich wie J.G. Machen fast 100 Jahre zuvor – zu dem Schluss[40]: „Prof. Lindemann […] bestreitet in seinem SPIEGEL-Interview die christologische Kernaussage des Neuen Testaments, dass Jesus der Sohn Gottes war […] Und er bestreitet die Zentralaussage der neutestamentlichen Soteriologie, Jesus sei historisch von den Toten auferstanden […] Ob zwei Menschen den gleichen Glauben haben, lässt sich meines Erachtens nicht einfach daran ablesen, ob sie die gleichen Begriffe verwenden. Ein solches Urteil hängt davon ab, welche Inhalte sie mit den Begriffen meinen. Inhaltlich sind die Aussagen, die Prof. Lindemann und ich über das Heil in Christus treffen, bis zur Gegensätzlichkeit verschieden. Uns trennt ein garstiger breiter Graben, weil Prof. Lindemann das Christentum aus meiner Sicht in seinem Zentrum entkernt.“

Wenn Prof. Lindemann auch nur teilweise recht haben sollte mit seiner Behauptung, dass solche Ansichten die universitäre Theologie dominieren, dann bewegt mich eine grundlegende Frage: Warum verlangt meine evangelische Kirche von ihren zukünftigen Gemeindeleitern, bei der Ordination ein Gelübde auf Bibel und Bekenntnis abzulegen[41], lässt sie aber zuvor zumindest zum Teil von Theologen ausbilden, die den Bekenntnissen inhaltlich derart grund­legend und weitreichend widersprechen? Auf mich wirkt das so, wie wenn eine Metzgereikette seine Azubis zu überzeugten Veganern in die Lehre schickt und sich nachher wundert, warum die Kunden kein Fleisch mehr kaufen. Wie sollen unsere Gemeindeleiter Glauben wecken, wenn sie von Menschen ausgebildet werden, die selbst elementarste Botschaften der Bibel in Frage stellen oder – wie Prof. Lindemann – sogar offen ablehnen? Ich meine: Das kann nicht funktionieren. Und deshalb bin ich überzeugt: Ohne eine grundlegende theologische Erneuerung bleiben alle sonstigen Reformbemühungen der Kirche zwangsläufig zum Scheitern verurteilt.


Danke an Dr. Reinhard Junker, Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter und Dr. Gerrit Hohage für die fachlich kompetente Prüfung des Artikels und alle guten Anregungen, Kommentare und Korrekturen. 

Besonders zu empfehlen sind in diesem Zusammenhang die beiden Vorträge, die Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter (Direktor der internationalen Akademie für Philosophie am Fürstentum Liechtenstein) am 9.12.2017 in der STH Basel gehalten hat:

Im AiGG-Blog sind zu diesem Thema u.a. folgende weiterführende Artikel erschienen:


 

[1] Prof. Hansjörg Schmid hat das unter Theologen weit verbreitete Arbeitsbuch von C&L als „Bestseller und Klassiker“ bezeichnet (Christ in der Gegenwart 54 (2002) 41, S. 336f.). An der Humboldt-Universität Berlin wird aktuell an der 15. Auflage gearbeitet. Es wird also vermutlich auch zukünftig das Studium vieler Theologiestudenten prägen.

[2] H.Conzelmann A.Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament 14. Auflage 2004, S. 3

[3] Siehe dazu mein Artikel: „4 Dinge, für die ich Atheisten bewundere“ (AiGG-Blog 2015)

[4] Immer wieder hört man die Aussage, nach der Aufklärung könne man nicht mehr so glauben und christlich lehren wie zuvor. In seinem äußerst empfehlenswerten Vortrag „Gab es die Aufklärung“ zeigt Prof. Daniel von Wachter, dass die dominierenden Thesen der Aufklärung letztlich ein Mythos und ein eingebürgertes Narrativ sind und keineswegs unser Verständnis des christlichen Glaubens beeinflussen oder gar zerstören müssen.

[5] Prof. Daniel von Wachter 2017: „Wunder sind keine Verletzung der Naturgesetze“

[6] Es ist natürlich gewagt, den Begriff der „liberalen Theologie“ zu verwenden und schwierig, ihn zu definieren. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten ist der Begriff sehr zerfleddert. In diesem Artikel lehne ich mich an die Definition von Prof. Daniel von Wachter an, der in seinem Vortrag „Die Schlüsselvoraussetzung der liberalen Theologie“ die liberale Theologie als markante theologische Schule bezeichnet, die in etwa das vertritt, was die Theologen Schleiermacher, Troeltsch und Bultmann gemeinsam haben.

[7] Rudolf Bultmann 1933, 84f

[8] Rudolf Bultmann: Neues Testament und Mythologie. 1941, 18

[9] Fridrich Schleiermacher im Jahr 1829: „Der Begriff des Wunders wird in seiner bisherigen Art und Weise nicht fortbestehen können.“ Ernst Troeltsch im Jahr 1889: „[Es kann] keine Veränderung an einem Punkte eintreten […] ohne vorangegangene und folgende Änderungen an einem anderen, so dass alles Geschehene in einem beständigen korrelativen Zusammenhange steht und notwendig einen Fluss bilden muss, in dem Alles und Jedes zusammenhängt.“ (Über historische und dogmatische Methode in der Theologie) Zitiert im Vortrag „Die Schlüsselvoraussetzung der liberalen Theologie“ von Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter

[10] H.Conzelmann A.Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 524

[11] Worthaus-Vortrag „Auf der Suche nach dem historischen Jesus“ von Prof. Stefan Schreiber 2014

[12] Im Wortlaut formuliert Prof. Schreiber: „Diese Menschen, und zwar nicht nur einer sondern viele, waren der Meinung oder waren davon überzeugt, ihnen ist Jesus von Nazareth erschienen. Sie haben gesehen, dass er lebt. Sie haben erfahren, dass er lebt. Deswegen muss der noch lange nicht auf der Erde rumspaziert sein wie ein Gespenst oder so etwas. Das wäre dann eher wieder die alberne Variante. Also wenn ich jetzt meine Oma hier sehen würde, dann würde ich zum Arzt gehen, verstehen Sie? Da würde ich irgendwie denken, jetzt sollte ich mal wieder richtig schlafen oder so etwas. Darum geht’s nicht. Darum geht’s auch bei der Erweckung Jesu nicht. Die waren nicht einfach alle überreizt oder so etwas.“ (ab 1:23:28)

[13] Ausführlich erläutert in meinem Artikel: „Die Auferstehung Jesu: Fakt oder Fiktion? Der Indizienprozess“ (AiGG-Blog 2016)

[14] So sahen sich Mose und die alttestamentlichen Propheten als direkte Sprachrohre Gottes (z.B. Jer. 1,9). Jesus und die Autoren des NT haben diese Sichtweise voll bestätigt (Mt. 5,18; Hebr. 1,1; 2.Petr. 1,21). Paulus betonte, dass seine Lehre nicht menschlich, sondern eine direkte Offenbarung Gottes ist (Gal. 1,11-12). Und Johannes warnte eindringlich davor, auch nur minimale Änderungen an seinem Text vorzunehmen (Offb. 22,18-19).

[15] H. Conzelmann & A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 343

[16] Siehe dazu mein Artikel „Die Berichte des NT weisen alle Eigenschaften von frühen, authentischen Augenzeugenberichten auf“ (AiGG-Blog 2017)

[17] Dazu schreibt Armin D. Baum in Bibel und Gemeinde 100, Band 4 (2000): Wollten die Evangelisten Geschichte schreiben? […] Prof. Lindemann hat […] eine deutliche Antwort gegeben […]: „Es ist … ein Missverständnis der biblischen Texte, wenn sie als Tatsachenberichte aufgefasst werden”. Diese These halte ich für falsch. Einer der Evangelisten hat sich dazu, ganz im Stil der antiken Historiographie, ausdrücklich geäußert: „Es erschien mir gut, nachdem ich allem bis auf die Anfänge nachgegangen war, es exakt und der Reihe nach aufzuschreiben” (Lk 1,3). Und es ist meines Wissens kein einziger antiker Leser nachweisbar, der den Evangelien eine historische Absicht abgesprochen hätte.“

[18] H. Conzelmann & A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 354

[19] H. Conzelmann & A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 524

[20] Die These, dass die ersten Christen Jesus massenhaft Zitate nachträglich untergeschoben hätten kommentiert Prof. G. Schröter: „Ich halte es nicht für die feine Art, Jesus etwas in den Mund zu legen, damit der Text als wirkungsvoller empfunden wird. […] Natürlich gibt es bis heute hier und da Kujaus, Plagiatoren, Abschreiber und „Als-ob-Formulierer”. Aber sollten gerade die ersten Christen, die zu strikter Wahrheitsliebe aufriefen, so gehandelt haben? Mitnichten!“ (in „Und die intellektuelle Redlichkeit?“, Bibel und Gemeinde 100, Band 2, 2000)

[21] H. Conzelmann & A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 464

[22] Dem hier vorgestellten „Differenzkriterium“ wird heute meist das „Kriterium der vielfachen Bezeugung“ (Erscheinen in verschiedenen Gattungen/unabhängigen Quellen) sowie das „Kohärenzkriterium“ (Ähnlichkeit zu anderen Stellen, die den beiden erstgenannten Kriterien entsprechen) beigestellt. Auch das neuere „historischen Plausibiltätskriterium“ überwindet das Differenzkriterium nicht, es erscheint dort unter den Namen „Tendenzwidrigkeit“ und „kontextuelle Individualität“ (nachzulesen z.B. hier).

[23] H. Conzelmann & A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 495

[24] „Auf der Suche nach dem historischen Jesus“ Worthaus-Vortrag von Prof. Stefan Schreiber 2014

[25] „10 Gründe, warum es auch heute noch vernünftig ist, der Bibel zu vertrauen“ (AiGG-Blog 2016)

[26] Worthaus 5.8.2 Prof. S. Zimmer 2015

[27] Dazu schreibt der Theologe Holger Lahayne in seinem grundlegenden Artikel von 2016 „Solo oder sola scriptura“: „Es wäre völlig töricht, all die in zweitausend Jahren angesammelten theologischen Lehren in Gänze beiseite zu schieben. Denn darin würde sich ein ungeheurer Hochmut ausdrücken. Schon immer haben Menschen die Bibel interpretiert, und sehr oft haben sie das Wort Gottes richtig gedeutet. […] Wenn die Tradition verachtet wird, wird es auch kaum möglich sein, an der Wahrheit Gottes in der Heiligen Schrift festzuhalten.“

[28] Der Begriff „historisch“ wird hier im Sinne von „was wirklich geschehen ist“ verwendet. In der klassischen historisch kritischen Methode gilt nach Troeltsch aber nur das als historisch, was den Kriterien der Kritik, Analogie und Korrelation (Begriffsdefinition siehe z.B. hier) standhält. Wunder wie die Auferstehung sind nach dieser Definition grundsätzlich von vornherein „unhistorisch“ und nicht wirklich geschehen. Zurecht sieht Prof. Rainer Mayer darin den Versuch, „ein rein innerweltliches, mithin atheistisches Wissenschaftsverständnis für die Theologie verbindlich zu machen. […] Diese Prinzipien behindern unvoreingenommene historische Untersuchung, weil sie aller Erkenntnis ein „Filter“ vorschalten, das von vornherein alles das als „unhistorisch“ aussondert, was nicht in das vorgefasste Wissenschaftsparadigma passt.“ Spätere Theologen haben den Wunderausschluss abgeschwächt mit der Aussage: Wunder könnten zwar geschehen sein, aber die Wissenschaft könne aus methodischen Gründen nichts über sie sagen. Damit wird aber nach wie vor die Möglichkeit, dass real geschehene Wunder die beste Erklärung für die historischen Fakten liefern könnten, von vornherein ohne Sachgründe aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschlossen und damit abgewertet.

[29] H. Conzelmann & A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 3

[30] Siehe dazu mein Artikel „Das Kreuz – Stolperstein der Theologie“ (AiGG-Blog 2018)

[31] Dazu schreibt Armin D. Baum in in Bibel und Gemeinde 101, Band 1 (2001): „Die Christologie der Evangelien ruht auf der Überzeugung, dass Jesus Wunder getan hat: Jesus von Nazareth hat sich seinen Zeitgenossen gegenüber durch Wundertaten ausgewiesen (Apg 2,22), und zwar sowohl als der in den Schriften verheißene Messias als auch als der einzigartige Sohn Gottes. Der Täufer ließ Jesus aus dem Gefängnis zweifelnd fragen, ob er der verheißene Messias sei. In seiner Antwort an den Täufer spielte Jesus darauf an, dass der Messias Jes 35,5-6 zufolge nicht nur einzelne Heilungswunder tun würde, wie die Propheten vor ihm, sondern sehr viele. Der Messias sollte an der enormen Fülle seiner Machttaten erkannt werden, die weit über alles hinausging, was man aus den heiligen Schrift über wundertätige Propheten wusste. Eine Identifizierung Jesu als Messias wäre diesem biblischen Konzept zufolge ohne Wunder nicht möglich gewesen.“

[32] H. Conzelmann & A. Lindemann, Arbeitsbuch zum NT 14. Auflage 2004, S. 3

[33] Christian Schwarz in  „Natürliche Gemeindeentwicklung“ 4. Auflage 2006, S. 25, in dem er die Ergebnisse seiner systematischen Untersuchung von 45.000 Gemeinden aus der ganzen Welt präsentiert

[34] So schreibt Christoph Schmieding in seinem Artikel „Was ist eigentlich „post-evangelikal?“: „Das von Siegfried Zimmer initiierte Worthaus Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, moderne Bibelwissenschaft in die evangelikalen Biotope zu tragen – und das mit Erfolg!“

[35] Jürgen Mette in seiner pro-Kolumne „Von Lämmern, Leithammeln und schwarzen Schafen“.

[36] Dazu schreibt Dr. Armin D. Baum: Im Unterschied zu dieser von ZIMMER befürworteten Hermeneutik geht ein evangelikales Schriftverständnis von der Annahme aus, dass die Bibel – bei aller Unterschiedlichkeit der innerbiblischen Gesprächsbeiträge – nicht nur in ihren zentralen Aussagen, sondern insgesamt eine theologische Einheit darstellt und als solche respektiert werden will.“ Ichthys 46 (2008), S. 82-83

[37] „Die Krise des Schriftprinzips ist also immer auch eine Krise des Bekenntnisprinzips.“ Holger Lahayne 2016 in „Solo oder sola scriptura

[38] J. Gresham Machen „Christentum und Liberalismus“ S. 129

[39] „Ist Jesus dem Glauben im Weg? SPIEGEL-Interview mit Prof. A. Lindemann vom 13.12.1999

[40] In „Geschichtsschreibung, Wunder und der christliche Glaube: eine Antwort an Prof. Lindemann“ in Bibel und Gemeinde 101, Band 1 (2001), S.30-37

[41] Aus der Urkunde über das Ordinationsgelübde der Nordelbischen Kirche: „…Er hat gelobt, […] das Evangelium von Jesus Christus zu predigen, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis unserer evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist…”

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Lasst mir bloß die Schatzkarte in Ruhe!

Oder: Warum ich liberale Theologie so belanglos finde

Der große Moment war gekommen. Die Schatzkarte wurde auf dem Tisch ausgebreitet. Und tatsächlich: Tief im Inneren der Insel war die Stelle markiert, an der der sagenhafte Schatz vergraben sein musste. Doch die leuchtenden Augen verdunkelten sich. Der Weg zum Schatz schien eng, steil und gefährlich zu sein. Gemurmel ging durch den Raum. „Gibt’s da eigentlich Geländer?“ „Da müssten wir ja erst mal trainieren.“ „Das kann man doch niemand zumuten.“ Erste grundlegende Zweifel wurden formuliert: „Man kann doch so eine alte Schatzkarte nicht einfach auf heute übertragen!“ „Mir kann doch keiner erzählen, dass es nur EINEN Weg zum Schatz geben soll!“ Dann wurde die Kritik grundsätzlicher: „Mit unseren heutigen Möglichkeiten finden wir sicher einen besseren Weg.“ „Und vielleicht ja auch ein besseres Ziel!” „Eben! Wer definiert überhaupt, was ein Schatz ist? Schöne Strände sind doch auch ein großer Schatz, oder?“ „Solange es ein schöner Weg ist, ist doch auch alles gut!” Jetzt waren sich alle einig: Diese Karte konnten sie unmöglich einfach so als Reiseroute verwenden. Stifte wurden gezückt. Doch bevor jemand etwas auf die Karte zeichnen konnte schlug Fred auf den Tisch. „Glaubt ihr ernsthaft, dass ihr den Weg besser kennt als der, der den Schatz vergraben hat? Lasst mir bloß die Schatzkarte in Ruhe! Ich gehe diesen Weg. Ich finde den Schatz. Ihr dürft euch solange gerne um schöne Wege und Strände kümmern. Dafür braucht ihr die Karte nicht. Im Internet gibt es Pläne ohne Ende.“ Mit diesen Worten nahm er die Karte und ging, um sich auf den Weg zu machen.

Der sagenumwobenste Schatz dieser Welt heißt: Ewiges Leben! Jeder hofft darauf. Aber kein Mensch weiß etwas Genaues darüber. Paulus hingegen hat behauptet:

„Ich bin ein Apostel von Jesus Christus, dazu berufen, […] die Wahrheit zu verbreiten, die zum Glauben führt. Diese Wahrheit schenkt die Hoffnung auf ewiges Leben.“
(Titus 1, 1-2a)

Ich will ehrlich mit Ihnen sein, lieber Leser: Mich interessiert halt nun mal vor allem dieser Schatz. Andere dürfen gerne für den Tierschutz, Klimaschutz, Gleichberechtigung, Karriere, Erfolg, Schönheit usw. leben. Ich will in erster Linie ewiges Leben haben. Und zwar nicht nur für mich (das wäre ja egoistisch) sondern auch für die Menschen um mich herum. Und da wir Menschen nun mal keine Ahnung über das Leben nach dem Tod haben und da es am Ende eben nur 1 objektive Wahrheit geben kann interessiert mich letztlich nur eins: Was hat Gott dazu gesagt?

Und jetzt kenne ich halt nur 1 Gruppe von Menschen, denen ich wirklich abnehme, dass sie tatsächlich Gott gehört haben: Die Autoren der Bibel! Sie behaupteten nicht nur ständig, das wahre Wort Gottes zu predigen. Sie waren auch noch bereit, für ihre Botschaft in den Tod zu gehen. Ihre Worte waren so kraftvoll, dass sie bis heute die Welt verändern – im Gegensatz zu so vielen hochtrabenden theologischen Theorien, von denen nach kurzer Zeit kein Mensch mehr spricht.

Ihr lieben Theologen, ihr habt so eine wichtige Aufgabe! Ich wünsche mir von euch, dass ihr mir helft, die Bibel, die Schatzkarte Gottes, besser lesen und verstehen zu können. Bitte fordert mich heraus, diesen biblischen Weg zu gehen. Konfrontiert mich damit, welche meiner Wege nicht zur biblischen Schatzkarte passen. Wenn ich eine Bibelstelle falsch verstehe dann zeigt mir bitte eine andere, die mich korrigiert. Und bitte warnt mich vor falschen Lehren und Lehrern, die mir Wege empfehlen, die von der Bibel abweichen. Ich finde es offen gesagt traurig, dass das so wenige von euch tun.

Aber wenn ihr euch stattdessen mehr mit anderen Theologen und theologischen Gedankengebäuden statt mit der Bibel beschäftigt, hilft mir das nicht wirklich weiter. Und wenn ihr euch über die Bibel stellt und anfangt, euren Verstand, eure Meinung, eure Erfahrung, den Zeitgeist, menschliche Erkenntnisse oder Bedürfnisse zum Schiedsrichter über richtig und falsch in der Bibel zu machen, dann bin ich raus. Denn ich glaube einfach nicht, dass ihr besser über das (ewige) Leben Bescheid wisst als die Apostel und Propheten, die uns Gottes Wort verkündigt haben.

Geradezu lächerlich finde ich es, wenn manche von euch meinen, sie könnten biblische Lehren mit ihrer Logik widerlegen. Mal ernsthaft: Wer von uns will denn beurteilen, ob die Möglichkeit einer ewigen Verdammnis, vor der Jesus uns so intensiv gewarnt hat, nicht doch auch Ausdruck von Gottes Liebe und Gerechtigkeit sein kann? Wer von uns wollte beurteilen, ob es nicht doch einen blutigen Sühnetod brauchte, um uns vor dieser Verdammnis zu bewahren? Wir verstehen ja nicht mal wie eine winzige lebende Zelle funktioniert. Und dann wollen wir definieren, wie Schuld, Vergebung, Erlösung, Gerechtigkeit und die Ewigkeit konstruiert sein muss, damit es für unsere erbärmlichen logischen Fähigkeiten akzeptabel ist? Ich finde: Hochmut ist gar kein Ausdruck für so eine menschliche Selbstüberschätzung.

Deshalb seid mir bitte nicht böse, dass theologische Theorien, die man nicht klar und deutlich mit der Bibel belegen kann, bei mir nur Schulterzucken auslösen (und übrigens nicht nur bei mir, wie man an den rapide schrumpfenden Kirchenmitgliederzahlen sieht). Feministische Theologie, Befreiungstheologie, transformative Theologie, tiefenpsychologische Theologie: Alle diese kurzlebigen theologischen Modewellen finde ich einfach nur belanglos, wenn sie primär menschlich und nicht biblisch getrieben sind. Ich liebe biblische Theologie! Die Bibel soll sich selber auslegen und selber definieren, wie sie richtig zu verstehen ist! Deshalb schlage ich von allen Büchern immer noch am liebsten die Bibel auf und hebe aus ihr die kostbaren Schätze, die mir verbrieft und verlässlich das Leben bringen. DAS finde ich spannend ohne Ende.

P.S. an alle die jetzt glauben, mir wäre die Not dieser Welt egal und mir ginge es nur ums Seelenheil: Mein Jesus hat gesagt, dass die in den Himmel kommen, die den Hungrigen zu essen geben, die Fremden aufnehmen, den Armen helfen und die Kranken und Kriminellen besuchen (Matth. 25, 31-45). Interessanterweise waren es ja gerade die Jesusnachfolger mit biblischer Perspektive, die so ungeheuer viel für unser aller Wohlstand, Gesundheit und Bildung getan haben (wie Vishal Mangalwadi in seinem „Buch der Mitte“ eindrücklich nachgewiesen hat). Vielleicht ja deshalb, weil genau diese biblische Ewigkeitsperspektive nicht nur an die Symptome sondern an die Wurzel der Nöte dieser Welt geht, nämlich an unsere Sündhaftigkeit und unseren Egoismus. Vielleicht wächst Gerechtigkeit in einer Gesellschaft ja viel mehr durch erneuerte Herzen statt nur durch Politik. Also bevor ihr euch über meine angebliche Weltflucht lustig macht würde ich sagen: Abwarten, wer am Ende wirklich mehr gegen die Not der Welt getan hat… J

Siehe auch:

Umkämpfte Einheit (3): Erkenntnis-Riesen

Ich würde mich selbst als “bibeltreu” bezeichnen. Manche Zeitgenossen würden mich gar einen „Fundamentalisten“ nennen. Ich finde das traurig. Schließlich ist dieses Wort extrem negativ belegt. Oft wird es sogar mit Gewaltbereitschaft assoziiert. Wer friedliche Mitchristen mit solchen Kampfbegriffen diffamiert offenbart viel über seine Geisteshaltung.

Andererseits muss ich sagen: In der Tat halte ich das Fundament der Bibel für absolut unverzichtbar für die Kirche! Der liberale theologische Ansatz, der die Bibel für fehlerhaft hält und den menschlichen Verstand zum Richter über wahr und falsch macht, hat eine Schneise der Verwüstung durch die Kirche geschlagen und das Fundament für die Einheit der Kirche massiv beschädigt. Denn außer der Bibel hat das Christentum nun einmal keine verbindliche Erkenntnisquelle! Wenn Menschen willkürlich nach selbstdefinierten Kriterien darüber entscheiden, ob Bibelstellen Autorität haben oder nicht, diffundiert die Kirche zwangsläufig immer weiter auseinander.

Die Abkehr von liberaler Theologie ist aber noch lange keine Garantie für Einheit. Bei der Auslegung der Bibel können auch Bibeltreue katastrophal irren: So wurde Jesus gerade von den Bibelgelehrten als völlig unbiblisch abgelehnt. In der Kirchengeschichte gibt es zahlreiche Beispiele, wie selbst große Bibelkenner zu Feinden guter christlicher Bewegungen wurden, weil sie ihre speziellen Bibelerkenntnisse zu Dogmen oder gar Kirchengesetzen erhoben und als Waffe gegen Andere eingesetzt haben (die Verfolgung der Täufer durch die Reformatoren ist ein fürchterliches Beispiel dafür). Dabei hatte Gott das Neue Testament doch gerade nicht als Gesetzes- und Paragraphenkatalog verfasst. Wenn Menschen aber meinen, das für ihn nachzuholen zu müssen, endet das irgendwann immer im Desaster!

Wir können also sowohl auf der liberalen als auch auf der bibeltreuen Seite vom Pferd fallen. Auf beiden Seiten machen wir den gleichen Fehler: Wir stellen unsere menschliche Erkenntnis hochmütig über die Bibel und machen uns gottgleich zur obersten Wahrheitsinstanz. Dadurch werden wir zu Erkenntnis-Riesen, die die Einheit der Kirche gnadenlos zertrampeln.

Bibelpendel

Erkenntnis-Riesen zeigen mit dem Finger auf die Splitter in den Augen Anderer, haben aber selbst ein Brett vor dem Kopf. Sie meinen, immer ganz genau zu wissen, wie die Bibel auszulegen ist, vergessen dabei aber, dass sogar der große Theologe Paulus seine Erkenntnis für Stückwerk hielt und auch uns eindringlich zugerufen hat: “Bildet Euch nicht ein, alles zu wissen!“ Unser menschliches Bibelverständnis bleibt also ein Stück weit immer unvollständig und subjektiv. Hüten wir uns deshalb davor, uns vorschnell zum Richter über andere theologische Auffassungen zu machen!

Und noch einen äußerst wichtigen Grundsatz hat uns Paulus für den Umgang mit Wissen und Erkenntnis gelehrt: Wissen kann uns ein Gefühl von Wichtigkeit verleihen, doch nur die Liebe baut die Gemeinde wirklich auf .Wer behauptet, alle Antworten zu kennen, hat in Wirklichkeit kaum begriffen, auf welche Erkenntnis es ankommt. Doch wer Gott liebt, der ist von Gott erkannt“. (1. Korinther 8, 1-3)

Erkennen ist in der Bibel ein Synonym für das Einswerden in einer engen, intimen Beziehung. Echte theologische Erkenntnis wächst somit immer nur in der innigen Beziehung mit dem himmlischen Vater! ER ist der Autor der Bibel. Nur in der Verbindung mit ihm können wir lernen, was er wirklich gemeint hat! Aber ohne seinen Geist macht Erkenntnis uns zu hartherzigen, arroganten Einheitskillern: „Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2. Korinther 3, 6b).

Als Christen glauben wir im Gegensatz zum aktuellen Zeitgeist daran, dass es eine allgemeingültige Wahrheit gibt. Aber wir sind nicht im Besitz der Wahrheit! Vielmehr streben wir danach, dass die Wahrheit in Person (nämlich Jesus) immer mehr Besitz von uns ergreift! Erst wenn wir diesen feinen aber wichtigen Unterschied verstehen und unsere Besitzansprüche auf Wahrheit aufgeben werden wir nicht länger in der Gefahr stehen, uns anderen Menschen gegenüber überlegen zu fühlen und ihnen entsprechend arrogant zu begegnen. Und gerade weil unsere heutige postmoderne Gesellschaft jeden Alleinvertretungs­anspruch auf Wahrheit als gefährlichen Hang zu Machtausübung und Manipulation wahrnimmt, können wir den Menschen nur in dieser demütigen Haltung das Evangelium bringen – und zugleich unnötigen Streit und Spaltung in der Gemeinde Jesu vermeiden.

Blogbild Erkenntnisriesen

Es ist höchste Zeit, uns neu der Bibel als Gottes Wort in Ehrfurcht unterzuordnen und gleichzeitig die enge, innige Verbindung mit dem Autor der Bibel, dem liebevollen himmlischen Vater zu suchen in dem Wissen, wie unvollkommen und abhängig wir von ihm sind. Dann haben Erkenntnis-Riesen keine Chance mehr.

Teil 4 von „Umkämpfte Einheit“ befasst sich mit Stolz-Riesen und Selbstwert-Zwergen. Sie treten meist gemeinsam auf und sind die grausamsten Einheitsfeinde, die ich persönlich kennengelernt habe. Es ist deshalb ganz besonders wichtig, sie zu durchschauen.

Siehe auch: